Recht

Verbraucherrecht: Erste Literatur zur Musterfeststellungsklage

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2019

Seit dem 1. November 2018 gibt es mit der Musterfeststellungsklage eine neue Klagemöglichkeit für registrierte Verbraucherschutzverbände. Die Musterfeststellungsklage ist zu unterscheiden von der besonders in den USA verbreiteten Sammelklage (class action). Eine bloße Gruppenbetroffenheit ist den Rechtsordnungen der Europäischen Union weitgehend fremd. So setzt das deutsche Recht für die Eröffnung des Rechtswegs und die Zulässigkeit einer Klage in der Regel die Verletzung in eigenen subjektiven Rechten voraus (Prinzip des Individualrechtsschutzes). Bei geschädigten Verbrauchern ist allerdings ein „rationales Desinteresse“ festzustellen, geringere Schadensersatz- bzw. Erstattungsansprüche mit großem Aufwand und Kostenrisiko geltend zu machen. Dem soll die Musterfeststellungsklage entgegenwirken. Zwar existieren mit dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (KapMuG) und dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) bereits Musterund Verbandsklagen außerhalb der Zivilprozessordnung, die eine kollektive Rechtsdurchsetzung erleichtern. Diese sind aber nur in bestimmten Konstellationen anwendbar. Innerhalb des kollektiven Rechtsschutzsystems stellt die Musterfeststellungsklage eine Mischung aus Verbandsklage (der Verband repräsentiert die kollektiven Interessen) und Musterklage (Ergebnis einer Individualklage gilt qua Vereinbarung oder kraft Gesetzes zwischen allen oder einer Vielzahl von Betroffenen). Anlass für die Einführung der Musterfeststellungsklage war der Dieselskandal, dessen Ausmaß ein lange verzögertes Reformwerk zur Schnellreife getrieben hat. Die damals einsetzende Dynamik war von der drohenden Verjährung der Ansprüche zum Jahresende 2018 bestimmt.

Die ausschließliche erstinstanzliche Zuständigkeit liegt bei den Oberlandesgerichten. Mit der Musterfeststellungsklage können gemäß § 606 Abs. 1 ZPO qualifizierte Einrichtungen die Feststellung des Vorliegens oder Nichtvorliegens von tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für das Bestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen (Feststellungsziele) zwischen Verbrauchern und einem Unternehmer begehren. Für die Einreichung einer Klage bei einem zuständigen Oberlandesgericht wird zunächst eine Gruppe von mindestens zehn geschädigten Verbrauchern benötigt. Betroffene Verbraucher tragen sich bei Zulassung der Klage dann in ein Klageregister ein. Für die Zulässigkeit der Musterfeststellungsklage müssen innerhalb von zwei Monaten nach öffentlicher Bekanntmachung mindestens 50 Verbraucher ihre Ansprüche angemeldet haben. Der vom Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) sofort am 1. November 2018 eingereichten Klage gegen die Volkswagen AG haben sich über 300.000 Verbraucher angeschlossen. Ein Eintrag in das Klageregister wirkt sich für den individuellen Verbraucher verjährungshemmend aus (§ 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB). Sollte das Gericht zugunsten des klageführenden Verbands entscheiden, ist nur festgestellt, dass ein Sachverhalt vorliegt, der den Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet. Jeder im Klageregister eingetragene Verbraucher muss daraufhin seine Schadenersatzansprüche noch individuell gerichtlich, gegebenenfalls durch alle Instanzen, durchsetzen. Allerdings wird die Vergleichsbereitschaft des Unternehmens in dieser Phase der Rechtsdurchsetzung regelmäßig hoch sein.

Wie immer bei der Einführung neuer Gesetze bemühen sich die juristischen Verlage, den Markt möglichst schnell mit einführender Literatur zu versorgen. Drei noch 2018 erschienene Werke sollen hier vorgestellt werden.

Peter Röthemeyer, Musterfeststellungsklage, Spezialkommentar zum 6. Buch ZPO. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2019.mISBN 978-3-8487-5256-0. 206 S., € 48,00 

Der Untertitel darf nicht dahin verstanden werden, als handle es sich um eine bloße Kommentierung der neuen Vorschriften in der ZPO (§§ 606-614). Diese bilden zwar den Schwerpunkt, vorangestellt wird aber eine 60-seitige, durchaus gehaltvolle Einführung, auf die weder Vorwort noch Klappentext hinweisen. Der Autor Peter Röthemeyer ist Referatsleiter im Niedersächsischen Justizministerium und hat die Entstehung des Gesetzes eng begleitet. Lesenswert in dieser Einführung sind die knappen Ausführungen zum Thema Streuschäden und kalkulierter Rechtsbruch sowie Massenschäden und Prozesstaktik der Vereinzelung. Um den Stellenwert der Musterfeststellungsklage besser einschätzen zu können, stellt sie Röthemeyer in das System staatlicher Handlungsoptionen bei der Durchsetzung von Verbraucherrechten und dem Versuch, Unternehmen zur Rechtstreue anzuhalten. Der Abschnitt über die Entstehung des Gesetzes zeigt auf, dass das Thema auch im letzten Bundestagswahlkampf eine Rolle spielte und mit ungewöhnlich präzisen Festlegungen Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat. Die Einführung, die auch eine Einordnung und Bewertung des Gesetzes enthält, schließt mit einem Ausblick, der die möglichen Schwachstellen des Gesetzes nennt und Weiterentwicklungen in den Blick nimmt.

