Recht

Zivilprozessrecht

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2022

Musielak, Hans-Joachim / Voit, Wolfgang, (Hrsg.), Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz, Verlag Franz Vahlen, 19. Aufl., München 2022, ISBN 978-3-8006-6716-1, XLIX und 3.125 S., € 169,00.

Zu den erfolgreichsten Kommentaren zum Zivilprozessrecht der letzten zwei Jahrzehnte zählt der Musielak/ Voit. Begründet im Jahre 1999 hat er seitdem 19 Auflagen erzielt. Die Beliebtheit des Kommentars beweist am deutlichsten die Tatsache, dass er ungeachtet vieler Konkurrenzwerke nach wie vor zu den gängigsten Erläuterungsbüchern des Zivilprozessrechts zählt. Gegenüber den mehrbändigen und natürlich deutlich teureren „Kommentarungetümen“ nimmt sich der Musielak/Voit sympathisch übersichtlich aus. Immerhin kommen die nunmehr 14 Autorinnen und Autoren trotz der unendlichen Fülle des Materials mit nur einem Band aus; ein nicht zu unterschätzender Vorteil gegenüber mehrbändigen Werken. Zahllos sind die Rezensionen zu den vorherigen Auflagen; was will man also noch Neues sagen, außer dass natürlich sämtliche vom Gesetzgeber für nötig befundenen Änderungen sowie die aktuelle Rechtsprechung und Literatur vollständig eingearbeitet worden sind?

Zwei Gesichtspunkte völlig unterschiedlicher Art sollen hervorgehoben werden: zum einen die fortschreitende Digitalisierung der Justiz, zum anderen die Corona-Krise. Dabei hat letztere erstere maßgeblich vorangetrieben. Termine via Online-Plattformen waren vor der Pandemie jedenfalls im augenblicklichen Ausmaß undenkbar. Stadler weist denn auch in der Kommentierung des § 128a ZPO darauf hin, dass die Pandemie zu einer technischen Aufrüstung der Gerichte geführt habe (Rn. 1a). Dass auch den §§ 130 a bis 130 d besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, liegt auf der Hand. So geht Stadler – um nur ein Beispiel zu nennen – auch auf die Container-Signatur ein (§ 130 a Rn. 5); also mit einer qualifizierten Signatur versehene Datencontainer, die mehrere Dateien enthalten können. Während solche Container-Signaturen bis zum 31.12.2017 in der höchstrichterlichen Rechtsprechung als zulässig erachtet wurden (vgl. BGH, Beschluss vom 14.05.2013 – VI ZB 7/13, NJW 2013, 2034, Rn. 10), wurden sie vom Gesetzgeber mit § 4 Abs. 2 der Elektronischen-Rechtsverkehr-Verordnung (ERVV) zum 01.01.2018 für unzulässig erklärt. Das übersehen nach wie vor manche Prozessbevollmächtigte, wie die dazu ergangenen Gerichtsentscheidungen (zB BAG, Urteil v ­om 30.07.2020 – 2 AZR 43/20, NJW 2020, 3192) zeigen.

Dass der Kommentar auf dem allerneuesten Stand ist, beweist ein Blick auf die Kommentierung von Voit zu § 882l ZPO. Durch das Gesetz zur Verbesserung des Schutzes von Gerichtsvollziehern vor Gewalt sowie zur Änderung weiterer zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften und zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes wurde auch das Verfahren zur Einholung von Dritt- bzw. Fremdauskünften in § 802l ZPO zum 1.1.2022 modifiziert. Voit stellt die geänderte Vorschrift kundig vor. Auch der Hinweis auf den neuen § 98 Abs. 1a InsO fehlt nicht (Rn. 1). Ob man Voit darin zustimmen kann, dass die Vorschrift auch eine Abfragemöglichkeit im Hinblick auf Personen ermöglicht, welche als Selbständige in der berufsständischen Einrichtung versichert sind (Rn. 4), sei hier dahingestellt. Denn ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/29398, 6 (zu Nr. 6) „soll die Ermittlung eines Beschäftigungsverhältnisses von Personen verbessert werden, die Mitglied einer berufsständischen Versorgungseinrichtung sind.“ Dies zugrunde gelegt dient § 802l Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO ausschließlich der Ermittlung des Arbeitgebers des Schuldners.

Dabei enthält der Musielak/Voit beileibe nicht nur eine Kommentierung der Zivilprozessordnung, auf welcher naturgemäß der inhaltliche Schwerpunkt liegt. Erläutert wird zudem das GVG. Im Rahmen von „Buch 11. Justizielle Zusammenarbeit in der Europäischen Union“ werden nicht lediglich die ZPO-Normen besprochen, sondern sind auch die einschlägigen Rechtsakte der EU – teilweise mit Hinweisen – genannt. So finden sich Ausführungen zur Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (EuZVO). Es schließen sich die Modalitäten einer Beweisaufnahme nach der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (EuBVO) an. Für die Prozesskostenhilfe ist die Richtlinie 2003/8/EG zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen maßgeblich. In der Vorbemerkung zu §§ 1079 ff. findet sich eine Kommentierung der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO). Näher besprochen werden auch die Verordnung Nr. 1896/2006 zur Einführung eines europäischen Mahnverfahrens (EuMVVO) sowie die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuGFVO). Ebenso wie im materiellen Zivilrecht sind auch die zivilprozessualen Kommentierungen ohne die Berücksichtigung des EU-Rechts nicht mehr denkbar. Der sicherlich bedeutendsten Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO – Brüssel Ia), welche die lange Jahre geltende Verordnung (EG) Nr. 44/2001 zum 10.1.2015 abgelöst hat, wird eine instruktive Vorbemerkung zum Europäischen Zivilprozessrecht vorangestellt. Die Verordnung selbst wird ihrer Bedeutung entsprechend ausführlich erläutert.

Dass sich das Werk durch ein ausführliches Abkürzungsverzeichnis und ein umfangreiches Stichwortverzeichnis auszeichnet, verdient ebenfalls Erwähnung. Lobenswert ist der Umgang mit Zitaten. Bei manch anderer Kommentierung kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die eigene Gedankenleistung werde durch die Aneinanderreihung mehr oder weniger sinnvoller Verweise ersetzt. Die Autoren zitieren maßvoll, aktuell und immer da, wo man eine Fundstelle sucht, findet man regelmäßig auch eine. Es steht allerdings zu vermuten, dass durch das erschöpfende Eingehen auf die einzelnen Probleme nicht allzu viel nachgelesen wird; es steht ja alles Wissenswerte schon im Kommentar. Fazit: Wer sich kurz und prägnant, aber gleichwohl mit dem nötigen Tiefgang informieren möchte, ist mit dem Musielak/Voit bestens beraten. Ob irgendwann einmal Online-Kommentierungen die Printwerke ganz verdrängen werden, steht noch in den Sternen, es ist aber jedenfalls nicht ausgeschlossen. Der Musielak/Voit hat jedenfalls die letzten beiden Jahrzehnte als Printausgabe überdauert und daran dürfte sich auch so bald nichts ändern. (cwh)

Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder (cwh), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Handels- und Zivilprozessrecht, Johannes Gutenberg-Universität, Fachbereich Rechtsund Wirtschaftswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Deutsches, Europäisches und Internationales Arbeits-, Insolvenz- und Zivilverfahrensrecht. cwh@uni-mainz.de

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