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Unser Fragebogen – Alexander Wewerka

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2023
Antworten von Alexander Wewerka, Alexander Verlag, Berlin

Was ist Ihre Erinnerung an Ihr erstes Buch? Um welches Buch handelt es sich?

Ein Kinderbuch von Bertolt Brecht mit wunderbaren Zeichnungen von Elizabeth Shaw, ein Geschenk meiner Großmutter väterlicherseits, die in Magdeburg lebte und uns circa 1964/65 in West-Berlin besuchen kam. Ich habe das Buch heute noch: Eine sehr gute Auswahl an Geschichten und Gedichten, die ich erst später lesen konnte, am Anfang zogen mich der geprägte Leineneinband, das DDRPapier und vor allem die Zeichnungen von Shaw in den Bann. Robinson Crusoe, Die Schatzinsel, Enid Blytons Abenteuer-Reihe, Hans Hass’ Menschen und Haie und im schrecklichen Hort dann fast alles von der genialen Astrid Lindgren, kleine Pappbände, ebenfalls mit Federzeichnungen. Mit der Lektüre konnte ich mich aus meinem Eingesperrtsein fortbeamen.

Ihre drei Lieblingsbücher sind …

Tja, wann?! Heute natürlich andere als vor 10, 20, 30, 40 oder 50 Jahren … Starke = rauschhafte und vielleicht prägende Leseerlebnisse gab es – grob chronologisch – mit Josephine Mutzenbachers Aufzeichnungen und Oswald Wieners Kommentaren; Hubert Selbys Letzte Ausfahrt Brooklyn; Heinrich Heine und natürlich Goethes Werther beim ersten oder zweiten Liebeskummer. Dann, dank eines großartigen Deutschlehrers, kamen Jurek Becker, Günther Eich und vor allem Paul Celan; mit Anfang 20 Dostojewskis Schuld und Sühne, später Stendhal, Gustave Flaubert, Jörg Fauser, Raymond Chandler, Ross Thomas, Heiner Müller, Curzio Malaparte, Michel Houellebecq und zuletzt Annie Ernaux … und viele andere, die mir natürlich alle erst einfallen werden, wenn ich den Fragebogen abgeschickt habe.

Würden Sie Ihre Lieblingsbücher auch als eBook ­lesen?

Zur Not ja, aber wenn ich die Wahl habe: Immer lieber auf Papier, egal ob Paperback oder gebunden, Hauptsache, die Typo stimmt.

Entspannen Sie beim Lesen oder was sind Ihre Mittel gegen Stress?

Es gibt nur wenige Texte, die dafür stark genug waren oder sind. Sonst ist Bewegung und hier nicht zu Nennendes besser für mich.

Traumjob VerlegerIn? Beruf oder Berufung?

Aus einer Idee mit 22 gegen 22 Uhr wurde eine interessante Learning-By-Doing-Tätigkeit, aus der Tätigkeit langsam eine verlockende Berufung und schließlich mein Beruf … Ich staune heute noch.

Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Nach der Schule gerne und gut eine Buchhändlerlehre bei Kiepert in Berlin absolviert. Danach fast in Basel bei Wipp gelandet, aber nach einer panischen Nacht am nächsten morgen nach Paris weitergefahren, um dort Pantomime zu werden. Nach einem schönen, aber auch sehr hartem Jahr die Zelte wieder abgebrochen und herausgefunden: Ich bin weder Franzose noch Schauspieler. Zurück in West-Berlin, nach einigen leicht ver(w)irrten Monaten die Idee, Bücher und Darstellende Kunst miteinander zu verbinden.

Gibt es für Sie ein Vorbild aus der Welt der Verleger­Innen?

Es gab viele tolle Persönlichkeiten, hier möchte ich nur Kurt Wolff und Jörg Schröder nennen – aber heute sehe ich immer mehr austauschbare Figuren auf Schleudersitzen. Es gibt natürlich nette Kollegen, auch in den großen Verlagen, aber insgesamt ist doch alles sehr kommerziell geworden.

Wie beginnt ein guter Tag als VerlegerIn?

Mit optimistischem Tatendrang! Komme, was wolle!

Und wie sieht ein schlechter Tag aus?

Wenn ich abends das Gefühl habe, den ganzen Tag nichts Sinnvolles geschafft zu haben.

Was war das spannendste Ereignis in Ihrem Berufsleben?

Spontan (weil ich im Verlagsarchiv vor kurzem die Fotos wieder gefunden habe) fällt mir die Doppelbuchvorstellung von Gregor ­Gysi und Heiner Müller auf der Leipziger Buchmesse 1992 ein – statt der erwarteten vielleicht 50 bis 70 Zuschauer:innen kamen hunderte ins enge Messegebäude (damals noch am Markt) geströmt und am Ende lasen die beiden auf dem Marktplatz auf einer von mir »geborgten« Bühne (eine Jazzband überließ uns die Bühne und die Mikros) und zusammen mit den Marktbesucher:innen, den Tourist:innen und dem Musikpublikum standen die beiden staunend und grinsend im frischen Frühlingswind vor gefühlt tausend Menschen, es war sensationell.

Wenn Sie eine Veränderung am Buchmarkt bestimmen könnten – welche wäre es?

Die Konditionen sind inzwischen haarsträubend: Es wird hemmungslos remittiert und digital vervielfältigt. Die Rabatte liegen bei 50 und mehr Prozent. Es ist und war immer ein Geschäft, klar, Geld muss sein, aber es ist eben nicht nur ein Geschäft, es geht auch um Inhalte. Mir scheint, früher war das Inhaltliche wichtiger als das Geschäftliche oder hatte eine andere Bedeutung, zumindest in meinem Umfeld.

Wie viel Prozent seines Umsatzes wird Ihr Verlag in fünf Jahren durch elektronische Informationen ungefähr erwirtschaften?

Schwer zu sagen: Wenn man uns und unsere Arbeit korrekt bezahlen würde, wenn also die ganzen PDFs, die von unseren Büchern an den (Hoch)Schulen kostenlos kursieren, endlich vernünftig abgerechnet werden würden, dann ginge es uns garantiert besser und das könnte einen Anteil Richtung 20-30% erreichen – schätze ich. Aktuell erwirtschaften unsere eBooks etwa 5% des Umsatzes.

Und die große Frage am Schluss: Wie wird sich die Verlagslandschaft in den nächsten zehn Jahren verändern?

Keine Ahnung und eigentlich ist es mir auch egal, weil mir »die Verlagslandschaft« immer egal war. Verstehen Sie mich nicht falsch! Kürzlich sagte mir ein amerikanischer Jude, der seit fast 60 Jahren in Berlin lebt: »In Deutschland höre ich so oft: Die Juden, die Ausländer usw. Bei uns sagt man eher, this jew or this foreigner usw.« Es wird sich immer weiter konzentrieren, bei den Verlagen und bei den Buchhandlungen, der mainstream wird immer breiter und dominanter, aber es wird immer das Salz in der Suppe geben: die Kleinen und die Anderen!

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