Landeskunde

Saudi-Arabien

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2020

Es ist die größte Volkswirtschaft im Nahen Osten. Die staatliche Ölgesellschaft Aramco wurde bei ihrem Börsengang im Dezember 2019 mit 1,9 Billionen US-Dollar bewertet. Das war fast so viel wie die Börsenkapitalisierung von Apple und Amazon zusammen. Zwischen den saudischen Kronprinz „MBS“ Mohammed Bin Salman und US-Präsident Trump passt kein Blatt. Aber die reiche und konservative Monarchie muss sich neu erfinden. Denn Öl allein macht längst nicht mehr glücklich, das fossile Zeitalter geht zu Ende. Und die regionalpolitische Lage auf der Arabischen Halbinsel und ihrer Umgebung ist kompliziert: Wer kämpft warum gegen wen, und welche Rolle spielt dabei das saudische Königshaus? Drei Bücher helfen weiter.

Koelbl, Susanne, Zwölf Wochen in Riad. Saudi-Arabien zwischen Diktatur und Aufbruch, V ­ erlagsgruppe Random House, 2019, 320 S., ISBN 978-3-421-04786-1, € 22,00.

Dieses erste hier vorgestellte Buch erklärt die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage im Inneren. Susanne Koelbl ist Auslands-Reporterin des SPIEGEL. Sie berichtet seit 1991 vom Balkan, aus Zentralasien und dem Nahen Osten. Ihr Buch mischt Sachinformationen zu Politik, Wirtschaft und Gesellschaft mit persönlichen Begegnungen der Autorin. Die mehr als 30 Kapitel bestehen aus Essays, die sich in lockerer Folge aneinanderreihen. Sie sind in sich geschlossen, bauen also nicht aufeinander auf. Ihre Länge und Inhalte unterscheiden sich stark. Wirtschaftlich Interessierte lernen zum Beispiel die Geschichte

der US-saudischen Ölförderung und den heutigen MegaKonzern Aramco genauer kennen, erfahren Interessantes über die staatliche Haushaltslage und verstehen, welche Pläne sich hinter der „Vision 2030“ des Kronprinzen Mohammed Bin Salmans verbergen. Wem mehr an der gesellschaftlichen Entwicklung gelegen ist, wird bei den Bekleidungsvorschriften, Eheregeln und aktuellen Lockerungen wie dem aufgehobenen Autofahrverbot für Frauen fündig, das im Westen für viel Aufmerksamkeit sorgte. Politische Informationen auf aktuellem Stand bieten unter anderem die Beiträge über Mohammed Bin Salmans ungewöhnlichen Aufstieg, über die Lage im Jemen-Krieg und über die Angst der Sauds vor Muslimbrüdern und anderen konservativen Kräften, die mehr Volksbeteiligung anstreben. Egal, ob das Buch von vorne bis hinten oder nur auszugsweise gelesen wird, die Kernelemente des saudischen Geschäftsmodells werden klar: Innenpolitisch erfreute der jeweilige Monarch seine Untertanen bisher vor allem mit Wohlstand. Im Gegenzug verzichtete das Volk auf nennenswerte Kritik. Außenpolitisch dienten die USA seit 1945 als Schutzmacht, hier galt stets „Öl gegen Waffen“. Dieses Geschäftsmodell hat jedoch Risse bekommen, seit fossile Energiequellen als Auslaufmodell gelten und die USA selbst verstärkt Öl und Gas fördern. Koelbl beschreibt, welche Änderungen das implizieren könnte, welche Projekte Mohammed bin Salman bereits in Angriff genommen hat, und wo Leerstellen, Widersprüche und Fragezeichen lauern. Die Autorin stellt Land und Leute wohltuend differenziert auf aktuellem Stand dar. Ihre Essays sind bunt gemischt und plastisch geschrieben, etwa: „Mit der Bahn in die Stadt Buraida zu fahren ist ein bisschen so, als würde man im Raumschiff Enterprise einchecken, um auf dem schnellsten Weg ins Mittelalter zu reisen.“ (S. 286). ­Eilige Leser erhalten im Prolog und Epilog einen ersten Eindruck. Jedes Kapitel beginnt außerdem mit einer kurzen Orientierungshilfe, worum es im Folgenden gehen wird. Die ist allerdings auch nötig: Wer würde sonst zum Beispiel ahnen, dass im Kapitel „Schaf im Wolfspelz“ (S. 264 ff.) Salman al Auda, ein prominenter Wahhabiten-Scheich, vorgestellt wird. Leider führt die Essay-Form auch zu Wiederholungen – beispielsweise beim Auftragsmord am regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi. Zudem variiert die Informationsdichte der Einzelbeiträge mitunter stark. So dürften eher wenige Leser an der Wohnsituation der Autorin in Riad (S. 12 ff.) interessiert sein oder an Oud (geharztes Öl oder Holz, S. 180 ff.). Schließlich erscheinen viele Personenbeschreibungen überflüssig und kitschig, etwa: „Dschamil hat breite Wangen, das schwarze Haar fällt ihr offen auf die Schultern.“ (S. 288 – und so geht es mit Dschamils Erscheinungsbild noch lange weiter). Ein Stammbaum mit den wichtigsten Nachfahren des Staatsgründers Abd al-Asis – bekannter als Ibn Saud, eine Zeittafel und ein Glossar entschädigen aber reichlich. Durch die Ahnengalerie erfahren Leser unter anderem, dass es seit 2019 erstmals eine Botschafterin in den USA gibt, nämlich Reema bin Bandar, eine Nichte von Mohammed Bin Salman. Die Zeittafel verdeutlicht, wie kurz die Geschichte des saudischen Königshauses ist: Gemäß Gründungsmythos begann seine Herrschaft 1902, offiziell sogar erst 1932. Überdeutlich wird daneben, dass diese Geschichte aufs Engste am Öl hängt: 1938 begann die US Standard Oil Company mit der Förderung. 1944 übernahm die Arabian-American Oil Company, die 1980 erfolgreich verstaatlicht wurde. Das Glossar bietet kurze und griffige Erklärungen von A wie Abaja (dem bodenlangen Überkleid für Frauen) über M wie Misyar (geheime Zweitehe im Wahhabismus) bis Z wie Zaiditen („Fünferschiiten“, die Mohammeds legitime Nachfolge mit dem fünften Imam namens Zaid beendet sehen).

