Im Fokus

„Seine unbequeme Art und seine Mahnungen störten.“

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2019

RA Prof. Dr. jur. Herta Däubler-Gmelin, ehem. MdB (SPD), ehem. Bundesministerin der Justiz und stv. Vorsitzende der SPD. Regelmäßige Vorlesungen (Völkerrecht, Europarecht, Good Governance, Menschenrechte) an Universitäten im In- und Ausland; u.a. Schirmherrin des Deutschen Schöffenverbandes, der Deutschen Hospizbewegung – DHPV. Mitglied div. High Level Expert Groups von EU und anderen Internationalen Organisationen. Verheiratet mit Prof. Dr. Wolfgang Däubler, zwei Kinder, drei Enkelkinder.

 

Lena Foljanty (Hg.) und David Johst (Hg.), Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts: Fritz Bauer „Kleine Schriften“ (1921-1961 Band 1, 1962-1969 Band 2), Campus Verlag 2018, 1853 Seiten in zwei Teilbänden, Hardcover gebunden, ISBN 9783593508597, € 78,00

1.

Die im Campus-Verlag erschienene zweibändige Edition Fritz Bauer „Kleine Schriften“, Teil I (1921–1961) Teil II (1962–1969), die Lena Foljanty und David Johst mit kenntnisreicher Sorgfalt herausgegeben haben, ist wirklich etwas Besonderes.

Sie ist eine Fundgrube für alle Interessierten, die neugierig sind auf Fritz Bauer, diesen mutigen Ausnahme-Staatsanwalt und Rechtspolitiker, der als Ausnahmejurist in den 50ger und 60ger Jahren durch sein kämpferisches Eintreten für den Aufbau einer rechtstaatlichen und demokratische Rechts- und Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik Hoffnung und Vorbild für unsere damalige Generation von Jurastudierenden geworden ist. Fritz Bauer, der 1968 zu Tode kam, war nach seinem Tode lange nahezu vergessen. Die Beschäftigung mit der Persönlichkeit Bauers, seiner Arbeit und seinen Verdiensten war lange Jahre einem kleinen Kreis von Kennern vorbehalten – von den eher konservativen Juristen, die sich mit Grundsatzfragen und auch mit der Verstrickung der Justiz in den Staatsterror der NS-Zeit nicht auseinandersetzen wollten, wurde er über seinen Tod hinaus geächtet. Seine unbequeme Art und seine Mahnungen störten.

Auch in der Öffentlichkeit wurde er lange Jahrzehnte hindurch kaum zur Kenntnis genommen, weit über die Jahre hinaus, in denen die in das Naziunrecht verstrickten Würdenträger in Ministerien, Gerichten und Staatsanwaltschaften mit der Rückendeckung der Adenauerära die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Vergangenheit, aber auch mit den Ursachen und Folgen der Naziherrschaft erfolgreich abgewehrt hatten.

Das änderte sich erst langsam, obwohl unsere heutige Rechts- und Gesellschaftsordnung den Arbeiten und Mahnungen von Fritz Bauer sehr viel verdankt. Den Anfang der zunächst zögerlichen Bauer-Wiederentdeckung hat Irmgard Wojak mit ihrer Biographie (Fritz Bauer 1903–1968. Eine Biographie, München 2009) gemacht.

