Im Fokus

„Wir müssen als Gesellschaft näher ­ zusammenrücken“

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2021

Dr. Henning Scherf schreibt Bücher über das Alter; es sind Bestseller: Grau ist bunt; Wer nach vorne schaut, bleibt länger jung; Altersreise; Gemeinsam statt einsam; Das letzte Tabu. Vor der Pandemie war er ständig unterwegs. Er meisterte bis zu zweihundert Lesungen und Vortragsveranstaltungen im Jahr, alle gut besucht. Die Themen brennen also vielen auf den Nägeln. In Das letzte Tabu setzt Henning Scherf sich gemeinsam mit der Wissenschaftlerin Annelie Keil mit Sterben und Abschied nehmen auseinander; ein durch die Corona-Pandemie in ganz besonderer Weise gegenwärtiges Thema. Genauso wie das Thema Sterbehilfe, das durch die Aufhebung des Verbots der geschäftsmäßigen Suizidhilfe durch das Bundesverfassungsgericht nun ein neues Gesetzgebungsverfahren zu deren Regelung notwendig macht. Wir baten Dr. Henning Scherf zu diesen Themen um seine Meinung. (ab)

Medizinstatistiken zeigen, dass in unserer Gesellschaft seltener plötzlich und unerwartet gestorben wird, sondern meist langsam und vorhersehbar in betagtem Alter außerhalb des vertrauten häuslichen, familiären Umfelds auf Intensiv- und Palliativstationen von Kliniken, in Pflegeheimen oder Hospiz-Einrichtungen. Das hat zur Einsamkeit und Isolation der Menschen am Lebensende geführt. Sie möchten das Thema Sterben wieder in die Mitte unserer Gesellschaft holen. Wie stellen Sie sich das vor?

Wir haben in unseren gemeinsamen 33 Jahren als Hausgemeinschaft drei Sterbefälle in unserem Haus erlebt. Bei der mit uns gleichaltrigen Mutter ging eine zweijährige Pflegezeit voraus, in der wir mit ambulanter ärztlicher Unterstützung alles an Pflege selber bewältigt haben. Danach war ihr ältester Sohn, der auch bei uns im Mehrgenerationenhaus wohnte, fast fünf Jahre ein Pflegefall, ebenfalls in unserer Mitte. Beide sind in ihrer vertrauten Umgebung gestorben. Der letzte Sterbefall ereignete sich am Heiligen Abend vor einigen Jahren. Nach einem gemeinsamen Essen und Trinken mit Freunden fiel unser Priesterfreund durch eine Gehirnblutung ins Koma und starb zwei Wochen später.

Sie nennen das eine „Kultur der Menschlichkeit am Lebensende“.

Zu viele Menschen überlassen ihre sterbenden Verwandten und Freunde den professionellen Dienstleistern. Sie resignieren vor der Aufgabe, selber präsent zu sein. Wer sich für sein eigenes Sterben wünscht, von Freunden und Familie umringt zu sein, der sollte dies selber vorher gelebt haben. Es ist für alle eine große Erfahrung, wenn es gelingt, das Sterben in die Mitte des Lebens zu integrieren.

Sie wollen auch, so schreiben Sie in Das letzte Tabu, „die Mutlosigkeit und die Sinnlosigkeit, die viele in unserem Kulturkreis mit dem Sterben verbinden, aufbrechen und sagen: Es gibt ein Leben im Sterben und es gibt ein Sterben im Leben“. Das würde ich gerne besser verstehen.

Noch immer stirbt die Mehrheit zu Hause. Das ist auch der Wunsch der großen Mehrheit. Damit das auch zukünftig möglich ist, muss die ambulante Versorgung ausgebaut werden. Dazu gehören auch Gemeindesozialarbeiter, die wissen, wo Menschen einsam und hilflos leben und die dann über vernetzte ambulante Hilfestrukturen helfen können.

Immer mehr stationäre Betten zu fordern, ist angesichts des Pflegenotstands kein zukunftsträchtiges Konzept. Wir müssen als Gesellschaft näher zusammenrücken. Unser Beispiel einer Hausgemeinschaft ist eine erreichbare Alternative.

Die Phantasie von Unsterblichkeit ist der trostlose Versuch, der Endlichkeit eines jeden von uns auszuweichen. Dabei ist gerade das Nachdenken über „Stirb und werde“ das Zentrum unseres humanen Lebens. Wir unterscheiden uns von den Tieren dadurch, dass wir unsere Endlichkeit reflektieren können. Und wenn das gelingt, ist jeder Tag ein Geschenk.

Deshalb sind Sie auch gegen geschäftsmäßige Sterbehilfe? Ihnen graut vor diesem „suspekten Geschäft“, schreiben Sie. Haben Sie Erfahrungen mit dieser Szene gemacht?

Ja, immer wieder. Der frühere Hamburger Justizsenator und bekannteste Sterbehelfer war mehrere Jahre mein Kollege. Seine Arbeit und sein politisches Scheitern habe ich über Jahre erlebt.

Und in einer „Anne Will“-Sendung habe ich mit dem Geschäftsführer des schweizerischen Sterbehilfe-Unternehmens diskutiert. In dieser Live-Sendung meldete sich aus dem Publikum eine ehemalige Mitarbeiterin und erzählte, wie sie den Sterbehilfesuchenden, die je näher der Termin rückte, desto unsicherer wurden, aus Geschäftsgründen weiterhin zugeredet haben. Etwas Ähnliches habe ich bei „Hart aber fair“ erlebt, allerdings in entgegengesetzter Weise. Da wütete ein Franziskaner Mönch gegen einen anwesenden Ehemann einer mit ärztlicher Sterbehilfe verstorbenen Ehefrau.

Und schließlich habe ich erlebt, wie Freunde, die ähnlich wie Walter Jens sich ein selbstbestimmtes Sterben in Zeiten ihres Wohlbefindens gewünscht hatten, dann davor zurückgeschreckt sind, als das Sterben immer näher rückte.

Nun zeigen Umfragen in Deutschland, dass ein hoher Prozentsatz der Ärzteschaft ebenso wie der Bevölkerung die Möglichkeit einer assistierten Suizidhilfe befürworten. Sehen Sie darin einen unauflöslichen Widerspruch?

Nach meiner Wahrnehmung ist das Gegenteil richtig: die große Mehrheit der Ärzte wehrt sich gegen Sterbehilfe, und Sterbehilfevereine erreichen nur eine winzige Gruppe. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat nicht nur die Politik, sondern auch die bisher an der Debatte Beteiligten überrascht. Die gegenwärtige Rechtsunsicherheit erfordert eine gesetzliche Klärung. Und die wird wie bei den vorangegangenen Beratungen nicht mit Fraktionszwang beendet, sondern quer durch die Parteien mit Gewissensentscheidungen der Beteiligten getroffen werden müssen.

Ihre Wahrnehmung wird durch die Deutsche Gesellschaft der Palliativmediziner gestützt die erklärt, dass es den Todeswunsch Sterbender gar nicht gibt. Lediglich in Einzelfällen fragten Menschen in ihrer Sterbephase nach einem assistierten Suizid. Sie vermuten, wie bei Walter Jens und einigen Ihrer Freunde, dass die Forderung nach Sterbehilfe bei den meisten ein Konstrukt guter Tage sei. Was folgt daraus?

Die Palliativmedizin ist die alles entscheidende Hilfe. Die noch zu findende gesetzliche Klärung muss deren Arbeit aufwerten und vor Bedrohungen schützen.

Am 22.04.2021 begann die erste beratende Bundestagsdebatte zu neuen Regeln der Sterbehilfe, nachdem das Bundesverfassungsgericht den vom Bundestag 2015 beschlossen Strafrechtsparagrafen 217, das „Gesetz über die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“, am 26.02.2020 für nichtig erklärt hatte. Der Leitgedanke des Grundsatzurteils: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie umfasst auch ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Was raten Sie der Politik?

Ich rate, die Erfahrungen anderer Länder zu berücksichtigen. So wird immer wieder auf den US-Staat Oregon verwiesen. Für den dort erlaubten medizinisch assistierten Suizid muss ein Mensch an einer unheilbaren Krankheit leiden, die nach Auffassung von zwei Ärzten wahrscheinlich in sechs Monaten zum Tode führt. Vor allem Ärzte sollten über den assistierten Suizid wachen.

Welchen Raum sehen Sie in den Grenzbereichen menschlichen Lebens und Sterbens für individuell verantwortetes Handeln im Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patient? Hat das Strafrecht da einen Platz?

Das Strafrecht muss sich in dieser existenziellen Grenzfrage sehr zurückhalten. Ich beobachte seit Langem, dass die deutsche Justizpraxis mit ganz wenigen Ausnahmen diesen Aspekt praktiziert. Es muss alles getan werden, um das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten zu schützen.

Und persönlich: Sie haben sich sicher konkrete Gedanken dazu gemacht, wie Sie Ihren allerletzten Lebensabschnitt erleben möchten.

Das beschäftigt mich seit Langem. Ich möchte umgeben von Familie und Freunden sterben können. Ich möchte da sterben, wo ich zu Hause bin. Mit meiner Patientenverfügung habe ich eine lebensverlängernde Apparatemedizin ausgeschlossen. Ich wünsche mir einen verständigen Palliativmediziner an meiner Seite, der in Gesprächen mit mir geklärt hat, was mein Sterbewunsch ist.

 

Komm, süßer Tod?

