Recht

Strafrecht in der alten Bundesrepublik

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 3/2021

Steinberg / Koch / Popp (Hrsg.), Strafrecht in der alten Bundesrepublik (1949–1990). Grundlagen, Allgemeiner Teil und Rechtsfolgenseite im zeitgeschichtlichen Spiegel von Gesellschaft und Politik. (Grundlagen des Strafrechts; Bd. 8) Nomos Verlagsgesellschaft, Dike Verlag, fakultas Verlag, Baden-Baden, Zürich, Wien, 2020. 612 S., geb., ISBN 978-3-8487-7027-4 / 978-3-03891-287-3 / 978-3-7089-2068-9. € 149,00.

     
       

        Versteht man unter dem Begriff der „Zeitgeschichte“ mit Rothfels die „Epoche der Mitlebenden“ (näher zum Begriff Zeitgeschichte die Nachweise S. 5 ff. Fn. 2-9 und der „Dialog über juristische Zeitgeschichte“ zwischen Marcel Senn und Thomas Vormbaum, in Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte, Bd. 6 (2004-2005), S. 219-232), so schreiben alle Autoren dieses sehr gut ausgestatteten Werks, ohne der Epoche von Beginn an angehört zu haben, geschweige denn „bewusst“, wie es im Vorwort mit Rothfels vorausgesetzt wird (S. 5). Gewissermaßen ein „Mehr“ enthielte hingegen der Titel; jedenfalls dann, wenn man ihn eng, also wörtlich verstünde. Danach wäre nämlich zum Strafprozessrecht und zur Strafrechtsphilosophie nicht o. W. etwas zu erwarten gewesen. Der hier zu Recht weit gefasste Begriff „Strafrecht“ deckt mithin den gesamten Inhalt des Buchs ab. Ausgeklammert bleiben freilich der Besondere Teil des StGB und das sogenannte Nebenstrafrecht. Das Vorwort bringt in vornehm-zurückhaltender Weise zum Ausdruck, das begrifflich erfasste Themenfeld sei so weit, dass „rigoroses Auswählen“ am Platz, Reflexion und Rechtfertigung des Selektionsprozesses in besonderem Maß erforderlich war (S. 5). Das Buch geht auf zwei Tagungen in Potsdam im März und November 2019 zurück. Von den drei Teilen umfasst der erste „Wissenschaft, Justiz und Kriminalität“ (drei Beiträge, S. 15-171), der zweite den Allgemeinen Teil des Strafrechts (zehn Beiträge, S. 175-442) und der letzte „Strafprozess, Rechtsfolgen, Grundlagen“ (sieben Beiträge, S. 445-610). Den Schluss bildet das Verzeichnis der zwei Autorinnen und 18 Autoren. – Vorab sei bemerkt, dass angesichts der Fülle der Themen und des Umfangs der 20 Beiträge nicht mehr als ein grober und zudem teilweise sehr lückenhafter Bericht möglich ist. Teil 1 eröffnet Hilgendorf mit „Vom schwierigen Umgang mit der Schuld. Anmerkungen zum Wissenschaftsund Lehrbetrieb im Strafrecht 1945/1949-bis 1989/1990“ (S. 15-53). „Betrieb“ meint hier „die institutionellen, organisatorischen und personellen Rahmenbedingungen, unter denen sich die Disziplin seit dem Zweiten Weltkrieg entwickelt hat“ (S. 15). „Im Folgenden soll vor allem die Interaktion der akademischen juristischen Lehre und ihrer Organisation mit dem gesellschaftlichen und politischen Wandel im Mittelpunkt stehen. Als Leitthema dient die Frage nach dem Umgang mit der Schuld im ‚Dritten Reich‘, welche zuerst unterschwellig, dann, ab den 1960er Jahren, immer lauter die Studierenden und ihre akademischen Lehrer umtrieb“ (S. 16). Damit ist ein sehr weiter Bogen gespannt, schwerlich in einem Aufsatz bewältigbar. Das Fazit des Blicks auf „die Gesamtentwicklung unserer Disziplin von 1945-1990… eine bemerkenswerte Kontinuität…, die Lehrinhalte ebenso wie die Lehrformen“ betreffend (S. 51 mit Hinweis auf J. Rückert in Fn. 1 und 145). – Mit der „personelle(n) Zusammensetzung der Justiz und der Anwaltschaft in der Bonner Republik“ befasst sich Schoch (S. 55-136). Etwas befremdlich weist er unter „Die Anwältinnen“ (S. 129) zwar auf ein Protokoll der 