Den Durchbruch schaffte der großartige Dokumentarfilm von Ilona Ziok über den Menschen Fritz Bauer, seine liebenswerte, nur äußerlich ruppig erscheinende Persönlichkeit, seine Kämpfe und Isolierung in der deutschen Nachkriegsjustiz und sein häufiges Scheitern (Fritz Bauer – Tod auf Raten 2010). Dieser Film wurde mehrfach im Fernsehen gezeigt und machte den Weg frei, um Fritz Bauer durch Spielfilme auch in einer breiteren Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit und Anerkennung zu verschaffen, die ihm und seiner Arbeit seit langem zusteht. Die Beiträge in den beiden, jetzt im Campus-Verlag veröffentlichten Sammelbänden, in denen Lena Foljanty und David Johst als Herausgeber ohne Anspruch auf Vollständigkeit immerhin mehr als 250 Beiträge von Fritz Bauer zusammen getragen haben, wird die Hochachtung vor diesem engagierten demokratischen Juristen weiter steigern. Die einzelnen Dokumente waren buchstäblich in aller Welt zerstreut und sind in unterschiedlichen Sprachen, in deutscher, englischer, dänischer und schwedischer Sprache veröffentlicht worden. Außerdem hat Bauer seit 1921 publiziert; er hat – bis unmittelbar vor seinem Tod 1986 – sehr viel geschrieben; seine letzten Beiträge, die in die Edition aufgenommen wurden, stammen aus dem Nachlass, wurden erst 1969 veröffentlicht. Man kann sich leicht vorstellen, wie mühsam die Such- und Forschungsarbeit war, um sie der Öffentlichkeit gesammelt zugänglich zu machen. Umso größer der Dank an Frau Foljanty und Herrn Johst.

2.

Worin besteht nun der Nutzen dieser Edition? Er reicht weit über den Kreis der Bauer-Kenner hinaus. Auch diese Leser, also jene Kenner, die sich schon länger für Fritz Bauer und seine Arbeit interessieren, werden allerdings die Bände mit großer Freude in die Hand nehmen und mit dem Lesen kaum aufhören können, obwohl die Edition schon wegen ihres Umfangs von mehr als 1850 Druckseiten eher als Nachschlagewerk gedacht sein dürfte. Andere Leser, die an den heute vielfach vergessenen, aber zahlreich und häufig erbittert geführten Auseinandersetzungen und Diskussionen über Grundfragen in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik interessiert sind, werden vieles Interessante finden.

Schließlich lohnt die Lektüre auch für solche Bürgerinnen und Bürger, die nach Lösungsansätzen für heutige Probleme suchen, insbesondere für solche, die heute etwa im Bereich der Kriminologie und der Strafgerichtsbarkeit, der bürgerschaftlichen Partizipation oder im Bereich unserer oder der internationalen Wirtschafts- und Wettbewerbsordnung neu diskutiert werden müssen.

3.

Lena Foljanty und David Jobst haben ihre Sammlung von Fritz Bauers Buchbeiträgen, Aufsätzen in Fachzeitschriften, Vorträgen, Interviews, Buchbesprechungen und Zeitungsartikeln mit dem Titel „Kleine Schriften“ überschrieben.

Unterschiedlich lang, auch unterschiedlich in ihrer Zeitgebundenheit sind die aufgenommenen Beiträge durchaus. „Klein“ im Sinne von eher unwichtig sind sie jedoch keineswegs. Die Zusammenstellung enthält vielmehr: eher zeitgebundene Kommentare zu Problemen der Jahre, in denen Bauer sie geschrieben hat, daneben Buchbesprechungen von Büchern, die Bauer interessant fand, politische und juristische Vorträge und umfangreiche, fachlich präzise ausgearbeitete Abhandlungen und Essays zu ganz unterschiedlichen Themen. Die Herausgeber haben außerdem Interviews aus Filmen und Radiosendungen transkribiert und auch Buchbeiträge Bauers für wichtige Grundsatzwerke, beispielsweise über Sexualwissenschaften hinzugefügt. Aus alledem lässt sich schließen, dass der von ihnen gewählte Titel „Kleine Schriften“ wohl darauf hindeuten soll, dass die gesondert verlegten Bücher Fritz Bauers nicht in die Sammlung aufgenommen wurden. Das ist konsequent und hätte wohl den realisierbaren Umfang der Edition gesprengt. Dennoch ist es hilfreich, dass die Herausgeber in ihrer Einleitung auch auf Fritz Bauers wichtige Bücher verweisen. Viele seiner Überlegungen und Forderungen in diesen Büchern begegnen uns noch heute. Besonders wichtig ist Bauers im Exil 1944 verfasstes und in deutscher, schwedischer und dänischer Sprache veröffentliche Buch „Die Kriegsverbrecher vor Gericht“; es ist wegweisend für die späteren Diskussionen um die Nürnberger Prozesse, aber auch grundsätzlich für den ständigen Kampf gegen die Straflosigkeit, für die Internationale Strafgerichtsbarkeit und für die die aktuellen Auseinandersetzungen über „Transitional Justice“.

