Kinder- und Jugendbuch

„Was machen Muscheln auf einem Berggipfel?“

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2021

 

C. Barr, St. Williams, A. Husband (Ill.), Woher wir Menschen kommen und wie das Leben auf der Erde entstand. Aus dem Engl. von I. Hübner, Carlsen, Hamburg 2020, 40 S., € 14,00. Ab 4

 

Jan Paul Schutten, Floor Rieder (Ill.): Evolution, oder das Rätsel von allem, was lebt. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2014, 160 S., € 24, 95. Ab 10

 

Emanuelle Grundmann, Hélène Druvert (Ill.): Ozeane. Die wunderbare Welt der Meere. A. d. Franz. von U. Bachhausen, Gerstenberg, Hildesheim 2020, 40 S., € 26,00. Ab 6

 

Björn Ousland: Reise ins ewige Eis. Wie werde ich Polarforscher? Aus dem Norweg. von M. Dörries, dtv Reihe Hanser, München 2019, 96 S., € 16,95. Ab 10

 

Thomas Müller: Die wunderbare Welt der Eiche. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2020, 72 S. , € 20,00. Ab 6

 

Die meisten Kinder lassen sich durch phantastische Geschichten verlocken. Wie selbstverständlich begreifen sie die überirdischen Kräfte der bösen Hexen und guten Feen oder die magische Welt hinter den Spiegeln. Aber einige bleiben skeptisch, wenn es um Zauberei geht. Sie wollen etwas „wissen“, über die Erde, das Meer und uns Menschen. Sie fragen nach dem „Woher“ und „Warum“. Für solche gibt es informative und vorzüglich illustrierte Bücher, die spannender sein können als eine fiktive Erzählung.

Woher wir Menschen kommen schildert die Entstehungsgeschichte der Welt. Ein höchst unwirtlicher Ort vor ca. vier Milliarden Jahren! Feuerspuckende Vulkane schossen ihre glühende Lava in die Luft, von überall her stürzten Meteorite nieder, giftige Gase und dunkler Staub umhüllten das ganze Spektakel. Auch am Meeresboden rauchten Vulkane, in ihrer Nähe bildete sich das erste einzellige Leben. Nach ein paar Milliarden Jahren sah es schon recht bunt auf unserem Planeten aus. Sauerstoff umgab ihn, die ersten Meerestiere krochen an Land, Pflanzen sorgten für eine anheimelnde Atmosphäre. Bis es aber zum ersten aufrecht gehenden Affenmenschen in Afrika kam, der sich später über die ganze Welt ausbreiten sollte, vernichteten große Katastrophen Pflanzen und Tiere. So mussten etwa die Dinosaurier den kleineren Säugetieren Platz machen. In naiv wirkenden, teilweise mit Sprechblasen versehenen Zeichnungen sehen Vulkane hier wie spitze Zauberhüte aus, die Lavaflüsse ringeln sich wie Schnüre um ihre Abhänge. Das alles ist aber nicht wirklich simpel; denn die Betrachter befinden sich in einem wissenschaftlich nachgewiesenen Rahmen. Sie bekommen ein grobes Zeitraster mit auf den Weg, Worterklärungen fehlen nicht. Die Entwicklung vom einfachen zum differenzierten Lebewesen verspricht allerdings kein Happy End, sondern mündet in die bange Frage nach der Zukunft unseres schönen Heimatplaneten.

Evolution, bereits 2014 erschienen, richtet sich an etwas ältere Kinder; auch hier geht es um „alles, was lebt“, mit seinen „Rätseln, Wundern und Mysterien“. In kurzen Kapiteln und kurzweiligem Stil macht der Autor die Vorgänge der darwinistischen Evolutionstheorie verständlich, ebenso die Wege biochemischer Beweisführung. Hier greifen Erkenntnisse anhand von Gesteinsschichten oder Fossilien und die moderne Gen- und DNA-Forschung ineinander. Neue Entdeckungen schaffen immer wieder neue Theorien, denn die Rätsel des Lebens sind längst nicht gelöst. Zwar kann der Mensch hoch leistungsfähige Roboter bauen, aber nicht einmal eine einfache lebendige Zelle erschaffen, einen Organismus, der entsteht, sich vermehrt und stirbt. So lernen wir die Grenzen der Forschung kennen, die ständig im Fluss ist. Bemerkenswert sind auch die Illustrationen. In den schwarz umrahmten, regelmäßigen Strukturen entdecken wir bei genauem Hinschauen viele der bildhaften Erklärungen aus dem Text wieder.

