Aus Märchen, Legenden, Literatur und bildender Kunst sind wir von alters her mit der Figur des Todes vertraut. Als grausamer Sense- oder Knochenmann, als eleganter, aber unbarmherziger Toten tänzer oder als gütiger Erlöser tritt er uns gegenüber. Aber wie präsentiert er sich als sichtbare Gestalt im Kinderbuch, wenn er die jungen Betrachter nicht schockieren will? Herr oder Frau Tod haben viele verschiedene Gesichter im Bilderbuch, erschrecken wollen sie niemanden. Eher beruhigen, trösten und manchmal sogar amüsieren. In allen Büchern ist der erwachsene Begleiter gefragt, der die Symbole, die wir traditionell mit dem Tod verbinden, entschlüsseln und weitergeben kann.
Hermann Schulz, Tobias Krejtschi: Die schlaue Mama Sambona. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2007. 32 Seiten, 12,90 €
❱ Herr Tod trägt einen schwarzen Anzug und eine wehende, schwarze Krawatte. Er blickt etwas grünlich und ungesund drein. So begegnet er uns in der Erzählung von Hermann Schulz „Die schlaue Mama Sambona“, die den ungebetenen Gast gleich mehrfach überlistet. Mama, eigentlich Großmama Sambona, lebt auf einer Insel im Viktoriasee. Trotz ihres Alters ist sie schlank und drahtig, raucht die Pfeife, hilft bei der Ernte und beaufsichtigt die Schulaufgaben ihrer Enkelin. Eigentlich hat sie gar keine Zeit zum Sterben und liegt auch am Ende des Buches noch entspannt in der Sonne und taucht ihre Füße ins kühle Wasser. Ihren unheimlichen Kavalier fordert sie keck zu einem gewagten Tänzchen auf, eine Persiflage auf den althergebrachten Totentanz. Auch der Hase, den der Tod als Boten vorausschickt, ist ein überliefertes Symbol des Unheils. Der Illustrator Tobias Krejtschi mahnt darüber hinaus mit einer übergroßen Sanduhr an die unerbittlich vorübergehende Zeit und versieht den Tod, wenn auch unauffällig, mit Knochenhänden und -füßen. Zwar scheint auch er sympathische Seiten zu haben, aber seine Niederlage mit Mama Sambona gönnen wir ihm von Herzen. Die temperamentvollen, oft doppelseitigen Illustrationen lassen afrikanischem, leuchtendem Kolorit viel Raum; sie strahlen Humor und vor allem pralle Lebensfreude aus.
Jutta Bauer: Limonade, Aladin Verlag, Hamburg 2015. 32 Seiten, 12,90 €
❱ Jutta Bauers Bilderbuch „Limonade“ kann sich dagegen zwischen Humor und Tiefsinn nicht so recht entscheiden. Die Ich-Erzählerin feiert darin ihren Geburtstag und hat sich dazu eine etwas rätselhafte Gesellschaft eingeladen: die Sonne, Mutter, einen Brombeerbusch, Dachs, Dackel und Gundi. Schon bald erscheint ein weiterer Gratulant: der Tod persönlich. Mit seiner runden Totenmaske und schwarzen KapuzenKutte verbreitet er als ungebetener Gast einen nicht gelinden Schrecken unter der Geburtstagsgesellschaft, obwohl seine Miene eher schüchtern als einschüchternd wirkt. Auch hier fehlt der wilde Totentanz nicht. Es ist wohl ein Tango, den die Mutter und der Tod vor der untergehenden Sonne zum Besten geben. Vergehende Zeit und Tod sind ein Paar, die Geburtstage erinnern uns daran. Da verlieren das schöne Fest und die abgebrannte Kerze etwas von ihrer Harmlosigkeit, ebenso wie das Geschenk des Todes: eine tickende Uhr. „Hau ab!“ ruft das Mädchen dem Tod am Ende selbstbewusst zu. Da verabschiedet sich dieser höflich, denn noch kann die Vergänglichkeit dem Kind nichts anhaben.
Elisabeth Hellan Larsen, Marine Schneider: Das Leben und ich. Eine Geschichte über den Tod. Kleine Gestalten Verlag, Berlin 2016. 42 Seiten, 14,90 €
❱ Während Jutta Bauer in Wort und Bild durch Kürze und Prägnanz besticht, leidet „Das Leben und ich, eine Geschichte über den Tod“ der beiden norwegischen Autorinnen u. a. an seiner Ausführlichkeit. Hier erzählt der Tod aus der Ich- Perspektive. Er tritt als zartes, in ein dunkles Kapuzengewand gekleidetes Mädchen auf und erreicht seine Opfer – gänzlich unverdächtig – auf dem Fahrrad, in einem Boot, auf einer Schaukel oder zu Fuß. Eine Mohnblume als Kopfschmuck kündet gleich doppelt von Tod und Vergänglichkeit: schlafbringend und schnell verwelkend. „Das Leben und ich wohnen zusammen“, erklärt das sanfte Mädchen, „in jedem einzelnen Körper.“ Unter der harmlosen Kindlichkeit bleibt der Tod unerbittlich. Er holt nicht nur die Alten, sondern manchmal auch die Kinder, sogar die noch ungeborenen. Es bleibt zu bezweifeln, ob die Litanei betulicher Trostworte und die gebetsähnliche Beschwörung der unbezwingbaren Liebe bei den kindlichen Lesern ankommen. Gänzlich überzuckert wird der Text von den süßlichen Illustrationen mit viel Rosa und Hellgelb und schlicht zu vielen Blümchen, Pilzen, Schmetterlingen und bunten Käfern.
