Kinder- und Jugendbuch

Zeus und die Bande vom Olymp

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2022

Yvan Pommaux: Ödipus das Findelkind, aus dem Franz. von Tobias Scheffel, 45 S., Moritz, Frankfurt 2021, 18,00 €, ab 8

 

Anna Kindermann (Text), Timo Becker (Ill.): Die zwölf Heldentaten des Herkules, 40 S., Kindermann, Berlin 2021, 18,00 €, ab 10

 

Frank Schwieger (Text), Ramona Wultschner (Ill) : Ich, Zeus, und die Bande vom Olymp, Götter und Helden erzählen griechische Sagen, 262 S., dtv junior, München 2017 (7. Auflage 2021), 9,95 €, ab 9

 

Marchella Ward (Text),

Sander Berg (Ill.): Eine Reise durch die griechische Mythologie, 168 S., aus dem Engl. von Gundula MüllerWallraf, Knesebeck, München 2021, 24,00 €, ab 10

 

Jean Menzies (Text), Hatie Ponder (Ill.): Griechische Mythen und Sagen, von tragischen Helden, streitlustigen Göttern und vielköpfigen Ungeheuern, 163 S., aus dem Engl. von Karin Hofmann, Dorling Kinder­sley, München 2020, 19,95 €, ab 10

Warum erzählen wir den Kindern noch heute die uralten Geschichten der griechischen Götter und Helden immer wieder neu? Ahnten doch schon die Griechen, dass sie diese selbst erfunden hatten; die Pythagoräer behaupteten gar, Homer müsse in der Unterwelt büßen für die leichtfertigen Fabeln, die er erfunden habe. Und doch begleitet diese gesamte olympische Gesellschaft nicht nur unsere bildenden Künste, die Literatur und Medizin, sondern auch unseren Alltag. Besorgte Mütter kaufen nur die Marke Demeter, die Computerwelt spricht von „Trojanern“, wunde Punkte sind „Achillesfersen“ und jedes Muttersöhnchen ein Ödipus.

Wer bereits kleinen Kindern etwas von der antiken Unbarmherzigkeit des Schicksals erzählen möchte, der greife zu dem Bilderbuch Ödipus, das Findelkind. Diese Erzählung von Schuld und Sühne ist hier durch einen kindgemäßen und behutsamen, doch nichts verschweigenden Text gemildert. Dazu tragen auch die vielen ansprechenden Bilder bei. Ihre szenische Abfolge vor einem kulissenartigen Hintergrund greift griechische Kleidertracht, klassische Architektur und mediterrane Landschaften auf. Pastellfarben und weiche Konturen versetzen das tragische Geschehen in ein bühnenähnliches Licht. Sie vermeiden Verstörendes und gewähren Distanz. Eine kurze Rahmenerzählung bietet zusätzlich Abstand.

„Großvater, diese Geschichte ist wirklich zu schrecklich!“ kommentiert die kleine Zuhörerin am Ende, „könnten wir vielleicht mal mit den Geschichten aufhören?“.

Auf den Spuren von Gustav Schwab erzählt Anna Kindermann in gekürzter und vereinfachter Form Die zwölf Heldentaten des Herkules nach, für deren Mehrzahl eine bebilderte Doppelseite genügt. Den gut lesbaren Text begleiten comicartige Illustrationen, die ebenso übertreiben und karikieren, wie der Text sachlich und schlicht daherkommt. Der finster blickende Herkules posiert mit breiter Brust wie ein moderner Superheld, die Miene des Zeus-Abkömmlings verrät tiefste Verachtung für die Menschensöhne und Verbitterung über die eigene Sterblichkeit als Halbgott. So übernimmt er freudig die zwölf Aufgaben des Königs Eurystheus, um unsterblich zu werden. Die bildnerische Gestaltung der Ungeheuer, die Herkules überwinden muss, verrät eine bemerkenswerte Phantasie. Mit riesigen Mäulern und unproportionierten Körpern gleichen sie nie gesehenen Missgeburten mit mehreren Köpfen und Leibern. Optische Anspielungen auf die Antike bleiben sparsam: Hier und da eine Gürtelschnalle oder eine angedeutete Säule. Dennoch können auch erwachsene Leser einiges hinzulernen: Selbst wenn uns die Ställe des Augias und die goldenen Äpfel der Hesperiden ein Begriff sind, an die Rinder von Erythia oder die Stuten des Diomedes erinnern sich gewiss nur wenige.