Prof. Dr. Dr. h.c. Winfried Henke

Gesetze sind nicht in Stein gemeißelt. Das zeigt auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. F ­ ebruar 2020, in dem das über das Grundgesetz wachende Verfassungsorgan nach zahlreichen Verfassungsbeschwerden von Sterbewilligen, Ärzten, Juristen und Vereinen den Paragraphen 217 StGB, „das Gesetz über die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ vom 10. Dezember 2015, für verfassungswidrig und nichtig erklärte. Das Gericht stellte klar ­ , dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß der Menschenwürde ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben enthalte. Es verlieh der Selbsttötung „grundrechtliche“ Qualität und fügte hinzu, dass die selbstbestimmte Verfügung über das eigene Leben, ein, wenngleich letzter, Ausdruck von Würde sei. Nun muss die konkrete Regelung der Suizidhilfe selbstverständlich vom Gesetzgeber erarbeitet werden, womit die gesamtgesellschaftliche Debatte um medizinethische und rechtliche Fragen erneut beginnt. Unsere Buchauswahl soll dazu Denkanstöße geben. Der verfassungskonforme Gesetzesvorschlag Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben des Palliativmediziners Gian D. Borasio et alii ist hoch aktuell. Weitere Rezensionen betreffen Publikationen wie die Anthologie des Philosophen Héctor Wittwer über Sterbehilfe und ärztliche Beihilfe zum Suizid, die grundlegende Erkenntnisse zur ethischen ­Debatte seit 1975 verbindet, ferner den für eine autonome, willen ­ sfreie Entscheidung plädierenden Diskurs Sterbenswille – Verteidigung des rationalen Suizids und Sterbebeistands des Psychologen und Literaturwissenschaftlers Norbert Groeben sowie das Buch Das letzte Tabu von Annelie Keil und Henning Scherf, das aus sehr persönlicher Perspektive für eine „Kultur der Menschlichkeit am Lebensende“ eintritt. Das bereits 2017 erschienene Herder Korrespondenz Spezial „Komm, süßer Tod“ ­bekommt in der Corona-Pandemie einen neuen Gegenwartsbezug. Und das Metzler-Handbuch Sterben und Tod, das bereits in zweiter, aktualisierter und erweiterter Auflage vorliegt, enthält viele wichtige thanatologische Beiträge, darunter auch den Sterbehilfe-Diskurs des Co-Herausgebers ­Andreas Frewer mit dem ethischen Appell: „Nicht die rechtliche Liberalisierung oder eine Freigabe der Tötung auf Verlangen, sondern der weitere Ausbau klinischer und ambulanter Versorgung, von Palliativmedizin und Hospizdiensten sowie professionelles und ehrenamtliches Engagement sollten als entscheidende Desiderate neuer Sterbekultur und eines guten Todes gesehen werden.“

 

Annelie Keil / Henning Scherf: Das letzte Tabu. Über das Sterben reden und den Abschied leben lernen. Freiburg: Herder, 3. Aufl. 2020, geb. mit SU. 256 S., ISBN 978-3-451-34926-3, € 22,00.

Wenn Annelie Keil (*1939), em. Professorin für Sozial- und Gesundheitswesen der Univ. Bremen, und der Jurist und Politiker Henning Scherf (*1938), ehemaliger Regierungschef der Freien Hansestadt Bremen, gemeinsam ein Buch zu der immer wieder beklagten Tabuisierung des Sterbens und Todes in unserer Gesellschaft schreiben, das nach 2016 jetzt schon in 3. Auflage erscheint, dann trifft das Thema auf ein breites Interesse.

Offenbar erfolgt die Betreuung und Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen in unserer kinderarmen und überalternden Gesellschaft immer seltener im behüteten häuslichen Familienumfeld, sondern in kalten Krankenzimmern und kühlen Pflegeheimen, d.h. »Die Einsamkeit der Sterbenden in unseren Tagen«, die der namhafte Soziologe Nobert Elias (1897–1990) bereits 1982 in seinem thanatosoziologischen Klassiker anmahnte, ist bittere Realität.

Wer das einführende Interview der Journalistin und Buchautorin Uta von Schrenk (»Mehr Leben – warum Jung und Alt zusammengehören«) mit dem Autorenduo liest, versteht, warum sich die beiden privilegierten Pensionäre seit Jahren ehrenamtlich dafür einsetzen, das Thema Sterben wieder in die Mitte unserer Gesellschaft zu holen. Obwohl die Biografien beider Persönlichkeiten kaum unterschiedlicher sein könnten, findet sich in ihren CVs die Erklärung für ihr außergewöhnliches soziales Engagement. A.K. wuchs als uneheliches Kind fünf Jahre lang in einem NSDAP-Kinderpflegeheim im heutigen Polen auf und verbrachte anschließend zwei Jahre mit ihrer als herb geschildeten Mutter in russischer Kriegsfangenschaft, bevor sie in den Westen kam, wo sie nach dem Abitur aus ärmlichen Verhältnissen heraus ein Studium der Soziologe absolvierte und als 68erin und »Powerfrau« eine erfolgreiche Berufskarriere startete, zu der auch die Gründung des Weiterbildungsstudiengangs Palliative Care in Bremen gehört.

H.S. ist durch und durch Familienmensch, der zeitlebens einen großen Freundeskreis pflegte und bekannt wurde als beispielhaft bürgernaher, »anfassbarer« Politiker mit hoher Empathie, der seine Mitbürger schon mal herzlich umarmte und aus selbst gewählten Gründen seit langem in einer Senioren-WG lebt, so dass das Leben in Gemeinschaft geund erlebt wird, wozu auch die Sterbebegleitung zur täglichen Herausforderung zählt.

Beiden Senioren geht es um eine Ars moriendi nova, darum „die Mutlosigkeit und die Sinnlosigkeit, die viele in unserem Kulturkreis mit dem Sterben verbinden, auf[zu] brechen und [zu] sagen: Es gibt im Sterben ein Leben“ (H.S., S. 11).

Nach dem aufschlussreichen Interview über Motive und Zielsetzungen ihres Einsatzes für die Vermittlung der Kunst des Abschiednehmens folgen jeweils vier getrennt verfasste Aufsätze. Im ersten schildert A.K. Begegnungen mit dem Tod und mit Sterbenden, worin sie einen Rückblick auf ihre eigenen Lebenserfahrungen wirft und wie sie lernte, dass man im Krieg auch nicht vor Krankheit, Sterben und Tod weglaufen kann (vgl. S. 38). Der Tod lauerte hinter jeder Ecke, aber das Leben musste weitergehen, für „Tränen, Trauer und andere Gefühle […] gab es keine Zeit und keinen Ort. Aber damit war das Leid nicht einfach verschwunden.“ (S. 41). Damit Sterbende ihre traumatischen Erlebnisse angesichts des eigenen Todes erzählen können, muss für das Zuhören bei der palliativen Seelsorge Raum geben werden. Wenn Keil ihr persönliches Schicksal schildert, so ist das ein Weckruf für rechtzeitige eigene Entscheidungen, denn „[d]er Sterbende selbst komponiert die Schlussmelodie“ (S. 59).

H.S.’s Aufsatz über Das verdrängte Sterben beginnt mit dem ersten Tod, der ihn unmittelbar traf, dem Sterben seiner Großmutter. Bewegend schildert Scherf, dass sich die Familie aufgrund des langsamen Todes, „von ihr auf wunderschöne Weise [habe] verabschieden können“ (S. 65). Dieses Bild setzt er als persönliche Erfahrung der »Zerstörung der Sterbekultur in Zeiten der Industrialisierung« dem des Sterbens der Mutter gegenüber, die ohne seinen Beistand auf der Intensivstation starb. Er war auf einem Juso-Kongress, denn „[s]ie war ja im Krankenhaus, sie war ja gut versorgt, die Ärzte taten ja alles Mögliche, damit nichts passiert – habe ich mir eingeredet.“ (S. 71). Hier liegt Scherfs schmerzhafter Grund für sein intensives Engagement in der Sterbebegleitung. Liebevoll Abschiednehmen ist das Plea, verbunden mit einer vehementen Ablehnung kommerzieller Sterbehilfe. Seine Stimme bei der anstehenden neuerlichen Abstimmung des Bundestages wäre eindeutig. Und was er über Sterbehilfe denkt, findet sich im Exkurs Das Sterben »machen«. Da schreibt er, „man sollte von einem sich quälenden Menschen keinen Durchhaltewillen verlangen“ (S. 134) und „[n]ur das Zusammenarbeiten von Angehörigen, Pflegern, Hospizhelfern und Ärzten wird ein würdevolles, ein barmherziges Sterben ermöglichen können“ (S. 146).

Auf seinen 150-200 Veranstaltungen pro Jahr (vor Pandemie-Zeiten) verspürt Scherf, dass das Thema Sterben immer weniger tabuisiert wird, wenn öffentlich, ohne Heilsversprechen oder Panikmache über Sterben und Tod diskutiert wird, ein Trend, der sich auch seit vielen Jahren in der Literatur abzeichnet.

Die weiteren Beiträge Der Abschied vom Leben als biografische Herausforderung (A.K.); Das Sterben »machen« (H.S.), An der Seite der Sterbenden bleiben (A.K.), Das persönliche Umgehen mit dem Tod (H.S.), Selbstbestimmt bis zum Ende (A.K.); Trauern und Bewältigen (H.S.) sind ein von großer Lebenserfahrung und im Umgang mit Ster- benden geprägter Appell für mehr Menschlichkeit am Ende des Lebensweges, für versöhnliche Bilanzen des Lebens, für das Ausstrecken helfender Hände.

