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Unser Fragebogen – Dr. Nora Pester

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 3/2018
Dr. Nora Pester, Hentrich & Hentrich, Berlin

Was ist Ihre Erinnerung an Ihr erstes Buch? Um welches Buch handelt es sich?

Mein erstes Buch, das ich selbst gelesen habe, war „Tina entdeckt das Meer“, ein DDR-Kinderbuch über ein Mädchen in Island. Zum ersten Mal das Meer zu sehen, kommt dem Erlebnis, zum ersten Mal eine Geschichte selbst zu lesen, sehr nahe. Als Baby hatte ich mal eine Phase, in der ich meinen Brei nur gegessen habe, wenn mir meine Eltern dabei das Fotobuch „Mein Italien“ der Schauspielerin Gina Lollobrigida vorblätterten. Die verklebten Buchseiten erinnern noch heute daran.

Ihre drei Lieblingsbücher sind …

Es gibt Bücher, deren Leseerfahrung einen fürs Leben prägt. Dazu gehört für mich „Das Tagebuch der Anne Frank“. Seit Jahrzehnten begleitet und rettet mich im Alltag ein unscheinbares, ausgebleichtes DDR-Kochbuch: „Liebe geht durch den Magen. ABC des Kochens“ von Erna und Günter Linde. Die Essays von Jürgen Habermas werden mir immer ein intellektueller Leuchtturm sein.

Würden Sie Ihre Lieblingsbücher auch als eBook lesen?

Nein, weil ich nicht noch mehr Lebenszeit mit elektronischen Medien verbringen möchte und ein Werk gern in seiner Gesamtheit und nicht nur ausschnitthaft in den Händen halte.

Entspannen Sie beim Lesen oder was sind Ihre Mittel gegen Stress?

Da ich privat wenig Belletristik und keine Unterhaltungsliteratur lese, ist Lesen für mich eher aktive Beschäftigung mit einem speziellen Thema und Erkenntnisgewinn. Entspannende Lektüre finde ich in Comics. Gegen Stress hilft mir eine ausgiebige Dusche. Da kommen mir auch die besten Ideen.

Traumjob VerlegerIn? Beruf oder Berufung?

Es ist ein Traumjob und ein Privileg, Unternehmerin zu sein, die mit Ideen und einem daraus entstehenden Kulturgut handeln darf.

Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Als der Verleger Gerhard Hentrich 2009 starb, wurde ich gefragt, ob ich dessen Lebenswerk fortführen wollte und habe den Verlag gekauft. Für eine bewusste Entscheidung blieb mir in dieser Situation gar keine Zeit. Hätte ich damals länger darüber nachdenken können, hätte ich sicher „kalte Füße“ bekommen und es mir nicht zugetraut – und das wäre ein Fehler gewesen.

Gibt es für Sie ein Vorbild aus der Welt der VerlegerInnen?

Nein, aber Persönlichkeiten, denen ich wertvolle Erfahrungen verdanke. Ich habe Respekt vor den Kolleginnen und Kollegen, die unternehmerisch verantwortungsbewusst handeln, die ihre Bücher und Autoren und nicht sich selbst in den Mittelpunkt stellen.

Wie beginnt ein guter Tag als VerlegerIn?

Mit einem Blick in die Umsatzstatistik – und wenn mich im Büro ein gutgelauntes Team erwartet.

Und wie sieht ein schlechter Tag aus?

Mit einem Blick in die Umsatzstatistik – und wenn es mir nicht gelingt, einer Autorin oder einem Autor verständlich zu machen, dass wir uns stets in ihrem und im Interesse ihres Werkes so intensiv mit ihren Texten beschäftigen und an ihnen arbeiten. Und dass dies leider nicht mehr selbstverständlich ist.

Was war das spannendste Ereignis in Ihrem Berufsleben?

Dass ich mich mit der Übernahme des Verlags auf eines der spannendsten, schönsten, widersprüchlichsten und vielseitigsten Länder dieser Welt einlassen durfte: Israel.

In einem FAZ-Interview stellte Felicitas von Lovenberg Verlegern diese Frage: Wenn Sie eine einzige Veränderung am Buchmarkt bestimmen könnten – welche wäre es?

Dass nicht mehr der (Zwischen-)Handel den Verlagen die Bedingungen diktiert, sondern umgekehrt. Durch absurd hohe Rabatte, volles Rückgaberecht etc. haben wir uns zu Marionetten und Bittstellern degradieren lassen. Wir verschenken unsere eigenen Produkte eher, als dass wir sie noch vernünftig verkaufen würden, obwohl wir das verlegerische Risiko tragen.

Wie viel Prozent seines Umsatzes wird Ihr Verlag im Jahr 2020 durch elektronische Informationen erwirtschaften?

Weniger als fünf Prozent.

Und die große Frage am Schluss: Wie wird sich die Verlagslandschaft in den nächsten zehn Jahren verändern?

Egal ob Konzern oder Independent, ob gedrucktes oder elektronisches Buch – wenn die Kulturkompetenz des Lesens und Verstehens längerer zusammenhängender Texte und die Zeit des Einzelnen dafür weiter schwinden, dann werden auch die Verlage verschwinden.

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