Die Sammelbände weisen die vielfältigen Interessenbereiche aus, mit denen Fritz Bauers sich publizistisch beschäftigt hat: Der erste, in die Edition aufgenommenen Artikel (über Hochschule und Politik, 1921); die letzten Beiträge aus Bauers Nachlass befassen sich mit Kunst und Zensur; ein weiterer mit der sexualstrafrechtlichen Situation in Deutschland.

Die Herausgeber haben sich dafür entschieden, Bauers Beiträge nach ihrem Entstehungsjahr aufzuführen. Das reizt zunächst zu der Frage, warum die Beiträge nicht thematisch sortiert sind, zumal die meisten den folgenden, Fritz Bauer bekanntlich besonders wichtigen vier Schwerpunktbereichen zugeordnet werden können.

So umfasst Bauers erster Schwerpunkt über Grundsatzfragen die Schriften, die sich damit auseinandersetzen, was eine gute, eine demokratische und rechtstaatliche Rechts- und Friedensordnung ausmacht. Bauer setzt sich immer wieder mit der fatalen Nutzung des Rechtspositivismus durch die Juristen der Nazizeit und ihre Nachfolger auseinander und setzt dagegen die Radbruch`schen Gedanken vom gerechten Recht, die er vehement unterstützte. Radbruchs Rechtsphilosophie ist bis heute für unser Rechtsdenken unverzichtbar. In den Bereich der Grundsatzfragen gehören auch die Schriften Bauers, die sich mit der Verantwortlichkeit jedes Einzelnen in einer rechtstaatlichen Demokratie auseinandersetzen. Bauer fordert sie und anerkennt – (…) was für einen Staatsanwalt in der Zeit der 50ger und 60ger Jahre geradezu revolutionär (war)– das Recht, ja in bestimmten Fällen auch die Pflicht der Bürgerinnen und Bürger zum Widerstand gegen staatliches Unrecht. Das gilt – mit Blick auf die deutsche Vergangenheit, aber auch für die Gegenwart – auch dann, wenn der Staat seinen Bürgern Gehorsam abverlangt, auch wenn er sie im öffentlichen Dienst, insbesondere aber als Soldaten oder Polizeibeamte auf die Befolgung von Befehlen verpflichtet. Bauers Überlegungen sind mittlerweile durch den deutschen Verfassungsgeber letztlich in der Änderung des Grundgesetzes durch die Aufnahme des Widerstandsrechts in Art. 20 Abs. 4 GG anerkannt worden. Viele Beiträge sind dem zweiten Schwerpunktbereich Fritz Bauers zuzuordnen: Sie befassen sich mit Problemen berger Prozesse, aber auch grundsätzlich für den ständigen Kampf gegen die Straflosigkeit, für die Internationale Strafgerichtsbarkeit und für die die aktuellen Auseinandersetzungen über „Transitional Justice“.

Die Sammelbände weisen die vielfältigen Interessenbereiche aus, mit denen Fritz Bauers sich publizistisch beschäftigt hat: Der erste, in die Edition aufgenommenen Artikel (über Hochschule und Politik, 1921); die letzten Beiträge aus Bauers Nachlass befassen sich mit Kunst und Zensur; ein weiterer mit der sexualstrafrechtlichen Situation in Deutschland.

Die Herausgeber haben sich dafür entschieden, Bauers Beiträge nach ihrem Entstehungsjahr aufzuführen. Das reizt zunächst zu der Frage, warum die Beiträge nicht thematisch sortiert sind, zumal die meisten den folgenden, Fritz Bauer bekanntlich besonders wichtigen vier Schwerpunktbereichen zugeordnet werden können.

