Biografien

Preußisch, konservativ, jüdisch

Micha Brumlik: Preußisch, konservativ, jüdisch – Hans-Joachim Schoeps´ Leben und Werk, Böhlau Verlag Köln 2019, ISBN 978-3-412-51501-0, 294 S. mit 11 Abb., geb., € 39,00 €, auch als eBook

Nach einem aufschlussreichen Zitat aus den Lebenserinnerungen von Hans-Joachim Schoeps verordnete ihm sein Vater Julius Schoeps, praktischer Arzt in Berlin, als 15jährigem einen ebenso rigiden wie großzügigen Rahmen für die weitere Geistesentwicklung: „Du weißt, mein Junge, ich bin sehr tolerant, von mir aus kannst Du alles werden. Nur drei Dinge darfst Du nicht werden: Zionist, Kommunist und Sozialdemokrat.“ Welche in seiner Widersprüchlichkeit und Facettenvielfalt geradezu bizarre Persönlichkeit aus dem damals Jugendbewegten hervorging, umkreist Micha Brumlik in dem hier zu besprechenden Buch. Hans-Joachim Schoeps wurde 1909 in Berlin geboren, starb 1980 in Erlangen. Zeit seines Lebens betrauerte er den Untergang eines von ihm idealisierten preußischen Staates und der Monarchie, forderte 1951 sogar die Wiederherstellung Preußens. Er wünschte sich eine starke konservative und autoritäre Ordnung, eine männerbündische Kultur als Nährboden zur Hervorbringung von Führern zur Vollstreckung eines sich ungehindert entfaltenden Volkswillens, war Wandervogel, Mitglied der bündischen Jugendbewegung, Corpsstudent, Anhänger der Konservativen Revolution. Prägende Einflüsse waren aber auch protestantische Theologen, Historiker, Soziologen und Philosophen, während er zum Judentum ein ambivalentes Verhältnis hatte. Nach dem Studium der Religionswissenschaft, Geschichte und Literatur wurde Schoeps 1932 promoviert und legte 1933 das Lehramtsexamen für Deutsch, Geschichte und Philosophie ab, wurde aber als Jude nicht zum Referendariat zugelassen. 1933 gründete er den pronazistischen Deutschen Vortrupp. Gefolgschaft deutscher Juden und verfasste mit Freunden eine Denkschrift „über Rechtsstand und Verfassung der deutschen Juden“ mit dem Ziel, „die Judenschaft als Korporation in einen ständischen Reichsaufbau“ einzugliedern. Seine beharrlichen Versuche, mit der nationalsozialistischen Bewegung zusammenzuarbeiten, scheiterten, vielmehr wurde er zunehmend von der Gestapo verfolgt, konnte auch beruflich nicht Fuß fassen und musste 1938 emigrieren. Seine Eltern starben in Theresienstadt und Auschwitz-Birkenau. Schoeps war von 1941 bis 1946 verheiratet (mit Dorothee Busch) und Vater von zwei Söhnen (Julius H. und Manfred Schoeps). Im schwedischen Exil beschäftigte er sich, obwohl wissenschaftlich isoliert, intensiv mit der Geschichte des Judentums sowie des frühen Christentums und bereitete seine bahnbrechenden Veröffentlichungen zum wechselseitigen Verhältnis der abrahamitischen Religionen, insbesondere zum Judenchristentum, vor. 1946 kehrte er in die Bundesrepublik zurück, konnte sich bereits 1947 habilitieren und in Erlangen eine Professur für Religions- und Geistesgeschichte erhalten. 1948 gründete er die Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte. Er versuchte, an Reste der frühdeutschen Jugendbewegung anzuknüpfen und mittels verschiedener Initiativen mit monarchistischen, nationalkonservativen Kreisen zusammenzuarbeiten und diese zu organisieren. Gegenüber nationalsozialistisch Belasteten hatte er keinerlei Berührungsängste. Er bekannte sich unumwunden zu seiner Bisexualität und setzte sich nach 1945 entschieden für die Wiedergutmachung der von den Nationalsozialisten verfolgten Homosexuellen ein. Den Zionismus lehnte er aus religiösen Gründen strikt ab. Außerdem, so Brumlik „muss Schoeps als einer der Ersten gelten, der die Bedeutung des Werkes von Franz Kafka erkannt hat.“