Da mag man Präferenzen haben für den klaren, prägnanten und zupackenden Schreibstil des ehemaligen politischen Machers (und sturmerprobten Hochseeseglers) oder aber die Diktion einer ehemaligen sozial- und gesundheitswissenschaftlichen Hochschullehrerin, die Curricula zur Palliativpflege entwickelt hat und dabei meint „[g]ute Politik muss […] spirituell ausgerichtet sein“ (S. 14), was mir als Naturalist begrifflich nicht gefällt, der ich aber darin zustimme, wenn es um die »Ehrfurcht vor dem Leben« und die »Würde des Menschen« geht.

Allen verständlich verfassten Beiträgen zum Sterben ist gemeinsam, dass sie von einer Kultur der Menschlichkeit und fachlicher Kompetenz in der Sterbebegleitung geprägt sind. Die Mischung von spannenden intimen Details aus der jeweils eigenen Vita und dem erfahrungsgesättigten Umgang mit Sterbenden macht das Buch äußerst lesenswert und hoffentlich – nachhaltig – nachdenklich. (wh)

 

Héctor Wittwer / Daniel Schäfer / Andreas Frewer (Hrsg.) Handbuch Sterben und Tod. Geschichte – Theorie – Ethik. Unter Mitarbeit von Klaus Feldmann / Udo Tworuschka / Joachim Wittkowski. Berlin: J.B. Metzler, Springer, 2. akt. u. erw. Aufl. 2020, 490 S., s/w-Abb., Hardcover, ISBN 978-3-476-05761-7, € 99,99.

Wenn das vorliegende Handbuch innerhalb von zehn Jahren in zweiter Auflage erscheint, unterstreicht dieser publizistische Erfolg einerseits die intensive Nachfrage nach fachlicher Orientierung auf dem Gebiet der Thanatologie und andererseits die Endlichkeit von Kompendien aufgrund dynamischer Entwicklungen in Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Medizin.

Die Erstauflage wurde aufgrund der fächerübergreifenden Relevanz des Einführungs- und Nachschlagewerks im Fachbuchjournal doppelt rezensiert (s. E-Paper, Band 2/ 2012, S. 69-70, ldm; 4/2012, S. 32-33, wh), so dass hier vorwiegend auf die Erweiterungen Bezug genommen wird.

Die Herausgeberschaft blieb bei denselben drei Hochschullehrern, deren Exzellenz als Philosoph (H. W., Magdeburg), Mediziner/Medizinhistoriker (D. S., Köln) und Mediziner/Medizinethiker (A. F., Erlangen-Nürnberg) eindrucksvoll belegt ist. Auch der Wiss. Beirat, bestehend aus einem Soziologen (K. F., WU Wien), Theologen/Religionswissenschaftler (U. T., Jena) und Psychologen (J. W., Würzburg), blieb personell unverändert. Für die Autoren trifft das nicht durchgehend zu, da mehrere bereits verstorben sind, während andere wegen ihres Alters oder aus anderen Gründen nicht mehr mitwirkten.

Da mit der ersten Auflage von Sterben und Tod „den Autoren eine faszinierende Durchdringung des ernsten Themas“ (s. E-Paper ldm-Rezension 2/2012, S. 70) gelungen war, weckt die zweite hohe Erwartungen. Der Abgleich beider Auflagen zeigt, dass die Einteilung in sechs Hauptkapitel beibehalten wurde:

I Sicht der Wissenschaften und Religionen; II Grundlagen und Konzepte; III Allgemeine Haltungen und Umgangsweisen; IV Konkrete Ausdrucks- und Umgangsformen; V Töten und den Tod erleiden; VI Anhang. Geändert hat sich die Gliederung insofern, als alle Kapitel jetzt durchnummeriert und mit Verfassernamen gekennzeichnet sind. Durch die Splittung zuvor verbundener Themenkomplexe und die Aufnahme von neun neuen Kapiteln stieg die Anzahl der Einzelbeiträge von 48 auf 72, an denen 65 Autoren/innen beteiligt waren. Wer sich eine Übersicht über die multidisziplinäre Thanatologie verschaffen will, findet im ersten Hauptkapitel sieben längere Diskurse zu Geschichts-, Religions- und Rechtswissenschaft sowie Philosophie, Medizin, Psychologie und Soziologie.

Dass die Rechtswissenschaft neu in den Themenkanon aufgenommen wurde, erklärt der Strafrechtler Jan C. Joerden (Frankfurt a.d.O.) damit, dass Streitigkeiten am Ende der physischen Existenz des Menschen „nicht nur eine sozialpragmatische Dimension, sondern darüber hinaus alle Merkmale eines existentiellen Konflikts [haben]. Das wird vor allem in den Fällen deutlich, in denen ein Mensch dem anderen das Leben nimmt bzw. nehmen will“ (S. 31). Folglich geht es um »Tötungsdelikte«, »Erlaubtes Töten?«, »Beginn und Ende des Lebensrechtschutzes« sowie das «Recht nach dem Tode».

Unter II Grundlagen und Konzepte werden vorwiegend vertraute klassische Themen wie u.a. »Sterbeprozess«, »Hirntod«, »Scheintod«, »Leiche« oder »Todesfeststellung und Leichenschau« behandelt. Weniger bekannt ist vermutlich der Begriff »Sozialer Tod«, der anfangs nur als dauerhafter und (meist) irreversibler Ausschluss aus dem sozialen Leben verstanden wurde, aber als social death auch als Zustand definiert wird, „in dem die sozial relevanten Attribute des Patienten für den Umgang mit ihm keine Rolle mehr spielen und er im Wesentlichen schon als ›tot‹ betrachtet wird“ (S. 155, n. W. Fuchs-Heinritz (1941–2018), was z.B. fälschliche Entscheidungen für Organtransplantationen oder ›antizipierte Trauer‹ bedingen kann.

Weiterhin wurden vier neue, in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft vermutlich eher unerwartete Kapitel zu »Unsterblichkeit« (biologisch, medizingeschichtlich, theologisch, philosophisch) aufgenommen. Wenn man z.B. die biologische Evolution des Todes als »Kunstgriff der Natur versteht, viel Leben zu haben« oder die »mediale Unsterblichkeit« von Dichtern, Denkern und Schauspielern bedenkt und den Sinn seines eigenen »endlosen Tuns« hinterfragt, eröffnen sich interessante Perspektiven.

Der rapide Wandel aufgrund wachsender naturwissenschaftlich-technischer Erkenntnisse und Eingriffsmöglichkeiten am Ende des Lebens bei einer demografisch immer älter werdenden Bevölkerung sowie der zunehmende Hiatus zwischen technologisch-medizinischem Können und einer allgemein akzeptierten Moral in einer pluralistischen Gesellschaft wird unter III Allgemeine Haltungen und Umgangsweisen behandelt.

Zum Thema »Lebensverlängerung« ergänzt der Medizinhistoriker Heiko Stoff (Hannover) Kritik am Konzept der Altersaktivierung, wenn er konstatiert, dass „[d]ie Lebensverlängerung nur dann als ein erstrebenswertes Ziel angesehen [wird], wenn sie als ›aktives Alter‹ mit ebenso verlängerter Jugendlichkeit verbunden erscheint“ (S. 191; n. Tina Denninger et al. 2014) und dass nach intensiver Recherche von Larissa Pfaller (2016) zu Anti-Aging Zweifel an der medizinischen Wirksamkeit der inflationär angebotenen Verjüngungskampagnen besteht.

Das Thema »Ars moriendi« in Form der aktuellen Wiederentdeckung der »Kunst des guten Sterbens« ist nach dem Moraltheologen Franz Josef Illhardt (ehem. UK Freiburg) zu einem „Modellbegriff geworden, der zu verstehen suggeriert, dass und wie man mit dem Sterbenden umgehen kann“ (S. 216). Wenn der erfahrene Ethiker die „Umschreibung des Problems ›Sterben‹ durch den bioethischen Begriff der medical decisions at the end of life (MDEL) als [geradezu hölzerne und nichtssagende] Zusammenfassung der verschiedenen Entscheidungen am Lebensende“ bezeichnet und nachlegt: „Nicht ein Hauch von Problemlösung!“ (S. 216), dann ist jeder, der mit dem Phänomen Sterben umgehen muss, aufgefordert, den Diskurs über Defizite der Sterbehilfe, Konflikttypen, Sorgestruktur der Medizin, Bildlosigkeit des Sterbens, Ausblendung der Mystik, Palliative Care und Spiritualität sowie zu aktuellen Optionen einer Ars moriendi aufmerksam zu studieren.

Während die Kapitel »Todesfurcht«, »Abwehr- und Bewältigungsstrategien« sowie »Trauer« weitgehend erwartbare Inhalte vermitteln, weist der Übersichtsbeitrag des Theologen und Religionswissenschaftlers Marco Frenschkowski (Leipzig) zu »Glaube an die Fortexistenz nach dem Tod« in einer Zeit des Schwindens religiöser christlicher Bindung ein breites Spektrum gedachter Welten über »Seelenvorstellungen«, »Jenseitstopographien«, »Bilder von Himmel und Hölle«, »Auferstehung von den Toten«, »Reinkarnationsmodelle« und das Konzept von »Ewigkeit« auf, die in populären Imaginationen der westlichen Moderne in neuen Formen aufleben.

Klaus Bergdolt (Mediziner, Wissenschafts- u. Kunsthistoriker, Köln) weist in seinem Beitrag »Sterben und Tod in der Bildenden Kunst« darauf hin, dass der Tod durch die Säkularisierung und religiöse Reduktion Europas „in den Kirchen, in der Pädagogik, in der Politik und Kunst seinen existenziellen Charakter verlor“ (S. 268).

