Editorial

Warum wir die Vielfalt brauchen

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2023
Gasteditorial

Die zentralen Stützpfeiler unserer demokratischen Gesellschaft sind Freiheit, Meinungsvielfalt und der Respekt vor den anderen. Wie kostbar, aber auch wie verwundbar die Demokratie ist, ist vielen von uns spätestens mit dem russischen Angriff auf die Ukraine bewusst geworden: Für die meisten vollkommen unerwartet findet nach Jahrzehnten des Friedens und der Überwindung des Kalten Krieges in Europa wieder ein Krieg statt, der durchaus die Gefahr einer Ausweitung birgt. Die Menschen sind verunsichert, die Preise steigen, es gibt Energie-Knappheit, in den Ländern des globalen Südens werden Lebensmittel knapp …

Wer aber die existenziellen Nöte und Sorgen der unabhängigen Verlage abtut, verkennt, welche gesellschaftliche und friedenstiftende Aufgabe gerade die kleineren, unternehmergeführten Buchverlage mit ihrer Arbeit erfüllen. Denn es sind vor allem die unabhängigen Verlegerinnen und Verleger, die sich für besondere Bücher abseits des Mainstreams engagieren. Die Autorinnen und Autoren aus fernen Ländern und vergangenen Zeiten eine Stimme geben und so den Austausch der Kulturen begründen. Es sind vor allem unabhängige Verlegerinnen und Verleger, die Titel ausgraben, entdecken, kontro­ verse Themen und Meinungen zugänglich machen, dabei oft aufwändige und riskante Buchprojekte realisieren, alles weil sie der festen Überzeugung sind, dass die deutschsprachigen Leserinnen und Leser diese Titel lesen sollten. Ganze Programme werden solchermaßen nicht in erster Linie unter ökonomischen Gesichtspunkten zusammengestellt, sondern ausgehend von der gewiss subjektiv empfundenen objektiven Relevanz der Inhalte. Jahrzehntelange Konzentrationsprozesse, ein veränderter Medienkonsum und zuletzt Inflation und ökonomische Verunsicherung haben dazu geführt, dass nicht wenige unabhängige Verlage, die noch vor 30 Jahren von ihrer Backlist leben und davon ausgehend neue Programme entwickeln konnten, inzwischen mit dem Rücken an der Wand stehen und um ihre Existenz bangen. Konzentrationsprozesse, Medienkonsum, Inflation – all dies sind die Auswirkungen marktwirtschaftlicher, soziokultureller und politischer Entwicklungen, die ein Unternehmen aus eigener Kraft nicht korrigieren kann. Die Folgen in der Verlags- und Buchbranche sind absehbar. Längst hat das stille Sterben von kleineren unabhängigen Verlagen begonnen. Der Ablauf ist in etwa so: Erst werden die Halbjahres-Programme der Verlage kleiner, dann werden sie schließlich ganz eingestellt. Es wird abverkauft, was noch am Lager vorhanden ist, und zwar solange wie die Einnahmen ausreichen, um die Lagerkosten zu finanzieren. Wenn auch das nicht mehr möglich ist, werden die Reste makuliert und der Verlag verschwindet gänzlich von der Bildfläche. Die Leidenschaft der betroffenen Verlegerinnen und Verleger mag uns egal sein. Nicht egal sein sollte uns, dass mit jedem Verlag, der seine Arbeit einstellt, die Vielfalt der deutschen Literaturlandschaft schwindet. Gewiss, es wird auch unter den kleinen unabhängigen Verlagen solche geben, die überleben. Doch sie werden die ganze Breite dessen, was die verschwundenen Verlage an Themen und Schwerpunkten abgebildet und in die Gesellschaft getragen haben, nicht aufgreifen können.

Wenn aber die Sichtbarmachung des Abseitigen, des Be­sonderen, des Fremden, des Verrückten, des Gewagten – unabhängig ob in der Kunst und Literatur oder im Fachbzw. Sachbuch – in der Hand von wenigen liegt, die – sei es aus Gründen der Rentabilität oder – ebenso gefährlich – aus Gründen des politischen Opportunismus, darüber entscheiden, was veröffentlicht wird, ist die Meinungsvielfalt am Ende.

Damit es soweit nicht kommt, setzt sich die Kurt Wolff Stiftung seit vielen Jahren bei der Politik für die Implementierung einer strukturellen Verlagsförderung ein. Diese Verlagsförderung hat das Ziel, die wichtige, kultur- und gesellschaftsrelevante Arbeit der Buchverlage wertzuschätzen und zu unterstützen. Wir sind froh, dass die neue Bundesregierung die Prüfung einer strukturellen Verlagsförderung in ihrem Koalitionsvertrag fixiert hat. Allerdings drängt die Zeit – Pandemie und Ukrainekrieg haben beschleunigend gewirkt: Die ersten Verlage haben bereits aufgegeben und man muss keine hellseherischen Fähigkeiten haben, um zu wissen, dass 2023 weitere folgen werden.

Ein wenig Zuversicht zum Schluss: Ende April findet die Leipziger Buchmesse statt. Diese größte reine PublikumsBuchmesse in Deutschland sorgt für die Sichtbarkeit, die vor allem den kleineren unabhängigen Verlagen während der dreijährigen, pandemiebedingten Pause gefehlt hat. Machen Sie sich dort selbst ein Bild von der Vielfalt, die auf dem Spiel steht. Wir freuen uns darauf, Sie zu sehen.

Katharina Eleonore Meyer, Merlin Verlag, Gifkendorf
Vorsitzende der Kurt Wolff Stiftung, Leipzig 
13. März 2023

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