Betriebswirtschaft

Führung.

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2023

Niki Lauda war nicht nur Rennfahrer, er war auch Unternehmer. Lauda verfügte über Weitblick und brachte es gern so auf den Punkt: „Als Zwerg muss man das tun, was die Riesen nicht können.“ Wie wahr, denn manchmal muss man es einfach anders angehen, neue Dinge ausprobieren. Dies gilt auch für die Führung von Unternehmen. Zum Beispiel für die Personalauswahl: Junge Menschen müssen nicht wie vor einigen Jahren hart darum kämpfen, eine Stelle zu finden. Heute ist es umgekehrt, im „War of Talents“ müssen sich die Unternehmen viel einfallen lassen, damit gute Köpfe sich überhaupt bei ihnen bewerben. Die Führung von Menschen braucht neue Skills. Das Verständnis von Führung ist im Wandel. Darum geht es in diesen zwei Büchern.

 

Baumann-Habersack, Frank, Mit transformativer Autorität in Führung: Die Führungshaltung für das 21. Jahrhundert, 3. Aufl., Springer-Gabler-Verlag, 2021, 193 S., ISBN 978-3-658-33613-4. € 39,99.

Sichart, Astrid/Sichart, Silke, Führen in der Krise: Vom Umgang mit Unsicherheit – Interviews, Impulse und Orientierungen, Haufe-Verlag, 2021, 365 S., ISBN 978-3-648-14808-2. € 29,95.

„Panta Rhei!“. Der griechische Philosoph Heraklit wusste es schon vor über 2500 Jahren: Alles ist im Fluss. Kaum ein betriebswirtschaftlicher Bereich ist derart im Umbruch wie die Unternehmensführung. Mitarbeiter müssen sich neuen Aufgaben und Herausforderungen stellen, ihre Einstellung zu ihrem Arbeitgeber ändert sich. Digitalisierung, Demografie und Globalisierung beeinflussen die Führung von Unternehmen, sie tragen zum Entstehen von Ansätzen wie New Work oder Agile Leadership bei.

Frank Baumann-Habersack beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema „Führung“, insbesondere mit transformativer Autorität. Er bezeichnet sich als Autoritätsforscher und Publizist und betreibt als unabhängiger Wissenschaftler an der Universität Bremen Grundlagenforschung. Führung ist sein Steckenpferd, die er im Zusammenhang mit Autorität und Konflikten untersucht. Baumann-Habersack ist gelernter Bankkaufmann, Betriebswirt, Arbeitswissenschaftler und ausgebildet in systemischer Familientherapie sowie Supervision und finanziert sein Leben als Mediator, Berater und Publizist.

Er behandelt in dem Buch den Übergang von der traditionellen Autorität zur transformativen Autorität. Dazwischen liegt das VUCA-Umfeld mit seinen Bestandteilen Volatility (Volatilität), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Ambiguität). Baumann-Habersack ordnet die Dinge klar ein: Für ihn gibt es auf der einen Seite die überholte, industrielle Welt mit ihrer „autoritären Autorität“ in Führung und Management. Auf der anderen Seite befindet sich die neue, digitale (VUCA-geprägte) Welt, die eine neue Haltung von Führungskräften erfordert. Der Verfasser sieht bei dem Übergang von traditioneller Autorität zu transformativer Autorität folgende Entwicklungen:

• Von Fachwissen zu Beziehungswissen (Emotionale Intelligenz).

• Von Misstrauen und Kontrolle zu Vertrauen.

• Von belasteten Beziehungen (Distanz) zu Präsenz.

• Von Vereinzelung und Konkurrenz zu Vernetzung und Kooperation.

• Von Handlungsdruck zu Deeskalation und Beharrlichkeit.

• Von Unterordnung und Gehorsam zu Gleichwertigkeit und Autonomie.

• Von Eskalation und Vergeltung zu Ausgleich und Wiedergutmachung.

• Von Intransparenz (Entscheidung, Vorgehen) zu Transparenz.

