Buch- und Bibliothekswissenschaften

Neues aus den Buch- und ­Bibliothekswissenschaften

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2022

Alexander Bätz: Seelen der Stadt. Bibliotheken im kaiserzeitlichen Rom. Wiesbaden: Harrassowitz, 2020. 107 S., ISBN 978-3-447-11505-6, € 19,90.

Informationen über Bibliotheken im kaiserzeitlichen Rom verbergen sich in Einzelnachrichten, ein zusammenhängendes Werk aus der Antike ist nicht überliefert, nur der Titel De bibliothecis des römischen Polyhistors Marcus T ­ erentius Varro aus dem späten 1. Jh. v.Chr., nicht sein Inhalt.

Dem Autor ist es gelungen, aus „Notizen und Teilüberlieferungen literarischer und epigraphischer Art“ (S. 3) und Untersuchungen von Wissenschaftlern aus zahlreichen Ländern eine hochinteressante Geschichte der Bibliotheken im kaiserzeitlichen Rom zu schreiben. Sie ist eine wunderbare Eingrenzung, Ergänzung und Fortschreibung zu Standardwerken wie Bibliotheken in der Antike von ­Lionel Casson (2002), Das Bibliothekswesen im alten Rom von Rudolf Fehrle (1986) und Inside Roman l­ibraries von George W. Houston (2014).

Bätz beweist, dass Rom seit dem späten 1. Jh. v.Chr. auch eine Stadt der öffentlichen Bibliotheken ist. „Allein für Rom sind neun öffentliche Büchersammlungen aus den ersten drei nachchristlichen Jahrhunderten sicher bezeugt.“ (S. 1) Sie dienen der Repräsentation und dem Prestige der Kaiser, Bibliotheksgründungen sind ausschließlich ihre Sache. Sie verwenden Bibliotheken als Elemente „größer konzipierter Gebäudekomplexe für die ideologische Imprägnierung ihrer Herrschaft“ (S. 34), prunkvolle Biblio­ theksbauten mit identitätsstiftenden Beständen sorgen für eine Ausprägung eines Bildes vom Prinzeps in dreierlei Hinsicht: als Bauherr, als Wohltäter und als Förderer der Kultur. Bibliotheken werden zum festen Bestandteil der römischen Kultur der Kaiserzeit.

Der Autor greift dies auf mit dem Ziel „einer konzisen Vermittlung wichtiger Entwicklungen, Erscheinungsformen und Eigenschaften im Bibliothekswesen der römischen Kaiserzeit“ (S. 5) mit Rom im Fokus. Im ersten Kapitel widmet er sich den Anfängen des Bibliothekswesens in der römischen Welt vom 5. bis zum 2. Jh. v.Chr. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit dem 1. Jh. v.Chr., es untersucht die Hintergründe und Aufgaben der fünf wichtigsten öffentlichen Bibliotheken in Rom im Hinblick auf ihre Funktion innerhalb der kaiserlichen Herrschaftsrepräsentation und Herrschaftsstabilisierung, Das dritte Kapitel beinhaltet praktische Aspekte der Bibliotheken unter Verwendung der heutigen bibliothekswissenschaftlichen Terminologie: die Bibliotheksarchitektur, die Bibliotheksbenutzung und die Bibliotheksbestände, die Bestandszugänge und die Bestandsbearbeitung sowie das Bibliothekspersonal. Hier zeigen sich Parallelen zum Bibliotheksalltag des 20. und 21. Jahrhunderts. So wird schon im 1. Jahrhundert die bauliche Separierung von Aufbewahrung und Nutzung aufgelöst, die Sammlungen bestehen aus einem Zentralraum; erstmals klingt auch die Idee der Bibliothek als Lern- und Arbeitsraum an. Die Untersuchungen von Bätz beziehen sich auf Rom, die Stadt des Kaisers. Materialien zu den öffentlichen Bibliotheken und privaten Büchersammlungen in den italienischen Städten sind spärlicher, so dass zahlreiche bibliothekswissenschaftliche Fragen der Provinz unbeantwortet bleiben müssen.

Die große Zeit der römischen Bibliotheken endet in der Spätantike, geschuldet den Umwälzungen in Politik, Wirtschaft und Kultur. Ende des 4. Jh. wird Konstantinopel im Ostteil des ehemaligen Imperium Romanum die ­Kapitale. „Bis zum 6. Jahrhundert hatten die öffentlichen Büchersammlungen der Kaiser in Rom ihre Pforten geschlossen.“ (S. 6) Diese rundum gelungene Publikation ist eine wunderbare Ergänzung zu den buch- und bibliothekshistorischen Lehr- und Handbüchern, und sicherlich nicht nur für Biblio­thekare interessant.

 

Medium Buch. Wolfenbütteler interdisziplinäre Forschungen / Redaktion Harmut Beyer, Sandra Simon. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2020 ff. 1 (2019). 2020. Praxeologische Studien zur historischen Buchwissenschaft / Hrsg. Ute Schneider. 239 S. ISBN 978-3-447-11653-4. € 39.80

Die Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte erscheinen ab 2019 in einem erneuerten Format unter dem neuen Titel Medium Buch. Wolfenbütteler interdisziplinäre Forschungen. Herausgegeben wird dieses Jahrbuch weiterhin vom Wolfenbütteler Arbeitskreis für Bibliotheks-, Buch- und Mediengeschichte. Der Arbeitskreis „beabsichtigt eine breitere inhaltliche Ausrichtung im Spektrum der gesamten Bibliotheks- und Buchforschung mit unterschiedlichen disziplinären Zugriffen.“ (S. 1) Schon der erste Jahrgang zeigt die neue Ausrichtung. Sichtbare Veränderungen sind eine noch größere Interdisziplinarität in Bibliotheks-, Buch- und Mediengeschichte und eine Themenfokussierung, leider aber auch der Wegfall von Rezensionen.