Es folgt eine sachkundige Kommentierung der neun Paragraphen zur Musterfeststellungsklage in der ZPO (§ 606 bis § 614), die dem Rechtsanwender erste Orientierung und Hilfestellung gibt. Daneben werden die weiteren Vorschriften in der ZPO erläutert, die durch das Gesetz zur Einführung der Musterfeststellungsklage geändert wurden, z.B. §§ 29c, 32c und § 148 ZPO, die Regelung im BGB zur Hemmung der Verjährung (§ 204) sowie § 119 GVG (Zuständigkeit des Oberlandesgerichts) und § 48 GKG (Streitwertbegrenzung). Der Handkommentar gibt somit zum frühestmöglichen Zeitpunkt Antworten auf zahlreiche Auslegungsfragen.

Konkurrenz aus dem eigenen Haus erhält das Werk von Röthemeyer durch

 

Nordholtz/Mekat (Hrsg.), Musterfeststellungsklage. Einführung, Beratung, Gestaltung. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2019. ISBN 978-3-8487-5255-3. 313 S., € 68,00

Das Werk versteht sich als Handbuch, als Wegweiser, der so heißt es im Vorwort, eine „effektive und effiziente Handhabung“ ermöglicht. Die beiden Herausgeber verfügen wie die neun Kollegen aus der Rechtsanwaltschaft, die als Autoren gewonnen werden konnten, über langjährige Prozesserfahrung in kollektiven Rechtsstreitigkeiten, insbesondere mit dem KapMuG sowie aus Sammel-, Gruppen- und Musterklagen im Ausland und komplexen Massenverfahren in Deutschland.

Nach einer Einleitung, die die Zwecksetzung des Gesetzgebers und die Gesetzgebungsentwicklung darstellt sowie eine Abgrenzung zu anderen Prozessinstrumenten vornimmt, wird – aus der Perspektive des Praktikers – das gesamte Verfahren beginnend mit der Verfahrenseinleitung über die Bekanntmachung und Anmeldung Schritt für Schritt erläutert. Breiter Raum wird der Möglichkeit der Verfahrensbeendigung durch Vergleich (§ 611 ZPO) und durch Urteil eingeräumt. Es folgen Kapitel zu den Rechtsmitteln, worunter auch Berichtigungsanträge gefasst werden, und zu den Kosten. Den Abschluss bildet ein Überblick über die Folgeverfahren, die sich als zweite Phase der Anspruchsdurchsetzung an das eigentliche Musterfeststellungsverfahren anschließen.

Mit einer Sammlung von Musterformularen und -formulierungen sowie Checklisten erhält der Leser am Ende des Bandes wertvolle Hilfen. Wer Vertiefung zu einzelnen Fragen sucht, findet im Anhang Hinweise auf Gesetzesmaterialien, auf Stellungnahmen von Verbänden und Sachverständigen und eine umfangreiche Literaturauswahl. In der Anlage ähnlich ist das Werk von

 

Alexander Weinland, Die neue Musterfeststellungsklage, Verlag C.H.Beck München 2019. ISBN 978-3-406-73408-3. XII, 142 S., € 29,00 

Auch dieser Band bietet einen kompakten Überblick über das neue „Rechtsinstrument“, wie die Verlagswerbung die Musterfeststellungsklage nennt. Im Vergleich zu dem zuvor besprochenen Werk hat es einen deutlich geringeren Umfang bei größerer (lesefreundlicher) Schrift. Der Alleinautor ist Richter am Oberlandesgericht.

Die Einleitung zeichnet in knappen Strichen zunächst die Entwicklung des kollektiven Rechtsschutzes nach. Der Abschnitt „Einführung der Musterfeststellungsklage“ befasst sich nicht nur mit der Zielsetzung und dem Regelungskonzept, sondern referiert auch die Kritik von verschiedener Seite an der neuen Klageart. Beginnend mit dem (sachlichen, persönlichen und zeitlichen) Anwendungsbereich gibt Weinland einen kompakten präzisen Überblick über das Verfahren. Im Kapitel „Antrag“ werden neben der Klagebefugnis und formalen Erfordernissen insbesondere die Bekanntmachung im Klageregister und die Anmeldung durch den Verbraucher behandelt. Auf die Ausführungen zur Zuständigkeit folgt ein Überblick über das Verfahren vor dem Oberlandesgericht. Die beiden Formen der Verfahrensbeendigung (Urteil und Vergleich) sowie Rechtsmittel und Kosten- und Gebührenfragen sind die weiteren Themen. Die Darstellung wird abgeschlossen mit einem kurzen Blick auf die Folgeverfahren und das Verhältnis zwischen den betroffenen Verbrauchern und dem klagenden Verband; Gesetz und Gesetzesmaterialien treffen hierzu nämlich keine Aussage.

Im Anhang sind die einschlägigen Gesetzestexte auszugsweise abgedruckt.

Jedes der drei vorgestellten Werke erfüllt auf seine Weise den Zweck, einen direkten Einstieg in die neue Materie zu ermöglichen. Wer (nur) eine schnelle präzise Information will, wird am besten zu dem schmalen Band von Weinland greifen, der durch eine kompakte Darstellung besticht. Das Werk von Röthemeyer liefert diese Informationen in Form einer klassischen Kommentierung mit einer gehaltvollen Einleitung, während der von Nordholtz/Mekat herausgegebene Band als Praxishandbuch konzipiert ist, das weitere Hilfsmittel bereitstellt. Es wird nicht lange dauern, bis zu diesen Einführungswerken umfangreiche Erläuterungen in ZPO- und Spezialkommentaren treten. (bmc) ˜

VRiOLG a.D. Dr. Bernd Müller-Christmann war von 2002 bis Ende Februar 2016 Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe. Er ist Mitautor in mehreren juristischen Kommentaren und Autor in juristischen Fachzeitschriften.

mueller-christmann-bernd@t-online.de

 

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