Der Autor sieht die Führung in der Sackgasse: Der klassische Führungsstil „alter Haudegen“ stößt bei Generation Y und Generation Z auf taube Ohren. Baumann-Habersack beschreibt, was Autorität für ihn bedeutet und wie es sich in diesem Kontext mit Bürokratie, Macht, Gewalt und Herrschaft verhält. Wie die Persönlichkeit Einfluss auf die Autorität ausübt, welche Rolle das Wertesystem spielt und wie man durch falsche Führung in eine Systemfalle tappt. Außerdem geht er auf den Einfluss der Familie im Wandel der Zeit ein: Vom Patriachat zu postheroischen Patchwork-Eltern. Dann leitet er auf die Bedeutung für Unternehmen über, wenn dort eine flexible, kommunikationsstarke und kritische Generation einzieht. Eine Generation, die aber selbst noch die Spuren einer „autoritären Persönlichkeit“ in sich spürt.

Baumann-Habersack liebt Vergleiche und drückt sich dabei auch gerne pointiert aus. Am Beispiel Schule nennt er das „Von der Rohrstock- zur Kuschelpädagogik“. Bezogen auf die Wirtschaft heißt es „Von den Gründervätern zu agilen Netzwerken“. Auch geht er der Bedeutung historischer Entwicklungen nach: Welchen Einfluss haben Weimarer Republik und die beiden Weltkriege auf Führung und Autorität? In seinem Hauptkapitel berichtet er ausführlich, wie die transformative Autorität „in Aktion tritt“. Für ihn ist Führung eine Frage von Beziehung und Haltung. Die transformative Autorität ist eine echte Führungshaltung, sie ist nicht bloß ein Führungsstil. Ihr Fundament besitzt sieben Elemente: Präsenz, Selbstführung, Führungskoalition, Ausgleich (Wiedergutmachung), Transparenz, Beharrlichkeit und Deeskalation sowie Reflexion. Diese Parameter entscheiden über die Art der Führung.

Um diese sieben Elemente schließt sich ein „äußerer Ring“. Er unterstützt die Führungskraft, Dinge systematisch zu reflektieren. Der Ring besitzt wichtige Bausteine. Dazu zählen emotionaler Erregungsgrad, Persönlichkeit, Biografie (Rollenmodelle), Werte und Wissen. Am Beispiel Selbstführung erklärt er die Notwendigkeit, Kontrolle zu sichern und Selbstkontrolle auszuüben. Er benennt auch mögliche Grenzen der Selbstführung (fehlende Kongruenz, neue Entfremdung, neue Distanz).

Jedes der sieben Elemente besitzt hilfreiche Kompetenzen. Für die Selbstführung sind dies reflektierte Persönlichkeitsmerkmale und Werte, emotionale Intelligenz, Konfliktlösungskompetenz, reflektierte Biografie und regelmäßige Achtsamkeitspraktiken. Aus diesen Kompetenzen leitet der Autor so genannte Entwicklungspfade für Führungskräfte ab. Für die emotionale Intelligenz sind dies:

• Selbstwahrnehmung: Eigene Gefühle erkennen und benennen.

• Selbstregulierung: Mit den eigenen Gefühlen umgehen.

• Selbstmotivation: Impulse in die Tat umsetzen.

• Empathie: Gefühle anderer erkennen und benennen.

• Soziale Kompetenzen: Gefühle anderer einbeziehen.

Am Ende blickt Baumann-Habersack in die Zukunft. Für ihn kristallisieren sich zwei Organisationsformen heraus. Die erste ist die Fluide Organisation. Unternehmen setzen ihren Mitarbeitern keine festen Grenzen, die Beteiligten wirken zusammen und stehen in wechselseitigem Austausch. Die Prozesse sind geprägt von Transparenz und Zuverlässigkeit. Die zweite Organisationsform ist die Caring Company: Unternehmen binden ihre Mitarbeiter besonders stark an sich, indem die Menschen sich darin individuell entwickeln. Weiterbildung, flexible Arbeitszeiten, lukrative Sozialleistungen und individuelle Förderpläne sind in der Caring Company selbstverständlich. Arbeit und Freizeit verschmelzen für den Mitarbeiter, sie entwickeln sich in Richtung „Corporate Life“.