Die Beiträge zu IV Konkrete Ausdrucks- und Umgangsformen betreffen zunächst Themen wie »Patientenverfügung«, »Sterbebegleitung«, »Sterbehilfe« und »Hospiz/Palliativmedizin«, die nicht nur für Lehrende und Studierende der Thanatologie, sondern auch für Laien relevant sind, zumal die rechtlichen und palliativ-medizinischen Probleme längst nicht geklärt sind. Leider bezieht sich der Handbuch-Beitrag des Juristen Christoph Mandla (Halle) zur Patientenverfügung nur unverändert auf Literatur bis 2009. Sein Resümee lautet: „…dass unsere Verfasstheit als soziale Wesen die völlige Autonomie […] ausschließt“ (S. 276) und damit jeder Sterbende dem Risiko ausgesetzt ist, dass der Umsetzung seines Willens nicht unbedingt entsprochen wird.

Der Wissenschaftshistoriker Heiko Stoff (s.o.) wird deutlicher, wenn er auf die notwendige Differenzierung der Begriffe lebensverlängernde Maßnahmen und lebenserhaltende Maßnahmen und bestehende Mängel in einigen Formularen von Patientenverfügungen hinweist, in denen nicht hinreichend präzisiert wird, „was [in den intensiv-medizinischen Leitlinien] konkret unter lebensverlängernden Maßnahmen zu verstehen ist“ (S. 195), zu denen gemeinhin Reanimation, apparative Dauerbeatmung, Hämodialyse und parenterale Ernährung gehören. Die gegenwärtige Corona-Krise macht diese Problematik schlagend deutlich.

Für die Anpassung einschlägiger Handbuch-Beiträge kam die Entscheidung des BVerfG vom 26.02.2020 zum § 217 (von 2015) zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, denn die Beiträge des Medizinethikers Markus Rothhaar (Erlangen-Nürnberg u. Hagen) zur palliativen und hospizlichen Sterbebegleitung, wie auch der Beitrag zur »Sterbehilfe – rechtswissenschaftlich« von Hans Lilie (Halle-Wittenberg) berücksichtigen die Entscheidung aus Karlsruhe nicht, was auch für den Sterbehilfe-Diskurs von JeanPierre Wils (Philosoph, Nimwegen, NL) zutrifft, der aber wichtige Literatur zu Positionen zum assistierten Suizid einbezieht, wie G.D. Borasio (2018): Selbst bestimmt sterben: Was bedeutet das? Was hindert uns daran? (München 2018), Th. Macho: Das Leben nehmen. Suizid in der Moderne (2017) und H. Wittwer: Das Leben beenden. Über die Ethik der Selbsttötung (2019) sowie A. Frewer/C. Eickhoff (Hrsg.) Euthanasie und die aktuelle Sterbedebatte. Die historischen Hintergründe medizinischer Ethik. (2016).

Stephan Sahm, Palliativmediziner und Medizinethiker (Offenbach/ Frankfurt a.M.), geht in seiner Abhandlung über »Sterbehilfe« auf die nomenklatorische Überschneidung der Termini Euthanasie und Sterbebegleitung ein, kritisiert den undifferenzierten Gebrauch der Begriffe passive und indirekte Sterbehilfe in den Medien und gelegentlich auch in der Rechtsprechung, „obgleich sie sich als unglaublich untauglich erweisen haben“ (S. 283). Sahm führt in eine alternative Nomenklatur durch das »Konzept der

Änderung des Therapiezieles« ein, diskutiert den Streitfall »aktive Sterbehilfe und professionelle Ethik«, um dann unter Berücksichtigung der Aufhebung des § 217 StGB zwei ethische Fragen aufzuwerfen: „1. Soll Suizidassistenz auch weiterhin kein Bestandteil ärztlicher Praxis sein?, 2. Soll medizinische Praxis und Kompetenz bei der Ausführung von Suiziden dienlich sein, auch wenn die Motive der Suizidwilligen unabhängig von medizinisch beschreibbaren Zuständen (…) sind?“ (S. 287). Nach dem aktuellen Urteil des Deutschen Ärztetages 2021 ist jetzt die Gewissensentscheidung des Arztes gefragt. Wer Sahms Überlegungen zum freiwilligen Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit liest, wird sich der hohen Verantwortung aller an einer palliativen Begleitung Beteiligten bewusst. Jeder, der sich an der geforderten Überarbeitung eines verfassungskonformen Gesetzesvorschlags zur Regelung des assistierten Suizids beteiligt, sollte seine Ausführungen aufmerksam wahrnehmen.

Ein aus der Praxis kommender Beitrag zur Geschichte des Hospizes und der modernen Hospiz-Idee und den institutionellen Umsetzungen in Vereinen, Hospizen und Palliativstationen sowie der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Hospiz- und Palliative Care-Versorgung in Deutschland stammt von der Sozialwissenschaftlerin Isabella Jordan (Nürnberg-Erlangen).

Die beiden Kapitel zu »Obduktion« von Dominik Groß (Medizinethiker, Aachen) und Klaus-Steffen Saternus (Rechtsmediziner, Göttingen) weisen auf die deutlich gesunkene Obduktionsfrequenz in Deutschland hin, die zu der von der Bundesärztekammer seit langem beklagten mangelhaften Qualifikationssicherung der ärztlichen Behandlung und zu Defiziten in der ärztlichen Aus-, Weiter- und Fortbildung führt.

Neu ist der Übersichtsartikel von Joachim Wittkowski (s.o.) und seines WM Pierre-Marc Paré zur »Unterrichtung über Sterben und Tod (Death Education)«, die ihren Ursprung in den 1970ern in den USA hatte. Wie der quellenbestückte Beitrag zeigt, nehmen formelle Unterrichtsveranstaltungen über Sterben, Tod und Trauer zu, aber die Evaluierung über deren Effizienz und Nachhaltigkeit ist weitgehend offen.

Im Hauptkapitel V Töten und Tod erleiden geht es in drei Beiträgen über »Abtreibung«. In dem fast unveränderten medizingeschichtlichen Überblick des Historikers Robert Jütte (Stuttgart) findet sich jetzt der Hinweis zu dem 2019 geschlossenem Koalitionskompromiss zum sog. Werbeverbot für Schwangerschaftsabbruch (§ 219a). Wer sich in den Diskurs zu »Sterben und Euthanasie« einarbeiten will, kommt an den Schriften des Co-Herausgebers Andreas Frewer (s.o.: auch E-Paper, Medizinethik 1/2018, S. 49-51) nicht vorbei. Sein dichter historischer Überblick gehört in schulische und universitäre Ethik-Curricula und jeder, der sich in die Debatte um Sterbehilfe involviert, sollte ihn aufmerksam lesen, denn er endet mit

dem dringenden Appell: „Nicht die rechtliche Liberalisierung oder die Freigabe der Tötung auf Verlangen, sondern der weitere Ausbau klinischer und ambulanter Versorgung, von Palliativmedizin und Hospizdiensten sowie professionelles und ehrenamtliches Engagement sollten als entscheidende Desiderate neuer Sterbekultur und eines guten Todes gesehen werden“ (S. 389).

Die Beiträge zu »Selbsttötung« aus medizingeschichtlicher, psychologischer und soziologischer Perspektive wurden kaum verändert, sieht man von wenigen Ergänzungen einmal ab, z.B. zur Interpersonalen Theorie suizidalen Verhaltens des Gerontopsychologen Norbert Erlemeier (Münster), Autor von Suizidalität und Suizidprävention im höheren Lebensalter (2011). Angesichts der Bedeutung lebensverändernder Ereignisse und Stressfaktoren beim Suizidrisiko geht es „vor allem um die theoretisch begründbare Beziehungsgestaltung in Beratung und Therapie“ (S. 399).

Hochaktuell sind zwei neue Beiträge zu »Sterbefasten«, einem äußerst komplexen Feld der Pflichten des Arztes und der Pflegenden bei Patienten, die ihr Leben durch freiwilligen Verzicht auf Essen und Trinken (FVNF) beenden wollen. Wie der ltd. Pflegewissenschaftlicher André Fringer (Zürich/Witten-Herdecke) und Sabrina Stängle (MSc, ebd.) ausführen, ist ein medizinisch-pflegerisches Symptom-Management erforderlich, in dem Ärzte und Pflegende die belastenden Entscheidungsprozesse unter Einbindung der Angehörigen in die Sterbebegleitung beraten.

„Un meurtre est un meurtre“, heißt ein frz. Filmklassiker von Étienne Périer, aber lt. dem Beitrag »Mord« von J.C. Joerden (s.o.) sollte sich das im Strafrecht längst geändert haben. Auf geforderte Reformansätze hat der Gesetzgeber bislang nicht reagiert, „weil […] eigentlich der gesamte Mordparagraph und mit nahezu ihm alle Regelungen der Tötungsdelikte im 16. Abschnitt des StGB (»Straftaten gegen das Leben«) der Reform bedürfen“ (S. 417). Obwohl die Kriminalstatistik der wegen Mordes Verurteilten nahezu gleichgeblieben ist, was auf dem sog. Verfolgungsdruck und der hohen Aufklärungsquote beruhen dürfte, lässt die vermutete »Dunkelziffer« aufhorchen, ein Befund, der mit dem erwähnten Rückgang der Obduktionen zusammenhängen könnte.

