Unter dem Decknamen „Griffin“ agierte Paul Rosbaud während der NS-Diktatur als Spion. Er gab Informationen über den Stand der Kernforschung im nationalsozialistischen Deutschland an die Briten weiter. Nachzulesen ist seine Biografie in dem Roman „Griffin“ („Der Greif“), geschrieben von dem Atomphysiker und Wissenschaftsautor Arnold Kramish. So akribisch Kramish auch recherchiert hat, vieles um Paul Rosbauds Agententätigkeit ist bis heute noch nicht ausreichend mit Dokumenten belegt.
Die Originalunterlagen, die das Deutsche Exilarchiv als Schenkung aus Familienbesitz erhalten hat, erlauben nun einen erweiterten Blick auf den Spion, Chemiker und Wissenschaftsjournalisten Paul Rosbaud. Ein einzigartiger Bestand, da der umsichtig agierende Rosbaud keinen zusammenhängenden Nachlass hinterlassen hat und die Akten im britischen MI6 bis heute nicht öffentlich zugänglich sind.
1896 wurde Paul Rosbaud in Graz geboren, studierte Chemie in Darmstadt und Berlin und wurde Wissenschaftsjournalist. Rosbaud verfügte über ein dichtes Netz an Kontakten, war mit Lise Meitner, Otto Hahn und Wolfgang Pauli befreundet. Er nutzte seinen Einfluss, um beispielsweise Lise Meitner und dem Geochemiker Viktor Moritz Goldschmidt zur Ausreise aus NS-Deutschland zu verhelfen. 1939 hatte Paul Rosbaud wesentlichen Anteil daran, dass Otto Hahns Erkenntnisse zur Atomspaltung und damit das Atomforschungsprogramm der Nationalsozialisten weltweite Bekanntheit erlangten.
Um Rosbauds Tätigkeit als Spion ranken sich unterschiedliche Erzählungen. Er soll über die Niederlande und Norwegen Informationen über militärische und wissenschaftliche Planungen an den MI6 weitergeleitet haben. Dass er sein Wissen mit den einschlägigen Stellen in Großbritannien geteilt hat, geht auch aus den überlieferten Unterlagen hervor: „To give you some idea about my activity, I was nearly all the time in direct contact with England and I think that owing to some gallant friends my informations were received safely“, schreibt Rosabaud am 22.7.1945 an seine Frau Hilde. Am 14.8.1945 fährt er fort:“I don’t want to speak much about this first of my tasks. You may be sure that I found many ways to England and I am sure that the nazis had much trouble by this activitiy of mine.“ Als Jüdin hatte seine Frau Deutschland mit der gemeinsamen Tochter Angelika verlassen und Aufnahme in Großbritannien gefunden, während Rosbaud in NS-Deutschland blieb.
Der neue Bestand im Deutschen Exilarchiv enthält Manuskripte Paul Rosbauds, darunter auch fragmentarisch überlieferte Memoiren und ein umfangreiches Konvolut von Fotografien aus privaten und beruflichen Zusammenhängen. Überliefert sind weiter 141 Schreiben des Physikers und Nobelpreisträgers Wolfgang Pauli aus den Jahren 1952-1958, 25 Briefe des Chemikers und Atomforschers Otto Hahn aus den Jahren 1942-1960, 33 Schreiben des Physikers und Nobelpreisträgers Max von Laue aus den Jahren 1942-1959 sowie weitere Korrespondenzen mit Wissenschaftler*innen. Zum Bestand zählen ferner Familiendokumente, darunter eine Korrespondenz mit seinem Bruder, dem Dirigenten, Komponisten und Pianisten Hans Rosbaud.
Hintergrund
Das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek ist ein Ort der Auseinandersetzung mit den Themen Exil und Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus. Seine Sammlung umfasst etwa 70.000 Exilmonografien und -zeitschriften sowie 347 institutionelle und persönliche Nachlässe. Steht einerseits die Bewahrung der historischen Originale im Fokus, werden die Bestände zugleich sukzessive digital zugänglich gemacht.
Die Gründung des Exilarchivs in der frühen Nachkriegszeit wurde von Exilierten selbst mitinitiiert, die darin ein Instrument der politischen Aufklärung sahen. Auch deshalb hat die kulturelle Vermittlungsarbeit für die Einrichtung einen besonderen Stellenwert: Durch Ausstellungen, ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm und Publikationen wird die Vielschichtigkeit des Exils zwischen 1933 und 1945 vermittelt.