Zeitgeschichte

Prof. Dr. Karlhans Sauernheimer

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2020

Über eine außerordentlich positive Bewertung des Buches aus wissenschaftlicher Sicht kann es keine zwei Meinungen geben.

Es handelt sich um eine Maßstäbe setzende wissenschaftliche Publikation über die Geschichte einer Zeitung. Hinzu kommt ein erzählfreudiger Schreibstil, der dem Buch breite Leserkreise erschließen dürfte.

Peter Hoeres, Zeitung für Deutschland. Die Geschichte der FAZ. München Salzburg: Benevento, 2. Auflage 2019, 597 Seiten, ISBN-13 9783710900808, € 28,00

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ, gehört zu den renommiertesten Tageszeitungen der Welt. Umso überraschender ist es, dass es bis heute an einer umfassenden Darstellung und Würdigung dieser Institution fehlt. Diese Lücke will Peter Hoeres mit der vorliegenden Arbeit schließen. Das Buch erscheint, passgenau, 70 Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen der Zeitung am 1. November 1949. Hoeres, 49, ist Professor für Neueste Geschichte an der Universität Würzburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Politik-, Kultur- und Mediengeschichte. Sie bieten gute Voraussetzungen, der gestellten Aufgabe Herr zu werden.

Der Autor erzählt die Geschichte der Zeitung in einer aufgelockerten chronologischen Ordnung. Er setzt inhaltliche Schwerpunkte und folgt dabei seinen fachlichen und persönlichen Präferenzen. Durch die Verknüpfung der behandelten politischen Kontroversen mit den sie kommentierenden Personen gewinnen seine Schilderungen Lebhaftigkeit. Sie offenbaren eine, dem homogenen Erscheinungsbild der Zeitung nach außen entgegen stehende, beträchtliche interne Meinungsvielfalt. Besonderes Augenmerk richtet er auch darauf, wie die Zeitung von außen, d.h. von anderen Medien, der Politik, der Wirtschaft, der Kultur, dem Ausland wahrgenommen wird. Von großem Wert war das dem Autor gewährte Privileg, als erster Außenstehender das Archivmaterial der Zeitung mit den Protokollen der Sitzungen von Herausgebern und Redaktionen sowie dem hausinternen Schriftverkehr einsehen zu können.

In zehn Kapiteln legt Hoeres die Stellung der FAZ zu den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen der Zeit dar. Westbindung, Etablierung der Marktwirtschaft und Vergangenheitsbewältigung in den 1950-er Jahren; danach Kalter Krieg, Mauerbau und der Machtwechsel; in den 1970-er Jahren die neue Ostpolitik, Radikalisierung, Ölkrise und die Politisierung der Kultur; anschließend die konservative Wende mit Reagan, Thatcher, Kohl, der Historikerstreit und 1989 der Fall der Mauer; Deutsche Einheit, Zerfall der Sowjetunion, Weltmarktauftritt Chinas, und die Einführung der Europäischen Währungsunion 1999, symbolträchtig im letzten Jahr des 20. Jahrhunderts. In der Zeit danach waren die rot-grüne Regierung, die Finanz- und Eurokrise, Rechtschreibreform, Digitalisierung und Zuwanderung, die Merkel-Koalitionen sowie Umweltsorgen vielfach aufgenommene Themen. Zwei der zehn Kapitel widmen sich ausschließlich dem Feuilleton als einem Ort herausragender zeitgeschichtlicher, zukunftsorientierter und literarischer Debatten. In Form von Exkursen wird schließlich das Forum der Leserbriefe in den Blick genommen, der Wandel im Layout im Hinblick auf Schriftbild, Abbildungen und Karikaturen beschrieben, sowie auf die speziellen Gebiete von Technik, Reise, Sport und Regionalem eingegangen.

