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Unser Fragebogen – Else Laudan

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2019
Antworten von Else Laudan,
Argument Verlag mit Ariadne, Hamburg

Meine Vorbilder sind Menschen, die die Welt besser machen wollen, die Gesellschaft gerechter für alle, und die dafür mit ihren Mitteln leuchtende Kultur schaffen.

Was ist Ihre Erinnerung an Ihr erstes Buch? Um wel­ches Buch handelt es sich?

Ich bin zwischen Regalen und Bücherbergen aufgewachsen, und meine arbeitende Mutter lehrte mich extrem früh lesen, damit ich sinnvoll beschäftigt war. Das erste nachhaltig geliebte Buch, bei dem ich dieses feierliche staunende Gefühl eines Fensters zur Welt kennenlernte, war Kiplings Dschungelbuch in einer dicken, leinengebundenen Ausgabe, hellgrün mit Panther Baghira als goldenem Prägestempel klein vorne drauf. Ich las es viermal hintereinander, lief mit dem Wolfsrudel, ritt Toomais Elefanten und trat mit Rikki-Tikki-Tavi gegen Naag an. Da war ich vier, seitdem ist Lesen mein halbes Leben.

Ihre drei Lieblingsbücher sind …

Das Weltkrieg-Epos „Gone to Soldiers / Menschen im Krieg“ von Marge Piercy – der atemberaubendste historische Roman, den ich je gelesen habe: fesselnd, hintergründig, geschichtlich akkurat, eine soghafte Erzählung menschlichen Lebens mit allen Facetten.

Die Pentalogie „Das Blut des Adlers“ von Liselotte Wels­kopf-Henrich – als Kind entdeckt und mindestens fünfzehnmal gelesen, megaspannende Romanfolge aus dem Leben widerständiger Dakota in den 1970er Jahren, charakterbildend.

Der Roman „Lady Bag“ von Liza Cody – ein rasanter Kriminalroman aus Sicht einer obdachlosen Alkoholikerin, grandioses Statement zu Normalität und aktuellem sozialem Klima. Meist habe ich eine Klamauk-Phobie, bei Cody aber feiere ich jede Pointe. Genial.

Würden Sie Ihre Lieblingsbücher auch als eBook le­sen?

Ich habe gar keinen Reader – arbeite eh zu viel am Bildschirm – und liebe echte Bücher, das Aufschlagen ist das Öffnen einer Tür, das Umblättern ein Weitergehen auf einem erzählerischen Weg, und beim Zuklappen am Ende überlege ich, wer das unbedingt auch lesen muss.

Entspannen Sie beim Lesen oder was sind Ihre Mittel gegen Stress?

Ja, Lesen ist mein Entspannungssport, meine Einschlaf­droge und meine geistige Wellnessmassage. Ich lese schnell und maßlos viel – fast noch mehr, als ich rede – und unglaublich gern. Ohne das Glück des Lesens könnte ich der Realität kaum ins Gesicht sehen, was aber unbedingt notwendig ist.

Traumjob VerlegerIn? Beruf oder Berufung?

Berufung spielt schon mit, da ich ein Sprachmensch bin, ansonsten ist es viel mehr als ein Beruf, bei mir ist es Übersetzen, Lektorat, Programm machen, Networken und massenhaft Verantwortung aller Art, ein Rund-um-dieUhr-Knochenjob, zudem prekär, nur mit sehr viel Idealismus lebbar. Traumhaft wird es da, wo Unwahrscheinliches gelingt: Ohne nennenswerte Solvenz, nur durch Hingabe und Qualität Autorinnen glücklich machen, ohne Marketingbudget gute Bücher verbreiten, internationale Weltklasse-Schriftstellerinnen wie Liza Cody, Malla Nunn und sogar Sara Paretsky ins Programm bekommen, einfach weil wir gute Arbeit machen.

Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Durch die Krimis. Der marxistisch-feministische Wissenschaftsverlag, den meine Eltern über vier Dekaden aufgebaut haben, ist das notwendige integre Fundament unseres heutigen Argument Verlags, hätte mich aber allein nie gereizt – das Kulturprojekt Ariadne hingegen war auf Anhieb ein Magnet: populäre Kunst, die aufklärt, bildet und sich mit Charisma und gutem Erzählen gegen Unterdrückung und Unsichtbarmachung wehrt – das ist zu 100% genau meine Baustelle.

Gibt es für Sie ein Vorbild aus der Welt der Verleger­Innen?

Meine Vorbilder sind Menschen, die die Welt besser machen wollen, die Gesellschaft gerechter für alle, und die dafür mit ihren Mitteln leuchtende Kultur schaffen. Wie Antonio Gramsci, Ursula LeGuin, Claude Nobs, Sara Paretsky. Es gibt zum Glück viele von uns, auch unter Verleger/innen, die sich mit Hingabe engagieren, nicht korrumpieren lassen, weiterdenken, kleine Utopien umsetzen.

Wie beginnt ein guter Tag als VerlegerIn?

Mit Kaffee, Zigarette, Scherzen mit den Kolleg/innen und im Idealfall einer tollen Kritik zu einem unserer Bücher. Oder einer guten Nachricht von einer Autorin oder anderen liebgewonnenen Kulturschaffenden.

Und wie sieht ein schlechter Tag aus?