So umfasst Bauers erster Schwerpunkt über Grundsatzfragen die Schriften, die sich damit auseinandersetzen, was eine gute, eine demokratische und rechtstaatliche Rechts- und Friedensordnung ausmacht. Bauer setzt sich immer wieder mit der fatalen Nutzung des Rechtspositivismus durch die Juristen der Nazizeit und ihre Nachfolger auseinander und setzt dagegen die Radbruch`schen Gedanken vom gerechten Recht, die er vehement unterstützte. Radbruchs Rechtsphilosophie ist bis heute für unser Rechtsdenken unverzichtbar. In den Bereich der Grundsatzfragen gehören auch die Schriften Bauers, die sich mit der Verantwortlichkeit jedes Einzelnen in einer rechtstaatlichen Demokratie auseinandersetzen. Bauer fordert sie und anerkennt – (…) was für einen Staatsanwalt in der Zeit der 50ger und 60ger Jahre geradezu revolutionär (war)– das Recht, ja in bestimmten Fällen auch die Pflicht der Bürgerinnen und Bürger zum Widerstand gegen staatliches Unrecht. Das gilt – mit Blick auf die deutsche Vergangenheit, aber auch für die Gegenwart – auch dann, wenn der Staat seinen Bürgern Gehorsam abverlangt, auch wenn er sie im öffentlichen Dienst, insbesondere aber als Soldaten oder Polizeibeamte auf die Befolgung von Befehlen verpflichtet. Bauers Überlegungen sind mittlerweile durch den deutschen Verfassungsgeber letztlich in der Änderung des Grundgesetzes durch die Aufnahme des Widerstandsrechts in Art. 20 Abs. 4 GG anerkannt worden. Viele Beiträge sind dem zweiten Schwerpunktbereich Fritz Bauers zuzuordnen: Sie befassen sich mit Problemen aus dem Strafrecht, aus dem Strafprozessrecht, aus dem Strafvollzug und mit den Anläufen der von Bauer immer für erforderlich gehaltenen Strafrechtsreform. Fritz Bauer stellt und beantwortet immer wieder die Fragen, was zu einem rechtstaatlichen Strafrecht in der Demokratie gehört, was der staatliche Strafzweck sein soll, wem und was der Staat durch die Strafrechtsordnung schützen soll und was erforderlich ist, um das Ziel des Strafvollzugs, die Resozialisierung des Täters, zu unterstützen. Bauer wäre, das ist heute wohl unbestritten, ein herausragendes Mitglied der Strafrechtsreformkommissionen der 60ger Jahre gewesen; das aber haben seine Feinde aus Ministerien und Justiz immer wieder torpediert.

Ganz wichtig für Fritz Bauer war die Auseinandersetzung mit dem Naziterror und dabei insbesondere auch die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewalt verbrechen durch die Strafgerichtsbarkeit mit den Möglichkeiten der jungen Bundesrepublik Deutschland. Bauer war davon überzeugt, dass ohne diese Aufarbeitung und ohne die Ahndung auch der persönlichen Schuld der Verstrickten eine friedliche und gerechte neue Gesellschaftsordnung nicht wirksam werden könne. Er hat sich seit seinem im Exil geschriebenen Buch „Kriegsverbrecher vor Gericht“ immer wieder in vielfältigen Beiträgen damit beschäftigt, wie das sinnvollerweise geschehen solle. Viele Beiträge darüber finden sich in den vorgelegten Sammelbänden.

Bauers Verdienste um die Auschwitz-Prozesse sind heute unbestritten; mittlerweile werden sich auch immer mehr Menschen der Tatsache bewusst, wie schwierig, einsam und Kräfte zehrend die Arbeit von Bauer als Generalstaatsanwalt des Landes Hessen war, um diese Prozesse in Gang zu bringen. Es muss schrecklich für ihn gewesen sein, ständig gegen den Widerstand der meisten Juristen in Ministerien, Staatsanwaltschaften und Gerichten ankämpfen zu müssen Seine schon damals sehr gut begründete juristische Auffassung, Auschwitz müsse juristisch als Handlungseinheit gesehen und strafrechtlich geahndet werden, haben die Richter damals und noch lange Jahre danach nicht akzeptiert. Die notwendige Veränderung trat erst ein, nachdem die allermeisten Betroffenen verstorben waren. Seine – richtigen – Überlegungen und Forderungen in diesem Bereich haben wie so viele andere seiner herausragenden Analysen und Vorschläge sehr viel später Anerkennung gefunden. Das nachzulesen, lohnt.