Der thematische Schwerpunkt liegt bei praxeologischen Studien zur historischen Buchwissenschaft. „Das Medium Buch eignet sich als Untersuchungsgegenstand für die Praxisforschung besonders, weil Form, Funktion und Bedeutung seiner medialen Eigenschaften stark durch seine Materialität bedingt sind.“ (S. 1)

Einer Einführung folgen acht Beiträge, die die ganz Bandbreite andeuten, beispielsweise Benutzungsspuren in alchemischen Anleitungsbüchern, die gedruckte Leichenpredigt als Erbauungsbuch im 17. Jahrhundert („als Vermittlungsmedium zwischen Theologie und christlichen Gemeinschaften“ S. 104) sowie das Drehbuch als Buch zum Gebrauch („Filmskripte und ihre Veröffentlichung als Buch in den 1920er Jahren“ S. 123)

Es folgen drei Beiträge unter dem Begriff „Spuren des Buchgebrauchs“; besonders interessant das Thema zur Bucheinlage, die in der Digitalisierung historischer Buchbestände einen neuen Stellenwert erhält, aber „als spezifisches Objekt weder in der bibliothekarischen Provenienzforschung noch in der seit den grundlegenden Untersuchungen der … Literatur zur Rekonstruktion und Auswertung von Büchersammlungen signifikante Erwähnung“ (S. 191) findet. Ein Tagungsbericht sei noch erwähnt zum Thema „Das gebrauchte Buch“, veranstaltet im September 2018 als Jahrestagung des eingangs erwähnten Wolfenbütteler Arbeitskreises. Näheres dazu in der folgenden Rezension zum Jahrbuch Imprimatur.

Über die weithin unbekannten Fakten zur jüdischen Pädagogik im „Jahrhundert des Kindes“ berichtet in Vorbereitung einer Dissertation Julia Schweisthal in einem Nachwuchsforum, der Rezensent hofft, dass die fertiggestellte Arbeit einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht wird. Zwei Projektberichte (ein Fortschrittsbericht zur Volltextdigitalisierung frühneuzeitlicher Drucke und eine Einführung in den Fachinformationsdienst Buch-, Bibliotheksund Informationswissenschaft als eine neue Möglichkeit für die Buchwissenschaft) schließen den sehr informativen Band ab.

Die Fallbeispiele zeigen, dass sich der Band an Vertreter der Buchwissenschaft, Bibliothekswissenschaft, Wissenschaftsgeschichte, Mediengeschichte und Kommunikationswissenschaft wendet. Ein breites Spektrum!

 

Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde / Hrsg. Ute Schneider i.A. der Gesellschaft der Bibliophilen in München. Neue Folge XXVII. 2021. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2021. 312 S. ISBN 978-3-447-11638-1. € 115.00

Seit 1937 gibt die Gesellschaft der Bibliophilen e.V. das 1930 von der Gesellschaft der Bücherfreunde zu Hamburg begründete Jahrbuch Imprimatur heraus, das zur wichtigsten Eigenpublikation der Gesellschaft avanciert und seit 2003 in zweijährigem Rhythmus erscheint. Mit dem vorliegenden Band verabschiedet sich die Herausgeberin Ute Schneider. „Die inhaltliche Betreuung der nun dutzend Bände, die ich in den letzten 20 Jahren herausgegeben habe, hat mir stets viel Freude bereitet und war mir eine Ehre.“ (S. 9) Der Rezensent hofft, dass dieser Abschied nur für dieses Jahrbuch gilt! Er würde noch sehr gern viele ihrer Publikationen rezensieren.

Band 27 enthält zwölf zum Teil reich illustrierte Beiträge in hoher inhaltlicher, künstlerischer und buchgestalterischer Qualität.

Der erste Block enthält eine Auswahl von Beiträgen der Jahrestagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Bibliotheks-, Buch- und Mediengeschichte von 2018 zum Thema Das gebrauchte Buch, dies ist auch Hauptinhalt des ersten Bandes des Jahrbuches Medium Buch (siehe vorhergehende Rezension). Die Beiträge handeln u.a. von einer Definition des Begriffes „gebrauchtes Buch“, von der Rezeption gebrauchter Bücher unter den Gelehrten, vom Kauf und von der Vermittlung gebrauchter Bücher durch die Agenten Hertzog Augusts d.J. sowie von den Anfängen des Antiquariatsbuchhandels in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.

Der zweite Block ist den Themenbereichen Sammeln und Gestalten vorbehalten. Da geht es um Bilderwelten in der Frühen Neuzeit, um das Schicksal des Buchbesitzes der Marie Caroline Duchesse de Berry (1798–1870), um den Buchillustrator Herbert Holzing (1931–2000, wer erinnert sich nicht an die großartigen Illustrationen zu Werken von Willi Fährmann und Otfried Preußler), um die Beziehungen zwischen dem Sammler und Museumsdirektor Friedrich Sarre (1865–1945) und dem Buchkünstler Marcus Behmer (1879–1958) und die islamische Kunst, um die wiederentdeckte traditionelle Genzsch Antiqua der Schriftgießerei Genzsch & Heyse in Hamburg („eine der aus heutiger Sicht markentesten Verwendungen … findet sich in den 1920er Jahren, denn sie wurde u.a. in acht der berühmten insgesamt 14 Bauhausbücher eingesetzt“ S. 307) – und um den besten Kenner und Sammler von Raubdrucken in Deutschland Albrecht Götz von Olenhusen unter dem Titel „Abenteuer eines Bibliomanen im Underground“.