Die Gedanken sind eine Weiterentwicklung eines Ansatzes, der sich „Neue Autorität“ nennt. Der Autor wendet sich mit seinem innovativen und akademisch anspruchsvollen Buch an interessierte Führungskräfte, Wissenschaftler und Studierende höherer Semester. Wer sich einen konkreten Ratgeber wünscht, sollte die Finger davon lassen, denn die unmittelbare Übertragbarkeit der Aussagen ins betriebliche Umfeld und in die Praxis sind begrenzt. So werden beispielsweise keine Arbeitsschritte benannt, wie eine transformative Autorität im Unternehmen konkret umgesetzt werden kann. Aber dieses Ziel verfolgt der Grundlagenforscher Baumann-Habersack auch nicht. Er möchte mit seinem Buch aufzeigen, was in Sachen Führung falsch läuft und wie es mit transformativer Autorität besser gehen könnte. Er möchte zum Nachdenken anregen und eine Basis für Diskussionen schaffen. Wer sich darauf einlässt und den Blick aus der Vogelperspektive schätzt, wird seine Freude an dem Buch haben.

Die beiden Autorinnen von „Führen in der Krise“ kennen sich bestens, schließlich sind sie Schwestern. Astrid Sichart ist Organisationsberaterin und Coach. Sie arbeitet in eigener Praxis als Paar- und Familientherapeutin und berät Unternehmen. Silke Sichart ist ebenfalls Organisationsberaterin. Zusätzlich bezeichnet sie sich als Führungstrainerin und Coach. Sie gründete vor einigen Jahren ein kleines Beratungsunternehmen.

Die Grundthese von Sichart und Sichart lautet, dass „die Welt aus den Angeln gehoben wurde“ und das bisherige Toolset der Führung nicht mehr greift. Im Gegensatz zu Herausgeberschriften haben sie sich nicht unmittelbare Unterstützung durch Co-Autoren geholt. Sie gehen einen anderen Weg: Sie führten viele Interviews, die sie wortgetreu in ihrem Buch wiedergeben. Dabei handelt sich nicht immer um das klassische Frage-Antwort-Spiel, z.B. erzählt ein Geschäftsführer einfach munter drauf los, was er unter Führung versteht. Allerdings ist dies beileibe nicht so unstrukturiert, wie es sich anhört. Der Interviewpartner ist gut vorbereitet und lotst zielsicher durch das Gespräch. Eine weitere Interviewpartnerin erzählt, was Bosch unter Führung versteht und welche Lehren das Unternehmen aus der Corona-Pandemie gezogen hat. Auch andere Interviewpartner kommen von großen Unternehmen, wie Abbott (in englischer Sprache) oder Lufthansa. Es tauchen aber auch Vertreter anderer Organisationstypen auf, wie die Leiterin einer Altenhilfe, der Chefarzt einer Kinderklinik, ein Hochschullehrer und ein Schulleiter. Die beiden Autorinnen greifen wichtige Stichwörter aus diesen Gesprächen auf und verweisen auf Kapitel, wo sich dazu allgemeine Erläuterungen finden.

„Führen in der Krise“ geht weit über die Wiedergabe von Interviews hinaus. Das Buch ist in neun Abschnitte unterteilt, die Interviews sind darin eingeflochten. Den meisten Platz nimmt das Kapitel „Führung neu denken“ ein. Da ihrer Meinung nach die Führung selbst in eine Krise geraten ist, ein besonderer Trigger war die Pandemie, benennen Sichart und Sichart eine Vielzahl von Möglichkeiten, wie man auf die Krise reagieren kann. Sie raten, Unsicherheiten und Widersprüche aushalten. Weiter berichten sie, wie Empowerment, Empathie, Motivation, Führung auf Distanz, Resilienz, Innovationsförderung, Teamstabilisierung und Selbstorganisation dazu beitragen, auf die Krise zu reagieren.

