Philosophie

Vogelgespräche

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2023

Fariduddin Attar: Vogelgespräche. Zweisprachig persisch-deutsch. Textbearbeitung von Marjan Fouladvand. Übs. aus d. Persischen von Thomas Ogger. Ill. von Mohammad Barrangi. Originaltitel: Simurgh (auf Persisch, 2019). Berlin: Edition Orient, 2022, 96 S., Bildbandformat, Halbleinen, ISBN 978-3-945-50627-1. € 29,80.

    Der eine oder andere kennt vielleicht die farbenprächtige Miniaturmalerei, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf Befehl des Safawidenherrschers Schah Abbas entstand und die die Vogelschar zeigt, von der der mittelalterliche Mystiker Attar in seiner Erzählsammlung berichtet. Es heißt bei ihm, die Vögel hätten sich auf Initiative des Wiedehopfs zusammengefunden, um zum prächtigsten und k­lügsten aller Vögel, dem sagenumwobenen Simurgh auf dem Berg Qaf aufzubrechen, ihm das Herrscheramt anzutragen und dort ein eigenes Vogelreich zu gründen. Die Miniatur, die im Metropolitan Museum of Art in New York zu sehen ist, zeigt die bunte Versammlung und strotzt nur so von Farben: dem Kobaltblau des Pfaus, dem Gold des Himmels, Rot des Hahnenkamms, Weiß der Gefieder von Ente und Reiher bis hin zum delikaten Ocker der Felsenlandschaften. Und nun eine Ausgabe sozusagen in Uni! Kann das gutgehen?

    Um es vorwegzunehmen: es kann, und zwar, weil nicht nur das vordergründig Bunte, sondern auch das MystischDunkle zu dieser kurzen Geschichte dazugehört. Der Wiedehopf, als Botenvogel des Königs Salomo bekannt, warnt seine Artgenossen vor den Gefahren der weiten Reise zum Berg Qaf: über sieben Täler gehe es, „eines gefährlicher als das andere“; viele aus der Reisegruppe würden das Ziel nicht erreichen, am Ende aber locke das Dasein im ewigen Frieden.

    Doch ein Vogel nach dem anderen verabschiedet sich: die Nachtigall, weil sie in die Rose verliebt ist, die sie nicht verlassen kann; der Papagei, weil er sein bequemes Leben im Käfig nicht für ein riskantes Unternehmen aufgeben möchte; der Pfau, weil er nur an dem Paradiesgarten interessiert ist, aus dem man ihn vertrieben hat; die Ente, weil sie sich mit ihrem weißen Gefieder vor dem Schmutz der Reise fürchtet; das Steinhuhn, weil es allzu gerne nach Juwelen sucht und schließlich auch noch der mythische Huma-Vogel, der lieber unter seinesgleichen der Erste ist als am Hof des Königs Simurgh der Zweite. Kurz und gut: nur ein Teil der Vögel entschließt sich zur Abreise, und tatsächlich kommen die meisten unterwegs in den Tälern der Verwirrung, Vergänglichkeit, des Verlangens, Glaubens, Zweifels und der Finsternis kläglich um. Und ganz am Ende heißt es dann: „Nun muss jeder seinen Weg alleine gehen.“

    Schließlich angelangt an der prachtvollen Residenz des Simurgh sind von den ursprünglich tausend noch ganze dreißig Vögel, auf Persisch si murgh, übrig, und als die in den leeren Spiegelsaal des Palastes treten, erblicken sie in den Spiegeln nur – sich selbst, nämlich genau jene simurgh (30 Vögel), wonach sie unter so großen Opfern gesucht hatten: ihre Erfahrungen und ihre Ent-Selbstung haben sie längst eins werden lassen mit dem Höchsten Wesen.

    Was die Vogelschar erlebt, den mühsamen und gefährlichen Weg (tariqa) zur Einsicht in die eigene und göttliche Natur, kennt auch die Mystik des europäischen Mittelalters, wo die unio mystica, die mystische Vereinigung, die Frommen lockt. Attars Märchen entpuppt sich so als ein Gleichnis der Seelenläuterung und Erlösung, verfremdet als Reise, dargestellt durch die Tiere des Himmelsraums. Das Reiseziel? Die Erkenntnis, dass „alle Vögel dieser Welt Simurgh“ sind, und dass „der Weg offen“ steht – der Weg der Sufis, der Gottsucher im Islam.

    Die Sufis, ihre „Führer“, die Sheikhs und Pirs (pers. „Weise“) fordern freilich die Orthodoxie heraus: was ist ein Glaube ohne Gott, ohne Klerus, ohne göttliche Offenbarung in Bibel oder Koran, wenn nicht Irrglaube und Ketzerei? So auch im Fall der islamischen Mystiker, die bis heute im Ruch der theologischen Häresie stehen, zumal einige Orden die Lehre durch Drogenexzesse, Missbrauch, profane Landstreicherei und politischen Mord in Verruf brachten; Atatürk verhängte in den 1920er Jahren in der Türkei sogar ein Verbot sämtlicher Orden (das übrigens bis heute gilt), doch der Einfluss der Sufis in der islamischen Welt von Marokko und Nordafrika, über Iran, Pakistan und Indien bis hinüber nach Bengalen und Indonesien ist ungebrochen, in den letzten Jahrzehnten vielleicht eher noch gewachsen. Attars „Vogelgespräche“ gehören zum Gemeingut dieser transnationalen Gemeinschaft. Geschichten wie diese taugen – der Verlagsdeklarierung zum Trotz – nicht sonderlich zur Unterhaltung von Kindern, sie gehören eher in die Hände von Jugendlichen und Erwachsenen. Das schöne, feste Papier, der hochwertige Halbleineneinband, die ebenso schwungvolle wie klare persische Schreibschrift, dazu auf der Gegenseite die gut lesbare, flüssige deutsche Übersetzung des gekürzten persischen Originals prädestinieren das Buch geradezu zum Geschenk für eine anspruchsvolle, kulturell aufgeschlossene Leserschaft, die mit dem Text umgehen kann. Die farblich zurückhaltenden, rhythmisch bewegten Abbildungen des Buchillustrators tragen das Ihre zum meditativen Gesamteindruck bei. (tk) •​

    Dr. Thomas Kohl (tk) war bis 2016 im Universitäts- und Fachbuchhandel tätig und bereist Südasien seit vielen Jahren regelmäßig.

    thkohl@t-online.de

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