Zeitgeschichte

Widerständig

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2023

Gerhard Ringshausen, Das widerständige Wort. Christliche Autoren gegen das »Dritte Reich«. Berlin: BeBra Wissenschaft Verlag (Widerstand im Wider ­ streit Band 3), 2022. 700 S., Hardcover. ISBN 978-3-95410-306-5. € 56,00.

    Das Erkenntnisinteresse des Zeitgeschichtlers Gerhard Ringshausen (*1939) ist: Was war im epischen und lyrischen Schaffen der in Deutschland lebenden Berufsliteraten während des Hitlerregimes widerständig? Dietrich Bonhoeffer fragte nach zehn Jahren Hitlerregime an der Jahreswende 1942/43: „Wer hält stand?“ Die Antwort, die Ringshausen erhofft, scheint zu sein: der sich an „Bleibendem“ festhält. Ohne die Herausforderung, dass es um „Grundfragen menschlicher Existenz“ geht, „hätte ich die lange Arbeit an diesem Buch kaum durchgehalten“ (im Vorwort, 11-14, „Lüneburg, im Juli 2022“, 13). Wie christliche Autoren damals zu sagen suchten, was „verlässlich“ Orientierung für die „Weltgestaltung durch den Menschen“ böte, präsentiert Ringshausen, indem er ausführlich Romanpassagen nacherzählt und Gedichte zitiert. Ein Anhang (692-699) verzeichnet knapp die Lebensdaten von 144 Schriftstellern und die Stellen im Buch, an denen sie vorkommen. Der hinführende Teil Voraussetzungen (15-336) schildert, unter welchen Umständen gedichtet wurde. Die Autoren, die vom Schreiben lebten, waren darauf angewiesen, dass ein Verlag ihre Schriften herausbrachte und diese im Buchhandel verkauft wurden. Dazu bedurften sie der Duldung durch die im September 1933 eingerichtete Reichsschrifttumskammer; diese erließ im April 1935 eine Anordnung über „schädliches und unerwünschtes Schrifttum“.

    Im letzten Abschnitt dieses ersten Teils, „Zeitgeschichte und Kunst“ (330-336), sind Aussagen christlicher Autoren zu ihrer literarischen Gestaltungsaufgabe versammelt. Ernst Wiechert (*1887 in Kleinort, Masuren; Das einfache Leben 1939): Sie wollen, dass „die verwirrte und undurchsichtige Welt einfach und klar erscheint in dem Spiegelbild, das sie aufstellen“. Rudolf Alexander Schröder (*1878 in Bremen): Sie wollen das „Wahrwort“ finden und aussprechen. Gertrud von le Fort (*1876 in Minden): Sie sollen „das Licht in die Finsternis tragen“. Laut Stefan Andres (*1906 in Breitwies an der Mosel) ist die Aufgabe: „Zeugnis abzulegen für die Wahrheit und mitzuhelfen am geistigen Gesundungsprozess des Volkes, ja der Zeit!“ Für Jochen Klepper (*1903 in Beuthen an der Oder) „war es entschieden, daß die Kunst dem Worte [Gottes!] unterworfener Widerklang ist“.

    Der Teil Felder der Auseinandersetzung mit dem NSRegime (337-691) bezieht das Wort christlicher Autoren auf das politische Geschehen in Deutschland während der zwölf Jahre »Drittes Reich« 1933–1945, mit welchem das „Tausendjährige Reich“ hätte anbrechen sollen. Ein Schwerpunkt ist der Abschnitt „Gegen Rassismus und Judenvernichtung“ (576-605). Äußerungen hierzu sind „erstaunlich zahlreich“, und in ihnen kommt zugleich „Bleibendes“ zur Sprache in Gestalt der „Idee des Reiches“. Ricarda Huch (*1864 in Braunschweig), promovierte Historikerin, würdigt 1934 die Juden als Mitträger des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, in dessen Idee „Weltherrschaft und Christentum verschmolzen waren“. Elisabeth Langgässer (*1899 in Alzey) – ihr Vater war getaufter Jude – schrieb von 1935 bis 1945, trotz Schreib-

