Recht

Umweltrecht im Mehrebenensystem

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2023

Das in Deutschland geltende Umweltrecht steht heute mehr denn je im Spannungsfeld zwischen der dynamischen Rechtsetzung der Europäischen Union einerseits und der ihr eher zurückhaltend gegenüberstehenden, auch eigene politische Ziele verfolgenden Rechtsetzung des nationalen Gesetzgebers. Überlagert wird dieses Spannungsfeld vom internationalen Umweltrecht, das – die Union und deren Mitgliedstaaten übergreifend – versucht, dem Umweltschutz mittels völkerrechtlich vereinbarter Verfahrensstandards zur Durchsetzung zu verhelfen. Alle drei Rechtsebenen müssen zugleich berücksichtigen, dass der Umweltschutz in freiheitlich verfassten Rechtssystemen keine absolute Priorität beanspruchen kann, sondern in ein mehrpoliges Rechtsverhältnis zwischen Unternehmen, Staat und Privaten eingebettet bleiben muss. In diesem Rechtsverhältnis sind die Grundrechte, die freiheitlich verfasste Rechtssysteme kennzeichnen, nicht nur als Abwehrrechte gegen den Staat von Bedeutung. Sie spielen vielmehr auch als Schutzpflichten des Staates im Umweltrecht eine herausgehobene Rolle, da grundrechtsrelevante Umweltschädigungen oft von privaten Akteuren ausgehen. Dieses Geflecht aus mehreren Rechtsebenen und verfassungsrechtlich aufgeladenen Interessenkonflikten kann in der Praxis nur funktionieren, wenn die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen durch Entscheidungen der zuständigen Fach- und Verfassungsgerichte verbindlich klargestellt werden, die Einhaltung dieser Rechtsfolgen wirksam überwacht und – auch gegenüber Legislative und Exekutive – praktisch durchgesetzt wird. Den sich daraus ergebenden dogmatischen Strukturen und den dadurch aufgeworfenen Rechtsfragen widmen sich die im Folgenden zu besprechenden Neuerscheinungen. Deren Ziel ist es, die damit verbundenen Phänomene und Handlungsformen zu beschreiben, ihre Entwicklung und die zugrunde liegende Strategie darzustellen und sie durch die Herausarbeitung grundlegender und übergreifender Charakteristika in das Gesamtrechtssystem einzuordnen. Es handelt sich somit um wertvolle juristische Beiträge zu hochaktuellen neuen Entwicklungen des umweltbezogenen Verfassungs- und Verwaltungsrechts im europarechtlichen und völkerrechtlichen Kontext.

Lukas Knappe, Die Maßnahmenplanung im europäisierten Verwaltungsrecht. Grundstrukturen, Dogmatik und Rechtsfragen eines neuartigen verwaltungsrechtlichen Planungsinstruments im europäischen und nationalen Umweltrecht, Carl Heymanns Verlag, Hürth 2022. ISBN 978-3-452-29847-8; 593 S., kartoniert, € 125,00. ­

    Diese Arbeit ist als Dissertation an der Universität Bonn bei Wolfgang Durner entstanden. Es handelt sich um eine grundlegende Untersuchung zu den Strukturen des aus dem europäischen Unionsrecht stammenden Instruments der Maßnahmenplanung und den dadurch aufgeworfenen Rechtsfragen. Als Referenzgebiet dafür dient das europäische Umweltrecht, das mit seinem final-planerischen Regelungsansatz den Mitgliedstaaten zahlreiche Pflichten zur Maßnahmenplanung auferlegt. Beispiele dafür sind Luftreinhaltepläne, Lärmaktionspläne, wasserwirtschaftliche Pläne, meeresschutzrechtliche Fachpläne, aber auch FFH-Managementpläne, Aalbewirtschaftungspläne, Hochwasserrisikomanagementpläne und Abfallwirtschaftspläne. Der Verfasser sieht mit überzeugender Begründung in dieser Maßnahmenplanung einen eigenständigen Planungstypus als Ausprägung einer – an Regelungstrends des Umweltvölkerrechts orientierten – Regelungsstrategie des Unionsrechts, die damit der Verwaltung der Mitgliedstaaten das zentrale Vollzugsinstrument zur Realisierung der übergeordneten europäischen Zielvorgaben bereitstellt. Die Maßnahmenpläne treten zwischen diese Vorgaben und die hierauf bezogenen Einzelmaßnahmen und dienen mit dieser „Scharnierfunktion“ der Steuerung und Programmierung des Verwaltungshandelns. Nach einer phänomenologischen Darstellung von Dogmatik, Grundstrukturen und Bauteilen der Maßnahmenplanung untersucht er im Einzelnen, wie sich diese neuartige Planungsform in die nationale deutsche Rechtsordnung einfügt, welche verfassungsrechtlichen Fragen sich damit verbinden, welche Rechtmäßigkeitsanforderungen an Maßnahmenpläne zu stellen sind, welche praktisch bedeutsamen Vollzugsfragen die Maßnahmenplanung aufwirft und welche Rechtsschutzfragen dabei gelöst werden müssen. Auch wenn viele Vollzugs- und Rechtsschutzfragen noch weiterer Klärung durch Gesetzgeber und Gerichte bedürfen, hat der Verfasser mit dieser Monografie eine bedeutsame Pionierarbeit geleistet, die den bisherigen Erkenntnisstand zu seinem Thema erschöpfend zusammenfasst. Dabei hält er mit Kritik an der vom deutschen Gesetzgeber beim Rechtsschutz gegen Maßnahmenpläne geschaffenen Privilegierung von politisch einflussreichen, finanzstarken Umweltverbänden gegenüber betroffenen natürlichen Personen nicht hinter dem Berg.