Hoeres arbeitet heraus, dass und wie die FAZ über die gesamten 1970 Jahre eine große Kontinuität in ihren Leitlinien verfolgt hat. Sie vertritt im politischen Teil eine konservative Linie, im wirtschaftlichen Teil einen marktwirtschaftlich-liberalen Kurs und bietet im Feuilleton Raum für eine breite Palette gesellschafts- und kulturpolitischer Ansichten.

Die unterschiedlichen Profile der drei Abteilungen werden zusammen gehalten durch ein durchgehendes Stil-, Formund Sprachbewusstsein.

In der Gewinnung und Sicherung der wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit der Zeitung sahen die Herausgeber von Anfang an eine ihrer Hauptaufgaben. Boten zunächst vornehmlich die Persönlichkeiten der Herausgeber dafür eine Gewähr, so wurde der Zeitung 1959 mit der Einbringung in die gemeinnützige Verlagsgesellschaft der FAZIT-Stiftung auch eine institutionelle Absicherung ihrer Unabhängigkeit gegeben. Hoeres spricht davon, dass die Unabhängigkeit der Zeitung „zu ihrer DNA wurde“. Von nicht minderer Bedeutung für die Zeitung war die Etablierung eines Herausgebergremiums, bestehend aus vier bis sechs Personen, anstelle eines einzigen Herausgebers oder eines Chefredakteurs. Die damit gewährleistete kollegiale Leitung bot eine Sicherung vor gefährdenden Entscheidungen eines Einzelnen. Ergaben sich unüberbrückbare Differenzen zwischen einzelnen Herausgebern und der Mehrheit des Gremiums, trennte man sich, vier Mal in der Geschichte des Blattes, von ihnen. Das Blatt hatte von Anfang an herausragende Köpfe in seinen Reihen. Aus der Gründergeneration sind hier in erster Linie Erich Welter, Jürgen Eick, Paul Sethe, Erich Dombrowski und Karl Korn zu nennen. Auf Grund der schnell gewonnenen Reputation gelang es, weitere renommierte Persönlichkeiten wie zunächst Benno Reifenberg und Friedrich Sieburg, später dann Joachim Fest und Marcel Reich-Ranicki für eine Mitarbeit in der Zeitung zu gewinnen, die ihrerseits das Ansehen der Zeitung weiter erhöhten. Schon in jüngerem Alter stießen Johann Reißmüller für den politischen Teil, Hans Barbier für den Wirtschaftsteil sowie Karlheinz Bohrer und Frank Schirrmacher für das Feuilleton zur Zeitung. Zunächst nur im Feuilleton, dann im Politik- und in den letzten Jahren auch im Wirtschaftsteil trugen Frauen wie Vilma Sturm, Maria Frisé, Hilde Spiel, Helene Rahms, Heike Göbel und nicht zuletzt mit ihren außergewöhnlichen Fotographien Barbara Klemm zum Ansehen der Zeitung erheblich bei.

Besondere Verdienste um die Zeitung hat sich Erich Welter, ein promovierter und habilitierter Nationalökonom, erworben. Er hatte zunächst bei der Frankfurter Zeitung gearbeitet, wurde dann Chefredakteur bei der Vossischen

Zeitung in Berlin und wechselte nach deren Verbot in die Leitung der Frankfurter Zeitung bis auch die 1944 verboten wurde.