Richtig schlechte ganze Tage sind zum Glück eher selten. Runterzieher gibt es schon: hohe Remittenden, Lagerschrumpfung im Barsortiment, Missverständnisse oder Konflikte, nervige Bürokratie. Aber dann kommt auch wieder ein Kaffee, eine Zigarette, eine tolle Kritik …

Was war das spannendste Ereignis in Ihrem Berufs­leben?

Die Mitgründung des Autorinnen-Netzwerks HERLAND. Mit acht der besten Politkrimiautorinnen des deutschsprachigen Raums um einen Tisch zu sitzen und eine kreative, solidarische, unbeugsame Einmischerinnengruppe auf die Beine zu stellen – das war unglaublich spannend. Lauter tolle Nonkonformistinnen, alle politisch, feministisch, gottlos, aufbrechend, gegen rechts, antikapitalistisch, anti­patriarchal und erfolgreich. (Mehr dazu hier: https://herlandnews.com/positionen/)

In einem FAZ-Interview stellte Felicitas von Loven­ berg Verlegern diese Frage: Wenn Sie eine einzige Veränderung am Buchmarkt bestimmen könnten – welche wäre es?

Da hätte ich etliche Wünsche und Visionen von praktizierter Geschlechterparität bis Bibliodiversität – aber ich wähle mal ein dringliches und konkret machbares Anliegen aus. Die Formulierung „am Buchmarkt“ suggeriert schon genau den althergebrachten Blickwinkel, dem wir jetzt etwas entgegensetzen müssen. Der engagierte und gesellschaftlich fruchtbare Teil dieses Buchmarkts geht an den von Konzentrationsprozessen geprägten wirtschaftlichen Zwängen zugrunde, wenn nicht endlich der Kulturund Bildungsauftrag vom rein ökonomistisch gedachten Wettbewerbsprinzip entlastet wird, und zwar sowohl für die Verbreitung (Buchhandel, Bibliotheken etc.) als auch für die Produktion unserer Literaturen. Wir brauchen sofort eine nicht profitorientierte, sondern politisch gestützte und geschützte Struktur für Begegnungen und

Austausch zwischen Publikum und Schreibenden sowie Büchermacher/innen – eine öffentliche, gemeinnützige Literaturszene für alle. Das kann die Buchhandlungen als Ort natürlich einbeziehen und dazu weitere Orte schaffen, an denen alle Menschen Lektüren und Literaturkontexte angeboten bekommen: regelmäßig, vielfältig, geschlechterparitätisch, gut kontextualisiert, aufklärerisch, ohne Fach- und Genredünkel, für jung und alt und überhaupt für alle. Denn wir müssen unbedingt alle zur Neugierde einladen, zum Lesen und Lernen, zum Lesen und Denken und Diskutieren, zum Erleben und Teilen und Kommunizieren auch ohne Smartphonescreen, wir müssen das Medium Buch in die ganze Gesellschaft zurückbringen, einer gedanklichen und kulturellen Vielfalt Raum geben und die Fantasie mit Geschichte/n nähren, damit eine bessere Welt möglich wird. Der Kultur- und Bildungsauftrag rund ums Buch gehört schleunigst aus dem Wirtschaftswürgegriff gelöst und als extrem relevante Ressource für die Gesellschaft von heute und morgen erkannt. Also fordere ich als erste „Veränderung am Buchmarkt“ die Schaffung und Finanzierung einer lebendigen öffentlichen Infrastruktur für Literaturveranstaltungen, selbstredend mit vernünftigen Honoraren und Reisekosten für alle beteiligten Kulturschaffenden, deren Engagement allzu oft unter prekären Bedingungen stattfindet, obwohl es gesellschaftlich unschätzbar wertvoll ist. Das lässt sich doch umsetzen! Ein Zehntel vom Brot-und-Spiele-Etat sinnloser Sportevents würde dicke reichen, damit das blüht und gedeiht.

Wie viel Prozent seines Umsatzes wird Ihr Verlag im Jahr 2025 durch elektronische Informationen erwirt­schaften?

Vermutlich 25%, vielleicht auch mehr, aber wir werden sehen – ich halte Bücher, die von Hand zu Hand gehen und im je eigenen Tempo überall lesbar sind, für unverzichtbar.

Und die große Frage am Schluss: Wie wird sich die Verlagslandschaft in den nächsten zehn Jahren ver­ändern?

Genau wie bei unserer Gesellschaft hängt alles davon ab, ob es gelingt, aus der neoliberalistischen Destruktivität, Raffgier und Vereinzelung auszubrechen, andernfalls sehe ich schwarz. Wir brauchen jetzt ein auf demokratische Bildung, Kooperation und Gemeinschaft orientiertes Gesellschaftsprojekt, sonst zerstören wir den Rest unserer Welt. Statt einzeln um Vorteile und Privilegien zu rangeln, müssen wir Gesellschaft gemeinsam machen. Wir Literaturschaffenden können dafür viel tun. Hoffnungsvoll formuliert müsste sich die Verlagslandschaft in den nächsten zehn Jahren dem geistlosen Primat des Kapitalinteresses entziehen und zu der Quelle vielfältiger, kunstvoller Erzählung und realistischer, zugänglicher Reflexion werden, die wir so dringend benötigen. Damit es eine Zukunft gibt. ˜

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