     

    Hagen Lohmann, Die Dogmatik geheimer Unternehmensinformationen im Umweltrecht. Eine rechtsebenenübergreifende Untersuchung, Duncker & Humblot, Berlin 2022. ISBN 978-3-428-18646-4; 252 S., kartoniert, € 79,90.

      Die umweltrechtlichen Regelungen zu geheimen Unternehmensinformationen sind das Thema dieser bei Lothar Knopp an der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg entstandenen rechtswissenschaftlichen Dissertation. Sie bilden ein besonders eingängiges Beispiel für die Einbettung des Umweltschutzes in das mehrpolige Rechtsverhältnis zwischen Unternehmen, Staat und Privaten. Der Verfasser geht der Frage nach, ob diese Regelungen auf den Ebenen internationalen, europäischen und nationalen deutschen Rechts gemeinsamen Strukturen folgen. Nach einer einführenden Begriffsklärung untersucht er den Regelungsgehalt der umweltrechtlichen Vorschriften, die die Geheimhaltung bei Informationserhebung und Informationsweitergabe betreffen, und ihre Bedeutung im Zusammenhang der Rechtsordnung. Dabei betrachtet er zunächst das internationale und europäische Umweltrecht und sodann ausführlicher das Grundgesetz und das einfachgesetzliche deutsche Recht. Während die Erhebung von umweltrelevanten Unternehmensinformationen im Umweltvölkerrecht nur ansatzweise geregelt sei, existiere mit der Aarhus-Konvention ein ausgeglichenes Regelwerk über die Informationsweitergabe einschließlich des Schutzes geheimer Unternehmensinformationen. Die entsprechenden Regelungen hätten auch Einfluss auf die anderen Rechtsebenen. Im europäischen Umweltrecht werde zwar die Informationserhebung durch die Umweltverträglichkeitsprüfung konkretisiert. Der Schutz von Unternehmensgeheimnissen bleibe aber grundsätzlich den Mitgliedstaaten überlassen. Im Bereich der Informationsweitergabe enthielten allerdings die Umweltinformationsrichtlinie und die Aarhus-Verordnung Vorschriften über die Verbreitung und die Geheimhaltung von Unternehmensinformationen. Auf der Ebene des deutschen Verfassungsrechts ließen sich derartige Regelungen aus den Grundrechten ableiten. Auf der einfachgesetzlichen Ebene seien die Vorschriften des Immissionsschutzrechts über die Informationserhebung im Rahmen der Anlagenzulassung und -überwachung beispielhaft. Der Schutz von Unternehmensgeheimnissen sei dagegen auch im nationalen Recht nur defizitär geregelt, weil die Wechselwirkungen mit dem Umweltinformationsrecht und die dadurch entstehenden Kennzeich-nungsprobleme nicht ausreichend beachtet würden. Die Arbeit schließt mit einer übergreifenden Bewertung und einer Zusammenfassung sich daraus ergebender Empfehlungen für die Praxis der Unternehmen und der Gesetzgebung.

       

      Maximilian Weinrich, Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten des Staates, Duncker & Humblot, Berlin 2022. ISBN 978-3-428-18458-3; 493 S., geb., € 109,90.