■ Und wie sieht unsere Welt heute aus, in den Meerestiefen, im ewigen Eis der Arktis oder im Mikrokosmos unserer eigenen Umgebung? Ozeane, die wunderbare Welt der Meere führt uns von den Uferzonen bis in die Dunkelheit der Tiefsee, wohin die Forscher bisher nur Tauchboote schicken konnten. Trotz hohem Wasserdruck und nachtschwarzer Dunkelheit tummeln sich hier die merkwürdigsten Lebewesen, viele mit einer Art Taschenlampe ausgerüstet. „Schwarze Raucher“, Vulkane auf dem Meeresboden, verströmen Schwefel und Eisen, die der „Schlotkrabbe“ oder der „Augenlosen Garnele“ vorzügliche Nahrung bieten. Aber es geht auch um Wellen, um die Gezeiten und die Bedeutung der Ozeane für unser Ökosystem. Während der Text sachlich daherkommt, ist die optische Aufmachung geradezu überwältigend. Die Französin Hélène Druvert arbeitet immer wieder mit der Kombination von Illustration und filigranen Schneidearbeiten. Jüngere Betrachter können z. B. einen Haifisch öffnen. Hier tummelt sich die gesamte Meeres-Nahrungskette, deren Beherrscher die Haie und Wale sind. Manche Seiten gleichen farbigen, allerfeinsten Scherenschnitten, die den Durchblick auf die folgende Seite freigeben. Selten findet man so viele Informationen vereint mit so viel visuellem Genuss!

■ Heute beschäftigen uns die Ausflüge ins Weltall, mit derselben Begeisterung verfolgte man vor etwa 120 Jahren die Expeditionen zur unbekannten Arktis. Reise ins ewige Eis schildert das abenteuerliche Unternehmen des Norwegers Nansen zum Nordpol. 1893 segelte er von Norwegen mit einer kleinen Mannschaft nach Sibirien, um sich mit dem ostwestlichen Drifteis zum Nordpol treiben zu lassen. Da die Eisströmung das Schiff zu weit nach Süden führte, machte er sich mit einem Begleiter auf Skiern und mit Schlittenhunden auf den Weg zum Nordpol. Man kann sich kaum etwas Aufregenderes als diese Kraft- und Kälteprobe vorstellen. Für 100 Tage geplant, dauerte der Ausflug zwei Sommer und einen Winter lang. Und das mit einer aus heutiger Sicht spärlichen Ausrüstung und ohne jeden Kontakt zur Außenwelt. Die Strapazen und Entbehrungen waren vermutlich größer als die heutiger Astronauten. Ohne den Nordpol zu erreichen, kehrten die beiden Männer unversehrt zurück, nur die 28 Hunde mussten ihr Leben lassen. Dieses große illustrierte Buch kann man nicht so hastig wie einen Abenteuerroman verschlingen. Immer wieder unterbrechen Sachfragen und Aufgabenstellungen die Handlung, zwingen den Leser zum Innehalten und Zurückblättern. Abenteurer finden hier allerbeste Anregungen, unsere Erde auch ohne Tui oder Studiosus zu erkunden.

■ Die Ferne mag verführerischer sein, als der unbekannte Mikrokosmos in der unmittelbaren Nähe. Einen solchen von den Wurzeln bis zur Krone schildert Thomas Müller in Die wunderbare Welt der Eiche. Dieser Baum kann hunderte von Jahren alt werden und bietet Insekten, Säugetieren und Vögeln ein nahrungsreiches Zuhause. Hier entwickelt sich ein Gemeinschaftsleben, das weitaus mehr von gegenseitigem Nutzen als von Konkurrenz gekennzeichnet ist. Im morschen Holz der Eiche wachsen die Larven der Hirschkäfer heran, andere Käfer betten ihre Eier in die Eicheln oder rollen einen Teil der Blätter trichterförmig und legen ihre Eier hinein. Zahllose Pilzsorten gedeihen im Schatten der Baumkrone oder direkt am Stamm. Vögel wiederum finden üppige Nahrung unter der Rinde, während die Blätterkrone ihre Nester beherbergt. Der Eichelhäher vergräbt die Eicheln und sorgt für eine weite Verbreitung der Schösslinge. Selbstverständlich geht es nicht ganz ohne Störenfriede. Zahlreiche Parasiten können im Blattwerk großen Schaden anrichten. Mit den präzisen Zeichnungen des Autors selbst und einem klaren Layout könnte dieses Buch ein perfekter Begleiter für Waldspaziergänge sein, wäre es nicht so groß und so prächtig illustriert.

Dr. Barbara von Korff Schmising arbeitet als Rezensentin und Publizistin überwiegend im Bereich Kinder- und Jugendliteratur. Sie ist als Referentin in der Erwachsenenbildung tätig und hat 25 Jahre lang die „Silberne Feder“, den Kinder- und Jugendbuchpreis des Deutschen Ärztinnenbundes als Geschäftsführerin geleitet. 

 bschmising@gmx.de

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