14. Vertreterversammlung des Deutschen Anwaltvereins vom Januar 1922 hin, wonach „Frauen den juristischen Berufen psychologisch und körperlich nicht gewachsen seien“, nicht aber auf das unter Justizminister Gustav Radbruch am 9.7.1922 ergangene Gesetz, das den Frauen den Zugang zu allen juristischen Ämtern eröffnete, also gerade auch zum Zweiten Juristischen Staatsexamen und damit zur Anwaltschaft. – „Kriminalität in der alten Bundesrepublik (1949–1990)“ ist das Thema Kölbels (S. 137-171). Dass die Informationsquellen und Daten 1949 ff. dürftig und schwer zugänglich waren, durfte man ebenso vermuten wie eine „gesteigerte Erfassungs- und Bearbeitungsselektivität“, wie Kölbel allzu zurückhaltend formuliert (S. 137). Bei der Gewaltkriminalität kam es, besonders beim (Raub-) Mord zu einer erheblichen Zunahme (und bei der Vergewaltigung, auch durch Besatzungssoldaten, nicht? Dazu nur Verweise in Fn. 3). Schwarzmarkt, Beschaffungs- und Begleitdelinquenz machten sich „in einem ungewöhnlich starken Anstieg der Beschaffungsdelinquenz bemerkbar“, anderes Erwartetes listet der Autor auf (S. 138 ff. mit Statistiken). Dass im Lauf der Jahre die Datenlage sich zunehmend aufhellte (S. 142 ff.), war erwartbar und wird durch weitere Tabellen und Diagramme anschaulich (S.146 ff.; 167 ff.); zu den Befunden der aufkommenden Dunkelfeldforschung u.A.m. S. 152 ff. Für Interessierte zentral sind die zusammenführenden Überlegungen S. 162-166. – „Strafrechtsdogmatik und Strafrechtswissenschaft in der Übergangszeit 1945 bis 1949“ erarbeitet Gerhold (S. 175-210). Das Fazit kann nicht überraschen: Eine „wissenschaftlich offene Auseinandersetzung mit der Rolle von Personen und Institutionen der NS-Zeit, mit der Bewertung von deren Handlungen sowie mit der Berechtigung von im Nationalsozialismus entstandenen Normen und Lehrsätzen“ fand in dieser Zeit „im Wesentlichen nicht statt“ (S. 210). Auch danach, wie hinzugefügt sei, nur höchst selektiv und erst viel später, ein Miniteilchen des großen Ganzen, wahrlich kein Ruhmesblatt von Theorie und Praxis. Aber auch die damaligen Lehr-und Leitsätze wirken, so Gerhold, bis in das heutige Recht nach (näher im Resümee, S. 210 f.). – Zabels „Strafrechtsgesetzlichkeit und gesellschaftlicher Wandel. Art. 103 Abs. 2 GG im Spannungsfeld von Recht und Politik“ (S. 213-245) endet, ebenfalls nicht verwunderlich, von einem „Versprechen der liberalen Demokratie ausgehend“ (S. 213), in einer Art Abschied von einer Illusion, die im Zusammenhang gelesen werden will (S. 242245). Für den Rezensenten war die Rechtsprechung des BGH zu den Mauerschützen als Rechtsprechung eine Enttäuschung und BVerfGE 95,96 leider ein allenfalls politisch-gesellschaftlich zu verstehender Schlussstein dazu. – In „Von der subjektiven zur objektiven Zurechnung – Die Handlungs- und Tatbestandslehre in der Strafrechtswissenschaft der alten Bundesrepublik“ (S. 247-262) ist der in der Dogmatik bis heute herrschende Handlungsbegriff mit den gesetzlichen Handlungsbeschreibungen einschließlich des subjektiven Elements bei Vorsatztaten nicht vereinbar, wie Ast begründet feststellt (S. 248 f. mit Hinweis auf §§ 16, 17 StGB; dazu schon Rezensent, Festschrift für Thomas Fischer, 2018, S. 215-236). Ast liefert einen auch für „Andersgläubige“ lesenswerten Beitrag zu dieser Grundsatzproblematik. – „Zur Zurechnungsdogmatik: Die Heroinspritzen-Entscheidung des BGH von 1984 als ‚Wendepunkt‘ der Rechtsprechung zur freiwilligen Selbstgefährdung?“ ist Gegenstand des Beitrags von Steinberg und Stam (S. 263 ff., kritisches Fazit S. 290-294). „Rechtfertigungsgründe“ hat Hellmann seinen bündigen Beitrag