 

Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte. Band 29. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2021. 344 S. ISBN 978-3-447-11699-2. € 89.00

Der Rezensent hat das Glück, diese Veröffentlichung von Anfang an begleiten zu können. Er bescheinigt auch dem vorliegenden Band Nummer 29 eine interessante Auswahl aus Forschungsarbeiten in exzellenter Qualität. Traditionell gibt es die drei Sparten Abhandlungen, Dokumenta­ tion sowie Informationen und Berichte. Zu den sechs Abhandlungen gehören u.a.

• Leben und Werk des ersten Innsbrucker Hofbuchdruckers Ruprecht Höller (gest. 1580) mit Druckwerkeverzeichnis

• Erste Untersuchungen zu Büchern aus der Weißenfelser Fürstenbibliothek, über deren Geschichte sehr wenig bekannt ist und die auch in der Bibliotheksgeschichte keine Erwähnung findet, im Bestand der Universitätsbibliothek Leipzig

• Schlaglichter zum Wiederaufbau des westdeutschen Bibliothekswesens nach dem Zweiten Weltkrieg, eine sehr informative, aber leider viel zu kurze Darstellung zu den Erfolgen: „Das war nach den immensen Kriegszerstörungen und -verlusten fraglos nicht wenig, und doch bleiben »verpasste Chancen«, die dem restaurativen Gesamtkonzept geschuldet waren.“ (S. 191)

Von den fünf Dokumentationen sind vier dem Braunschweig-Leipziger Verbundprojekt Kontamination und Lesbarkeit der Welt: Mikroben in Sammlungen zur Spra­ che bringen MIKROBIB gewidmet. Das Thema erinnert den Rezensenten an die Bemühungen des früheren Braunschweiger Bibliotheksdirektors und Biologen Josef Daum (1924–2004), mit dem sich der Rezensent mehrfach zu diesen und ähnlichen Themen ausgetauscht hat (vgl. den Beitrag von Daum zu Insekten als Schädlinge in Bibliotheken. In: Bibliothek und Wissenschaft 10. 1976).

Abschließend findet sich ein Bericht über drei Schreiben des Leipziger Stempelschneiders Johann Gottfried Schelter (1775–1841) an den Drucker und Orientalisten Paul Schilling von Canstadt (1786–1837) in Berlin aus dem Jahr 1820 zu Mandschu-Typen.

 

Kontext Buch. Festschrift für Stephan Füssel / Hrsg. Christoph Reske. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2020. 311 S. ISBN 978-3-447-11415-8. € 68.00

Der langjährige Direktor des Instituts für Buchwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz geht in den Ruhestand und wird mit einer beeindruckenden und buchgestalterisch überzeugenden Festschrift gewürdigt. 33 Grußworte aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Bereichen, eine Einleitung des Herausgebers unter dem Motto „was wäre die heutige deutsche Buchwissenschaft ohne Dein 28-jähriges Wirken an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz“ (S. 11) und 17 wissenschaftliche Beiträge aus dem In- und Ausland werden umrahmt von einer akademischen Vita und einem Schriftenverzeichnis des zu Ehrenden. Analog zur Lehre und Forschung von Stephan Füssel wird ein großer Bogen gespannt, hier dargeboten in drei Säulen:

Grundlegendes u.a. Don Quixote in Alexandra von Alberto Manguel, der Stand der Debatte über das Lesen und Vorlesen in der frühen Kindheit von Stefan Aufenanger sowie Überlegungen zur Zukunftsfähigkeit der Fachdisziplin Buchwissenschaft im deutschsprachigen Raum von Christine Haug.

Ereignisse und Phänomene u.a. Bücherverbrennungen in Mainz von Michael Matheus (eine wunderbare Ergänzung zum Kapitel über Mainz, in: Orte der Bücherverbrennungen in Deutschland 1933. Hildesheim, 2018. S. 597-609) und Orléans und die deutsch-französischen Kulturtransfers zur Zeit des Ancien Régime.

Autoren und Verleger u.a. neue Überlegungen zur Autorschaft der Kölnischen Chronik von Wolfgang Schmitz, Sophie von La Roche, die Anfänge des Frauenromans in Deutschland und die Folgen für den Buchmarkt von Ernst Fischer sowie die Anfänge des Pränumerationswesens in Deutschland von Mark Lehmstedt.

Eine gelungene Huldigung für Stephan Füssel und gleichzeitig ein kleiner Einblick in die buchwissenschaftlichen Aufgaben der Zukunft!

 

Klosterbibliotheken. Herausforderungen und Lösungsansätze im Umgang mit schriftlichem Kulturerbe / Hrsg. Helga Fabritius, Albert Holenstein. Sankt Ottilien: EOS Verl., 2021. 244 S. (Fachtage Klosterkultur. Band 1) ISBN 978-3-8306-8048-2. € 29.95

 

Gesammelt – zerstreut – bewahrt? Klosterbibliotheken im deutschsprachigen Südwesten / Hrsg. Armin Schlechter. Stuttgart: Kohlhammer Verl., 2021. VIII, 307, 10 S. (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B. 226) ISBN 978-3-17-037425-6. € 28.00

 

Frauenwelten. Die Klöster Heiningen und Dorstadt / Hrsg. Claudia Höhl. Regensburg: Schnell & Steiner, 2021. 183 S. ISBN 978-3-7954-3665-0. € 22.00

Drei Veröffentlichungen über Klosterbibliotheken – ein Geschenk für die Geschichte der Wissenschaften und Kultur!

Klosterbibliotheken sind Träger eines teilweise jahrhundertealten schriftlichen Kulturerbes. Neben bedeutenden Bibliotheken wie denen in Admont und Ottobeuren existiert eine Vielzahl kleinerer Bibliotheken unterschiedlichster Ordensgemeinschaften. Durch die Erfordernisse eines modernen Kulturgüterschutzes gibt es auch neue Anforderungen an die Erschließung, Sicherung und Konservierung der Bibliotheksbestände in den Klöstern.

