Die Zeiten, in denen Kinder auf Bildungsreisen einfach mitgeschleppt wurden und sich gelangweilt auf Museums- oder Kirchenbänken herum räkelten, sind vorbei. Alle größeren kulturellen Einrichtungen – Museen, Kirchen und Schlösser – bieten längst Sonderinformationen und Unterhaltung für Kinder an. Audioguides, die sich auf ihre besonderen Interessen und ihr sprachliches Niveau einlassen, spezielle Kinderführungen mit interaktiven Angeboten wie Malen und Basteln sind keine Seltenheit mehr. So gibt es auch immer mehr Reiseliteratur, die sich speziell an Kinder richtet. Die Autorinnen stellen sich nicht nur inhaltlich ganz auf ihre junge Zielgruppe ein, sondern ködern auch optisch mit viel Bildmaterial, knappen Texten und abwechslungsreichen Typografien deren Neugierde. Manches, was hier zu erfahren ist, kann Reisende im Erwachsenenalter gleichermaßen verlocken.
Für Kinder im Vorschulalter etwa eignet sich „Emse reist nach Paris“. Das Buch besticht durch sein handliches Format und geringes Gewicht, ist also ein bequemer Begleiter für unterwegs. Emse ist eine Ameise, die in der Jackentasche eines kleinen Jungen mitreist. Cicerone und vielwissender Führer ist Opa Georg. Hier geht es nicht um Geheimtipps, sondern um einige wenige Highlights, die man bei einem ersten Besuch in dieser Stadt nicht versäumen sollte: Etwa die Kathedrale von Notre Dame, den Eiffelturm, den Louvre und Versailles mit seinen Gärten. Viel Raum geben die Autorinnen den historischen Fakten. Sie liefern einfache Erklärungen zu Ludwig dem 14. und dem Absolutismus oder Napoleon, jeweils eng verbunden mit den baulichen Spuren, die diese hinterlassen haben. Gotik, Renaissance und Barock, bis hin zu den Stahlkonstruktionen des Eiffelturms werden in ihrer geschichtlichen Abfolge erklärt, ebenso erfährt man die Namen der wichtigsten Architekten, die das Gesicht der Stadt geprägt haben. Dabei wird mit beeindruckenden Zahlen und Superlativen nicht gegeizt. Der bildliche Teil besteht vorwiegend aus vereinfachten Illustrationen, die den Charakter der Gebäude gut erfassen und einen hohen Wiedererkennungswert haben. Auch fehlt es nicht an praktischen Informationen und hilfreichen Tipps, die einem das Zurechtfinden in dieser großen Stadt erleichtern. Die Autorinnen bemühen sich um eine klare Sprache, allerdings könnte man sich ihren Stil etwas flotter und pfiffiger vorstellen. Emse reist nicht nur nach Paris. In gleicher Ausstattung bietet der Verlag für dieselbe Zielgruppe Reisebücher nach Berlin, Rom und London an.
Mein Berlin Buch. Wissenschaft für schlaue Kinder. Mit Tipps von ZEIT leo. Von Eva Boos &Dorothee Fleischmann. Emons Verlag, Köln 2017, 17,50 €
„Mein Berlin Buch“ wendet sich an etwas ältere Kinder. Es ist in acht Kapitel gegliedert, allerdings nicht nach geographischen Gesichtspunkten geordnet, sondern nach Themen, die vorwiegend das alltägliche Leben früher und heute betreffen. Auch geht es um die historische Entwicklung der Stadt, verdienstvoller Weise nicht nur um die Turbulenzen des 20. Jahrhunderts. Das Kapitel „Wohnen“ beginnt mit der Frühgeschichte der Stadt und endet bei den Plattenbauten. Berlin früher und heute: Zahlreiche Geschichten und Anekdoten sorgen für die Aufmerksamkeit der Kinder. Zu der Person von Axel Springer hätte man sich vielleicht eine andere Überschrift als ein „Mann mit Träumen“ vorgestellt, und der Abschnitt über Musik und Kultur kommt etwas zu kurz. Die Buchseiten werden von einer kunterbunten Optik bestimmt. Illustrationen und Fotos, kreuz und quer über die Seiten verstreut, farbig unterlegte, kurze Texte in unterschiedlicher Typografie ermöglichen ein selektives Lesen. Insgesamt ein sehr origineller Reiseführer, nach dessen Lektüre sich auch ein Berlinkenner eingestehen muss, dass diese Stadt noch viel Unentdecktes für ihn bereithält.