        (S.  295-311) überschrieben, ­dessen kurzes Fazit lautet: „Weitgehende Konstanz des Rechts der alten und der neuen Bundesrepublik…, ohne… echte Neuerungen“ (S. 311). – Lapidar „Schuld“ tauft Yao Li ihr Thema, den dogmatischen Schuldbegriff (S.  313-352), das sie mit großem Fleiß (und 222 teils umfangreichen Fußnoten) traktiert hat. Leider vergisst Li, ihre m. E. ja zutreffende Ansicht, die Figur der actio libera in causa zur Schließung einer Strafbarkeitslücke sei „contra legem und verfassungswidrig“ (S.  326, 352), zu begründen oder wenigstens zu belegen, was leicht und mit mehreren Quellen, zur Vorsatzvariante etwa dem nur in anderem Zusammenhang (bei Fn. 76) zitierten Aufsatz H.-U. Paeffgens, möglich war. – Mit „Entschuldigung eines Mordgehilfen? Die Verbotsirrtumslehre der Bonner Republik im Spiegel der Frankfurter NS-Euthanasie-Prozesse“ hat Ziemann seinen Beitrag betitelt (S. 353-374). Sie ahnen es vielleicht: Es war ein Freispruch durch das Schwurgericht Frankfurt erfolgt und dieses Urteil vom zweiten Strafsenat des BGH bestätigt worden. Der Senat fand keinen Fehler in der ­Begründung der Kammer. Wer schwermütig werden will, lese Zusammenfassung und Fazit, insbesondere Nr. 6 (S.  372 ff., 374), wobei den Autor der Mut vielleicht etwas verlassen hat, er aber, andererseits, Art. 103 II GG vom 23. Mai 1949 nicht ins Feld führt. – Es folgen drei Abschnitte, um die nicht zu beneiden sind Anette Grünewald, „Unterlassungsdelikte“ (S. 375-396), Till Zimmermann, „Entwicklungslinien im Bereich ‚Versuch und Rücktritt‘ in den Jahren 1949–1990“ (S. 397- 411) und Arnd Koch, „Täterschaft und Teilnahme (1949–1990). Über die zeithistorischen Hintergründe dogmatischer Figuren“ (S. 413-442), der hinsichtlich des NS-Unrechts, anknüpfend an Naucke (S. 413 Fn. 1), zu Recht von einem „Schweigekartell“ spricht (S. 413), und für das Ende der 1960er Jahre von einem, aus heutiger Sicht fälligen, „Generationsumbruch“ (S. 415). Seinen Beitrag beendet er mit einem deftigen Fazit (S. 441 ff.).