 

Lüders, Michael, Armageddon im Orient. Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt, Verlag C.H. Beck, 2018, 272 S., ISBN 978-3-406-74532-4, € 14,95.

Dieses zweite Buch ordnet Saudi-Arabien außenpolitisch ein.

Der Autor arbeitete jahrelang als Nahost-Korrespondent der Wochenzeitung DIE ZEIT. Derzeit ist er Politikberater, Publizist und Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. Sein Werk bietet inhaltlich mehr, als der reißerische Titel zunächst verspricht: Es ist provokativ, aber auch schonungslos und kenntnisreich. Lüders kritisiert auf ganzer Linie, dass der Westen seit Jahrzehnten Saudi-Arabien unterstützt, um den Iran zu schwächen. Stattdessen sollten die USA und ihre Verbündeten den Iran besser verstehen lernen und die aus Saudi-Arabien kommenden Gefahren erkennen. Eindringlich warnt er vor einem Stellvertreterkrieg zwischen den beiden rivalisierenden Regionalmächten.

Lüders hat schon mehrere Sachbücher über den Nahen Osten geschrieben, zum Beispiel „Wer den Wind sät“ (2015) oder „Die den Sturm ernten“ (2017). Wer diese oder ähnliche Nahost-Werke kennt, wird in der ersten Buchhälfte von „Armageddon“ vieles wiederfinden. So geht es im ersten Kapitel um grundsätzliche religiöse Unterschiede zwischen dem wahhabitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran, die der Autor eher machtpolitisch interpretiert. Auch Kapitel 2 und 4 fassen erneut zusammen, wie SaudiArabien zur „Erdöl-Monarchie“ aufstieg und sich seine Verbindung zu den USA historisch entwickelte, nämlich durch „Waffen gegen Öl“. Kapitel 3 beleuchtet die frühere, iranfreundliche Politik Israels, Kapitel 5 das Problem der USA mit dem iranischen Regimewechsel von 1979. Kapitel 6 kritisiert, dass die USA kein Problem mit saudischen Terroristen hätten, wohl aber mit dem iranischen Atomprogramm. Die zweite Buchhälfte analysiert dann aber aktuelle Entwicklungen: An Jared Kushners Nahost-Politik lässt Lüders

in Kapitel 7 kein gutes Haar – die aktuell besonders enge Geschäftsverbindung zwischen Saudi-Arabien, ­Israel und der Familie des US-Präsidenten interpretiert er als „vulgär-clownesken Höhepunkt eines entfesselten Finanzmarktkapitalismus.“ (S. 126). Die saudische Außenpolitik unter Kronprinz Mohammed Bin Salman kommt im achten Kapitel kein bisschen besser weg. Kapitel 9 beleuchtet den Krieg im Jemen und sieht hier viel westliche Heuchelei – gerade im Vergleich mit Syrien (Kapitel 10): Was der saudische Kronprinz im Jemen anrichte, ähnele Assads Vorgehen. Über Mohammed Bin Salman rege sich aber hierzulande niemand auf, da er nicht von Russland unterstützt werde: „Er ist pro-westlich, entsprechend hat er freie Hand.“ (S. 172). Dass Assad nicht zu stürzen sei, habe vor allem die Türkei verstanden. Sie verhindere seither eine kurdische Autonomiezone in Nordsyrien und wolle dort stattdessen arabische Syrer ansiedeln. Kapitel 11 beklagt das gescheiterte Atomabkommen mit dem Iran. Der Ausblick warnt eindrücklich vor einer politischen Explosion im Nahen Osten: Die „Dämonisierung Irans bei gleichzeitiger Kumpanei mit Saudi-Arabien“ (S. 231) sei grotesk; Für die Unterschätzung des Irans müssten nicht die USA bezahlen, sondern die Europäer.