Klosterbibliotheken. Herausforderungen und Lösungsan­ sätze ist das Thema einer Tagung, mit der die Herausgeber und Autoren dem Leser Aspekte klösterlicher Bibliotheken in Geschichte und Gegenwart vermitteln wollen. Auch wenn die Zahl der Klöster schrumpft, geben sie auch in der Zukunft unserer Gesellschaft „auf der Basis christlicher Spiritualität und Nächstenliebe weiterhin Impulse … Das öffentliche Interesse an den Klöstern ist auch heute noch ungebrochen.“ (S. 9) Die Wissensvermittlung geschieht in vier Sektionen. In der ersten Sektion geht es um die unterschiedlichen Bestände, u.a. in zisterziensischen Klöstern in Sachsen, in Lüneburger Frauenklöstern und in der Benediktinerabtei Maria Laach. Die zweite Sektion widmet sich der Erschließung und Nutzung von Klosterbibliotheken, u.a. wird das Projekt Erschließung Historischer Bibliotheken in Südtirol am Beispiel der Benediktinerabtei Marienberg vorgestellt. Die dritte Sektion behandelt den konservatorischen Umgang mit Schriftgut, im Fokus stehen praxisnahe Maßnahmen zur Konservierung. Die vierte Sektion rückt erfreulicherweise historische Bibliotheksräume und ihre Nutzung und Forderungen an den Bau moderner Kulturgüterräume für Schriftgut in den Mittelpunkt. Ein Band von hoher Qualität, inhaltlich und gestalterisch. Klosterbibliotheken im deutschsprachigen Südwesten ist eine interessante Ergänzung zu dem vorgenannten Band, auch er das Ergebnis einer Tagung, die allerdings schon vorsechs Jahren stattfand. Die Beiträge würdigen die Überlieferungsleistung der Klosterbibliotheken im deutschsprachigen Südwesten auf der Grundlage verfügbarer Quellen zu ihrer Geschichte. Die erste Sektion widmet sich den südwestdeutschen Klosterbibliotheken als Überlieferungsorte und den Folgen der Säkularisation, u.a. mit Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Schriftkultur der Benediktiner- und Zisterzienserklöster, zu den Klosterbibliotheken in der Zeit zwischen dem Trienter Konzil und der Säkularisation sowie zu Klöstern als wichtige Überlieferungsstätten alt- und mittelhochdeutscher Literatur. Die zweite Sektion bietet Fallbeispiele aus dem deutschsprachigen Südwesten, z.B. zur Bibliothek der Stiftskirche in Wertheim, des Benediktinerklosters St. Georgen nordwestlich von Villingen und des Benediktinerklosters Irsee nahe der Stadt Kaufbeuren.

Die Klöster Heiningen und Dorstadt ist eine Begleitpublikation zu einer gleichnamigen Ausstellung im Dommuseum Hildesheim mit der weithin unbekannten Klosterlandschaft um Hildesheim. In dem Kapitel „Frauenwelten – Bücherwelten“ stellt Kerstin Schnabel detailliert die Buchkultur der beiden Klöster anhand der existierenden Dokumente vor, die einen kleinen Einblick in die Bücherwelt der Chorfrauen gewährt. „Darin deuten sich deren fundierte Ausbildung in der lateinischen Sprache und in der Liturgie sowie die umfassenden Kenntnisse der Frömmigkeitspraxis an … mit ihren eigenen Lesestoffen eröffneten sich für die Chorfrauen neue Welten, in die sie abtauchen … konnten.“ (S. 49, 51). Der den Beiträgen folgende Katalog der Ausstellung umfasst 45 abgebildete Objekte, darunter auch den aus dem 13. Jahrhundert stammenden Bericht über die Gründung des Klosters Heiningen und eine Abbildung aus dem Liber Ordinarius aus dem Stift Heiningen um 1460.

 

Sammler – Bibliothekare – Forscher. Zur Geschichte der Orientalischen Sammlungen an der Staatsbibliothek zu Berlin / Hrsg. Sabine Mangold-Will, Christoph Rauch, Siegfried Schmitt. Frankfurt am Main: Klostermann Verl., 2022. 483 S. (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderband 124) ISBN 978-3-465-04577-9. € 135.00

An der Feststellung des Gründungsdirektors einer eigenständigen Orientalischen Abteilung an der Preußischen Staatsbibliothek im Jahr 1918, Gotthold Weil, „die Pflege der orientalischen Literatur ist stets vornehme Tradition der größten deutschen Bibliothek gewesen“ (S. 9) hat sich bis heute nichts geändert. Und gesammelt wird von Anfang an! Der Werdegang dieser orientalischen Sammlungen und ihrer Erschließung und Benutzung ist Gegenstand zahlreicher Beiträge in verschiedenen Publikationen, hauptsächlich in den Festschriften und Bibliographien der Staatsbibliothek. Darüber hinaus bedeutet diese Sammeltätigkeit auch die aktive Unterstützung bei Herausbildung und Ausdifferenzierung der orientalischen Disziplinen an den deutschen Universitäten. „Den Bibliotheken als Orte, an denen sich dieses Forschungsmaterial verdichtet“ (S. 10) kommt aus Sicht der orientalischen Philologen eine eminent wichtige Rolle zu.

Der Band untersucht in zehn wohlfundierten Beiträgen neue Aspekte dieser breit gefächerten Geschichte aus dem Reichtum der oft unerschlossenen Quellen von Personalund Erwerbungsakten über Nachlässe bis zu Akzessionsund Benutzungsbüchern. Im Mittelpunkt stehen die Menschen und deren Umfeld – die Sammler, die Gelehrten, die Antiquare, die politischen Förderer, die Bibliothekare, die Verfasser der Handschriftenkataloge.