        Mit dem „Strafprozessrecht und -reformen“ befasst sich Valerius (S. 445-466) und darf „zum Glück“ vor der Zäsur 1992 (dazu Rezensent, Entwicklungen im Strafrecht und Strafverfahrensrecht der Gegenwart, 1997, S. VII, 53 ff. und passim) enden. Dabei zählt er für die 41 Jahre schon insgesamt 60 Gesetze, verbunden mit der Hoffnung auf einen „Durchbruch zu einem liberalen Strafverfahrensrecht“, die inzwischen „wohl sogar völlig verschwunden ist“ (S. 446 ff., 449 f.). Die „Modernisierungs“- und „Bekämpfungsgesetze“ neuer Prägung kamen erst noch. – Wieviel im „Sanktionenrecht“ (S. 467-493), dem Recht derjenigen „Rechtsfolgen der Tat, …die heute, zum Teil aber auch schon 1949, als Strafen, als Maßregeln und als sonstige Maßnahmen i. S. von § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB verstanden werden“ (S. 467), in den Jahren bis 1990 geschehen ist, zeigt B.-D. Meier für das allgemeine Strafrecht (also ohne das Jugendstrafrecht; dazu Mitsch, S. 529 ff., Fazit S. 543 f.) auf, beschränkt auf „deren Anordnungsvor­ aussetzungen“ (ausgenommen also Fragen der Vollstreckung und des Vollzugs der Strafe; zu Letzterem dann der folgende Beitrag von Pohlreich, S. 495-128). – Der „Entwicklung der Kriminologie zwischen 1949 und 1990“ widmet Bung seinen Beitrag (S. 545-562), wobei er drei Aspekte aus dem „Labyrinth“ (S. 545 Fn. 1) der systematisch komplexen Kriminologie (S. 546) aufgreift: „Kontinuität des kriminalbiologischen Paradigmas bis in die sechziger Jahre“ (S. 547 ff.), „Sozialwissenschaftliche gesellschaftskritische Ansätze ab dem Ende der 60er Jahre“ (S. 552 ff.) und „Deutsche Kriminologie ab den achtziger Jahren: Re-Naturalisieren oder Pluralisierung?“ (S. 558 ff.). – Den Abschluss dieses Buchs bilden „Strafrechtsphilosophie“ von Popp (S. 563-583) und, zum zweiten Mal als Autor, Koch mit „Strafrechtsgeschichte in der alten Bundesrepublik (1949–1990). Eine wissenschaftshistorische Skizze“ (S. 585-610). Popp nimmt zwei Entscheidungen des BGH (zu ihnen Ulfrid Neumann, Strafverteidiger 2020,126-130), in denen der fünfte Strafsenat „gleich zweifach die Gelegenheit (hatte), die Grenzen des kriminalstrafrechtlichen Lebensschutzes noch einmal neu zu vermessen“ (S. 563), zum Anlass, auch die schon bisher kritisierte neuere Rechtsprechung, die seit 1935 strafbare unterlassene Hilfeleistung (§ 330 c RStGB, heute § 323 c StGB) anzuwenden, weil ein „Unglücksfall“ im Sinn dieser Norm auch dann zu bejahen sei, wenn die Tat sich als selbstbestimmter Akt eines „fest zum Tode Entschlossenen präsentiert“ (S. 563; dass der Senat hier immer noch von Selbstmord spricht, ist – nebenbei – auch schon vor 1949, nämlich seit der Neufassung des § 211 1941, falsch gewesen). Anlässlich der Entscheidungen bildet Popp drei Thesen (S. 564-567), die er sodann an diesen Entscheidungen erprobt. Im letzten Teil bietet er ein Feuerwerk von Thesen, die nach wie vor der Diskussion wert, zum Teil m.E. aber aporetischer Natur sind. Bei Koch begegnen wir erneut dem, zweifelsfrei lange wirksamen, „Schweigekartell“ (S. 585). Er ordnet sein Thema nach Disziplinen (als Teildisziplin der Strafrechtswissenschaft [586]; als Subdisziplin der allgemeinen Rechtsgeschichte [S. 601] und nach Anstößen von außen [S. 605]). Koch bietet in diesem schönen Schlussstein des Bandes 8 der „Grundlagen des Strafrechts“, der um Einiges interessanter ausgefallen ist, als der Rezensent erwartet hatte, einen instruktiven Blick auf die Strafrechtsgeschichte der alten Bundesrepublik. Den Herausgebern gebührt für die Idee und die Themenauswahl, den Beteiligten für die Durchführung ein kräftiges Bravo! (mh)

         

        Roland Schimmel, Juristendeutsch? Ein Buch voll praktischer Übungen für bessere Texte, 2. akt. und erweiterte Auflage (utb; Bd. 5451) Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2021, 222 S., kart., ISBN 978-3-8252-5533-6, € 22,00.

