Zeitgeschichte

Die DDR im Blick der Stasi 1956. Die geheimen Berichte an die SED-Führung.

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 4/2017

Die DDR im Blick der Stasi 1956. Die geheimen Berichte an die SED-Führung. Vandenhoeck & Ruprecht, 2016. 320 Seiten mit zahlr. Tab. und Online-Zugriff auf alle Berichte, gebunden, ISBN 978-3-525-37506-8. € 30,00

Das Jahr 1956 bot für den real existierenden Sozialismus in der DDR einiges, wodurch dessen reale Existenz und sogar die der DDR selbst tödlich bedroht war: Entstalinisierung in der Sowjetunion, Unruhen in Polen, ungarische Revolution. Es gab aber auch weitere einschneidende Ereignisse, die eher auf Stabilisierung deuteten, wie die Umwandlung der Kasernierte Volkspolizei genannten Armee in die Nationale Volksarmee mit Uniformen und Gepränge, wie sie der deutschen Tradition entsprachen und in deren Verlauf der SED-Funktionär Stoph plötzlich als Verteidigungsminister in der Uniform eines Generalobersten erschien.

Der Band zeigt zum einen, dass die Bewältigung dieser „komplizierten“ Lage, wie der sozialismusinterne Fachausdruck für Bedrohliches lautete, weniger am Wirken der Staatssicherheit als vielmehr daran lag, dass sich der äußere Kontext änderte. Die Entwicklung in der Sowjetunion kam durch genaues Kalkül, das eine gewisse Offenheit bewahren konnte, in ein ruhigeres Fahrwasser, ebenso die in Polen, nur in Ungarn kam es zum Aufstand, der durch das sowjetische Militär blutig unterdrückt wurde. Das zeigte die Grenzen der Lockerung auch für die SED- und DDR-interne Opposition, wodurch gegen Ende des Jahres die bisherigen Herrschaftsverhältnisse sogar stabilisiert werden konnten.

Für die zukünftige DDR-Forschung bietet der Band zum anderen die neue Erkenntnis, dass die intellektuellen Bewegungen in der DDR nicht der Hauptgegenstand der MfS-Beobachtung waren, die doch im Westen vor allem im Zentrum stand, vieles, was dann erst 1957 aktuell wurde, fand jetzt noch keine Beachtung. Manches ist schwer festzuhalten, so die Eindrücke, die der Rezensent in Leipzig im Sommer 1956 erlebt hatte und die zeigten, wie sehr sich die allgemeine Atmosphäre geändert hatte und Freiheitlicheres in der Luft lag; mehr allerdings nicht, es gab auch Gegenläufiges. Das MfS interessierte sich weitaus mehr für die Vorgänge innerhalb der Arbeiterschaft, die mit zunehmenden Protesten und Streiks in der Tat lebendiger und daher gefährlicher waren als bisher gemeint wurde. So erweist sich der vorliegende Band in besonderer Weise als ein unverzichtbarer Bestandteil der Erforschung der deutschen Nachkriegsgeschichte. (ws)

Prof. Dr. Wolfgang Schuller (ws) ist Althistoriker und Volljurist.1976 folgte er einem Ruf als Ordinarius an die Universität Konstanz, wo er bis zu seiner Emeritierung Anfang 2004 als Lehrstuhlinhaber für Alte Geschichte blieb.

wolfgang.schuller@uni-konstanz.de

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