Nochmals zu der Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger, zum Widerstandsrecht und der Widerstandspflicht als Grenze für Gehorsam gegenüber Befehlen und Gesetzen. Diese Frage hat die Menschen in der frühen Bundesrepublik ganz offensichtlich sehr bewegt – der zunächst sehr problematische, ja verächtliche Umgang mit Widerstandskämpfern gegen den Naziterror macht dies deutlich. Bauer hatte als Staatsanwalt in Braunschweig 1952 den Vorsitzenden Remer der später als Nazi-Nachfolgepartei verbotenen SRP – Sozialistische Reichspartei – angeklagt.

Remer pflegte damals die Männer des 20. Juli 1944 laufend öffentlich als Landesverräter zu verunglimpfen. In seinem brillanten Plädoyer in diesem Prozess stellte Bauer die Fakten wieder her, zeigte das Terrorsystem der Naziherrschaft auf und entwickelte die juristischen Grundlagen für die Ungültigkeit eines Eides, für das Widerstandsrecht und für die Widerstandspflicht jedes Einzelnen. Bemerkenswert ist, dass Raphael Gross und Sybille Steinbacher, die beiden Verfasser des insgesamt ebenso schwachen wie unnötigen Vorworts zu der Edition Bauer unterstellen, durch „Sympathie“ für die militärischen Widerstandskämpfer motiviert gewesen zu sein. Vielleicht haben die beiden Autoren angenommen, das könne so sein, weil Fritz Bauer und die Brüder Stauffenberg dieselbe Schule besucht haben, das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart. Allerdings ist die Vermutung der beiden Vorwortverfasser ebenso falsch wie manche andere ihrer Anmerkungen. Bauer ging es keineswegs allein um die Rehabilitierung dieser Widerstandskämpfer; das zeigen seine vielfältigen Beiträge sehr genau. Es ging ihm um die Grenze zwischen staatlicher Gewalt und dem Recht des Einzelnen, um staatliches Unrecht und das Recht des Einzelnen, dagegen anzugehen. Und um die Verantwortlichkeit jener, die staatliches Unrecht erkennen, sich dem zu widersetzen. Nicht allein das Plädoyer aus dem Remer-Prozess, auch seine Beiträge zum Widerstandsrecht des kleinen Mannes oder auch seine Würdigung des Widerstands im Warschauer Ghetto sind in den Sammelbänden enthalten. Man sollte sie lesen. Erwähnens- und lesenswert sind auch viele von Bauers Artikel, Abhandlungen, Aufsätzen und Vorträgen der vorgelegten Edition, die Fragen behandeln, ob Sittlichkeit und Moral zu den Schutzzwecken und Schutzgütern staatlichen Strafrechts in einer rechtstaatlichen Demokratie gehören sollten. Er erkennt hinter der Behauptung, das staatliche Strafrecht müsse Sitte und Moral schützen, den unzulässigen Machtanspruch konservativer und reaktionärer Politiker und Juristen, aber auch kirchlicher Institutionen zur Unterordnung und Disziplinierung von Menschen. In einem demokratischen Rechtstaat, so Fritz Bauer, könne als Schutzzweck des staatlichen Strafrechts jedoch allein die sexuelle Selbstbestimmung jedes Einzelnen in Betracht kommen. Auch damit distanzierte sich Bauer damals von der herrschenden Meinung. Dabei ging es Bauer keineswegs allein um den Unrechtsgehalt des damals geltenden § 175 StGB, den auch das Bundesverfassungsgericht in den 1950er Jahren skandalöser Weise noch für verfassungsgemäß erkannt hatte, sondern insgesamt um die Grundsatzfrage des Schutzwecks in einer demokratischen Gesellschaft. Auch diese Erkenntnisse sind mittlerweile bei uns weitgehend anerkannt, die Gesetze geändert. Angesichts der reaktionären Entwicklung in vielen Staaten der Welt bleiben Bauers Überlegungen jedoch spannend und aktuell.