          Gibt es das, ein Juristendeutsch? Aber ja, genauso wie es ein Soziologen-, Politologen- oder, besonders „verständlich“, also bewusst exklusiv in Befunden und Gutachten zu genießen, ein ­Medizinerdeutschgriechischlateinenglisch gibt. Wa­rum gibt es Derartiges? Weil sich die Fachleute auf diese Weise untereinander schnell und, so sie ihr Fach verstehen, ohne Missverständnisse verständigen können; wohl gemerkt: untereinander! Viele Disziplinen (hier im Sinn von Fachgebieten!) verfügen also über eine mit Fremd- und Lehnworten gespickte Fachsprache (man denke doch nur einmal an die der „Linguisten“). Das kann der Autor dieses Buchs also nicht „grundsätzlich“ meinen, wenn es ihm um die Verbesserung dessen geht, was er unter Juristendeutsch versteht. Das schließt allerdings keineswegs aus, dass man auch in diesem Bereich über eine Fülle von Übertreibungen, Gespreiztheiten, Aufgeblasenem, Verquastem, Eitlem und Hohlem berichten kann. Allerdings würde ich zwischen Ausbildungs- und spezieller Fachliteratur unterscheiden wie wohl auch Schimmel.

          Das Buch besteht aus sechs Kapiteln sehr unterschiedlicher Länge sowie Quellen-, Schrifttums-, Abkürzungsund Stichwortverzeichnis (S. 205-212; 213-214; 215-220; 221-222). Neben Seitenzahlen enthält es auch Randnummern sowie Beispiele, die ebenfalls durchnummeriert sind. – Dem Autor geht es um die Verständlichkeit der Sprache der Juristen. Für das Gegenteil dessen zitiert er eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (= EuGH, abgedruckt auch in der Neuen Juristischen Wochenschrift [NJW] 2015, 2237 [2239]). Repräsentativ für typisches Juristendeutsch ist das als Übersetzung eines vorgegebenen Textes in anderer Sprache m. E. freilich nicht. Die Einführung (S. 11-23, Rn. 1-44) benennt den Zweck des Buchs, nämlich „Übungen zu einigen Stilfragen“, die Schimmel sogleich anschaulich macht (Rn. 1). Auf die Frage, wer denn solche Übungen brauche, lautet seine Antwort „Studenten, an deren Hochschule kein Kurs Deutsch für Juristen angeboten wird“ (Rn. 5; schön finde ich, dass dem Autor in diesem Zusammenhang „jegliche Universitätsdiskriminierung“ fernliegt, so Fn. 12, S.2), ferner „Anwältinnen, die nicht gleich ein teures Einzelcoaching einkaufen wollen“ (Schimmel wechselt auch im Weiteren zwischen Femininum und Maskulinum hin und her), „Richter, die an der Lesbarkeit ihrer Urteile nur feilen möchten“, und Nachwuchswissenschaftlerinnen, die die Wahrscheinlichkeit steigern wollen, dass ihre Beiträge zum Fachdiskurs wirklich wahrgenommen werden. Für solche Leute halt“ (Rn. 5). Es folgen u. A. „Empfehlungen zur Arbeit mit Beispielen“ und weitere Informationen zu dem, was die Leser erwartet und wie sie mit dem Buch arbeiten können. Das führt der Autor exemplarisch, nein: beispielhaft vor, an einem (wirklich in mehrfacher Hinsicht höchst fehlerhaften, nachgerade „ungenießbaren“) Satz aus einer Ausbildungszeitschrift (zu Beispiel 1 in Rn. 19 siehe S. 205) im Zusammenhang mit § 16 I StGB (S. 17 ff., Rn. 19-38). Mit Kapitel 2 „B. Umständlich oder verständlich? Praktische Übungen“ (Rn. 45-383) beginnt die Arbeit an und mit den Beispielen, anhand derer zunächst typische Schwächen wie lange Sätze (Rn. 45-74) vorgestellt werden, und dann gezeigt wird, was zu tun ist, um den Fehlern abzuhelfen. Zur Eröffnung dienen die berüchtigten „langen Sätze“, die für meine Generation noch aus dem Lateinunterricht kamen, mit dessen Hilfe wir auch die „Grammatik“ unserer Muttersprache verstehen lernten: Man erfuhr u. A., wie man einen im kürzesten Fall aus „Subjekt, Objekt, Prädikat“ bestehenden Aussagesatz in ungeahnte Längen ziehen kann, etwa so, wie Heinrich von Kleist das in seinem berühmt gewordenen Schachtelsatz „Anekdote aus dem letzten preußischen Krieg“ vorgeführt hatte; speziell für Juristen die Definition der Eisenbahn in Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen = RGZ 1, 247 (252) vom 17.3.1879. – Dem Schema Beispiel, Analyse des Satzes/Textes, – folgen auch die weiteren; Lösungen dann in Kap. 4 „D. Vorschläge“ (S. 147-200). Hier findet sich zu fast allen Beispielen ein Umarbeitungsvorschlag (Rn. 385-612). – Wer „sich nun durch gut 230 Übungsbeispiele gearbeitet“ hat, sollte, so die Hoffnung des Autors, „die Regeln längst verinnerlicht (haben), mittels derer man das schlimmste Juristendeutsch umgeht“ (Rn. 384); falls nicht, werfe er „bitte noch einen Blick auf diese kleine Zusammenfassung“ (Kap. 3 „C. Wir lernen…“, die 16 Empfehlungen enthält (S.145). In Kap. 5 „E. Zum Schluss“ (Rn. 612-614) hofft Schimmel, dass das Buch ­infolge intensiver Bearbeitung nicht mehr verkäuflich ist und schließt mit dem Satz „Auch das Gute kann man noch verbessern“ (wobei freilich eine Grenze zu beachten wäre: Das Bessere ist oft des Guten Feind). Es folgen neben den schon erwähnten Verzeichnissen unter Kap. 6 „F. Lese­ empfehlungen“ gute Hinweise zu weiterer Literatur zum Thema.