Während der historische und der philosophische Beitrag zu »Todesstrafen« inhaltlich unverändert blieben, erfolgten im Kapitel »Hinrichtungen« von Dominik Groß (s.o.) und der Magistra Julia Engels (Aachen) beachtenswerte Ergänzungen aufgrund der aktuellen Zahlen des Amnesty International Global Report über Exekutionen in China. In der Abhandlung Massenmord / Genozid / Demozid weist der Historiker Hans-Walter Schmuhl (Bielefeld) auf aktuelle Literatur von B. Land: Genocide (2016) und N.H. Rafter: The Crime of All Crimes (2016) hin und auf das Abgrenzungsproblem, wo ein Massaker endet und ein Genozid beginnt. Diskrepante Sichtweisen hätten an der außenpolitischen Kontroverse zwischen Deutschland und der Türkei über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich exemplifiziert werden können, die jetzt auch zwischen den USA und der Türkei aufflammen (s. EPaper 5_2015, S. 58 ff. sowie 1_2016, S. 68ff.). Der »Kannibalismus«-Artikel des verstorbenen Wiener Ethnomediziners Arno Prinz (1945–2018) ist unverändert, wodurch wichtige prähistorisch-anthropologische Quellen unberücksichtigt bleiben (z.B. J. Orschiedt, Diss. Tübingen (1996) oder die bandkeramische Grabung Herxheim in RP).

Der ausgefeilte Beitrag zur Grundsatzdiskussion über »Tötungen und terroristische Akte« des Philosophen Georg Meggle (Leipzig) ist für den Leser eine fordernde (vielfach vermutlich überfordernde) Reflexion mit dem Schlusswort: „Ob Terror gerecht (legitim) sein kann, das ist dieselbe Frage wie die, ob Terror moralisch geboten sein kann; folglich kann Terrorismus unter Umständen auch moralisch geboten sein“ (S. 461).

Neu und aufgrund der islamistischen Terroranschläge der Gegenwart hochaktuell und äußerst lesenswert ist das letzte Kapitel »Tötung und Selbsttötung in religiösen Kontexten«, das mit der Feststellung endet: „Eine der bittersten Wahrheiten der Religionsgeschichte ist […], dass für etwas zu sterben und für etwas zu töten – und überhaupt Aggression und Autoaggression – dicht beieinander liegen und rasch ineinander übergehen können“ (S. 470). Fazit: Die zweite Auflage ist ein »großer Wurf«. Dafür, dass es den Herausgebern gelang, den überwiegenden Teil der Autoren zur erneuten Mitarbeit zu motivieren und weitere für qualifizierte neue Beiträge zu gewinnen, gebührt ihnen sowie allen Mitwirkenden besonderer Dank, weil mit jedem anspruchsvollen Handbuchprojekt der sprichwörtliche «Elfenbeinturm» der Wissenschaft verlassen wird, was einen beträchtlichen publizistischen Aufwand bedeutet, der in der deutschen Forschungslandschaft leider nur marginal wertgeschätzt wird. (wh)

 

Gian Domenico Borasio / Ralf J. Jox / Jochen Taupitz / Urban Wiesing: Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben. Ein verfassungskonformer Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids. Stuttgart: W. Kohlhammer, 2. erw. und überarb. Auflage 2020, 141 S. ISBN 978-3-17-039065-2,­ € 26,00.

Am 22.04.2021 begann die erste beratende Bundestagsdebatte zu neuen Regeln der Sterbehilfe, nachdem das Bundesverfassungsgericht den vom Bundestag 2015 beschlossen Strafrechtsparagrafen 217, das »Gesetz über die Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung«, am 26.02.2020 für nichtig erklärt hatte. Die Entscheidung kam nicht überraschend, da von Anbeginn zahlreiche Experten aus Medizin, Straf- und Verfassungsrecht dessen Verfassungsmäßigkeit in Frage gestellt hatten, weil der § 217 StGB Suizidhilfe de facto verhinderte. Praktisch war es nicht mehr möglich, als Arzt oder Mitglied einer Suizidhilfe-Organisation, Menschen Beihilfe zu leisten, die aufgrund ihres Leidensdrucks ihr Leben beenden wollten.

Der Leitgedanke des vom BVerfG in unerwarteter Deutlichkeit gefällten Grundsatzurteils war, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben umfasst. Bereits im Juni 2020 legten die Autoren einen verfassungskonformen Gesetzesvorschlag zur Regelung des assistierten Suizids vor, der hier eine erweiterte und überarbeitete Fassung der ersten Auflage von 2014 folgt. Die Autoren besitzen als Palliativmediziner (GDB und RJJ, Lausanne, CH) sowie als Medizinjurist (JT, Heidelberg) und Medizinethiker (UW, Tübingen) eine hochqualifizierte Expertise.

Entgegen dem 2015 verabschiedeten § 217 StGB hatten die Autoren 2014 bereits dafür plädiert, Ärzte von einem ansonsten geltenden Verbot der Suizidbeihilfe zu befreien. Mit der jetzigen Empfehlung modifizieren sie ihren Vorschlag unter Berücksichtigung des BVerfG-Urteils und gesetzlichen Regelungsbedarfs. Nach einem Problemaufriss werden die Ziele des Gesetzesvorschlags unterbreitet, die hier zitiert seinen:

• „Respekt vor der Autonomie der Menschen

• Fürsorge durch fachkundige Beratung und Begleitung

• Schutz vor sozialem Druck auf Betroffene

• Suizidprävention

• Vermeidung einer Freigabe der Tötung auf Verlangen

• Rechtssicherheit für alle Beteiligten

• Transparenz durch Dokumentation“ (S. 26f.).

Es folgt eine detaillierte Begründung (Ausgangslage; Lösung des Gesetzesvorschlags; Begründung des Gesetzesvorschlags im Detail; Begleitende Maßnahmen). Nach der Neufassung des § 217 darf „Ein Arzt einem freiverantwortlich handelnden Volljährigen mit ständigem Wohnsitz in Deutschland auf sein ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen hin Hilfe zur Selbsttötung leisten…“ (S. 31).

Die Voraussetzungen für die Hilfe werden gemäß den vorstehenden Leitlinien präzisiert, wobei u.a. „Zwang, Drohung, Täuschung oder sonstige Einflussnahme durch Dritte“ auszuschließen sind und unbedingt „mindestens ein anderer, unabhängiger Arzt“ mit der sterbewilligen Person persönlich gesprochen und schriftliche Stellung genommen haben muss (S. 32).

Auch Angehörige oder nahestehende Personen dürfen unter den gegebenen Voraussetzungen (Freiverantwortlichkeit; Volljährigkeit) straffrei Hilfe zur Selbsttötung leisten, wohingegen Hilfe Anderer mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird. Unter § 217 Abs. (4) wird festgehalten, dass niemand zu einer Hilfe zur Selbsttötung verpflichtet ist. Es folgt der Hinweis auf die Ermächtigung des BMG zur gesetzlichen Regelung der Qualifikation der Ärzte, Anforderungen der Aufklärungspflichten, Dokumentation und Meldepflichten, Anforderungen der Leistungserbringer und der Vergütung der Hilfe.

In § 217a wird die Werbung für die Hilfe zur Selbsttötung unter Strafe gestellt sowie im Artikel 2 die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes hervorgehoben.

Die gekippte Regelung des § 217 zeigt, dass offenbar in den abendländischen philosophischen, religiösen und kirchlichen Sichtweisen die moralische Verwerfung des Suizids nachwirkte, weshalb es folgerichtig ist, wenn die Autoren in ihrem Entwurf dem Wunsch nach Liberalisierung des Gesetzes nachkommen, da Umfragen in Deutschland zeigen, dass ein hoher Prozentsatz der Ärzteschaft ebenso wie der Bevölkerung die Möglichkeit assistierter Suizidhilfe befürworten. Mit der Streichung des beruflichen Verbots der ärztlichen Suizidbeihilfe hat der Deutsche Ärztetag (4.5. Mai 2021) die Grundlage für eine freie Gewissensentscheidung der Ärzte geschaffen [https://www.aerzteblatt. de/nachrichten/123539/Aerztetag-streicht-berufsrechtliches-Verbot-der-aerztlichen-Suizidbeihilfe]. In der Bunderepublik besteht nicht allein der Wunsch nach einer liberaleren Gesetzesregelung, wie ein Blick ins Ausland zeigt. So ist in den Benelux-Staaten Suizidhilfe unter strengen Auflagen seit den 1970er Jahren toleriert und nach jüngsten Parlamentsentscheidungen ziehen Spanien und Portugal – gegen harten Widerstand Konservativer und der katholischen Kirche – mit einer Legalisierung des assistierten Suizids nach. In der Schweiz (in der zwei der Autoren als Mediziner tätig sind) ist die Tötung auf Verlangen nur dann unter Strafe gestellt, wenn sie laut Schweizer Strafgesetzbuch aus »selbstsüchtigen Gründen« erfolgt (vgl. S. 64).

Die anhaltende intensive Diskussion und die relativ hohe Mitgliederzahl umstrittener Selbsthilfeorganisationen wie Exit und Dignitas zeigen, wie durch den demografischen Wandel und die zunehmende Lebenserwartung, die vielfach mit langfristigen Krankheits- und Sterbeprozessen einhergeht, ein Wunsch nach Autonomie am Ende des Lebens besteht.

Nach den von den Autoren genannten spärlichen Quellen ist die Befürchtung unbegründet, dass es bei den Quoten der um Suizidhilfe Nachsuchenden einen Trend zu „benachteiligten, schlecht versicherten, ärmeren, älteren und ethnisch diskriminierten Bürgern“ (S. 84) gebe. Ist hier wirklich der wahre Grund geklärt, oder werden hier Kosten verschleiert, denn – salopp formuliert – kostet der Tod nicht nur das Leben.