Komm mit nach London. Geschichten, Geheimnisse und anderes cooles Zeug. Von Moira Butterfield, lonely planet Kids, Dt. Ausgabe Mairdumont, Ostfildern 2017, 12,90 €
Wie ein Reiseführer für Erwachsene schlägt „Komm mit nach London“ 19 verschiedene Touren durch die Stadt vor. Aber schon hier endet auch jede Ähnlichkeit. Sachliche und höchst kuriose Mitteilungen sind bunt vermischt; dicht neben 10 Downing Street, dem Sitz des englischen Premierministers, finden wir einen Hinweis auf die schmalste Straße Londons, den Straßenkünstler Banksy und eine Information über die sechs Millionen Tonnen Kaugummis, die jährlich auf den Straßen in Londons West End landen. Richtig ab geht es in der „Gruseltour“, die mit dem „Hyde Park Pet Cemetery“ beginnt und über das grausige Gefängnis „The Clink“ bei einem Geschäft für Monsterbedarf endet. Auch die Themen Globe Theatre, Buckingham Palace oder Westminster Abbey stecken voller Überraschungen. Graffiti im Krönungsstuhl oder Königin Victoria als die schnellste Esserin ihrer Zeit. Wie die meisten Reiseführer für Kinder spielen schwindelerregende Zahlen eine große Rolle. Die Uhr von Big Ben hat 7 Meter Durchmesser, die Tottenham Court Road ist mit 94,9 Dezibel der lauteste Ort Londons. Ähnlich wie der Berlinführer bietet dieser „Lonely Planet“ ein kunterbuntes Seitenlayout. Zeichnungen sind mit Fotos kollagiert und purzeln wild durcheinander. Umrahmte Texte, unterstrichene Zeilen und unterschiedliche Schriftgrößen sind sicher nur für Erwachsene gewöhnungsbedürftig. Eine Karte der Stadt mit den Ausgangspunkten zu den verschiedenen Rundwegen bietet Orientierungshilfe. Ohne die Begleitung eines Erwachsenen geht es allerdings nicht. Lonely Planet bietet nach demselben Prinzip auch Reiseführer für New York und Paris an.
Dein Ruhrgebiet. Mausschlaue Freizeit Tipps. Von Tanja Weimer &Torsten Wellmann, Droste Verlag, Düsseldorf 2017, 14,99 €
Das Ruhrgebiet gehört nicht gerade zu den beliebten touristischen Reisezielen Europas, und so ist dieses Buch „Dein Ruhrgebiet“ wie es der Titel schon sagt, für Kinder geschrieben, die im Ruhrgebiet leben. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf dem besonderen Charakter einer Region, die ihre Prägung nicht den Schlössern und Kirchen verdankt, sondern der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts. Hier geht es um Kohle, Bergbau, Hüttenwerke, Kokereien und um die „Maloche“. Viele der Museen bewahren weniger die schönen Künste, als die Geschichte der Wirtschaft, des Unternehmertums und der rapiden Stadtentwicklung. Dabei spielt der Strukturwandel der Nachkriegszeit eine besondere Rolle. Da geht es etwa um den Gasometer von Oberhausen, der 1988 abgerissen werden sollte. Heute befindet sich darin ein riesiger Ausstellungsraum. Oder das einzige Unesco-Welterbe im Ruhrgebiet, die Zeche und Kokerei Zollverein in Essen, heute ein riesiges Kulturdenkmal, das sogar ein Schwimmbad beherbergt. Die Seiten „Typisch Ruhrgebiet“ beschäftigen sich vorwiegend mit dem Lebensstil und den „Hobbies der kleinen Leute“. Dazu gehören die Arbeitersiedlungen, die Brieftauben, die Schrebergärten, die Trinkhallen und die Currywurst. Erstaunlich umfangreich ist das Kapitel über Tiere und Pflanzen. Es zeugt von den Anstrengungen, eine lange unterdrückte und misshandelte Natur wieder zu ihrem Recht kommen zu lassen. Es gelingt den Autoren, etwas von der Besonderheit dieser Region und dem Selbstbewusstsein der Ruhrgebietler zu vermitteln. Das Ruhrgebiet ist besser als sein Ruf! Insofern ist „Dein Ruhrgebiet“ auch den jungen Bewohnern anderer Regionen zu empfehlen.
Dr. Barbara von Korff Schmising ist Literaturwissenschaftlerin und Geschäftsführerin der „Silbernen Feder“. Sie ist als Jurorin und Rezensentin im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur tätig.
bschmising@gmx.de