          Wie bei allen Ratschlägen so sind auch hier deren Grenzen zu beachten. „Vereinfachungen“ können nur unter Vorbehalt die Losung sein, denn es geht zum einen um Erleichterung des Verstehens unter Berücksichtigung des (zu vermutenden) Horizonts der Leserschaft, weshalb der Begriff der Vereinfachung relativ zu verstehen ist im Verhältnis zu dieser Leserschaft (bei Studentinnen und Studenten: in ihrem zunehmenden Verstehen). Zum anderen geht es immer auch um den Gegenstand selbst, der möglicherweise Vereinfachungen etlicher der Arten nicht zulässt oder erfordert, die in diesem Buch Thema waren. So gut gelungen in der Konzeption und Durchführung Vieles in diesem Buch auch ist: Ich habe doch „gelinde“ Zweifel, dass in der (Aus-) Bildung Befindliche für recht anspruchsvolle Berufsfelder, auf die (Fach-) Hochschulen und Universitäten vorbereiten, sich die Zeit nehmen werden, dieses Buch wirklich in dem Sinn durchzuarbeiten, wie der Autor es sich wünscht (gewiss, das ließe sich auch noch einfacher sagen…). Es handelt sich nämlich zumindest in Teilen um Fähigkeiten, von denen erwartet wird, dass sie schon zureichend ausgebildet sind. In der (Aus) Bildung an Hochschulen Tätige sollten allerdings in ihren didaktischen Arbeiten Fehler vermeiden, wie Schimmel sie in erschreckend großer Zahl und „Qualität“ in diesem Buch vorgestellt hat. Denn Juristen sollten, wenn sie mit Nichtjuristen sprechen, bei ihren Erläuterungen/Erklärungen den jeweiligen „Empfängerhorizont“ der Laien oder der erst werdenden Juristen im Auge behalten. (mh) ˜

          Univ. Prof. Dr. iur. utr. Michael Hettinger (mh). Promotion 1981, Habilitation 1987, jeweils in Heidelberg (Lehrbefugnis für Strafrecht, Strafprozessrecht und Strafrechtsgeschichte). 1991 Profes­sur an der Universität Göttingen, 1992 Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht in Würzburg, von 1998 bis zum Eintritt in den Ruhestand 2015 in Mainz. Mit­herausgeber der Zeitschrift „Goltdammer’s Archiv für Strafrecht“.

          hettinger-michael@web.de

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