Nach dem Krieg war er es, der die Gründung einer neuen liberalen, marktwirtschaftlich orientierten Zeitung in die Hand nahm. Als er 1948 als Professor für Volkswirtschaftslehre an die Universität Mainz berufen wurde, schuf er, gestützt auf seine dreijährige Vorarbeit, zunächst eine überregionale Fassung der Mainzer Allgemeinen Zeitung, aus der dann, nach der Aufhebung des Lizenzierungszwanges, 1949 die Frankfurter Allgemeine Zeitung hervorging. Er hatte die Geldgeber für die Neugründung besorgt und die oben genannten Persönlichkeiten als als Mitarbeiter oder Mitherausgeber gewonnen. Seine Rolle im Herausgebergremium war die eines Primus inter Pares. Seiner herausgehobenen damaligen Stellung wird noch heute Rechnung getragen, indem er als einziger Herausgeber der Gründergeneration im Impressum der Zeitung genannt und als „Gründungsherausgeber“ bezeichnet wird. Hoeres arbeitet sehr schön heraus, dass der spätere Erfolg der Zeitung alles andere als sicher war. Die bereits lizenzierten Zeitungen, Süddeutsche Zeitung, die Welt und die Frankfurter Rundschau, hatten sich bereits im Süden, Norden und der Mitte Westdeutschlands etabliert. Im Raum Frankfurt hatten die Frankfurter Rundschau und die Frankfurter Neue Presse den Leser- und Anzeigenmarkt besetzt. Hinzu kam, dass ein Blatt, das in der Zeit der Nachkriegsnot für freie Preise und eine ordoliberale Marktwirtschaft Freiburger Prägung eintrat und noch dazu als überregionale Zeitung konzipiert war, auf wenig Zuspruch in der Bevölkerung rechnen konnte. Demzufolge waren die ersten Jahre eine Gratwanderung und der Konkurs eine permanente Bedrohung. Erst mit dem wirtschaftlichen Aufschwung kamen die Konsolidierung und dann auch der Erfolg.

Hoeres zeigt auch, und hier dürfte der Zugang zu den internen Quellen des Hauses besonders hilfreich gewesen sein, welche zum Teil erheblichen Konflikte es zwischen den Herausgebern sowie zwischen und innerhalb der Ressorts gegeben hat und wie sie gelöst wurden. So trennte man sich in den 1950-er Jahren vom Mitherausgeber Sethe, der, anders als die übrigen Herausgeber, Adenauers Politik des Primats der Westbindung, im Hinblick auf die Chancen für eine Überwindung der deutschen Teilung, immer wieder scharf kritisierte. Bohrer, dem verantwortlichen Literaturredakteur, machte man seinen, dem Leser nur schwer vermittelbaren elitären Ästhetizismus zum Vorwurf und entsandte ihn als Korrespondenten nach London. Fest entzweite sich über den Historikerstreit, den er in das Feuilleton der FAZ brachte, mit Reich-Ranicki, den er von der ZEIT nach Frankfurt gelotst hatte. Zwischen dem Politikressort und dem Feuilleton kam es, insbesondere in den 1970-er Jahren zu heftigen Auseinandersetzungen über die redaktionellen Bewertungen der gesellschaftlichen Radikalisierung und ihrer künstlerischen Verarbeitung in Theater, Film und Literatur. Hoeres beschreibt diese Kontroversen stets als fachlich-inhaltliche Auseinandersetzungen, ein Ringen um das bessere Argument, in dessen Bewertung er eine wohltuende Zurückhaltung übt. Die Lektüre dieser Passagen vermittelt das Bild einer breiten Streuung redaktioneller Meinungen und kontrastiert stark mit der weitverbreiteten, aber verengten Vorstellung von der FAZ als einer „konservativen Tageszeitung“. Hoeres sieht in einem durchgehenden politisch-weltanschaulichen Binnenpluralismus ein Alleinstellungsmerkmal der FAZ im Vergleich zu anderen deutschen Tages- und Wochenzeitungen.