        Von höherem Abstraktionsgrad, allerdings auf das deutsche Verfassungsrecht beschränkt ist diese 2016 bis 2019 an der Universität Würzburg bei Ralf Brinktrine entstandene Dissertation. Deren damals noch gefestigt scheinende Thematik hat inzwischen durch die Proteste und Widerstandshandlungen privater Klimaaktivisten und den aufsehenerregenden Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2021 neue politische Aktualität und damit verbundene juristische Dynamik gewonnen. Diese konnte in dem auf der Auswertung jahrzehntelang entwickelter Grundrechtsdogmatik beruhenden Hauptteil der Arbeit noch nicht berücksichtigt werden. Sie wird vom Autor aber in einem Nachwort gewürdigt und in Bezug zu seinen Ergebnissen gesetzt. Sein Ansatz, den Grundrechten Begründungen und Maßstäbe für Umweltschutzpflichten des Staates zu entnehmen, wurde vom Bundesverfassungsgericht in der Überraschungsentscheidung vom Mai 2021 unter Aufwertung der vorher zahnlosen Staatszielbestimmung des Art. 20a GG sehr eigenwillig und teilweise erratisch weiterentwickelt. Der Autor analysiert demgegenüber im Hauptteil seiner Arbeit wissenschaftlich systematisierend die Herleitung und rechtsdogmatische Einordnung grundrechtlicher Schutzpflichten unter Berücksichtigung ihrer historischen Entwicklung, ihre Tatbestandsvoraussetzungen und deren Rechtsfolgen im Bereich des Umweltschutzes sowie die Möglichkeiten ihrer gerichtlichen Durchsetzung und geht abschließend mit skeptischer Tendenz auf die Diskussionen um die sogenannten „Klimaklagen“ und um die Aufnahme weiterer Umweltschutzbestimmungen in das Grundgesetz ein. Der Kritik des Verfassers an der bisher auf eine Evidenzkontrolle beschränkten verfassungsgerichtlichen Judikatur zum Umweltschutz dürfte durch die im Klima-Beschluss der Sache nach für Inlandssachverhalte angewandte Vertretbarkeitskontrolle der Boden entzogen sein. Dass das Bundesverfassungsgericht den Verfassungsbeschwerden teilweise stattgegeben hat, weil zwar keine Verletzung der grundrechtlichen Schutzpflicht vor den negativen Folgen des Klimawandels festzustellen sei, aber das Klimaschutzgesetz durch die von ihm bis 2030 zugelassenen Emissionen die nach 2030 noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten so er- heblich reduziere, dass dann praktisch jede grundrechtliche Freiheitsbetätigung gefährdet sei, und damit eine unverhältnismäßige „eingriffsähnliche Vorwirkung“ entfalte, wirft neue rechtsdogmatische Fragen auf, die außerhalb des Themas dieser Arbeit liegen.

         

        Florian Zeitner, Das Aarhus Convention Compliance Committee (ACCC). Institution, Legitimation, Rezeption, Duncker & Humblot, Berlin 2022. ISBN 978-3428-18679-2; 306 S., kartoniert, € 89,90.

          Diese bei Bernhard Wegener an der Universität ErlangenNürnberg entstandene Dissertation behandelt eine wirkmächtige Institution des internationalen Umweltrechts. Seit 2001 ermöglicht die Aarhus-Konvention es Umweltverbänden und Einzelpersonen, die Einhaltung umweltbezogener Vorschriften einzuklagen und deren Umsetzung gerichtlich zu erzwingen. Für die Einhaltung dieses völkerrechtlichen Vertrages soll ein zweistufiger Überprüfungsmechanismus sorgen. In dessen Zentrum steht ein aus neun unabhängigen Persönlichkeiten bestehendes Compliance Committee („Erfüllungsausschuss“) als Überwachungsgremium, an das auch Individualbeschwerden herangetragen werden können. Für die Rechtsverbindlichkeit der Entscheidungen dieses Gremiums ist deren Bestätigung („endorsement“) durch die Tagung der Vertragsparteien erforderlich, die allerdings regelmäßig erteilt wird. Die Untersuchung beginnt deskriptiv mit einer Erörterung der Entstehungsgeschichte dieses Ausschusses und seiner Einordnung in die völkerrechtlich vorgesehenen Arten der Streitbeilegung. Sodann wird die Funktionsweise des zweistufigen Überprüfungsverfahrens dargestellt und die Umsetzung der Aarhus-Konvention durch die Vertragsparteien mit den dabei aufgetretenen Streitfällen unter besonderer Berücksichtigung des Spannungsverhältnisses zum Rechtssystem der Europäischen Union nachgezeichnet. Das Herzstück der Arbeit bildet eine methodische Aufarbeitung der vergangenen und gegenwärtigen Streitfragen um das ACCC, das nach der Aarhus-Konvention auf eine nichtstreitig angelegte, außergerichtliche und auf Konsultationen beruhende Überprüfung der Einhaltung dieses Übereinkommens beschränkt bleiben soll, in der Rechtswirklichkeit jedoch tendenziell als gerichtsähnlicher Entscheidungsträger erscheint und als solcher insbesondere vom Gerichtshof der Europäischen Union nicht akzeptiert wird. Nicht unproblematisch ist auch die herausgehobene Stellung von Umweltverbänden im Überprüfungsmechanismus, die wegen der Bestellung der Ausschussmitglieder durch die Tagung der Vertragsparteien und der notwendigen Bestätigung ihrer Entscheidungen durch dieses Gremium die demokratische Legitimation des Ausschusses jedoch letztlich nicht in Frage stellt. Eine Zusammenfassung der wesentlichen Thesen und ein Anhang mit einem Verzeichnis der bisherigen ACCC-Verfahren, dem Text der ACCC-Verfahrensordnung und einem Abdruck der Materialien einer vom Verfasser durchgeführten Expertenumfrage runden das Werk ab. (us)

          Dr. iur. Ulrich Storost war bis zum Eintritt in den Ruhestand im Herbst 2011 Mitglied des für Teile des Fachplanungsrechts zuständigen 9. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts. Er gehörte diesem Senat seit 1993 als Richter, von 2004 bis 2011 als Vorsitzender Richter an. Neben seinem Hauptamt war er von 1997 bis 2004 Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin. Seit 1991 ist er Mitautor eines Loseblattkommentars zum Bundes-Immissionsschutzgesetz.

          ulrich.storost@t-online.de

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