Einige Themen: Der Bestand islamischer Handschriften als Teil der Neuorientierung der orientalischen Studien in Deutschland 17. Jahrhundert – Die Bedeutung des Bibliothekars, Orientalisten und Gelehrten von europäischem Rang Mathurin Veyssière La Croze als Vermittler der orientalischen Bestände im frühen 18. Jahrhundert – Der Erwerb arabischer

Handschriftensammlungen zwischen 1850 und 1900 im Wettkampf mit anderen Bibliotheken – Der Bibliothekar und Indologe Johannes Klatt (1852– 1903) und sein wissenschaftlich-bibliothekarisches Arbeiten als Kustos für die Orientalia – Der Berliner Privatgelehrte, der Orientalist Friedrich Kern (1874–1921) als einer der häufigsten Benutzer der Orientalia über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren.

In Ermangelung einer Geschichte der deutschen Orientbibliotheken „als Institutionen, die neben ihrer Bestandsentwicklung sämtliche Prozesse der Bibliothek, einschließlich ihrer Verwaltung, die Entwicklung des bibliothekarischen Berufsstandes und zudem die Netzwerke der Bibliothekare einbezieht“ (S. 10) ist diese ausgezeichnete Sammlung eine wichtige Quelle für die Bibliothekswissenschaft und Orientalistik.

 

Sven Kuttner: „Die verspätete Bibliothek“. Zehn Beiträge zur Geschichte der Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München im 20. Jahrhundert. Wiesbaden: Harrassowitz Verl., 2021. IX, 128 S. (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen. Band 67) ISBN 978-3-447-11612-1. € 39.00

Zur Zeitgeschichte einzelner deutscher wissenschaftlicher Bibliotheken liegen kaum Untersuchungen vor. So ist es zu begrüßen, dass die von Sven Kuttner zur Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilian-Universität München zwischen 2003 und 2013 in verschiedenen Fachzeitschriften und Sammelbänden erschienenen neun Beiträge nun in einem gesonderten Band vorliegen. Diese ergänzen sich und werden um einen diese zeithistorischen Arbeiten abschließenden Beitrag zur sog. Holzer-Affäre aus dem Jahr 1974 erweitert.

Nach Kuttner fasst der Titel Die verspätete Bibliothek die Entwicklung der Münchner Universitätsbibliothek so zusammen: „Die strukturelle Retardiertheit aufgrund des verzögerten Wiederausbau der vormals größten deutschen Hochschulbibliothek nach 1945 und ihre prekäre Existenz als Provisorium über zwei Jahrzehnte, deren Begleitumstände ihr mögliche Entwicklungstendenzen in der Nachkriegszeit raubten und die zentrifugale Entwicklung des Bibliothekssystems … fundamental beförderten.“ (S. VII) Umfassend und eine große Zeitspanne erfassend sind die Beiträge über die Gebäudeentwicklung der Bibliothek im 19. und 20. Jahrhundert und zum Sozialprofil des höheren Bibliotheksdienstes im 20. und 21. Jahrhundert, partiell und die Zeitspanne 1933–1945 erfassend die Studien zu den jüdischen Provenienzen im Restbestand der Bibliothek der „Forschungsabteilung Judenfrage“ und zum geraubten jüdischen Buchbesitz in der Bibliothek der Historicums sowie Beiträge über die Bibliotheksdirektoren und ihren Einfluss auf das Wirken von Bibliothek und Universität wie Adolf Hilsenbeck (Direktor von 1933–1938) und Joachim Kirchner (Direktor von 1941–1945). Die NS-Zeit, so Kuttner mehrfach, bestimmt in ihren Nachwirkungen den Werdegang der Bibliothek maßgeblich. Dann ist da noch die Berufsbilddiskussion, bekannt geworden als die „Wieder-Buzás-Kontroverse“, eine Kontroverse der Bibliotheksdirektoren der Universität und der Technischen Universität, der Meinungsstreit lässt sich aber aus heutiger Sicht „unter dem Rubrum einer ephemeren Bibliothekarsposse abbuchen“. (S. 104)

Aufgelockert wird das Ganze mit einem Beitrag über die in der Bibliothek befindliche Kuriosa-Sammlung von Buzás, insbesondere bestehend aus Benutzeranfragen, -anregungen und -beschwerden und bibliotheksinternen Vorgängen. Die Materialien spiegeln „das breite Spektrum menschlicher Absonderlichkeiten und Irrationalitäten wider, mit denen wohl jeder Bibliothekar im Laufe seines Lebens in Berührung kommt“. (S. 106)

Der Autor berichtet kritisch und transparent in expressivem Stil, gelegentlich auch mit einer Prise Ironie. Die 1972 veröffentlichte „Geschichte der Universitätsbibliothek München“ von Ladislaus Buzás bedarf, das zeigen die Beiträge deutlich, dringend einer Neufassung und Erweiterung, und Sven Kuttner ist der beste Autor dafür!

 

Bitte eintragen! Die Besucherbücher der Herzog August Bibliothek 1667-2000 Hrsg. Hole Rößler, Marie von Lüneburg. Wolfenbüttel: Herzog August Bibliothek 2021. 214 S. Vertrieb: Harrassowitz Verlag ISBN 978-3-447-11664-0. € 19.80

