Kinder- und Jugendbuch

Der Fuchs im Bilderbuch

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 4/2023

 

Kirsten Boie (Text), Barbara Scholz (Ill.): Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte, 194 S., Oetinger, Hamburg 2021, € 16,00, ab 4 J.

 

Antje Damm: Füchslein in der Kiste, 32 S., Moritz, Frankfurt 2021, € 12,95, ab 5 J.

 

Edward van de Vendel (Text), Marije Tolman (Ill.): Der kleine Fuchs, 88 S., aus dem Niederl. von Rolf Erdorf, Gerstenberg, Hildesheim 2020, € 15,00, ab 4 J.

 

Einar Turkowski (Text u. Ill.): Aus dem Schatten trat ein Fuchs, 40 S., Gerstenberg, Hildesheim 2019, € 25,00, ab 6 J.

 

Kathrin Schärer (Text u. Ill.): Der Tod auf dem Apfelbaum, 36 S., Atlantis, Zürich 2015, € 18,00, ab 6 J.

Der Fuchs ist zu einer unsterblichen Figur in der Weltliteratur geworden. Was Äsop und Jean de La Fontaine in ihren Fabeln über ihn schrieben, Goethe in seinem „Reinecke Fuchs“ teils übersetzte und teils neu erfand und die Brüder Grimm in den Kinderund Hausmärchen über ihn aufzeichneten, charakterisiert dieses Tier mit dem auffallend roten Fell als einen durchtriebenen und skrupellosen Betrüger, der meist ungeschoren davonkommt. Heute begegnet uns der Fuchs in vielen Variationen im Kinderbuch. Wir stellen fünf Bücher vor.

Die illustrierte Kindergeschichte Vom Fuchs, der ein Reh sein wollte handelt von einer bunt gemischten Tiergemeinschaft, die mit dem wirklichen Groß- und Kleinwild in Wald und Flur nur wenig zu tun hat. Ein Waldbrand hat die Tiere aus ihrem angestammten Zuhause verbannt, und ein kleiner Fuchs, der seine Familie verloren hat, wird von einer liebevollen Rehmutter in Obhut genommen. Der Fuchs, wenn auch jung und hilflos, erregt das ­Misstrauen der Tiergesellschaft derart, dass er auf Dauer nicht in ihrer Mitte leben darf. „Ein Fuchs bleibt immer ein Fuchs!“ Trotz eifrigster Assimilierungsversuche bleibt er ein Außenseiter und wird schließlich verstoßen. Aber er kann sich mit einer Heldentat rehabilitieren und findet obendrein seine eigene Familie wieder. Ein leichter und humorvoller Erzählstil, in dem das junge Zielpublikum öfter angesprochen und einbezogen wird, lässt die Gefahren niemals überhandnehmen, stellt treue Freundschaft und eine rettende Begegnung zwischen Menschen- und Tierkind in den Mittelpunkt. Mit seinen Comic ähnlichen Illustrationen, die an die Welt Walt Disneys erinnern, und mit den kurzen Kapiteln eignet sich diese Erzählung ganz besonders für die abendliche Vorlesezeit.

Auch Füchslein in der Kiste eignet sich als farbenfrohes Bilderbuch bereits für Vorschulkinder. Füchslein ist nicht mehr jung, sondern im Großvateralter und inzwischen gänzlich ungefährlich für seine ehemaligen Beutetiere. Er wird zum Lehrmeister und sogar Freund der kleinen Kaninchen, denn von seinem Raubtiercharakter ist außer der Erinnerung nichts übriggeblieben. Als er sich am Ende in seine „Kiste“ legt, um zu sterben, erkennt man in dem Ort, an dem diese Erzählung spielt, einen Friedwald. Antje Damm hat ihn mit phantasievollen Gewächsen und einem geheimnisvollen dunklen Hintergrund ausgestattet. Kunstvolle, bunte Papierkollagen, die sie aus unterschiedlichen Perspektiven fotografiert und beleuchtet hat, verwandeln diesen Wald in einen schützenden Paradiesgarten. Hier segnet das Alter selbst den Fuchs mit Weisheit, und der Tod bringt ihm den ewigen Frieden.