Lüders Sicht mag einseitig Iran-freundlich sein und seinerseits Saudi-Arabiens Potenzial verkennen. So schreibt er zum Beispiel: „Die Iraner spielen Schach, die Saudis Monopoly.“ (S. 77). Oder er versucht im Jemen-Kapitel nachzuweisen, dass die Huthi-Rebellen keine Waffen vom Iran erhielten, sondern nur militärische Beratung. Unvoreingenommenen Lesern aber bietet die zweite Buchhälfte neue Perspektiven und detaillierte Einsichten in die unübersichtliche politische Lage im Nahen Osten. So gibt die Kooperation Saudi-Arabiens und Israels gegen den Iran ebenso zu denken wie die kritische Sicht auf Deutschlands SyrienPolitik. Beides tröstet über theatralisch-reißerische Stilblüten, überflüssige Literaturzitate und die älteren Informa­ tionen des ersten Buchteils hinweg.

 

Hubbard, Ben, MBS. The rise to power of Mohammed Bin Salman, Verlag William Collins, 2020, 357 S., ISBN 978-0-00-834055-1, € 23,70.

Das dritte Buch beschäftigt sich ausführlich mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed Bin Salman und seinem Aufstieg.

Ben Hubbard leitet das Beiruter Büro der New York Times. Er berichtet seit über 12 Jahren aus dem Nahen Osten. Der Journalist bietet weniger ein Sachbuch an als eine ausführliche Erzählung, mit der er Einblicke in den Charakter des jungen Monarchen geben will. Inhaltlich beruht sein Text vor allem auf Interviews, die durch persönliche Eindrücke ergänzt werden. Stilistisch wirkt das Werk, als hätte Hubbard einen professionellen Schreibkurs in den USA durchlaufen: unterhaltsam, aber auch auswechselbar, d.h. ohne eine eigene Ausdrucksform zu hinterlassen. Fast 30 Kapitel reihen Anekdoten aneinander, die letztlich zweierlei erklären sollen: Wie und warum setzte sich ausgerechnet MBS innerhalb der großen Königsfamilie mit großer Machtfülle durch? Und worin zeigt sich der Kronprinz fortschrittlich, worin eher rückwärtsgewandt? Besondere Aufmerksamkeit erhält Jamal Khashoggi. Leben und Tod des ermordeten Journalisten zieht sich in sechs verstreuten Kapiteln wie ein roter Faden durch das Buch. Ein weiteres Kernthema stellt das Autofahrverbot für Frauen und seine Aufhebung dar. Daneben geht es um das Verhältnis Saudi-Arabiens zu den USA und ­Israel, um den Umgang des Kronprinzen mit dem Wahhabismus („for MBS, Wahhabism didn‘t exist“, S. 173), um die Geiselnahme zahlreicher VIPs im Ritz Carlton Hotel zu Riad und die gekonnte staatliche Manipulation der sozialen Medien unter MBS. Schließlich berücksichtigt Hubbard auch die allgemeine Konfliktlage im Nahen Osten. Vergleichsweise wenig berichtet er dagegen über die wirtschaftlichen Entwicklungsperspektiven des Ölstaates. Strategische Visionen wie NEOM, die am Roten Meer geplante Mega-Stadt, werden nur gestreift.

Lohnt die Lektüre dieser Neuerscheinung, die in englischsprachigen Leitmedien viel Aufmerksamkeit erhielt? Im Vergleich zu den beiden oben besprochenen Büchern eher weniger. Zwar vermitteln Farbfotos in der Buchmitte einen Eindruck der Hauptpersonen und am Ende finden sich zahlreiche Quellenangaben. Wer sich einen schnellen inhaltlichen Eindruck verschaffen will, kann sich daneben auf den ersten Abschnitt des Nachwortes konzentrieren. Er fasst MBS‘ Aufstieg, Wesen und bisherige Bilanz in wenigen Sätzen sachlich zusammen. Damit endet die Liste positiver Merkmale aber schon. Mag Hubbards locker-verdünnter Erzählstil noch Geschmackssache sein: Sein Selbstmitleid dürfte allseits stören. Der Autor scheint in Saudi-Arabien nicht sonderlich erwünscht zu sein, was er detailreich ausführt. So liest sich sein Buch streckenweise wie die persönliche Abrechnung eines Beleidigten. Daneben scheint ihn das zweifellos grausame Schicksal seines journalistischen Kollegen Kashogghi derart mitgenommen zu haben, dass ihm eine halbwegs objektive Darstellung sichtbar schwerfällt. Schließlich fehlen nachvollziehbare Strukturen, Kartenmaterial, Zeitleisten, Tabellen und Abbildungen. ˜

Prof. Dr. Britta Kuhn arbeitete nach VWL-Studium und -Promotion bei der Unternehmensberatung A.T. Kearney und bei der Bayerischen Vereinsbank bzw. Hypovereinsbank AG. Seit 2002 lehrt sie VWL mit Schwerpunkt International Economics an der Wiesbaden Business School der Hochschule RheinMain. britta.kuhn@hs-rm.de

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