Editorial

Die kleinen Gefühle sind die großen Kapitäne unseres Lebens

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 6/2017

… Anliegend schicke ich Dir eine Skizze hiesiger Zikaden. Ihr Gesang bei großer Hitze hat für mich den gleichen Zauber wie die Grille im bäuerlichen Haushalt bei uns. Mein Lieber – wir sollten nicht vergessen, dass die kleinen Gefühle die großen Kapitäne unseres Lebens sind und dass wir ihnen gehorchen, ohne es zu wissen. …

Saint-Rémy-de-Provence, Juli 1989, Vincent van Gogh an seinen Bruder Theo van Gogh

Seit 14. November 2017 gibt es – in neuer Übersetzung – eine Auswahl von 265 der wichtigsten Briefe Vincent van Goghs. Das sind ungefähr ein Drittel aller überlieferten Briefe aus seiner Hand. Sie basiert auf der preisgekrönten Neuedition sämtlicher Briefe Van Goghs, die 2009 nach 15-jähriger Forschungsarbeit in gedruckter Form auf Niederländisch, Englisch und Französisch herausgebracht wurde und als kommentierte wissenschaftliche Web-Edition unter www.vangoghletters.org veröffentlicht ist.

Nun erschien bei C.H.Beck ein großvolumiger Prachtband. Eine Augenweide. Bedrucktes Leinen mit Schuberschlaufe, Lesebändchen, sorgfältiges Layout. Präsentiert werden neben der Briefauswahl – literarische Perlen, einer wie der andere berührend – auch die 110 Zeichnungen, die Van Gogh seinen Briefen beigab. Es sind kleine Meisterwerke.

Van Gogh wollte, wie die Herausgeber in ihrer Einleitung schreiben, Kunst schaffen, die seinen Mitmenschen Trost spenden sollte, mit eindringlichen Farben und unvergleichlichen Linien. „Eine trostreiche Kunst für die bedrückten Herzen“, so Van Gogh. Seine Briefe legen Zeugnis davon ab, wie er das erreichen wollte und was ihn im Innersten antrieb. Er entwickelte darin seine Vision der Kunst, seine Ambitionen, seine Gedanken über die Gesellschaft und das menschliche Dasein. Man findet so berührende Weisheiten wie die von den kleinen Gefühlen als den großen Kapitänen unseres Lebens und bekommt einen Eindruck davon, wie aufreibend und ehrlich er um seine Kunst kämpfte. „Dass ich in Bezug auf Kunst eine bestimmte Überzeugung habe, ist auch der Grund, weshalb ich weiß, was ich in mein eigenes Werk hineinbekommen möchte, und dass ich versuchen werde, es hineinzubekommen, auch wenn ich selbst dabei zugrunde ginge“, schreibt er im September 1885, fünf Jahre vor seinem Freitod, an seinen Bruder Theo van Gogh.

Ich möchte Ihnen dieses Buch von ganzem Herzen empfehlen.

Angelika Beyreuther

 

Vincent van Gogh. „Manch einer hat ein großes Feuer in seiner Seele“. Die Briefe. Mit 110 Originalzeichnungen. Ausgewählt und hrsg. von Leo Jansen, Hans Luijten und Nienke Bakker. Übersetzt von Marlene Müller-Haas u. Susanne Röckel unter Mitarbeit von Andrea Prins. München: C.H. Beck 2017. 1.056 Seiten mit 190 Abb., davon 170 in Farbe, bedrucktes Leinen mit Schuberschlaufe, ISBN 978-3-406-68531-6. € 68,00

 

Vincent van Gogh, Mann, der auf einem Spaten lehnt, 1881, Amsterdam, Van Gogh Museum

 

Vincent van Gogh, Mann, der eine Egge zieht, 1883, Amsterdam, Van Gogh Museum

 

Vincent van Gogh, Kopfweide, 1882, Amsterdam, Van Gogh Museum

 

Vincent van Gogh, „Worn out“ (Erschöpft), 1881, Amsterdam, Van Gogh Museum

Alle Briefe Eigentum der Vincent van Gogh Stiftung und Dauerleihgabe an das Van Gogh Museum

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