In Der kleine Fuchs geht es um die abenteuerlichen Entdeckungsreisen eines neugierigen Fuchskindes, das auf der Jagd nach Schmetterlingen von einem hohen Felsen stürzt und bewegungslos am Boden liegenbleibt. Liegt es nach diesem „Schlag“ im Sterben oder ist es nur bewusstlos? Wie ein Traum jagen nun die Szenen seines bisherigen kurzen Lebens durch seine Seele: Die Geborgenheit im Fuchsbau, die nächtlichen Ausflüge im Mondlicht, die Jagd auf Mäuse und Vögel und die klugen Lehren seines Vaters über die Gefahren, die einem jungen, neugierigen Fuchs drohen. Ein kleiner Junge trägt den Verunglückten in die Dünen zurück. Der Fuchs blinzelt und kommt im wahrsten Sinne des Wortes wieder zu sich: „Der kleine Fuchs, das bin ja ich.“ Mit wenig Text und außerordentlichen Illustrationen entrollt sich hier eine ernsthafte, aber mit Humor gemilderte Geschichte. Farblich bearbeitete Fotografien versetzen uns in eine charakteristische Dünen- und Meereslandschaft; Tierzeichnungen, vor allem die grell orangenen Füchse, beleben diese stimmungsvollen Ansichten einer kargen Natur. Dazwischen unterbrechen kleinformatige, temporeiche Bildsequenzen die ruhigen Landschaftsbilder, Beschauliches und Spannendes wechseln sich ab. Trotz der phantasievollen Elemente bleibt dies ein Bilderbuch, das vom Fuchs zwischen Natur und zivilisierter Menschenwelt realistisch und spielerisch zugleich erzählt.

■ Das alte Märchen Der Tod auf dem Apfelbaum ist wie alle guten Geschichten immer wieder neu erzählt worden. Allzu reizvoll ist die Vorstellung, den eigenen Tod zu überlisten und sorglos bis in alle Ewigkeit zu leben. Kathrin Schärer hat diesen Trick einem Fuchs zugeschrieben. Dieser ist alt, sein Fell grob, verfilzt und mit grauen Strähnen durchzogen. Die Tiere haben keine Angst mehr vor ihm und plündern seinen Apfelbaum, den er früher alleine abgeerntet hat. Ein Zauberwiesel geht ihm in die Falle, das ihm für seine Freilassung die Kraft verleiht, alle Lebewesen, die seine Äpfel stehlen, im Apfelbaum festzuhalten. Sogar der Tod wird eingefangen, denn schlau und gerissen ist der alte Fuchs immer noch. Aber dann stirbt Frau Füchsin, dann seine Kinder und Kindeskinder. Der Fuchs vereinsamt und schließlich bittet er den Tod, ihn vom Leben zu befreien. Das Märchen ist prächtig illustriert. Die einzelnen Bildelemente in satten Farben sind präzise ausgeschnitten und auf einen weißen Hintergrund geklebt. So entstehen eindrucksvolle Kontraste. Das Fell des Fuchses wirkt so dicht und dick, als könne man hineingreifen. Sein Mienenspiel ist ausdrucksvoll und lebendig. Erst als ihn der Tod, ein weißer transparenter Fuchs, umarmt, legt sich ein tiefer Frieden über die rote, zerzauste Gestalt.

■ Das Bilderbuch Aus dem Schatten trat ein Fuchs – äußerst kunstvoll, vorwiegend schwarz-weiß illustriert – bleibt zunächst geheimnisvoll, sogar rätselhaft. Ein Fuchs schnürt im gleißenden Mondlicht durch die Nacht. Ein Vogel begleitet ihn, der sich ebenso wie der Fuchs „auf die Suche nach Farbe“ begeben hat. Der Fuchs erklimmt wilde Traumlandschaften, Wind verzerrt die Wolken zu grotesken Gebilden am schwarzen Himmel. Schließlich verirrt er sich zwischen bizarren und tief durchfurchten Felsen, aus denen es keinen Ausweg zu geben scheint. Unwirklich und stark zerklüftet scheinen sie eine zerrissene Seele in Aufruhr widerzuspiegeln. Dann aber wittert der Fuchs eine Spur, die feuerrote, buschige Rute einer Füchsin leuchtet auf. Hier erfüllt sich die Suche „nach Farbe“, und erst beim Zurückblättern entdecken wir versteckte Hinweise auf die Sehnsucht nach Paarung und Liebe. Einar Turkowskis Nachtgeschichte mit ihren surrealen Illustrationen wäre ein für Kinder zu verschlüsseltes Bilderbuch ohne die winzigen Details. Da sind kleine, mit Buchstaben versehene Schilder mit der Aufforderung „Such“, Kindergesichter, die aus Knospen hervor wachsen, und die Spurenelemente menschlicher Zivilisation inmitten ungezähmter Natur. Sie machen die Illustrationen auch zu amüsanten Suchbildern.

Dr. Barbara von Korff Schmising arbeitet als Rezensentin und Publizistin überwiegend im Bereich Kinder- und Jugendliteratur. Sie hat 25 Jahre lang die „Silberne Feder“, den Kinder- und Jugendbuchpreis des Dt. Ärztinnenbundes als Geschäftsführerin geleitet.“ bschmising@gmx.de

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