Die meisten der in der Edition abgedruckten Artikel und Beiträge Bauers lassen sich einem dieser Schwerpunktbereiche zuordnen. Die Reihung der Beiträge nach ihrem Entstehungsjahr ist jedoch wegen der Artikel und Vorträge Bauers zu anderen Themen durchaus sinnvoll. Sie reichen von Abhandlungen zur Wirtschaftsordnung in Deutschland, aber auch zu der kommunistischer Staaten und des Wirtschaftsrechts bis hin zu Fragen von Kunst und Zensur.

Das ausgezeichnete Inhaltsverzeichnis erlaubt zudem jedem Leser, der Abhandlungen zu Schwerpunktthemen sucht, eine schnelle Übersicht; der hervorragende wissenschaftliche Apparat, der Editionsbericht der Herausgeber und die vielen weiterführenden Fußnoten machen die Bände zu einem dauerhaften Gewinn.

4.

Bleibt zum Schluss die Einleitung der beiden Herausgeber Lena Foljanty und David Johst zu würdigen. Die Einleitung lohnt. Sie ist bemerkenswert gut und kenntnisreich geschrieben und damit ein Muss für jeden Leser. Jeder wird viel Neues erfahren. Das möglicherweise aus Gründen der Mitfinanzierung der Edition der Einleitung vorangestellte Vorwort allerdings wäre verzichtbar gewesen – die nicht weiter begründete Distanz der Autoren zu Fritz Bauers Persönlichkeit und Werk fällt ebenso auf, wie einige Widersprüche ihrer Vermutungen zu den Feststellungen der Herausgeber und zu den Beiträgen von Fritz Bauer selbst.

Die Einleitung gibt zunächst eine kurze Übersicht über das Leben von Fritz Bauer. Sie schildert kurz sein Leben in der Weimarer Republik, übergeht jedoch die frühe Bindung zu Kurt Schumacher, die für die Rückkehr von Fritz Bauer aus dem Exil so wichtig war. Bauers Verfolgung als Sozialdemokrat und Jude durch den braunen Terror in Nazideutschland, sein Leben und seine Tätigkeit als Flüchtling in Dänemark und Schweden, auch die Zusammenarbeit mit Willy Brandt werden ebenso erwähnt wie schließlich – nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland – seine Tätigkeit im Nachkriegsdeutschland der 50ger und 60ger Jahre. Gut ist auch die fachliche Übersicht der Herausgeber über die einzelnen Themenbereiche der Beiträge Fritz Bauers. Bauers Schwerpunktbereiche werden ebenso herausgearbeitet wie die Frage nach der Verbindung zwischen diesen Bereichen. Die Herausgeber sehen die verbindende Linie in Bauers Eintreten für die Schaffung einer Humanen Gesellschaft, die er – als Reaktion auf die Schrecken des Naziherrschaft – in der jungen Bundesrepublik Deutschland für unverzichtbar hielt und für die er sich in seinen politischen und juristischen Beiträgen kämpferisch einsetzte.

Humane Gesellschaft im Sinne Bauers sollte eine Gesellschaft sein, die selbst und deren Rechtsordnung jeden einzelnen Menschen sehen und anerkennen, die Würde und Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt und Partizipation der Bürgerinnen und Bürger realisiert, nicht einfach über Menschen verfügt. Diese Überlegungen, die einen großen Teil der Einleitung umfassen, sind spannend und geben auch in unserer heutigen Zeit Anregungen für neue Ansätze.

Zusammenfassung

Die vorgelegte Edition von Fritz Bauers „Kleinen Schriften“ durch Lena Foljanty und David Johst lohnt sich für alle Bibliotheken, Universitäten und Fakultäten. Für Studierende der Politik- und Rechtswissenschaften sollte sie zur Pflichtlektüre gehören. ˜

Diese Seite benutzt Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Datenschutzerklärung