Landeskunde

Zwischen Elitenkultur und bürgerlicher Kultur

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2019

Die Kultur Japans vor der Modernisierung des Landes erfreut sich bis heute eines großen Interesses – in Japan und im Ausland. In den letzten Jahren kam es im deutschsprachigen Raum zu einer ganzen Reihe von Ausstellungen, in denen sich die Besucher einen unmittelbaren Eindruck vom kulturellen Reichtum Japans verschaffen konnten. In der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München ging es im Frühjahr 2019 um die „Samurai“ und die „Pracht des japanischen Rittertums“. Präsentiert wurden Rüstungen und Schwerter aus der Sammlung von Ann und Gabriel Barbier-Mueller. Noch bis April 2020 zeigt das Museum Fünf Kontinente in München die Sammlung des großen Japan-Forschers Philipp Franz von Siebold (1796–1866). Sammlungen sind es auch, die vor kurzem zwei weitere Ausstellungen in Freiburg und Wien ermöglichten: In Wien wurden im Frühjahr 2019 Zeugnisse der SamuraiKultur aus der Sammlung der Familie Hosokawa präsentiert, und in Freiburg waren im Jahre 2018 Holzschnitte aus der Sammlung des Ethnologen Ernst Grosse (1862– 1927) zu besichtigen. Wer keine Gelegenheit hatte, diese beiden Ausstellungen selbst zu besuchen, der hat nun die Möglichkeit, sich bei der Durchsicht zweier reich illustrierter Kataloge von der japanischen Ästhetik verzaubern zu lassen. Beide Bände dokumentieren nicht nur die ausgestellten Werkstücke, sondern bieten anhand der einführenden Essays auch Einführungen in Aspekte der japanischen Kulturgeschichte vor der Moderne.

Bettina Zorn (Hrsg.), Die Eleganz der Hosokawa. Tradition einer Samurai-Familie. München/Wien: Hirmer Verlag/Weltmuseum Wien 2019

Anlass der Wiener Ausstellung war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und Japan vor 150 Jahren. Wie die Herausgeberin in einem eigenen Beitrag erläutert, verfügte das Weltmuseum bereits über Bestände aus Japan, darunter alte Karten aus der Edo-Zeit und Aquarelle mit Portraits von Kriegerfürsten aus der Familie der Hosokawa. Diese gehört, wie Takeshi Ka­ neko in einem kurzen Überblick zur Familiengeschichte zeigt, seit dem 14. Jahrhundert zu den politisch einflussreichsten Familien in Japan. In der Edo-Zeit wurde ihre Loyalität den Tokugawa gegenüber großzügig honoriert. Die Hosokawa konnten ihren Besitz auf der südlichen Insel Kyûshû nahezu verdoppeln. Heute wird die Familie von ihrem 18. Oberhaupt Hosokawa Morihiro repräsentiert, der 1993/94 für kurze Zeit Ministerpräsident Japans war, sich im Alter von 60 Jahren aber aus der Politik zurückgezogen hat, um sich ganz der Kunst zu widmen, und zwar wie seine Vorgänger: als Sammler und als Künstler. Nur selten hat die Familie wirklich häretische Gestalten hervorgebracht; am ehesten zählt noch Gracia Hosokawa dazu, die Ende des 16. Jahrhunderts zum Christentum konvertierte, sich dem Druck, dem Christentum abzuschwören, nicht beugte und unter nicht ganz geklärten Umständen starb. Als treue Katholikin wird sie später unter anderem in österreichischen Jesuitendramen, wie Irene Suchy in ihrem Essay zeigt, entsprechend verehrt. Sie stellt in ihrer Person zweifellos einen interessanten Bezug zu Österreich her.

Der eigentliche Katalogteil widmet sich drei unterschiedlichen Aspekten der Hosokawa. Im ersten Teil geht es um die Familie der Hosokawa, die zum hohen Kriegeradel gehörte. Die Samurai (oder bushi) waren eine sozial recht heterogene Schicht. Mit Hilfe der guten Kommentare lassen sich die Abbildungen über Rüstungen, Schwerter, Waffenröcke und Militärbanner vorzüglich studieren. Die Schwerter mit ihren wertvollen Stichblättern, heute begehrte Objekte von Sammlern, wurden erst ab dem 16. Jahrhundert mit der Vergrößerung der Infanterie eingesetzt und waren die Waffen für den Nahkampf. Bis dahin waren Pfeil und Bogen zusammen mit den Schwertlanzen die wichtigsten Waffen der Samurai. Der zweite Teil des Katalogs ist dann den Hosokawa als Sammlern und Künstlern gewidmet. Der größte Teil der Sammlung wurde in der Edo-Zeit zusammengetragen. Heute ist es aber nicht nur der Bestand an Bildern im japanischen und westlichen Stil, sondern auch die Rolle der Hosokawa als Künstler selbst, der die Familie ihren Ruf verdankt. Die Keramik Hosokawa Morihiros verkörpert in nahezu vollkommener Weise die ästhetischen Ideale Japans, die sich nicht nach dem Perfekten ausrichten, sondern in der archaischen Unvollkommenheit der Objekte zum Ausdruck kommen. Der abschließende Teil widmet sich dem Nô-Theater und der Teezeremonie; aus beiden Bereichen haben die Hosokawa über Jahrhunderte hinweg Masken und Kostüme, Schalen und Kessel zusammengetragen. Auffällig ist hier, wie sich der Geschmack des Kriegeradels dem Hofadel angenähert hat, denn das Nô-Theater war in seinem dramatischen Raffinement ursprünglich nicht Sache der Krieger, die gemeinhin als roh und an Kultur nicht interessiert galten. Der schöne Katalog zeigt, dass die Samurai durchaus auch einen Sinn für das Schöne hatten.