Die Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, die zu den bedeutendsten Forschungsbibliotheken gehört, führt seit fast 350 Jahren Ausleih- und Besucherbücher als wichtige Belegstücke der Bibliotheksbenutzung. Diese Dokumente sind häufig auch Gegenstand der Forschung. So werden die Ausleihbücher für die Zeit von 1664 bis 1806 in acht Bänden analysiert: Mechthild Raabe: Leser und Lektü­ re vom 17. zum 19. Jahrhundert (München 1989, 1998). Mit der vorliegenden Publikation gibt es nun interessante Belege zu den Besucherbüchern von 1667 bis zum Jahr 2000, für ein breites Publikum in einer handlichen und ansprechenden Veröffentlichung. In 21 kurzweiligen und reich bebilderten Essays stellt der Band, so der Hinweis des Verlags, „prominente, erstaunliche und bemerkenswerte Besucherinnen und Besucher vor, die den – teils weiten – Weg nach Wolfenbüttel auf sich nahmen“. Und um das alles zu erklären, packen die Herausgeber zwei sehr informative Essays dazu – eine Einleitung mit dem Titel „Internationale Gäste in einer europäischen Bibliothek“ und ein Nachwort mit ganz praktischen Aspekten wie Anreise, Gebäude, Zugang, Führungen und Personal unter dem Motto „für fremde und sonderlich gelehrte Passagiere merkwürdig und besuchenswerth“, so ein Reiseführer von 1755 (Endnote, S. 206). Für die 21 Essays finden die Herausgeber großartige Autoren wie den Professor für Deutsche Literatur der Frühen Neuzeit an der Universität Osnabrück Kai Bremer, den Direktor der Berlinischen Galerie in Berlin Thomas Köhler und die Herausgeberin, die Historikerin Marie von Lüneburg.

Die Besucher sind in erster Linie Touristen, Familien aus dem Umland, Sammler, Schülergruppen, Künstler und Literaten. Die Auswahl fällt den Herausgebern nicht leicht, sie präsentieren u.a. August Hermann Francke, Georg Forster, Ludwig Uhland, Wilhelm Busch, Carl Schmitt und Christo und Jeanne-Claude. Alle hier aufgeführten Personen gebrauchen die Bibliothek mit ganz unterschiedlicher Intensität. Der Leser erfährt überdies viel aus dem Umfeld der Benutzer.

Ein Lesevergnügen der besonderen Art, für alle, die Bibliotheken und Literatur mögen!

 

Hans Altenhein: Bücher zwischen zwei Kriegen. Verlagsgründungen im frühen 20. Jahrhundert. Leipzig: Anton Hiersemann Verl., 2021. 163 S. (Leipziger Arbeiten zur Verlagsgeschichte. 4) ISBN 978-3-7762-2106-0. € 28.00

Zu den zahlreichen Veröffentlichungen des Buchwissenschaftlers und früheren Verlegers Hans Altenhein zählen auch neun Beiträge aus der Zeitschrift für Antiquare und Büchersammler „Aus dem Antiquariat“, dem GutenbergJahrbuch und der Zeitschrift der Pirckheimer-Gesellschaft Marginalien aus den Jahren 2009 bis 2019. Der Autor hat sie für diese Buchausgabe durchgesehen und um eine Einleitung und ein Personenregister ergänzt. Damit gehen seine Untersuchungen nicht verloren und ergeben in dieser Präsentation als Bücher zwischen zwei Kriegen mit dem Untertitel Verlagsgründungen im frühen 20. Jahr­ hundert darüber hinaus die Möglichkeit komparativ zu arbeiten. „Um solche Zusammenhänge aufzudecken, muss der Verlagshistoriker auf die firmengeschichtlichen Details sehen und zugleich die Außenbedingungen im Blick haben. So wird der Übergang von der Firmengeschichte zur Kulturgeschichte fließend.“ (S. 8)

Altenhein behandelt den Malik-Verlag, den Musarion Verlag, den Werner Plaut Verlag (der Verlag existiert nicht einmal vier Jahre von 1932–1936, bringt neun Verlagswerke von acht Autoren heraus, eine verlegerische Zukunft bleibt dem Verleger in Deutschland verwehrt, ein jüdische Unternehmer, der fliehen muss), den Holle Verlag (eine Spurensuche über einen heute vergessenen Verlag zwischen 1933 und 1988), neue 1934 „im neuen Staat“ gegründete Verlage (das sind der H. Goverts Verlag, der Verlag Heinrich Ellermann und der Wolfgang Krüger Verlag), den Wilhelm Heyne Verlag, den Ulrich Riemerschmidt Verlag und den Aldus Verlag als eine Gründung nach 1945 mit Wurzeln „im ominösen Jahr 1934“ (S. 143).

Hier ist Kurz- und Langlebiges vereint als Teil einer deutschen Kultur-, Wissenschafts- und Wirtschaftsgeschichte. Ein wichtiger Beitrag zur Verlagsgeschichtsschreibung in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts.

 

Hermann Rösch: Informationsethik und Bibliotheks­ethik. Grundlagen und Praxis. Berlin, Boston: Walter de Gruyter 2021. 584 S. (Bibliotheks- und ­Informationspraxis. Band 68) ISBN 978-3-11-051959-4. € 69.95

Während die anglophonen Länder und die internationalen bibliothekarischen Vereinigungen über umfassende Darstellungen zur Informations- und Bibliotheksethik auch in Form von Hand- und Lehrbüchern verfügen, ist Deutschland nicht mit derartigen Publikationen gesegnet. Deshalb ist es umso erfreulicher, dass in der Reihe Bibliotheks- und Informationspraxis eine umfangreiche Einführung in deren Grundlagen und Anwendungen erscheint, und dass sich der nicht einfachen Aufgabe der Experte unterzieht, der emeritierte Professor am Institut für Informationswissenschaft der TH Köln, Hermann Rösch – mit einem respekteinflößenden Ergebnis. Das Buch ist aktuell, kompetent und praxisverbunden. Die fast 600 Seiten sind voller interessanter Definitionen und konkreter Beispiele. In einem ersten Teil geht es um die Allgemeine Ethik, „weil darin begriffliche und inhaltliche Grundlagen gelegt werden, deren Verständnis für die folgenden Kapitel unerlässlich ist,“ (S. 3) und die grundsätzlich praxisorientierte Angewandte Ethik, zu der auch „Bibliotheksethik … als Teilmenge der übergeordneten Informationsethik“ (S. 4) gehört.