Diese biographischen Eckdaten kommen bei Micha Brumlik zwar vor, jedoch eher verstreut und nur im weitesten Sinne chronologisch geordnet. Ihm war es ersichtlichtheo nicht eigentlich um die Abfassung einer Biographie, sondern die Ausleuchtung des intellektuellen Innenlebens und Lebenswerks eines außergewöhnlichen Geisteswissenschaftlers zu tun. Im Vorwort stellt er ausführlich dar, welchen Fragestellungen er in seiner Darstellung nachgegangen ist:

„1. die Geschichte der deutschen bündischen und zumal jüdischen Jugendbewegung und ihres Fortwirkens auch nach dem Zweiten Weltkrieg (…);

2. die Geschichte der dialektischen Theologie und ihrer Beziehung zum Judentum unter Auswertung von Schoeps Briefwechsel mit Karl Barth (…);

3. die schließlich vergeblichen Versuche preußisch gesonnener Juden, mit rechtskonservativen Kreisen und Personen wie Ernst Jünger in Kontakt zu kommen;

4. die politischen Mentalitäten jüdischer Deutscher angesichts von zunehmendem Antisemitismus in den ersten Jahren des Nationalsozialismus, als Schoeps dem antisemitischen Rassismus des NS-Staates zum Trotz eine erklärtermaßen regimetreue jüdische Bewegung ins Leben rufen wollte;

5. die existenzielle Erfahrung des Exils (…);

6. die gebrochene Erfahrung der Rückkehr ins westliche Deutschland und in sein restauratives Klima;

7. die stets bedrohte Lebenslage homosexueller Männer in der Weimarer Republik sowie im westlichen Deutschland der fünfziger und sechziger Jahre;

8. das von Schoeps forcierte kulturelle Gedächtnis an Preußen und seine Versuche, im Gegensatz zum konventionellen Konservatismus etwa Adenauers einen ‚echten Konservatismus‘ wiederzubeleben;

9. die inneren Konflikte der spätestens mit der Revolte der Studenten an ihr Ende kommenden klassischen Ordinarienuniversität;

10. den gewagten Versuch, nach der Shoah ein mehr oder minder nicht zionistisches, rein verstandenes Judentum aufrechtzuerhalten.“

Zu den vorgenannten, unterschiedlich gewichteten Themen enthält das Buch teilweise sehr reichhaltiges Material und etliche – zumal für den religionsgeschichtlich weniger vorbelasteten Leser – interessante Erkenntnisse. So beispielsweise betreffend die deutsche Jugendbewegung als keineswegs homogenes „Phänomen sui generis“, den Jüdischen Barthianismus, den Begriff „Volk Israel“, Hintergründe einer explizit männerbündischen Kultur, den jüdischen Kantianismus oder die Reaktionen jüdischen, rabbinischen Denkens auf die Shoah.