Am Beispiel Führung auf Distanz lautet der Vorschlag, Sitzungen aus dem Homeoffice mit einem täglichen Check-in und Check-out zu beginnen. Weiter empfehlen sie ein gemeinsames virtuelles Mittagessen/Kaffeetrinken, virtuelle Überraschungs-Blind-Dates mit Kollegen, Retrospektiven, virtuelle Escape Rooms und Spiele. Und sie beschreiben, wie das virtuelle Meeting gelingen kann: Zum Einstieg eine kurze Runde, in der man von jedem Teammitglied die Stimme hört, Break-out-Sessions in Kleingruppen, Murmelgruppen zu zweit, Blitzlichtrunden, Foto-Methode, direkte Ansprache der Teammitglieder und Hacks für lebendige, virtuelle Meetings. Da verweisen sie auf ein eigenes Kapitel, in dem sie verraten, was Hacks in virtuellen Meetings sind. Gemeint ist ein Ansatz des Improvisationstheaters Hamburg, speziell entwickelt während der Pandemie. Hacks sollen den virtuellen Teams Spaß bereiten. Die Idee folgt einem eher spielerischen Aufbau, der in dem Buch gut nachvollziehbar beschrieben wird.

Hacks sind aber nur ein mögliches Format für lebendige, virtuelle Meetings. Eine andere Form ist die Foto-Methode: Teams zeigen sich zu Beginn eines virtuellen Meetings gegenseitig eine bunte Mischung aus Fotos, um den Austausch locker zu beginnen. Eine weitere Möglichkeit ist die Wahl der Retrospektive, wenn ein gemeinsamer Rückblick auf die Zusammenarbeit im Team während der letzten Wochen gegeben wird. Ziel der Retrospektive ist es, konkrete Verbesserungen für die Zusammenarbeit und den Arbeitsprozess zu vereinbaren.

Interessant ist auch die Walt-Disney-Methode, die sie konkret beschreiben und die von Robert Dilts stammt, der dem Filmproduzenten und Zeichentrickvisionär Disney diese drei Charaktereigenschaften zuschreibt. Dazu braucht man im Team drei unterschiedliche Rollenbesetzungen: Den Träumer (Visionär), den Realist (Praktiker) und den Kritiker. Nicht fehlen dürfen natürlich die Fuck-up-Nights. Die Methode ist beliebt in der Start-up-Community, wenn junge Unternehmer den Mut haben, öffentlich von ihren Fehlern und ihrem Scheitern zu berichten. In einem weiteren Hauptkapitel geht es um die Bedeutung der Kommunikation für die Führung. Dazu verweisen sie auf das bekannte Eisberg-Modell. Direkt wahrnehmbar („über Wasser“) sind Worte, Mimik und Gestik. Aber Kommunikation ist mehr, im Verborgenen („unter Wasser“) finden sich Einstellungen, Erfahrungen, Ziele, Kultur, Bedürfnisse und Werte. Außerdem beschreiben sie die Relevanz von Power Posing, d.h. wie beeinflusst die Körperhaltung die Kommunikation (Motto: „Fake it till you become it!“). Und sie beleuchten die Bedeutung von Status und Sprache und warnen vor „False Friends“ in der Kommunikation. Beispiele dafür sind ungefragte Tipps und Ratschläge, Verantwortung für eine Lösung übernehmen („mir wird schon was einfallen“), Sprüche („kommt Zeit, kommt Rat“), von oben herab nachzufragen („passiert dir das öfter?“) oder abmildern („das ist doch nicht so schlimm“). Beschrieben wird, wie aktives Zuhören aussehen sollte:

• Zuhören: Aufmerksam sein, Blickkontakt.

• Verständnis absichern: Wichtige Aussagen mit eigenen Worten zusammenfassen („hab ich dich richtig verstanden, dass …?“).

• Gefühle verstehen: Zwischen den Zeilen hören und verbalisieren („… und das nervt dich, stimmt’s?“).

„Führen in der Krise“ wurde mit Leidenschaft, Begeisterung und Hingabe geschrieben. Sichart und Sichart brennen für ihre Sache. Glücklicherweise besitzen sie auch Humor und schreiben zum Teil echt witzig. Dabei ist es alles andere als banal. Die Verweise auf wissenschaftliche Studien bauen sie geschickt in den Text ein. Dadurch ist eine spannende Mischung aus akademischer Ummantelung und pragmatischer Umsetzung entstanden. Das Buch ist als praktischer Ratgeber zu empfehlen. Es finden sich darin viele Anregungen, wie Teams besser zusammenarbeiten können. (hw)

Prof. Dr. Hartmut Werner lehrt Controlling und Logistikmanage­ ment an der Hochschule RheinMain (Wiesbaden Business School).

Hartmut.Werner@hs-rm.de

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