 

Hans Bjarne Thomsen für die Städtischen Museen Freiburg, Museum Natur und Mensch (Hrsg.), Japanische Holzschnitte aus der Sammlung Ernst Grosse/ Japanese Woodblock Prints from the Ernst Grosse Collection. Petersberg: Michael Imhof Verlag 2018

Den besten Zugang zum Ausstellungskatalog der Städtischen Museen Freiburg bietet die luzide Einführung des Herausgebers Hans Bjarne Thomsen, Professor für Kunstgeschichte Ostasiens an der Universität Zürich. Er zeichnet die Geschichte des Holzschnitts in Japan nach. Ursprünglich gelangten Holzschnitte aus China nach Japan und enthielten buddhistische Texte. Erste japanische Drucke sind für das Jahr 764 nachgewiesen. Druckwerkstätten in den buddhistischen Tempeln versorgten den Klerus und die Gläubigen mit Texten, die zunehmend von Bildern illustriert wurden, welche man von Hand kolorierte. Die buddhistischen Wurzeln der Holzschnitte verweisen auf den Aspekt der Vergänglichkeit, der sich im Begriff der „ukiyo-e“ (Bilder der fließenden Welt) noch erhalten hat. Indes, faktisch hatten sich die Bilder aus der EdoZeit (1603–1867), die wir heute mit dem Begriff „ukiyo-e“ bezeichnen, von den religiösen Konnotationen gelöst. Der Begriff zielte in Japans früher Neuzeit eher auf die Welt der Theater und Vergnügungsviertel in den wachsenden Städten. Die Käufer der Holzschnitte waren demzufolge weniger Mitglieder des Klerus oder Angehörige des Hofoder Kriegeradels, sondern vor allem die wohlhabenden Kaufleute und Bürger Edos oder Ôsakas. Die farbigen Holzschnitte, deren Themen Landschaften und Jahreszeiten, Kurtisanen und Schauspieler umfassten, beschränkten sich aber nicht nur auf die künstlerische Gestaltung des Alltagslebens (die Sexualität eingeschlossen), sondern hatten als Plakate oder Werbeanzeigen auch einen ganz praktischen Nutzen. Eine große Zahl von Holzschnitten hat der Ethnologe, Philosoph und Kunstexperte Ernst Grosse zusammengetragen, der seit 1895 als Professor an der Universität Freiburg wirkte. Sein Schaffen und seine Rolle im Rahmen der Museumstheorie und –praxis wird in zwei weiteren Beiträgen von Tilmann von Stockhausen und Stefanie Schien ausgeleuchtet.

Der Katalogteil des zweisprachigen Bandes ist thematisch gegliedert. Auf der linken Seite finden sich Angaben über den Künstler, die Werkreihe, den Verleger, das Format, die Datierung und die Provenienz der einzelnen Arbeiten. Alle Drucke unterlagen zur Zeit der Tokugawa-Herrschaft der Zensur. Darunter folgte in zwei Spalten ein kunsthistorischer Kommentar mit Erläuterungen zum Bildmotiv und der Art der Gestaltung. Diese Kommentare sind auch für Laien eingängig geschrieben und ausgesprochen lehrreich. Auf der rechten Seite folgen dann die ganzseitigen Abbildungen der Holzschnitte. Der erste Abschnitt des Katalogteils widmet sich den Themen „Land und Meer“. Hier finden sich die vielleicht schönsten Abbildungen des Bandes, darunter Hokusais (1760–1849) bildliche Gestaltung eines Gedichts des Kaisers Tenchi (626–671). Es zeigt Menschen bei der herbstlichen Reisernte. Weiter geht es mit einem Abschnitt über die Frauen, in dem vor allem die Abbildungen von Geishas und Kurtisanen hervorstechen. Letztere waren Stilikonen ihrer Zeit. Luxuriöse Holzschnitte, die aus Anlass des Neujahrfestes oder einer Hochzeit angefertigt wurden, bilden ein weiteres Kapitel. Das beliebteste Genre der japanischen Holzschnitte stellten hingegen Schauspieler- portraits dar, und zwar nicht von Schauspielern des aristokratischen Nô-Theaters, sondern des bürgerlich-städtischen Kabuki. Wenn ein Star die Bühne wechselte, wurde das häufig mithilfe eines Holzschnitts angezeigt. Aber nicht nur die Freuden des Alltags wurden in den „ukiyo-e“ dargestellt, sondern auch der Hang der Menschen jener Epoche zum Übernatürlichen, zu Gespenstern und Fabelwesen. Das letzte Kapitel des Bandes illustriert schön die historischen Wurzeln der Holzschnitte, wobei die Vorliebe für Darstellungen des Tigers ins Auge fällt. Er galt als Symbol für Kraft und Männlichkeit. Ansonsten ist dieses Kapitel, im Vergleich zu den vorhergehenden thematisch eher heterogen und in sich nicht wirklich stimmig. Das mindert den insgesamt sehr guten Eindruck, den das Buch hinterlässt, keineswegs. Abgeschlossen wird der Band mit einem Anhang, der unter anderem kurze Biographien der Künstler und ein hilfreiches Glossar enthält. Kaum ein anderes Buch führt im Moment so kenntnisreich und anschaulich in die japanische Holzschnittkunst des 18. und 19. Jahrhunderts ein wie dieser schöne Katalog. ●

Wolfgang Schwentker (wsch) ist Professor em. für vergleichende Kultur- und Ideengeschichte an der Universität Osaka und Mit­ herausgeber der Neuen Fischer Weltgeschichte.

schwentker@hus.osaka-u.ac.jp

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