Überzeugend legt Brumlik dar, dass Hans-Joachim Schoeps bereits mit „seinen im schwedischen Exil betriebenen Forschungen zu den Ebionikern (…) zum Vorreiter, ja gerade zum Avantgardisten nicht nur einer bestimmten Richtung religionshistorischer Forschung, sondern zugleich zu einem der Ersten, wenn nicht gar dem Ersten [wurde], der die erst Jahre später begonnene Besinnung auf die Gemeinsamkeiten von Juden- und Christentum auf eine neue – religionshistorische, nicht etwa theologische! – Basis stellte.“ Auch die Beschreibung der Situation des Remigranten, seiner teils illustren Kontakte und Mitstreiter und des intellektuellen Klimas der Nachkriegszeit bis zu den siebziger Jahren ist reizvoll. Sehr plastisch macht Brumlik die erstaunlichen intellektuellen Widersprüche des Protagonisten, ja sein nicht mehr nachvollziehbares „eigentümliches Geschichtsbild“ zumal angesichts der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik und des Schicksals seiner eigenen Eltern deutlich. Die Beschäftigung mit Kafka erwähnt er nur kurz anhand einer 1929 von Schoeps als Student verfassten Schrift und eines Treffens mit Max Brod. Mit zahllosen Geisteswissenschaftlern aber auch politisch-ideologischen Wortführern seiner Zeit stand Schoeps in teils intensivem Kontakt, wechselte Briefe oder Streitschriften; diese Auseinandersetzungen werden so detailliert ausgeleuchtet, dass hier gleichzeitig wichtige Teile des Geisteslebens der Weimarer Republik und der Nachkriegszeit Revue passieren. Leider verhindern nicht unerhebliche Mängel den Lesefluss. Zunächst wünscht man sich, dass die vorstehend wiedergegebenen thematischen Schwerpunkte einer stringenteren Gliederung folgend behandelt worden wären. Nur zum Teil finden sie sich in den (auch nicht immer glücklichen) Überschriften der Kapitel und deren entsprechendem Inhalt wieder. Da die Darstellung wie schon erwähnt nur grob dem Lebenslauf von Hans-Joachim Schoeps folgt, hätte es nicht geschadet, die Entstehungszeit seiner jeweils referierten Schriften zu benennen, auch wenn sich diese, allerdings mit einiger Mühe, aus dem Literaturverzeichnis ermitteln lässt. Erstmals eingeführte Namen und Abkürzungen werden erst Seiten später vollständig genannt bzw. erläutert, was möglicherweise nachträglicher Umstellung von Textpassagen ohne nochmalige Korrektur geschuldet ist. Bei den von Brumlik in seiner Vorbemerkung angekündigten zahlreichen Exkursen – wobei die Zulässigkeit dem besseren Verständnis einer Thematik dienende Einschübe nicht grundsätzlich bestritten werden soll – drängt sich mehrfach der Eindruck auf, dass der Autor der Versuchung erlegen ist, eigene Kenntnisse unterzubringen. Geradezu ärgerlich sind etliche Wiederholungen – manchmal wortgleich, manchmal aber entweder mit zusätzlichen Wörtern versehen, manchmal unter Verwendung sogar inhaltlich abweichender Formulierungen – ganzer Textpassagen sowie Zitate. Der Leser steht dann ratlos vor der Frage, bei welcher Variante es sich wohl um die Endfassung handeln könnte. An vielen Stellen fehlen offensichtlich einzelne Wörter, die anhand des Satzzusammenhangs hinzugedacht werden müssen. Hinzu kommen zahllose grammatische, orthographische und Interpunktionsfehler, erratisch eingestreute Buchstaben oder Wortfetzen, die selbst bei oberflächlichem Korrekturlesen aufgefallen sein müssten. Am Ende des Buches findet sich ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie unter „Anmerkungen“ die durchgehend nummerierten Belegstellen. Hier stimmen einige Querverweise nicht, vor allem aber fällt (neben auch hier grassierenden Schreibfehlern) auf, dass dieselben Quellen auf bis zu fünf unterschiedliche Arten benannt werden. Zweifellos ist Micha Brumlik zu danken, dass er sich der in seiner Widersprüchlichkeit geradezu faszinierenden und als Religionswissenschaftler verdienstvollen Persönlichkeit von Hans-Joachim Schoeps angenommen hat. Nach einem sorgfältigen und kritischen Lektorat wäre daraus ein großartiges Werk geworden.

Es bleibt die Frage, an welche Adressaten sich dieses Buch wendet. Die Verlagsankündigung nennt „Historiker, an jüdischer Geschichte, an Biographien sowie an der Geschichte des 20. Jahrhunderts interessierte Leser“. Mit den Einschränkungen, die sich aus den vorstehenden kritischen Anmerkungen ergeben, trifft dies zu. (ldm)

Lena Dannenberg-Mletzko (ldm) war bis zu ihrem Ruhestand Notariatsvorsteherin in einer großen Wirtschaftskanzlei in Frankfurt am Main, bis 2003 Lehrbeauftragte des Landes Hessen für die Ausbildung von Rechtsanwalts- und Notarfachangestellten, außerdem Autorin von Prüfungsbüchern zur Notariatskunde und Fachbeiträgen für verschiedene Zeitschriften.

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