Kinder- und Jugendbuch

Trennung, Krankheit, Tod

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 4/2020

 

Eoin Colfer, P. J. Lynch (Ill.): Der Hund, der sein Bellen verlor, Übers. aus d. Engl. von Ingo Herzke, 142 S., Orell Füssli, Zürich 2019, ab 8 Jahren

 

Nora Alexander, Julia Christians (Ill.): Opa und die Nacht der Wölfe, 208 S., Friedrich Oetinger, Hamburg 2019 ab 8 Jahren

 

Johanna Fischer, Katharina Staar (Ill.): Karle und der Wolkenvogel, 44 S., Mabuse, Frankfurt/M. 2019 ab 5 Jahren

 

Stefanie Höfler: Der große schwarze Vogel, 182 S., Beltz & Gelberg, Weinheim 2018 ab 12 Jahren

 

Frida Nilsson, Torben Kuhlmann (Ill.): Sasja und das Reich jenseits des ­Meeres, Aus d. Schwedischen F. ­Buchinger, 496 S., Gerstenberg 2019, ab 11 Jahren

Schlagartig hat ein Virus unseren Alltag und liebgewordene Gewohnheiten durcheinander gerüttelt. Der Corona bedingte Lockdown in Kitas und Schulen hat besonders auch Kinder und Jugendliche, für die das Spielen und Lernen in Gemeinschaft, feste Rituale und Strukturen besonders wichtig sind, vor große Herausforderungen gestellt. Plötzlich war der physische Kontakt zum Freundeskreis, oder vielleicht auch zu einem Elternteil oder zu den Großeltern, weggebrochen. Vielleicht hat der ein oder andere eine COVID-19-Erkrankung bei einem Familienmitglied miterleben müssen. Für viele Eltern sind schwere Themen wie Trennung, Krankheit und Tod nach wie vor Tabu-Themen, die sie Kindern nicht zumuten möchten. Da können einfühlsame Bücher hilfreich sein.

„Er roch nach Traurigkeit“, und das kennt „Hund“ genau, denn so hatte er gerochen, bevor der zehnjährige Patrick ihn aus dem Tierheim geholt hatte. Der Mischlingswelpe hatte viel Schreckliches erlebt. Entsorgt auf einer Müllkippe hatte er sein Bellen verloren, denn „Bellen hieß kein Futter“. Doch das neue Zuhause in der Musikerfamilie, Patricks Geigenspiel, seine Geduld und Liebe bringt es zurück. Und nicht nur das, er „kann nämlich singen“ und „trifft die Töne ziemlich genau“, wie Patricks Opa, selbst Musiklehrer, erstaunt feststellt. Und bald wird der Geigenkasten zum Hundeschlafplatz. Feinfühlig lässt der irische Autor Eoin Colfer in Der Hund, der sein Bellen verlor aus zwei Ich-Perspektiven die Beiden mit ihren Gefühlen, Gedanken, Wünschen und Zweifeln zu Wort kommen. So beginnt Patrick sich allmählich zu wundern, warum der Vater die AustralienTournee verlängerte und seine Fragen nach der Rückkehr nie beantwortet; warum die Mutter ihm nach langem Betteln endlich erlaubte, den Hund, den er liebevoll „Oz“ wie Australien nennt, trotz Hundeallergie des Vaters zu sich zu holen. Schließlich erfährt er, dass der Vater nicht den Mut hat ihm zu sagen, dass er sich von der Familie trennt. Verzweifelt mailt er ihm: „Hast du einen besseren Sohn gefunden? Ist es das?“ und glaubt, sich zwischen Oz und dem Vater nun wegen der Allergie entscheiden zu müssen. Ein bewegendes Buch, nicht nur für Hundeliebhaber, mit wunderbaren Zeichnungen des mehrfach ausgezeichneten irischen Kinderbuchillustrators P. J. Lynch.

Olli, der neunjährige Protagonist in Opa und die Nacht der ­Wölfe, geschrieben von Nora Alexander, hat ein ganz anderes Problem: Da ist der Banden-Kampf seiner „Adler“ gegen die „Löwen“, aber vor allem sein „Kindergarten-Opa“, um den er sich kümmern soll. Anders als andere Groß­väter vergisst er viel, stopft alles „in den Mund, was reingeht“, geht nachts in den Park, wird mit Blaulicht heimgebracht und isst gern „Erdbeereis mit Ketchup“. Wie peinlich ist das alles, besonders wenn auch noch die „Löwen“ es mitkriegen. Doch eines Abends – Olli soll wieder auf ihn aufpassen – passiert etwas Merkwürdiges. In dieser Vollmondnacht lernt der Junge seinen Großvater von einer ganz anderen Seite kennen. Ollis offene, ehrliche und liebevolle Art im Umgang mit dem an Demenz leidenden Großvater verknüpft die Autorin, die seit Jahren mit Senioren arbeitet, geschickt mit einer spannenden Abenteuer- und Entführungsgeschichte und gibt so dem herausfordernden Thema „Demenz“ eine ­erfrischende und kindgerechte Leichtigkeit. Die Kapitel sind kurz, haben peppige, vielsagende Titel und werden jeweils durch ein ausdruckstarkes, ganzseitiges Schwarz-Weiß-Bild der Illustratorin Julia Christians eingeführt.