Kathrin Schärer: Der Tod auf dem Apfelbaum, Atlantis Verlag, Zürich 2015. 36 Seiten, 14,95 €
❱ In „Der Tod auf dem Apfelbaum“ begibt sich Kathrin Schärer in das Reich der Tiere und schürft in der Motivwelt der Märchen nach „der einzigen Sicherheit im Leben, dass wir sterben werden“, gleichzeitig das Motto ihres Bilderbuches. Fuchs und Füchsin sind alt und langsam geworden. Sie machen kaum noch Beute. Deshalb haben die Tiere keine Angst mehr vor ihnen, und die dreisten Vögel im Apfelbaum stehlen ihnen die Früchte vor der Nase weg. Da geht dem Fuchs ein Zauberwiesel in die Falle, das alle Wünsche erfüllen kann. Jeder, der sich im Apfelbaum niederlässt, soll daran festkleben und nur auf seinen Befehl wieder frei kommen, so lautet der Wunsch des Fuchses, den ihm das Wiesel für seine Freilassung gewährt. Eines Tages nähert sich der Tod des Fuchses und wird flugs festgebannt. Nicht lange währt die anfängliche Freude. Denn irgendwann stirbt Frau Füchsin, dann nach und nach die Freunde. Alles wird fremd, und er gehört nicht mehr dazu. So gibt der Fuchs seinen Tod endlich frei und stirbt bereitwillig in dessen Armen. Schärer arbeitet mit kräftigen Farbschichten, die Stofflichkeit und Plastizität schaffen. Nur der Tod zeigt sich als blasser, durchsichtiger Fuchs, der geduldig beobachtet und still seine Stunde abwartet. Die jungen Betrachter werden hier vielen bekannten Märchenthemen wieder begegnen: Dazu gehören die Erfüllung eines Wunsches, der sich letztlich als töricht erweist, der listige Fuchs, der selbst überlistet wird, und die Personifizierung des Todes als gütiger Begleiter und Erlöser vom Leben.
Wolf Erlbruch: Ente, Tod und Tulpe, Antje Kunstmann Verlag, München 2007. 32 Seiten, 14,90 €
❱ Ente, Tod und Tulpe sind die drei Elemente in Wolf Erlbruchs gleichnamigen Bilderbuch, das sich durch ästhetische Schlichtheit, verbale Knappheit und unübertroffenem Charme auszeichnet.
Der Tod: Ein gleichsam geschlechtsloses Wesen mit einem schweren, kahlen Schädel, gekleidet in einen sackartigen, groben Kittel, der den Blick auf magere Beine in Pantoffeln freigibt. Wie lässt sich nur eine solche Hässlichkeit mit so viel Liebenswürdigkeit und Faszination paaren? Wolf Erlbruch gelingt dieses Meisterstück. Es gleicht einem Liebeswerben, wie sich der Tod, eine Tulpe hinter seinem Rücken verbergend, einer schlanken und eleganten Ente nähert. Er nimmt sich Zeit, er ist nachgiebig, er kann warten, sich anpassen und verlocken. Er konversiert höflich, ohne den naiven Vorstellungen der Ente von einem Leben nach dem Tod zu widersprechen. „Wer weiß…“ lautet seine beschwichtigende Antwort. Kunstvolle Papierkollagen auf weißem Hintergrund begleiten den Text. Der große Fluss, ein mäanderndes, sich in der Tiefe verlierendes blaues Papier auf der letzten Seite führt die tote Ente von dannen, die Tulpe schwimmt an ihrer Seite mit. Keines der Bilderbücher gestaltet einen spektakulären Tod oder eine zu Herzen gehende Trauer. Der Tod als konkrete Gestalt lässt uns die Notwendigkeit der menschlichen Sterblichkeit begreifen und akzeptieren. Für Kinder ist das allemal leichter als für diejenigen, deren Zeit schon weiter abgelaufen ist.
Dr. Barbara von Korff Schmising ist Literaturwissenschaftlerin und Geschäftsführerin der „Silbernen Feder“. Dieser seit 1976 alle zwei Jahre vergebene Jugendbuchpreis des Deutschen Ärztinnenbundes würdigt herausragende Darstellungen in der Kinder- und Jugendliteratur zu Themen, die sich im weitesten Sinne mit Gesundheit und Krankheit befassen. Sie ist als Jurorin und Rezensentin im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur tätig. bschmising@gmx.de