In einem zweiten Teil beschäftigt sich Rösch mit allen Facetten der Informationsethik. Dabei werden klassische Themen wie Zensur, Datenschutz und Plagiarismus durch den Einsatz von Filtersoftware oder das erleichterte Kopieren urheberrechtlich geschützter Daten erweitert, völlig neue Konfliktsphären sind u.a. die digitale Spaltung, die digitale Überwachung und die netzbasierte Kriminalität. Daraus ergeben sich neue Aufgaben für die Informationsethik.

In einem dritten Teil konkretisiert Rösch die informationstheoretischen Erfordernisse für die Arbeit in den Bibliotheken, ergänzt um den Hinweis „Es bleibt abzuwarten, ob sich Bibliotheksethik als eigenständige Bereichsethik zu etablieren vermag oder ob bibliotheksbezogene ethische Aspekte eher der viel unspezifischeren Informationsethik zugerechnet werden.“ (S. 487) Rösch beschäftigt sich mit den ethischen Bezügen der einzelnen bibliothekarischen Handlungsfelder von der Auswahl, Erwerbung, Erschließung, Überlieferung und Benutzung von Informationsquellen bis zur Fragen des Managements und Personals. Es steht außer Frage, „dass es erheblich größerer und kontinuierlich auszubauender Anstrengungen bedarf, damit Ethik den ihr zustehenden Rang einnimmt und die Bibliotheken ihrer sozialen Verantwortung gerecht werden.“ (S. 490)

Der Anhang enthält bibliothekarische Ethikkodizes. Ein umfangreiches Literatur- und Quellenverzeichnis (63 Seiten), ein Sach- und ein Autorenregister schließen diese außergewöhnliche Veröffentlichung ab.

 

Wilfried Sühl-Strohmenger. Wissenschaftliche Bibliotheken als Orte des Schreibens. Infrastrukturen, Ressourcen, Services. Berlin, Boston: Walter de ­Gruyter 2021. XI, 244 S. (Bibliotheks- und Informa­tionspraxis. Band 69) ISBN 978-3-11-071190-5. € 69.95

2012 erscheint von Sühl-Strohmenger das wegweisende Buch Teaching Library, in dem der Wandel der Hochschulbibliotheken zu Lehr- und Lernorten beschrieben wird. 2016 folgen zwei wichtige Publikationen zu verändernden Aufgaben der Bibliotheken: das von Sühl-Strohmenger in zweiter Auflage herausgegebene Handbuch Informationskompetenz (Informationskompetenz als Bestandteil der bibliothekarischen Arbeit, die neuen durch die sich ständig wandelnden digitalen und heterogenen Medienwelten und das damit verbundene sich wandelnde Informationsverhalten einschließlich neuer Formen der Vermittlung von Informationskompetenz) und von Ulrike Hanke und Sühl-Strohmenger Bibliotheksdidaktik mit dem Untertitel Grundlagen zur Förderung von Informati­ onskompetenz (das erste deutschsprachige Buch zu einer systematischen Bibliotheksdidaktik; Standortbestimmungen und Entwicklungstendenzen, mit Beispielen neuerer Didaktikmethoden und verschiedenen Modellen der Informationskompetenz, eingebunden in die Bibliothekstheorie und -praxis).

Diese Vorgeschichte ist zur Einordnung dieses bedeutenden Buches wichtig. Hier wird in zehn Kapiteln, einer Einführung und einer Zusammenfassung mit Fazit und Perspektiven „ein Thema behandelt, das erstaunlicherweise bislang eher ein Schattendasein in der bibliothekarischen Fachliteratur fristet … Das ist deshalb verwunderlich, weil Bibliotheken kaum je nur Orte des Lesens oder Wissensspeicher waren, sondern stets auch Orte des produktiven Umgangs mit diesem Wissen und des Hervorbringens neuen Wissens – durch Schreiben.“ (S. V)

Es ist sicherlich nicht die Aufgabe der Bibliotheken, Probleme der Studierenden beim wissenschaftlichen Schreiben zu beseitigen, dafür gibt es die Fachlehre, Schreibzentren und Schreibberatung. Sühl-Strohmenger will in diesem Lehrbuch darüber aufklären, was und wie Studierende lesen und schreiben und welche schreibfördernden Infrastrukturen und Unterstützungsangebote ihnen als Hilfe und Beratung angeboten werden können. Und das macht er exzellent!

Es geht um Grundlegendes zum wissenschaftlichen Lesen und Schreiben im Studium und in der Bibliothek (Kapitel 1), die Essentials studentischen Schreibens und Genres wie Studienarbeit, Essay, Abstract, Forschungsartikel oder Dissertation (Kapitel 2), Grundlagen und Herausforderungen des wissenschaftlichen Lesens und Schreibens (Kapitel 3), den Zusammenhang von Wissensnutzung, Informationskompetenz und Schreiben (Kapitel 4), die Rolle der Bibliotheken als zentrale Lern- und Schreiborte (Kapitel 5), Infrastrukturen und Gestaltung von Schreibumgebungen in Bibliotheken wie Lesesaal, Schreibcafé und Learning Center (Kapitel 6), die Bibliotheksressourcen als Wissensrohstoff für das Schreiben (Kapitel 7), die bibliothekarischen Services beim Schreibprozess wie Literatur- und Informationsrecherche, Quellenauswahl und -bewertung, Zitieren, Plagiatserkennung und Wissensdokumentation (Kapitel 8), didaktische Konzepte für die bibliothekarische Schreibförderung (Kapitel 9) und die Integration des bibliotheksgestützten Schreibens in das Studium (Kapitel 10). Die wissenschaftliche Bibliothek ist nicht nur ein historisch gewachsener Ort des Lesens und der Gewinnung von Wissen, sondern auch Ort des Schreibens. Das hat der Autor überzeugend dargestellt.