Der Autor des Buches hält durchgehend kritische Distanz zu den Autoren der Zeitung. Unverkennbar ist aber sein Bemühen, ihnen gerecht zu werden, selbst wenn er ihre Positionen nicht teilt. Auch vermeidet er wohlfeile Urteile aus der Sicht des Nachgeborenen über die Beschäftigung von Mitarbeitern, deren journalistische Arbeit während der Nazizeit nicht über jeden Zweifel erhaben war. Über eine außerordentlich positive Bewertung des Buches aus wissenschaftlicher Sicht kann es keine zwei Meinungen geben. Es handelt sich um eine Maßstäbe setzende wissenschaftliche Publikation über die Geschichte einer Zeitung. Hinzu kommt ein erzählfreudiger Schreibstil, der dem Buch breite Leserkreise erschließen dürfte. Die These von Welter, man solle Professoren nicht allzu viel Raum zu Publikationen in der FAZ einräumen, denn die „können nicht schreiben“, widerlegt Hoeres aufs Glänzendste. Die penible Dokumentation der verwendeten Quellen führt zu einem Verzeichnis von ca.1800 Fußnoten, die mit knapp 100 Seiten ein Sechstel des Buchumfangs ausmachen. Und doch hemmt dieser, an das Ende des Buches delegierte Apparat, den Lesefluss nicht. Knapp 300 der Fußnoten beziehen sich auf die Archive der FAZ und belegen, welch große Bedeutung der Zugang von Hoeres zu diesen Quellen und damit für das Buch hat. Neben dem in Kästen archivierten Wissen zapfte Hoeres auch in zahlreichen Gesprächen das in den Köpfen der Mitarbeiter gespeicherte Wissen für sein Buch an. Es gibt ein umfassendes Literatur- und Personenverzeichnis, jedoch kein Schlagwortregister.

Es mag sein, dass die Begeisterung des Rezensenten auch damit zusammenhängt, dass er seit 50 Jahren Leser dieser Zeitung ist und einen Teil der Themen seines Lebens Revue passieren sieht. Nicht-Leser der FAZ werden der Lektüre vielleicht mit weniger Enthusiasmus folgen, ja durch die Fülle der Namen ihnen unbekannter Redakteure abgeschreckt werden. Aber jedenfalls die Älteren unter ihnen, die noch regelmäßig eine Tageszeitung gelesen haben, werden die Themen sowie die ihnen zugrunde liegenden politischen Auseinandersetzungen noch in Erinnerung haben und sich daran erfreuen.

Wenn man Mängel benennen sollte, würde man vielleicht auf die vergleichsweise geringe Bedeutung, die dem Wirtschaftsressort und den dort behandelten Fragen gewidmet wird, hinweisen. Nun mag ein kritischer Hinweis auf Fehlendes in einem Buch von 600 Seiten wenig überzeugend klingen. Aber die FAZ ist nun einmal seit Welters Zeiten, also von Anfang an, eine stark wirtschaftspolitisch geprägte Zeitung. So hätte zum Beispiel Barbiers positive Kommentierung der Wirtschaftspolitik von Thatcher und Reagan, die mit ihrer Politik auf die wirtschaftliche Misere in ihren Ländern reagierten, eine ausführlichere – und weniger negative – Bewertung durch den Autor verdient. Auch verliert das Buch zum Ende hin etwas an Atem und Präzision: So kommen die letzten 20 Jahre eindeutig zu kurz: Ihnen werden pro Kapitel nur halb so viele Seiten gewidmet wie den früheren Kapiteln. Ob zu den im vorletzten Kapitel behandelten „großen Fragen der Gegenwart“ wirklich die Anti-Euro-Partei und die Entlassung des Herausgebers Stegner gehören, sei einmal dahingestellt. Und schließlich widmet sich im letzten Kapitel, das mit „Leben und Schreiben in der Männerbastion“ überschrieben ist, tatsächlich nur eines der fünf Unterkapitel den Frauen in der FAZ.

Alles in Allem: Ein hervorragendes Buch, dessen Lektüre allen an der Zeitgeschichte Interessierten nur wärmstens empfohlen werden kann.

Prof. Dr. Karlhans Sauernheimer (khs) wirkte von 1994 bis zu seiner Emeritierung im März 2010 als Professor für VWL an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er publiziert schwer­ punktmäßig zu Themen des internationalen Handels, der Wäh­ rungs- und Wechselkurstheorie sowie der Europäischen Inte­ gration. Er ist Koautor eines Standardlehrbuchs zur Theorie der Außenwirtschaft und war lange Jahre geschäftsführen­ der Herausgeber des Jahrbuchs für Wirtschaftswissenschaften.

karlhans.sauernheimer@uni-mainz.de

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