In Ich, Zeus und die Bande vom Olymp charakterisiert Frank Schwieger für Kinder im Grundschulalter die Verwandtschaftsverhältnisse und besonderen Eigenschaften der bekanntesten mythischen Figuren. Er lässt sie selbst erzählen, „aus erster Hand“. Zunächst im Format des Freundschaftsbuches, etwa „Das kann ich besonders gut“ oder „Das mag ich ganz und gar nicht“. Zeus, der große Boss, tritt als Letzter auf, weil der Autor alphabetisch vorgeht. Das klingt zunächst schematisch, entpuppt sich aber als humorvoll und durchaus informativ. 24 Götter, Göttinnen, Helden und Heldinnen stellen sich vor, wobei gleich viele weibliche wie männliche Figuren auftreten. Dennoch lässt sich die traditionelle Rollenverteilung nicht vermeiden. Die Zauberinnen Medea und Ariadne handeln aus Liebe, Herakles und Perseus aus Tatendrang und Heldenmut. Einzig die Göttinnen sind ihren männlichen Kollegen ebenbürtig. Selbstbewusst setzen sie sich in Positur, umgeben von ihren Attributen, respektlos karikiert von Ramona Wultschner. ¡ Großformatig und reich illustriert präsentiert sich Eine Reise durch die griechische Mythologie. Ein alter Steinkauz fliegt mit seiner Enkelin über Griechenland hinweg und erzählt unterwegs die alten Mythen. Auf einer Landkarte sind die Orte dieser uralten, unvergessenen Geschehnisse verzeichnet, und eine ausführliche Ahnentafel der Götter und Helden klärt über die komplizierten Verwandtschaftsverhältnisse auf, im Rahmen derer Zeus besonders aktiv war. Auch dieses Buch kann nur eine Auswahl des großen Mythenschatzes bieten, erwähnt aber auch manche unbekanntere Gestalt. Einige Geschichten brechen vor dem bitteren Ende ab. So werden junge Leser mit dem grausamen Ende des ungleichen Paares Jason und Medea verschont. Überhaupt erfahren die Liebeskünste und Zauberkräfte des weiblichen, im Mythos keineswegs zimperlichen Personals mitunter recht gefühlvolle, romantisierte Schilderungen. Die großen, dramatisch bewegten Illustrationen tragen ganz wesentlich zur Faszination der Betrachter bei.

Sachliche Information hingegen dominieren In Griechische Mythen und Sagen. Kurze Beschreibungen der Götter, ihrer Aufgaben und typischen Attribute ergänzen die Berichte über ihre Taten und Untaten, vor allem ihr Eingreifen in menschliche Schicksale. In einem systematischen Anhang, der auf die historische Überlieferung in Schriften, Bildern und Skulpturen hinweist und über die religiösen Praktiken der alten Griechen aufklärt, geht es auch um die Präsenz der Götter und Helden bis heute. Dieser ganz auf Wissensvermittlung konzentrierte Text ist vor allem durch ein aufwendiges, farbenfrohes und abwechslungsreiches Layout auch für Kinder gut zu verfolgen. Zur Mondgöttin Selene etwa gehört ein bläulicher Hintergrund, zu Eos, der Morgenröte dagegen eine Grundierung in Rosa. Götter- und Heldenfiguren mit langen schmalen Gliedern, lockeren, fließenden Gewändern und Haaren erinnern an den Jugendstil. Trotz einer leichten Affektiertheit vermitteln die Illustrationen die komplexe Götterwelt auf gut verständliche und übersichtliche Weise.

Dr. Barbara von Korff Schmising arbeitet als Rezensentin überwiegend im Bereich Kinder- und Jugendliteratur. Sie hat 25 Jahre lang die „Silberne Feder“, den Kin­ der- und Jugendbuchpreis des Dt. Ärztin­ nenbundes als Geschäftsführerin geleitet.

bschmising@gmx.de

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