 

Hochschulbibliotheken auf dem Weg zu Lernzentren. Beispiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz / Hrsg. Stephan Holländer, Willy Sühl-Strohmenger, Ludger Syré. Unter Mitarbeit von Martina Straub. Wiesbaden: b.i.t.verlag, 2021. 288 S. ISBN 978-3-9821824-3-8. € 69.00

Auf die Frage von Stephan Holländer „Welche Begriffe verbindest Du mit Lernorten?“ antwortet die Leiterin der Bibliothek der 2002 gegründeten Pädagogischen Hochschule Zürich Biljana Vukmanovic Mojsilovic: „anregend, modern, inspirierend, einladend, flexibel, ergonomisch und frei zu sein“ und präzisiert für die Hochschulbibliotheken „eine inspirierende Arbeitsumgebung“ (b.i.t.online 24 (2021) 5, S. 533). Ihre Vorstellungen und Realisierungsmöglichkeiten in Zürich finden sich in dem respektablen großformatigen Buch Hochschulbibliotheken auf dem Weg zu Lernzentren. Beispiele aus Deutschland, Österreich und der Schweiz (S. 267-278). Zu beachten ist die Formulierung der Herausgeber auf dem Weg zu, denn im Gegensatz zu zahlreichen anderen, insbesondere anglophonen Ländern mit bereits vorliegenden einheitlichen Lernraumund Zielkonzeptionen gibt es in den drei hier zur Diskussion stehenden Ländern „kein klares Konzept“ und keinen „Konsens über Definitionen, Aufgaben und ­Eigenschaften von Lernzentren.“ (S. 12) Das allein rechtfertigt eine solche erste Übersicht, die logischerweise weder eine „umfassende systematische Bestandsaufnahme“ (S. 17) noch ein Handbuch darstellt. Der Schwerpunkt liegt auf Beispielen in Hochschulbibliotheken in den „vielfältigen Ausprägungen als Lernzentren.“ (S. 17)

Diese Vielfältigkeit zeigt sich in allen 21 Beiträgen, die der Einfachheit halber dem Alphabet der Orte folgen. Die dort beschriebenen Lernzentren „sind zu heterogen, als dass man sich auf eine gemeinsame Definition oder Entwicklung festlegen könnte.“ (S. 17) Lösungen können immer nur ortsspezifisch sei, die vorrangig von den räumlichen Umständen und den Zielvorstellungen der beteiligten Personen abhängen. Aus allen Beiträgen geht hervor, dass Bibliotheken nicht mehr nur der Ausleihe von Informationsquellen und dem (kurzfristigen) Aufenthalt in Leseräumen dienen, sondern zu längeren Verweilzeiten in ansprechenden Räumen mit medialer Präsenz einladen. Der Rezensent verzichtet aus diesen Gründen auf detaillierte Hinweise zu einzelnen Beiträgen. Er möchte allen an dieser Thematik Interessierten dringend die Lektüre empfehlen! Das sind nicht nur Denkanstöße für die Bibliothekare, sondern auch für alle Fördergremien und Hochschulleitungen.

Die Beiträge werden eingerahmt von einem Prolog über die Thematik und einem Epilog mit Zusammenfassung, und hier findet sich das etwas traurige Fazit, dass die Bibliothek als Lern- und Arbeitsort „trotz ihrer Institutionalisierung keine Selbstverständlichkeit“ ist, „sie muss ihre Daseinsberechtigung durch ihren Servicecharakter, ihre Dienstleitungen und ihre Flexibilität immer wieder aufs Neue unter Beweis stellen“. (S. 287) Diese Feststellung begründet die alsbaldige Herausgabe eines ganz praktischen Handbuches unter dem Titel „Wissenschaftliche Bibliotheken als Orte des Lernens“.

Der Rezensent möchte abschließend einen Blick in die Zukunft der Bibliothek der Technischen Universität Freiberg werfen (TU Freiberg. Pressemitteilung vom 3.9.2020). 2022 wird ein modernes Bibliotheksgebäude über drei Etagen verteilt in Betrieb genommen, mit insgesamt 480 Arbeitsplätzen für moderne Lern- und Arbeitsformen von festen über mobile und Lounge-artige Treffpunkte bis hin zu Einzel- und Gruppenarbeitsräumen sowie einen ElternKind-Raum und einem sehbehinderten Arbeitsplatz. Ein Höhepunkt ist ein Mixed Reality Room, in dem die Studierenden mit unterschiedlichen Medien selbst an 3D-Modellen arbeiten können. Ergänzt wird diese neue Universitätsbibliothek von einem im gleichen Gebäude befindlichen Hörsaalzentrum, das mit modernster Technik ausgestattet wird und bis zu 860 Studierenden Platz bietet. „Damit entstehen“, so der Kanzler der Universität Jens Then „unmittelbar auf dem Campus weitere attraktive Lernorte für unsere Studierenden, mit dem wir vor allem das gemeinsame, barrierefreie Lernen und Entwickeln von Ideen und Projekten fördern und den künftigen Anforderungen der Digitalisierung gerecht werden.“ Das ist m.E. genau die Richtung, die die Herausgeber der vorliegenden Veröffentlichung beabsichtigen.(ds)

Prof. em. Dieter Schmidmaier (ds), geb. 1938 in Leipzig, ­studierte Bibliothekswissenschaft und Physik an der ­Humboldt-Universität Berlin, war von 1967 bis 1988 Bi­blio­theks­direktor an der Berg­aka­demie Freiberg und von 1989 bis 1990 General­direktor der Deutschen Staatsbibliothek Berlin. ­

dieter.schmidmaier@schmidma.com

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