In dem Neuregelungsvorschlag kommt den Ärzten, die zur Suizidhilfe bereit sind [Verpflichtet werden darf niemand!], eine hohe gesellschaftliche und persönliche Verantwortung zu. Dazu gehört die aus meiner Sicht zwingend umzusetzende Regel, dass mindestens ein zweiter – unabhängiger – Arzt ein persönliches und zu dokumentierendes Gespräch mit dem Sterbewilligen führt, um Missbrauch vorzubeugen und die Ärzte vor nachträglichen Vorwürfen der Erfüllung problematischer Suizidwünsche zu schützen. Das gilt gerade in Deutschland, wo der Begriff Sterbehilfe als Erleichterung des Sterbens durch schmerzlindernde Medikamente oder absichtliche Herbeiführung durch Abbruch der ärztlichen Behandlung unheilbarer Kranker immer noch eng mit Euthanasie (alt-gr. „guter Tod“) verbunden wird, den tausendfachen rassenhygienischen Krankenmorden in der NS-Zeit. Wichtig erscheint mir die angesprochene Neuregelung der palliativmedizinischen Qualifikationen der beteiligten Ärzte (S. 94) und nicht zuletzt die Anpassung der Berufsordnungen, in der es z.B. in der Musterordnung nach § 16 der Hamburger Ärztekammer heißt: „Der Arzt hat dem Sterbenden unter Wahrung seiner Würde und Achtung seines Willens beizustehen. Es ist ihm verboten, einen Patienten auf dessen Verlangen zu töten. Er darf keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“.

Hierzu zeichnet sich bereits eine intensive Debatte der Funktionäre der Ärztekammern ab, nachdem der Deutsche Ärztetag 2021 das Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe aufhoben hat. Unklar bleibt die zukünftige Rolle von Sterbevereinen, für die – ebenso wie für Ärzte – das Verbot, für Suizidwillige Medikamente zu beschaffen oder Sterbehilfe zu leisten, gefallen ist. Zwar wird gewarnt, „sich von den Angeboten von Sterbehilfevereinen oder Einzelpersonen zu unüberlegten Schritten verleiten zu lassen“ (S. 105), aber aufgrund des aus unterschiedlichen Gründen sterbewilligen ‚Klientel‘ und fiskalischer Geschäftsinteressen von Sterbevereinen“ (S. 104) sollte hier dringend – wenn nicht gar mit einem Verbot – nachgebessert werden, denn: „Man unterstelle nie ein positives Argument, wenn es auch ein negatives geben könnte“ (soziobiologische Weisheit).

Der ausgefeilte Entwurf liegt zusammen mit zahlreichen weiteren Vorschlägen zur möglichen Regelung der Suizidbeihilfe der Regierung und dem Parlament zur Beratung im Bundestag vor und es ist offen, wie »das „ethische Dilemma“ der Fürsorgepflichten des Staates« (sensu BGM Jens Spahn) gelöst werden wird. Uwe Volkmann, Professor für Rechtsphilosophie und öffentliches Recht an der Goethe-Univ. Frankfurt, prognostizierte in „Gras im Wind?“ (FAZ 6.4.2021, Nr. 79, S. 7) ein „radikal individualistisches Menschenbild, das beliebige Selbstbestimmung in allen Bereichen des Daseins fordere“, und subtitelte: „…der Mensch nicht nur als souveräner Herr seines Lebens, sondern auch und in jeder Beziehung des Todes.“ (wh)

 

Héctor Wittwer (Hrsg.) Sterbehilfe und ärztliche Beihilfe zum Suizid. Grundlagentexte zur ethischen Debatte. Freiburg: Karl Alber, 1. Aufl. 2020, kart., 456 S., ISBN 978-3-495-49155-3, € 39,00.

Mit der vorliegenden Anthologie liegt erstmals ein repräsentativer Band mit achtzehn, seit 1975 verfassten, einflussreichen Texten zur Sterbehilfe und ärztlichen Beihilfe zum Suizid vor, der eine wichtige Quelle zur hochkontroversen Debatte einer menschenwürdigen Kultur des Sterbens ist.

Herausgeber ist einer der renommiertesten Experten der Thematik, Héctor Wittwer, Professor für Praktische Philosophie an der Universität Magdeburg, der 2001 an der HU Berlin mit einer Dissertation über Selbsttötung als philosophisches Problem – über die Rationalität und Moralität des Suizids (mentis, Paderborn 2003) promoviert wurde, (https://www.phi.ovgu.de/Personen/Wittwer.html). Die Einleitung zur Stoffsammlung ist ein philosophisches Propädeutikum zu den gesellschaftlichen Kontroversen um die Zulässigkeit von Sterbehilfe und Suizid-Beihilfe. Zur Orientierung über die Thematik sowie die Ziele und den Aufbau der Anthologie sollte man den Vorspann aufmerksam lesen, denn es gibt viel zu lernen, da Héctor Wittwer meisterhaft den augenzwinkernden Ratschlag seines Kollegen Odo Marquard (1928–2015) befolgt, dass Philosophie immer von der Art sein müsse, dass zumindest der Autor sie versteht.

Wenn der Herausgeber zunächst „[d]ie Entstehung der Probleme und die Argumente für und gegen die Legalisierung der Hilfe zum Sterben“ (S. 11) erläutert und dabei die Hilfe zum Sterben von der Hilfe beim Sterben, also der Sterbebegleitung, unterscheidet, dann zeigt sich die – vielfach nicht beachtete – Notwendigkeit, klar definierte Begriffe in der hochemotional geführten Diskussion zu verwenden. Durch den rasanten Fortschritt der Medizin (Apparatemedizin), die Alterung der Bevölkerung (Demografischer Wandel) und die gesellschaftliche Haltung zur Medizin (Grundsatz der Patientenautonomie) wurde die vielfach geäußerte, aber irreführende – wie Wittwer betont – Forderung nach dem »Recht auf den eigenen Tod« in Zeiten des »Siegeszugs des Prinzips der Selbstbestimmung« (S. 14) immer lauter. Dem angeblichen Recht stand nicht nur traditionell [bis zur Entscheidung des Deutschen Ärztetages im Mai 2021] das Berufsethos der Ärzte entgegen, sondern die Legalisierung der Sterbe- oder der Suizidhilfe widerspricht auch der christlichen Moral und darüber hinaus besteht bei rechtlicher Freigabe der Hilfe zum Sterben ein erhebliches Risiko des Missbrauchs rechtlicher Erlaubnisse und die Befürchtung, dass die Gesellschaft, „sobald sie eine Form der Hilfe zum Sterben zulasse, auf eine schiefe Ebene gerate […]“ (S. 15).

Die weiteren Aspekte betreffen [d]ie Tendenz zur Liberalisierung und den Widerstand gegen sie, wobei die gesetzlichen Regelungen in EU-Ländern, der Schweiz sowie Übersee (USA, Kanada) reflektiert werden. Ferner geht es um [d]ie alte Terminologie zur Sterbehilfe und die mit ihr verbundenen Schwierigkeiten. Sterbehilfe (in Bezug auf ärztliches Handeln) wird unterschieden in aktive und passive, wobei die aktive wiederum in zwei Unterarten, die direkte und indirekte Sterbehilfe differenziert wurde, was vielfach zu Irritationen führte, weshalb Wittwer die Definition von Sterbehilfe (in Bezug auf den Sterbewunsch der Patienten) in die Kategorien freiwillige und nicht freiwillige einteilt und als weiteren Typ unfreiwillige Sterbehilfe nennt. Dabei handelt es sich aber „um ein hölzernes Eisen, also um einen begrifflichen Selbstwiderspruch“ (S. 24), denn, „[d]ie richtige Bezeichnung für die Tötung eines Patienten gegen dessen Willen lautet nicht »Sterbehilfe«, sondern »Mord«“ (S. 25). Es folgen [d]ie neuen Terminologien und das Fortbestehen der sachlichen Probleme, nach der Definition des Nationalen Ethikrats (2006), der die Unterscheidung in folgende vier Begriffe vorschlägt: Sterbebegleitung; Sterbenlassen; Beihilfe zur Selbsttötung und Tötung auf Verlangen (www.ethikrat.org).

Ferner geht der Herausgeber auf die derzeitigen Vorschläge der Bundesärztekammer ein, deren Anpassung an die Berufsordnung für Ärzte nach dem erwähnten Urteil des BVerfG intensiv auf dem Deutschen Ärztetag im Mai 2021 diskutiert wurde mit dem Ergebnis der Streichung des beruflichen Verbots der ärztlichen Suizidhilfe. Weiterhin klärt Héctor Wittwer darüber auf, um welche Rechte es eigentlich bei der Debatte geht. Er unterscheidet zwischen Abwehrechten (engl. liberties) und Anspruchsrechten (engl. claim rights), da beide Positionen unterschiedliche Forderungen nach der Legalisierung der Sterbe-und Suizidhilfe implizieren.

Aufschlussreich ist der Passus, in dem [d]ie Notwendigkeit der Abgrenzung von Sterbehilfe und Beihilfe zum Suizid begründet wird, ausgehend von der Frage, wer wen tötet. „Bei der Sterbehilfe tötet ein Mensch einen anderen Menschen, bei der Selbsttötung ein Mensch sich selbst. „Daher fällt zwar die Sterbehilfe, nicht aber die Unterstützung bei der Selbsttötung unter das allgemein anerkannte Tötungsverbot“ (S. 31).

