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Verlag Klaus Wagenbach

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2019

„Wir wollen unseren Leserinnen und Lesern Respekt zollen durch schön gemachte Bücher.“

„Seit über fünf Jahrzehnten ist der Verlag Klaus Wagenbach ein Wahrzeichen der Berliner Verlags- und Kulturszene: Mit ausgezeichnet schönen Büchern entwickelt der Verlag debattenstarke Themen und Autorinnen und Autoren.“ So begründete die Jury des 2018 zum ersten Mal ausgelobten und im Hauptpreis mit 35.000 Euro dotierten Berliner Verlagspreises ihre Entscheidung für den Verlag Klaus Wagenbach.

Verlegerin Susanne Schüssler wurde vom Branchenmagazin BuchMarkt als Verlegerin des Jahres 2018 ausgezeichnet. Sie habe es geschafft, so die Jury, „den Verlag Klaus Wagenbach als unabhängige, private Institution, die sich ausschließlich der Qualität verpflichtet fühlt, in sicheres Fahrwasser zu leiten.“

Das Wagenbach-Buch „Alle, außer mir“ von Francesca Melandri wurde von den unabhängigen Sortimentern zum Lieblingsbuch 2018 gewählt. „Das Buch der Stunde“ kommentierte ttt.

Schöne Beweggründe, den unabhängigen Verlag und seine Verlegerin vorzustellen. (ab)

 

© Archiv Verlag Klaus Wagenbach / Denise Sterr

Wir müssen uns endlich etwas einfallen lassen, die jungen Leser, die noch nicht restlos von der Häppchenkultur versaut sind, für Bücher zu interessieren.

(Susanne Schüssler)

 

Schon während der Schulzeit wollte sie Lektorin werden – die deutschen Autoren der Nachkriegszeit, Heinrich Böll, Jurek Becker, Christa Wolf, Günter Grass hatten es der bayerischen Gymnasiastin angetan. Die erste Faszination fürs Handwerk weckte ihr Vater, der einen medizinischen Fachverlag leitete. Dort hatte die Münchnerin ihren ersten Schülerjob: „Als ich meinen Vater einmal mit Stecknadeln im Mund und der Schere in der Hand sah, wie er einen Klebeumbruch machte, stand fest: Ich will auch ins Verlagsgeschäft. Die Kombination aus Inhalt und Handwerk hat mich begeistert. Und das ist bis heute so geblieben.“ Der Weg führte Susanne Schüssler von einem Volontariat bei Hanser, wo sie dann als Werkstudentin in der Werbung arbeitete, über Praktika in New York, Paris und Köln im Buchhandel und bei literarischen und Kunstbuchverlagen schließlich nach Berlin. Nach der Promotion, sie hatte Germanistik, Kommunikationswissenschaften und Urheberrecht studiert, begann Schüssler 1991 bei Wagenbach, der wichtigsten West-Gründung im geteilten Berlin, dem Verlag der Studentenbewegung, dann der schönen Bücher und der ersten Adresse für italienische Literatur. Zunächst arbeitete sie als Freie in der Presseabteilung, dann fest im Lektorat.

Anders als andere große Verlegerpersönlichkeiten dachte Klaus Wagenbach frühzeitig über seine Nachfolge nach. Neugierig und begeistert hörte er sich an, was „die jungen Leute“ zu sagen hatten. Er unterstützte die Professionalisierung des Verlags, manchmal amüsiert. Wagenbach machte Susanne Schüssler zur Geschäftsführerin, 2002 übertrug er ihr die Leitung des Verlags, seit 2015 ist sie alleinige Gesellschafterin.

Aus den Anfangsjahren, als der linke Verlag politisch angefeindet wurde, der Verleger wegen Gedrucktem „mehr vor Gericht als am Schreibtisch saß“, der Verlag zeitweise sogar ein Kollektiv war, aus diesen turbulenten Jahren sind etliche Ideen geblieben, die Susanne Schüssler nicht untergehen lassen will. „Manches, was lange furchtbar altmodisch gewirkt hat, wird heute als der letzte Schrei in ‚Unternehmenskultur‘ verkauft.“ Dazu gehört das gemeinsame Mittagessen aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (letztere wie überall in der Branche auch bei Wagenbach in der Minderheit), mindestens zweimal in der Woche. Selbstverständlich kinderfreundliche Arbeitszeitmodelle. Aber auch der Grundsatz, dass Bücher ausschließlich von Lektorinnen und Lektoren (inklusive Verlegerin) entschieden werden und obendrein einstimmig. Legt nur einer sein Veto ein, wird das Buch nicht gemacht. Einzige Ausnahme: die „Herzklausel“. Wenn einer der Lektoren gnadenlos fest von einem Projekt überzeugt ist, kann er sagen: „Ich will es trotzdem, Ihr täuscht euch in eurer Einschätzung.“ Nie wird verraten, welche Bücher auf diesem Weg in den Verlag gekommen sind. „Wir müssen uns Gedanken über die Entscheidungsfindung machen“, sagt Susanne Schüssler. „Für mich ist klar, dass an erster Stelle Kompetenz und ein bisschen Intuition stehen müssen. Aber auch, dass Mehrheiten sich irren können.“