    verbot, am Roman Das unauslöschliche Siegel, veröffentlicht 1947, der den „ewigen Juden“ als „Stachel im Fleisch der Völkerfamilie“ zeigt. Darin klingt das Wort an, das (im Johannesevangelium 4,22) der Jude Jesus an die Frau aus dem Volk der Samariter richtet: Wir wissen, „was wir anbeten; denn das Heil kommt von den Juden“. „Wohl die bekannteste Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung“ verfasste Reinhold Schneider (*1903 in Baden-Baden) mit der Transposition der „Rassen“-Tragödie in die Konquistadorenzeit: Las Casas vor Karl V. (1937/1938). Der Dominikaner Bartolomé de las Casas (1474–1566) fordert in Spanien vom Kaiser: „Gib die Indios frei …!“ Ginés Sepulveda hingegen rechtfertigt das Unterwerfungshandeln der Eroberer damit, dass „dem Glauben“ – die abendländischchristlichen Spanier wollen die Indios ja bekehren – „durch einen geordneten Staat geholfen werden müsste“. Der Schlussabschnitt des Buches, betitelt „Das Bleibende?“ (680-691), hebt an damit, dass die widerständigen Autoren im »Dritten Reich« „auf die Verheißung des Glaubens setzten“. Werner Bergengruen (*1892 in Riga) wertet in dem Roman Am Himmel wie auf Erden (1940) das „ewige ‚Heilige Römische Reich Deutscher Nation‘ “ als Symbol für verheißenes Bleiben. Garantiert ein mit Staatsmacht bewehrter Glaube, dass die von ihm getragene „Ordnung des Weltgefüges“ bestehen bleiben werde? Glaube woran, an wen? Bleiben wovon, wessen – dank staatlicher Durchsetzungsgewalt oder dank standhaften Durchhaltens? Was für ein Bleiben offenbart sich im Christus?

    Als Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) an einer Ethik zu schreiben begann für die Überlebenden nach Ende des »Dritten Reiches«, schwebte auch ihm so etwas wie ein geeintes christliches Abendland vor. Aber das verging ihm bald. Im Mai 1944 schrieb er für seinen Patensohn: Wir „sind wieder ganz auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen“ (Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, DBW Band 6, 435). Wahrlich, dem ist so, auch im Jahre 2023.

    Ringshausens schwergewichtiges Werk zur Geschichte eines Zeitraums in den drei Dimensionen Politik – Dichtung – Christentum habe ich zweimal gelesen, das erste Mal mitsamt den durchgezählten 3781 Anmerkungen, die belegen, dass unter Forschungskollegen die im Text dargelegte Bewertung strittig ist. Die Reihe, in der das Buch als Band 3 erschien – sie wird mitherausgegeben von Rüdiger von Voss, einem Widerständler-Nachfahren, der Ringshausens Schwager ist (Seite 14, und Anmerkungen 1216 und 1223) – heißt ja „Widerstand im Widerstreit“. Das zweite Mal las ich nur den Text. Zwischen dem ersten und zweiten Mal griff ich, aus Familienbeständen, zu damals zeitgenössischer Literatur, die Buchgemeinschaftsmitgliedern angeboten wurde. Darunter war von Werner Bergengruen (auf ihn geht Ringshausen an 73 Stellen ein) der Kriminalroman Der Großtyrann und das Gericht (1935). Auf dem Buchdeckel prangt in Goldschrift das Motto ­ „NE NOS INDUCAS IN TENTATIONEM“ – führe uns nicht in Versuchung. Ein Renaissancefürst bringt die Bürger seiner Stadt dazu, beim Versuch der Aufklärung eines Mordes ihre eigentliche Gesinnung zu verbiegen, und eröffnet ihnen im Endgericht, dass er selbst den Mord begangen hat. Im „Dritten Reich“ mussten die Poeten der Versuchung widerstehen, zugunsten eigener Bedürfnisse ihr Kunstschaffen dem gleichzuschalten, was den zurzeit Herrschenden genehm war. Der Versuchung ausgesetzt zu sein, ist nicht nur unter extremen Umständen der Fall, sondern bleibt sich gleich im Wandel der Zeiten. Ringshausens Schlussabschnitt „Das Bleibende?“ klingt aus mit dem Motto, das Erika Mitterer (*1906 in Wien) ihrem Roman Der Fürst der Welt (1940) mitgegeben hat:

    „Schau nicht in das Eck, wo er gestern noch stand!

    Er wechselt den Ort und tauscht das Gewand, und eben noch dort, ist er heute schon … hier.

    Im Gegner? Im Bruder? In Dir … und in mir …“

    Ilse Tödt (it), Dr. phil., Dr. theol. h.c., seit 1961 ­nebenamtlich Kolle­giums­mitglied der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) Heidelberg.

    itoedt@t-online.de

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