Wenn im Weiteren die Unterschiede an dem juristischen Begriff der »Tatherrschaft« und schließlich an der sog. freiwilligen vs. nicht freiwilligen Sterbehilfe und der Irrtumsanfälligkeit bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens diskutiert werden, wird die Breite des Dilemmas deutlich. Das sollte nach Wittwer eigentlich getrennt behandelt werden, was traditionell – und deshalb auch hier – nicht erfolgt, aber „[m]an sollte allerdings beim Lesen und Nachdenken stets die Frage stellen, ob bestimmte Argumente auf beide Formen der Hilfe zum Sterben oder nur auf eine der beiden zutreffen“ (S. 33).

Die Zusammenstellung deutschsprachiger und einflussreicher, ins Deutsche übersetzter englischer Texte bietet einen hilfreichen und ausgewogenen Überblick in dem »Dickicht« der Pro- und Kontraargumente von Befürwortern und Gegnern der Zulassung der Hilfe zum Sterben. Die Gliederung erfolgt nach vier Aspekten der ethischen Debatte, beginnend mit der Frage, ob es moralische Unterschiede zwischen Töten und Sterbenlassen gibt? Zweitens geht es um prinzipielle Argumente für und wider direkte aktive Sterbehilfe und ärztliche Beihilfe zum Suizid. Drittens werden Schiefe-Ebene- und Missbrauchsargumente thematisiert, beginnend mit dem mahnenden Beitrag des bedeutenden Philosophen Robert Spaemann (1927–2018) »Es gibt kein gutes Töten« (1997), und viertens folgen vier Aufsätze aus der zeitgenössischen Sicht der ärztlichen Berufsethik.

Die sorgfältig ausgewählten und aufeinander abgestimmten Texte zu restriktiven über gemäßigt restriktive zu gemäßigt liberalen und liberalen Positionen zur Sterbehilfe und zur ärztlichen Beihilfe ermöglichen es jedem, sich ein wohlbegründetes Urteil zum Thema Sterbehilfe zu bilden. Wie die eigenen Vorstellungen über das Ende des Lebens dann auch umgesetzt werden können, ist nach dem Kippen des StGB-§ 217 rechtlich offen, ebenso, ob die in Patientenverfügungen fixierten Vorstellungen im Sterbefall auch realisiert werden.

Aufgrund der Erosion des christlichen Menschenbildes, das ein Verfügungsrecht über das eigene Menschenbild kategorisch ausschließt, und des Zauberworts Selbstbestimmung, das in modernen westlichen Gesellschaften immer lauter tönt, muss man kein kulturpessimistischer Prophet sein, dass der Mensch nicht nur zunehmend nach souveräner Gestaltung seines Lebens strebt, sondern auch in jeder Beziehung des eigenen Todes.

Mögen die Grundlagentexte von vielen aufmerksam gelesen werden, um die gesellschaftlichen und berufsethischen Positionen zu reflektieren und insbesondere die eigene Einstellung verantwortungsbewusst zu hinterfragen und zu verfügen: Man lebt nur einmal. (wh)

 

Norbert Groeben: Sterbenswille. Verteidigung des rationalen Suizids und Sterbebeistands. Darmstadt: wbg Academic, 2020, 212 S., ISBN 978-3-53440513-8, € 24,00.

In der vorliegenden Verteidigungsschrift entwirft Norbert Groeben (*1944), Emeritus für Psychologie (Köln) und Honorarprofessor für Literaturwissenschaften (Heidelberg, Mannheim) einen Modellvorschlag zur Neuregelung des ärztlich-assistierten Suizids. In bestechender Klarheit werden die folgerichtigen Schritte formuliert, die in einer konsequenten Verbindung zur „Mündigkeit von Denken, Fühlen und Handeln“ aus der »selbstverschuldeten Unmündigkeit« (sensu I. Kant) herausführen zu einem liberalen Recht, durch das selbstbestimmtes Sterben realisiert und auf Dauer gesichert werden würde (vgl. S. 10). Am 26.02.2020 hatte das BVerfG nach mehreren Verfassungsbeschwerden mit seinem höchstrichterlichen Urteil das »Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe« (§ 217 StGB von 2015) für verfassungswidrig und nichtig erklärt, da es das Recht des Einzelnen auf ein selbstbestimmtes Sterben „faktisch weitgehend entleert“ (s. BVerfG 2020a, Rn 264).

Der Autor (s.a. Pseudonym Ben Roeg) lobt, dass sich das BVerfG „in einem Riesenschritt an die Spitze einer Entwicklung gesetzt [hat], die in Fortführung der Aufklärung an der persönlichen Autonomie bis zum selbstbestimmten Lebensende festhält“ (S. 7).

In unerwarteter Klarheit führten die Karlsruher Verfassungsrichter in ihrem Urteil aus, dass das im Grundgesetz verbriefte „allgemeine Persönlichkeitsrecht als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben [umfasst] “.

Gleichzeitig betonten sie, dass „[d]as Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch die Freiheit ein[schließt], sich das Leben zu nehmen.

Die Entscheidung des Einzelnen, seinem Leben entsprechend seinem [Hervorhebung wh] Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.“ [s. www.bundesverfassungsgericht.de] In drei Großkapiteln werden die Argumente für rationalen Suizid und Sterbebeistand detailliert unterbreitet, was hier nur skizziert werden kann:

(1) Argumente zur Rechtfertigung des rationalen Suizids In einem faktenreichen historischen Überblick von der Antike bis zur Gegenwart wird am Begriff ‚Selbstmord‘ gezeigt, wie „die darin enthaltene und immer schon gemeinte negative Bewertung“ (S. 12) seit Jahrhunderten perpetuiert wird. Groeben kennzeichnet die „relativ liberal, zumindest pluralistisch[e]“ (S. 13) antike Einstellung zum Suizid, kritisiert die christliche ‚Selbstmord‘- bzw. ‚Unverfügbarkeits‘-Ideologie, legt naturalistische Fehlschlüsse offen, beschreibt die Entkriminalisierung der Selbsttötung als Straftatbestand im PrALR sowie die Pathologisierung als psychische Erkrankung bis zu Nietzsches Rede vom ‚freien Tod‘ (später ‚Freitod‘) und die Selbsttötung als Mittel zur Erreichung politischer Ziele. Auf die kompakte historisch-thanatologische Orientierung zum Suizid folgen Argumente zum Recht auf Selbstbestimmung zum Sterben, das sich seit der Aufklärung „unter Rückgriff auf die zentrale Idee der Autonomie des Menschen“ […] „aus der Bewertung des Suizids als Sünde (gegen Gott und die Menschen) […] gelöst hat“ (S. 22).

Groeben vergleicht die gegenwärtigen Haltungen im Hinblick auf Würde- und Gewaltdefinitionen, um nach einem elaborierten Exkurs zur Willensfreiheit zu einer kohärenten Sichtweise im Hinblick auf die grundgesetzlich garantierten Menschenrechte und die pluralistische Neutralitätspflicht des Staates (vgl. S. 21) zu gelangen. Von besonderer Bedeutung ist, dass das BVerfG in seinem Urteil zum § 217 (s.o.) ferner festgestellt hat, dass sich das Recht auf autonome, willensfreie Suizid-Entscheidung „nicht auf fremdbestimmte Situationen wie schwere oder unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Krankheitsphasen beschränkt. Es besteht in jeder Phase menschlicher Existenz“ (S. 8).

Folgerichtig arbeitet Groeben im Abschnitt Die Pflicht zur Rationalität im Entscheiden vier potentielle Möglichkeiten eines rationalen Suizids unter Reflexion der Innensicht Sterbewilliger heraus, da „Subjektivität […] kein zu tolerierender Mangel, sondern ein essenzielles Merkmal der (Willens-)Freiheit [ist]“ (S. 46; die Suizid-Typen s.u.). Die Schwierigkeiten einer konsensualen Rechtfertigung liegen nach Groeben darin, dass es sich bei der bisherigen Diskussion um ‚Sterbehilfe‘ vorwiegend um Suizidverhütung bzw. -verhinderung handelte, da aus ideologischen Gründen Suizid als verpönt galt und noch gilt. Es gibt viel Aufklärungsarbeit zu leisten, um die einseitige‚Garantenstellung‘ von Ärzten und ihres Berufsethos zu modifizieren und die „Negativ-Metaphern der drohenden Gefahren wie ‚schiefe Ebene‘, (moralische) ‚Anarchie‘ und vor allem ‚Dammbruch‘ in Richtung auf eine (unkontrollierte) Zunahme von Suiziden“ (S. 69, kursiv wh), zu entkräften und einen Wertewandel im Sinne eines assistierten Suizids zu erwirken.