 

Klaus Wagenbach und Susanne Schüssler durchs SALTO-Schaufenster fotografiert.  © Archiv Verlag Klaus Wagenbach / Tom Koenigs

Als sie Chefin wurde, hat Susanne Schüssler nicht mit polterigem „Hoppla, jetzt komm ich“-Gestus alles umgekrempelt. Immer noch ist Wagenbach das Haus mit der umfangreichsten und schwergewichtigsten Liste italienischer Literatur. Und die skrupulösen Programmentscheidungen führen dazu, dass der Verlag über eine starke Backlist verfügt: Beispielhaft stehen dafür die knallroten, fadengehefteten Leinenbände der Reihe SALTO – von den in dreißig Jahren erschienenen Titeln ist mehr als die Hälfte lieferbar, und die Backlist der Reihe macht bis zu 80 Prozent des Umsatzes aus. Auch im Gesamtprogramm stehen die „alten Titel“ für gut die Hälfte des Umsatzes von rund zwei Millionen Euro, das ist mehr als das Doppelte des Branchendurchschnitts. Das beruhigt, denn es verleiht Unabhängigkeit vom Erfolg einzelner Novitäten. Allmählich ist das Programm internationaler geworden: der neugierige Blick schweift nach Frankreich und in die frankophonen Länder, nach Spanien und vermehrt nach Lateinamerika. Es erscheinen mehr Bücher von Frauen, die junge deutschsprachige Literatur hat sich als fester Bestandteil des Programms etabliert – preisgekrönt und von der Presse hoch anerkannt. Und aus England kam der erste Bestsellerlistentitel der Verlagsgeschichte, Alan Bennetts geistreiche Erzählung „Die souveräne Leserin“, in der die Queen als passionierte Büchernärrin auftritt – in zehn Jahren wurden davon über 400.000 Exemplare verkauft. Aber auch das Sachbuchprogramm hat sich verändert: Lag der Fokus in der Kunstgeschichte früher vor allem auf der italienischen Renaissance, so wird jetzt gerade die neue Reihe Digitale Bildkulturen konzipiert, deren erste Bände „Netzfeminismus“ und „Selfie“ im März 2019 erscheinen. Und die gute alte Reihe Politik, mit dem Einzug der Postmoderne Anfang der 1980er Jahre in den Dornröschenschlaf gefallen, wurde vor zehn Jahren wieder zu neuem Leben erweckt, jetzt weniger plakativ als früher, eher analytisch und konstruktiv im Umgang mit den drängenden Fragen der Zeit.

„Unsere Leserinnen und Leser sind uns enorm wichtig – nicht, weil wir darüber spekulieren, was sie vielleicht gerne lesen wollen. Wir wollen ihnen Respekt zollen durch schön gemachte Bücher.“ Susanne Schüssler verbringt gern Stunden mit den Herstellerinnen, sieht sich Vorsatz- oder Bezugspapiere an, lässt sich verschiedene Layouts zeigen. Und sie weiß, dass der Grad der Modernisierung schmal ist, damit man die langjährigen Liebhaber nicht verprellt, aber neue hinzugewinnt.

Der wichtigste Transmissionsriemen ist der klassische Sortimentsbuchhandel. Der Verlag zählt auf Buchhändlerinnen und Buchhändler, die ein ständiges SALTO-Regal einrichten, die sich in den neuesten Roman verlieben und ihn empfehlen. Jeden Morgen sieht sich die Verlegerin die Bestellungen aus dem Handel an und freut sich über jede einzelne. Oder überlegt gemeinsam mit dem Vertriebschef, wie man Buchhandlungen noch mehr unterstützen könnte. So wurde 2018 ein Wagenbach-Buch von den unabhängigen Sortimentern zum Lieblingsbuch gewählt: „Alle, außer mir“ von Francesca Melandri, ein großartiger Familienroman vor dem Hintergrund der italienischen Kolonialgeschichte und ihren Folgen für unsere Zeit. „Das Buch der Stunde“, wie ttt kommentierte. Ein Jahr mit vielen Erfolgen übrigens: der Verlag wurde mit dem ersten Berliner Verlagspreis ausgezeichnet, Susanne Schüssler zur Verlegerin des Jahres gekürt.

Wie aber der kontinuierlich zurückgehenden Zahl von Lesern begegnen? Susanne Schüssler ist überzeugt, dass es auch in Zukunft möglich sein wird, qualitativ anspruchsvolle Bücher zu publizieren, wenn der Branche die richtigen Rahmenbedingungen zugestanden werden: Dazu gehören ein starkes Urheberrecht – seit Jahren kämpft sie dafür als Verwaltungsratsmitglied der VG Wort –, oder etwa der feste Ladenpreis und der reduzierte Mehrwertsteuersatz. „Wir müssen uns endlich etwas einfallen lassen, die jungen Leser, die noch nicht restlos von der Häppchenkultur versaut sind, für Bücher zu interessieren.“ Vehement plädiert sie für eine andere Bildungspolitik: Lese- und Informationskompetenz statt Digitalisierung. ˜

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