■ Joschis bester Freund Karle liegt im Krankenhaus und bekommt „PiratenMedizin“, um ein „Seeun­geheuer“, das in seinem Kopf bekämpft werden muss, zu verscheuchen. Er besucht ihn oft, gemeinsam gehen sie dann auf „Beutezug“. Doch besonders glücklich ist Karle, wenn sie im Krankenhausgarten den Himmel beobachten und er von seinem „Wolkenvogel“ erzählt. Denn er hat einen Wunsch, den er aber nur seinem besten Freund Joschi verrät, natürlich unter strengster Geheimhaltung. Johanna Fischer, selbst als Krankenschwester in der Onkologie und Palliativmedizin tätig, hat mit dem Bilderbuch Karle und der Wolkenvogel ein „Kinderfachbuch über Krankheit, Abschied und wahre Freundschaft“ geschrieben, das zu Herzen geht. Bunte, farbenfrohe Illustrationen von Katharina Staar unterstützen die knappen Wortbilder und lassen trotz dieser schweren Krebserkrankung Hoffnung aufkommen: „Karles Wunsch geht in Erfüllung! (…) Flieg, Karle, flieg.“ Am Ende findet sich ein hilfreicher Fachteil für Eltern über Behandlungs­methoden und Pr ­ ognosen von Konrad ­Bochennek, Onkologie, Universitätsklinikum Frankfurt.

■ Grüne Augen und lange rote Haare hat die Mutter des 14-jährigen Ben. Sie ist temperamentvoll, Wutanfälle inklusive, liebt Bäume und Wald („Wir sind Waldmenschen.“) und klettert gern auf hohe Kastanienbäume. Doch an einem strahlenden Oktober kann auch der mehrfache Einsatz des Defibrillators die 45-Jährige nicht zurückholen, Herzstillstand. Und nichts ist mehr wie es war. Der Vater zieht sich zurück in seinen Schmerz und Ben übernimmt immer mehr Verantwortung, insbesondere für Krümel, seinen sechsjährigen Bruder. Berührend schildert Stefanie Höfler in Der ­große schwarze Vogel die Tage bis zur Beerdigung, das „Jetzt“, und spiegelt sie mit dem „Davor“, seinen „Erinnerungen“ an „Versteckspiele mit Krümel und Ma“, ihre „Botanisiertrommel“. „Der Tod ist wie ein Flügelschlag von einem großen, schwarzen Vogel, der vorbeifliegt, hat Ma einmal gesagt.“ Im Prozess des Loslassens und Begreifens des Unfassbaren wachsen Vater und Brüder an- und miteinander. So folgt Ben bereitwillig Krümels Plan, nachts in der Kapelle den Sarg in ihren Lieblingsfarben zu bemalen. Der große schwarze Vogel ist auch ein hoffnungsvoller Ausblick auf ein zuversichtliches „Danach“.

„Findest du den Tod auch dumm?“, fragt Sasja seinen Hund. „Wieso darf er sich einfach holen, wen er will?“ Mutig will er den Tod überlisten und seine Mutter aus dessen Reich zurückholen. Schon beginnt eine waghalsige Reise. Mit be- und verzaubernden Sprachbildern und Witz – ohne die Tiefe des Schmerzes und Verlustes über den Tod der Mutter zu verlieren – beschreibt die schwedische Autorin Frida Nilsson in Sasja und das Reich jenseits des Meeres das Reich des Todes, eines in sich selbstverliebten, Torten essenden Schönlings im „roten Morgenrock“. Auf der Reise begegnet Sasja drei Menschenkindern in Tierhüllen eines Schweins, einer Hündin und eines Seeadlers. Gemeinsam mit diesen drei Freunden meistert er alle Abenteuer und Gefahren, ob „Nebel­heide“, „Schummerwald“, „Felsenburg“ oder Kerker und auch das ersehnte Wiedersehen mit seiner Mutter, denn für die drei Freunde gibt es nichts Schlimmeres „als einen Freund im Stich zu lassen“. Fantasievoll überträgt Nilsson in dieser Begegnung mit den menschlichen Tierkindern und im täglichen Spiel mit ihnen die ­reale Welt des Jungen in „das Reich jenseits des Meeres“. Eine großartige Erzählung, illustriert von Torben Kuhl­ mann, über Freundschaft, Liebe und Unsterblichkeit.

Renate Müller De Paoli ist freie Journalistin.

RMDEP@t-online.de

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