Groeben unterbreitet eine Vorschlagsliste zur empirischen Überprüfung auf der Ebene des Einzelnen (z.B. Dauerhaftigkeit des Suizidwillens; Informiertheit; Realisierbarkeit potenzieller Alternativen) über die gesetzliche Ebene (die Statuten der Ärztekammern; Suizidassistenz, wie Bereitschaft, Verschreibung geeigneter Medikamente, ärztliche Rolle) und die gesellschaftliche Ebene (kulturell-historischer Rahmen; Sicherung u. Weiterentwicklung des ärztlich assistieren Suizids). Mit der aktuellen Entscheidung des Deutschen Ärztetags 2021 ist die Basis für eine freie Gewissensentscheidung des Arztes gelegt, ob er Suizidwillige beim Sterben unterstützen will. (2) Prominent-historische Beispiele selbstbestimmten Sterbens

An jeweils zwei Beispielen der vier Suizid-Typen taucht der Leser in einer Kombination aus konkreter Lebensdokumentation und wissenschaftlich erprobter Erzählstrategie (narrative Realfiktionen) in die emotional ergreifende Innensicht von Suizidenten ein:

• Leidens-Suizid – aufgrund unausweichlich zum ­Tode führender Krankheit, die für die erkrankte Person mit unerträglichen Leiden verbunden ist. Biographie-Beispiel: Hannelore Kohl (1933–2001); Herbert Fux (1927– 2007);

• Bilanz-Suizid – Verlust von Sozialkontakten, das Versiegen aller Lebensenergie und -freude, Abhandenkommen von Lebenssinn. George Eastman (1854–1932); Mellie Beese (1886–1925);

• Präventiv-Suizid – absehbarer Persönlichkeitszerfall, z.B. Verlust der Sprache, der Würde, des Selbstwertgefühls, ,Absprung‘ vor einer Demenz-Erkrankung. Gunter Sachs (1932–2011); Iris von Roten (1917–1990);

• Symbiose-Suizid – Sinnverlust aufgrund des Versterbens eines Lebenspartners; ‚Nachsterben‘. Dora Carrington (1893–1932); Charles Boyer (1899–1978).

Im Kapitel (3) Argumente zur Rechtfertigung des ärztliche-assistierten Suizids geht es um Antworten auf die „christlichen Kassandra-Warnungen“ bezüglich der zu erwartenden negativen gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der Legalisierung des ärztlichen Sterbebeistands. Das BVerfG hat nämlich entschieden, dass „[d]ie Freiheit, sich das Leben zu nehmen, [.] auch die Freiheit [umfasst], hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen“ (Website s.o.).

Groeben liefert empirisch fundierte Begründungen gegen Schiefe-Ebene-Argumente, wie die rechtliche Ausweitungsprognose, die quantitative Dammbruchthese und die soziale Missbrauchsbefürchtung und stellt seinen Modellvorschlag detailliert vor. [s. hierzu auch die 20-min. Lesung des Autors zu Sterbenswille auf wbg-community.de] Ob die „praktischen Schritte in die Moderne“ (lt. Ausblick) mit der gesetzlichen Neuregelung realisiert werden und sich eine Utopie (lt. Nachwort) verwirklichen wird, könnte sich vielleicht schon in dieser Legislaturperiode zeigen. (wh)

 

Herder KORRESPONDENZ SPEZIAL: Komm, süßer Tod. Konflikte am Lebensende. ­ Freiburg: Herder, Ausgabe 2/2017, Broschur, 64 S., ISBN 978-3-451-02730-7, € 14,00.

    Sollte Ihnen die Ausgabe der Herder Korrespondenz mit dem verstörenden Titelbild bekannt vorkommen, täuschen Sie sich möglicherweise nicht. Die Herder-Zeitschrift mit dem paradoxen Titelbild, einem Stillleben mit den christlichen Symbolen für Vergänglichkeit und ewiges Lebenslicht, dem Totenschädel und der brennenden Kerze, sowie der in der Moderne eher verwirrenden, Todes- und Himmelssehnsucht widerspiegelnden Strophenzeile »Komm, süßer Tod « aus dem Abendlied von Sebastian Bach (1685– 1750) erschien schon vor fast vier Jahren. Wenn die Publikation zu Konflikten am Lebensende hier dennoch vorgestellt wird, so liegt das nicht unmittelbar an er Corona-Krise, die seit über einem Jahr das Handeln von Politik, Gesellschaft und jedes Einzelnen beeinflusst. Zwar ist der Tod so präsent wie nie seit der Nachkriegszeit, seit die Rückkehr längst bezwungen geglaubter Seuchen weltweit apokalyptische Szenen auslöst wie in Bergamo, dem Epizentrum der ersten Welle der Corona-Pandemie in Europa, als damals das vergessene Dilemma Triage wieder auflebte. Das einsame – gesichtslose – Sterben auf Isolationsstationen ist seitdem täglich medial präsent. Während der wissenschaftliche Wettlauf um wirksame Vakzine erfolgreich verläuft, schwelen emotionsgeladene Kontroversen um Massenimpfungen und Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wie Shutdowns und Lockdowns. Das Thema Sterben und Tod prägt die Tagespolitik und das Tagesgeschehen, so dass die FAZ-online vom 18.04.2021 titelte „Aus Angst vor dem Sterben haben wir aufgehört zu leben“. Aber es ist nicht die aktuelle pandemische Bedrohung, die die Lektüre des Korrespondenz Spezial von 2017 so interessant macht, sondern die Zeitlosigkeit des Themas Sterben und Tod, die Frage wie »humanes Sterben« aussieht. Denn der Mensch ist »das Tier, das zu viel weiß« (sensu Jan Assmann). Sein spezifisches Humanum, das Wissen um die Endlichkeit des eigenen Seins, prägt seit jeher seinen Umgang mit dem Tod.

    Der Religionssoziologe Michael N. Ebertz (Freiburg/Brsg.) beschreibt die Eschatologie, die religiösen Vorstellungen von den Letzten Dingen in der christlichen Kirche, das »Chaos im Jenseits«. Längst sind die eschatologischen Lehren zur Triade von Himmel-Hölle-Fegefeuer durch den gesellschaftlichen Zivilisationsprozess ins Wanken geraten, wird „der christlichen Heils- und Erlösungsbotschaft, ja der Kirche überhaupt, die Plausibilitätsbasis, gewissermaßen der Resonanzboden, weiter entzogen“ (vgl. S. 12). Die Folge: nur ein Drittel der Kirchenmitglieder glaubt an die Hölle; aber daran, „[d]ass ihre Seele weiterlebt, glauben die meisten, irgendwie, irgendwo, irgendwann“ (S. 12). Der Tod wird kaum noch gefürchtet, aber das Sterben! Obwohl sich die Voraussetzung für die Sterbehilfe seit Februar 2020 durch das BVerfG-Urteil der Verfassungswidrigkeit des § 217 (Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung) geändert hat, ist das Streitgespräch zwischen dem Psychiater und Theologen Manfred Lütz (Köln) und dem Philosophen Dieter Birnbacher (Düsseldorf), damals Präsident, heute Vizepräsident, der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben, ein lehrreiches Beispiel für den Austausch divergierender ethischer Positionen in der Frage des humanen Sterbens und der Grenzen des Handelns bei der Sterbebegleitung. Der Gegensatz zwischen der christlich geprägten Perspektive und der sich für die Selbstbestimmung am Lebensende engagierenden DGHS, einer Bürgerrechts- und Patientenschutz-Organisation, die dem Gedanken der Aufklärung und des Humanismus verpflichtet ist, dürfte sich auch in der angelaufenen Bundestagsdebatte zum assistierten Suizid widerspiegeln.

    Zum gleichen Thema, zu Palliative Care und assistiertem Suizid, nehmen auch die erfahrenen Lausanner Palliativmediziner Gian D. Borasio und Ralf J. Fox Stellung, die 2017 den StGB § 217 (von 2015) als »Ein unmenschliches Gesetz« bezeichneten und mit dieser Einschätzung durch das BVerfG-Urteil von 2020 bestätigt wurden. Die Rezension zu ihrem gemeinsam mit zwei weiteren Autoren entwickelter Gesetzesvorschlag finden in diesem fachbuchjournal (s. S. 34f.).

    Wie Transhumanisten an die bizarr anmutende »Abschaffung des Todes« glauben und dass auch das Christentum das Ideal der Vervollkommnung des Menschen kennt, beschreibt der Fundamentaltheologe und Vergleichende Religionswissenschaftler Johannes Grössl (jetzt Univ. Würzburg).

    Es lohnt sich die vorgestellten und zahlreiche weitere abwechslungsreiche Beiträge zu lesen, z.B. über »Ralf und die Himmelsleiter«. Darin schildert die Pädagogin Birgit Halbe, Jugendtrauer- und seelsorgerische Begleiterin in einem Kinder- und Jugendhospiz in Olpe, ihre Erfahrungen des bewegenden Umgangs von Kindern mit Sterben und Tod.

    Ferner geht es um das Leben rettende Vermächtnis von »Organspenden«, über das der Emeritus für Moraltheologe Konrad Hilpert (München) kritisch berichtet und dafür wirbt. Auch die Diskussion um die hohen» Gesundheitsund Pflegekosten am Lebensende«, die der katholische Theologe Markus Zimmermann (Univ. Fribourg, CH) erläutert, fehlt ebenso wenig wie ein Beitrag zum »Gleitflug ins Licht«, der den mageren empirischen Wissensstand über Nahtoderfahrungen reflektiert.

    Neben den hier nicht näher skizzierten Abhandlungen über »Befreites Lachen« im Umgang mit der Endlichkeit bei frühen Christen sowie Gedanken über »Auferstehung heute«, »christliches Märtyrertum«, »Wiedergeburt« sowie »Trost am Grab: Wenn die Worte fehlen« und »Bestattungskultur im Wandel: Pietät und Prosecco« sei besonders auf die beeindruckenden Portraits und Stillleben des Leipziger Kunstmalers Michael Triegels (*1968) hingewiesen, die den Band illustrieren und zu einer Einübung in die Ars moriendi einladen, wie der Jesuit Georg Maria Roes, Künstlerseelsorger des Erzbistums Berlin in seiner Werkbetrachtung »Von Romantik keine Spur« zeigt. Fazit: Nach wie vor höchst lesenswert! (wh)

     

    Prof. Dr. Dr. h.c. Winfried Henke (wh) war bis 2010 Akadem. Direktor am Institut für Anthropologie, Fachbereich 10 (Biologie), der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er ist Mitglied der Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften und der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

    henkew@uni-mainz.de

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