Recht

Verbraucherrecht

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2023

Maximilian Dettmer, Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Masseschäden, Duncker & Humblot, Berlin 2022, ISBN 978-3-428-18568-9, 299 S., € 79,90.

    Der im Jahre 2015 aufgedeckte und längst nicht vollständig aufgearbeitete Abgasskandal hat erhebliche Defizite in der Durchsetzung von Verbraucherrechten offengelegt. Einigkeit besteht, dass das auf Individualrechtsschutz zugeschnittene deutsche Zivilverfahrensrecht auf die Bewältigung eines derart umfassenden Schadensereignisses mit einer Vielzahl gleichartig Geschädigter unzureichend vorbereitet war und dass es für zu erwartende ähnliche Massenschadenslagen besserer Rechtsschutzmöglichkeiten bedarf.

    Die vorliegende Abhandlung, die 2021 von der Universität Augsburg als Dissertation angenommen und in der Schriftenreihe „Schriften zum Prozessrecht“ publiziert wurde, beteiligt sich an der Diskussion zur Effektivierung der kollektiven Verbraucherrechtsdurchsetzung bei Masseschäden. Mit der Ende 2018 eingeführten Musterfeststellungsklage (§§ 606 ff. ZPO) wurde ein Verfahrensinstrument geschaffen, das es Verbraucherschutzverbänden ermöglicht, das Vorliegen oder Nichtvorliegen anspruchsbegründender oder -ausschließender Voraussetzungen (sog. Feststellungsziele) mit Bindungswirkung gebündelt gegen das beklagte Unternehmer feststellen zu lassen. Die Arbeit untersucht, inwieweit die Musterfeststellungsklage mit den hergebrachten Grundsätzen des Prozessrechts zu vereinbaren ist. Außerdem widmet sie sich den Fragen, ob und wie die zentralen Vorgaben der neuen EU-Verbandsklagenrichtlinie im bestehenden Instrument der Musterfeststellungsklage umgesetzt werden könnten und sollten, sowie mit welchen Maßnahmen sich die vielfältigen Rechtsschutzmöglichkeiten für Verbraucher ansonsten ausbauen und verbessern ließen. Der Autor verwendet „zur sprachlichen Sensibilisierung“ hauptsächlich das generische Femininum, spricht folglich konsequent von der deutschen Gesetzgeberin, der Verbraucherin und den Fahrzeugherstellerinnen. Ob und inwieweit juristische Abhandlungen dieser Art sich der Aufgabe der sprachlichen Sensibilisierung widmen sollten und dürfen, soll hier nicht diskutiert werden; in der folgenden Besprechung wird jedenfalls am herkömmlichen generischen Maskulinum festgehalten.

    Die Arbeit ist in vier Teile gegliedert. Nach einer Einleitung, in der Hintergrund und Untersuchungsanlass sowie die Zielsetzung der Arbeit erläutert werden, stellt der Autor im 1. Teil die zivilprozessuale Problematik von Masseschäden dar und er zeigt im Einzelnen auf, dass die Defizite, welche Individualverfahren bei der Bewältigung verbrauchertypischer Massenschäden anhaften, in den Rahmenbedingungen des deutschen Zivilprozesses wurzeln. Teil 2 beleuchtet das Konzept der Musterfeststellungsklage, das eine zweigeteilte Rechts-

    verfolgung mit der Notwendigkeit von Einzelklagen nach einem rechtskräftigen Musterfeststellungsurteil vorsieht. Auch die Musterfeststellungsklage ist als Zweiparteienprozess mit den den deutschen Zivilprozess prägenden Verfahrensmaximen (Dispositionsmaxime, Verhandlungsmaxime, rechtliches Gehör) ausgestaltet, wobei Verf. konzeptionelle Mängel bei der Ausgestaltung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie beim Gebot der prozessualen Waffengleichheit ausmacht.

    Im 3. Teil wird die Perspektive der Musterfeststellungsklage unter Beachtung der vom deutschen Gesetzgeber bis Ende 2022 zu transformierenden Vorgaben der EU-Verbandsklagenrichtlinie diskutiert. Nach eingehender Darstellung und Prüfung der Einwände gegen das zweistufige Verfahrenskonzept spricht sich der Autor mit guten Argumenten für dessen Beibehaltung aus, weil es sowohl eine gebündelte Verbraucherrechtsdurchsetzung ermöglich als auch Raum für einzelfallgerechte Entscheidung belässt. Vorgeschlagen wird neben Änderungen im Kleinen die Erweiterung um einen Leistungsmechanismus, mit dem Verbraucher im Erfolgsfall auf der ersten Stufe auf der Basis der getroffenen Feststellungen eine Mindestabhilfe beanspruchen können. Im 4. Teil werden die Ergebnisse der Arbeit präzise und übersichtlich zusammengefasst. Die flüssig geschriebene, gut lesbare Arbeit liefert einen wertvollen Beitrag zu einem aktuellen Thema. Die sich durch gründliche und sorgfältige Abwägung auszeichnende Bestandsaufnahme vermittelt eine solide Grundlage für die folgenden Überlegungen. Man muss nicht jedem Vorschlag zustimmen, bedenkenswert sind die gut durchdachten Anregungen allemal. (bmc) ˜

    VRiOLG a.D. Dr. Bernd Müller-Christmann war von 2002 bis Ende Februar 2016 Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe. Er ist Mitautor in mehreren juristischen Kommentaren und Autor in juristischen Fachzeitschriften.

    mueller-christmann-bernd@t-online.de

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