Recht

Techniker des Rechts und des Unrechts

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 1/2017

Görtemaker, Manfred / Safferling, Christoph, Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS-Zeit, Verlag C.H. Beck, München, 2. Aufl., 2016, Geb.

588 Seiten, ISBN 978-406-69768-5, 29,95 EUR Als im Januar 2012 die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine „Unabhängige Wissenschaftliche Kommission beim Bundesministerium der Justiz zur Aufarbeitung der NS-Vergangenheit“ einberief, war dies ein überfälliger Akt zur Wahrnehmung institutioneller Verantwortung und fügte das Justizministerium als Institution und Untersuchungsgegenstand in eine Reihe von Auftragsforschungsvorhaben ein, die auf Ebene der Bundesverwaltung auf einen Trend zur „Aufarbeitung“ bislang recht verdunkelter oder jedenfalls dunkler Kapitel der eigenen Institutionengeschichte durch unabhängige Historikerkommissionen hindeuten. Die auch in der Öffentlichkeit umstrittene Studie „Das Amt“ aus dem Jahr 2010, mit dem das Auswärtige Amt den Reigen auf der Ebene der Bundesministerien eröffnete, zeigt das Aufmerksamkeits- und Skandalisierungspotential derartiger Auftragsarbeiten. Um es vorweg zu nehmen – die Akte Rosenburg hat nicht das Potential zum Skandal. Der Skandal ist die ihr vorausliegende Verspätung und damit ist zugleich der Inhalt des Werkes erreicht.

Görtemaker und Safferling geht es nicht um die Verstrickung und die Rolle von Recht und Justiz im Dritten Reich, ihr Fokus liegt auf den Verstrickungen des Justizministeriums und den in ihm und über es vermittelten Kontinuitäten in den ersten Jahrzehnten bundesrepublikanischer Justizgeschichte. Die Rosenburg, eine burgähnliche Villa im Bonner Stadtteil Kessenich, war bis 1973 Sitz des Bundesjustizministeriums und vermag so in einem treffenden Titel zumindest die Kontinuitäten der personellen Eliten zeitlich nahezu treffgenau abzubilden. Die großen Linien der Untersuchung sind wohl bekannt: Die administrativen Eliten der Bundesrepublik waren „bekannt und bewährt“, die über die Rekrutierung und Weiterverwendung NSbelasteten Personals begründete personelle Kontinuität und nicht der Bruch ist die Regel. Der Zugang zu den Akten des Justizministeriums erlaubt es der Untersuchung, diese Kontinuitäten in bislang unbekannter Tiefe und Detailschärfe nachzuvollziehen. Die Autoren widmen sich zunächst der Institutionengeschichte und schildern kurz die Rahmenbedingungen des Aufbaus der bundesrepublikanischen Justiz und ihrer Verwaltung in der Nachkriegszeit, die Nürnberger Juristenprozesse ebenso wie die Entnazifizierung und die dann doch prägende Übernahme ehemaliger Reichsbeamten in den Staatsdienst. Geschildert werden der Aufbau des Justizministeriums und die Personalrekrutierung unter Dehler und seinen Nachfolgern, ihre Entscheidung für personelle Kontinuität und die Schwierigkeiten des Umgangs mit der eigenen NS-Vergangenheit und ihrer judiziellen Aufarbeitung. Hier liest sich das Buch als wohlausgewogene Justizgeschichte, die allerdings wenig Neues ans Licht hebt. Ihre Erkenntnis lässt sich vermutlich treffend damit beschreiben, dass in der jungen Bonner Demokratie Experten des Unrechts ebenso kompetente Handwerker des Rechts sein konnten. Die institutionelle Leistungsfähigkeit des Ministeriums litt augenscheinlich in seinen Geschäftsfeldern jenseits der Aufarbeitung des NS-Unrechts nicht. Reiche Früchte aus dem Aktenstudium bringt die Untersuchung in ihrem zweiten Teil ein, der sich der Sachpolitik und vor allem der Personalpolitik in den einzelnen Abteilungen des Bundesjustizministeriums widmet, hier werden die großen Trends in einzelnen Berufsbiographien anschaulich und in differenzierten Porträts niedergebrochen. Hier wird das Personal des Ministeriums im Grad seiner NSVorbelastung auch quantitativ unter die Lupe genommen. Damit ist die Basis des letzten Teils der Untersuchung gelegt, der dem NS-Erbe im Bundesjustizministerium und seiner möglichen Auswirkungen auf die Gesetzgebung in der Bundesrepublik gewidmet ist. Untersucht werden unter anderem die Strafrechtsreform, das belastete Staatsschutzrecht, der freilich schon zeitgeschichtlich des Öfteren durchdrungene Skandal um die kalte Amnestie durch die Verjährung im Kernstrafrecht, aber auch die zähen und beschämend späten Rehabilitationsakte gegenüber NS-Unrecht am Beispiel der erst in den 1990er Jahren gelungenen Aufhebung der Erbgesundheitsurteile. Der Leser erfährt aber auch von den Arbeiten des Ministeriums an Entwürfen einer Notstandsgesetzgebung und zum gescheiterten Projekt einer Wehrstrafgerichtsbarkeit.

Ist das Buch lesenswert? Unbedingt, einerseits ist es ein trotz seines Gegenstandes ungemein leicht zugänglicher und flüssig geschriebener Text. Andererseits kann nur Heiko Maas zugestimmt werden, der in seinem Geleitwort zu einer Kurzfassung des Berichts die Lektüre insbesondere Juristinnen und Juristen zur Verpflichtung macht: „Jeder deutsche Jurist, jede deutsche Juristin sollte um die Schattenseiten der Vergangenheit ihrer Berufsgruppe wissen, um zu erkennen, welch hohe Verantwortung sie für die Gegenwart und Zukunft tragen.“

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