Sozialwissenschaften

Praxisleitfaden Schuldnerberatung

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2023

Homann, Carsten / Poppe, Malte, Schuldnerberatung für die Soziale Arbeit. Grundlagen und Praxis­ anwendung, Nomos, Kompendien der sozialen Arbeit, Baden-Baden 20 ­22, ISBN 978-3-8487-6302-3, 325 S., € 26,00.

    Am Anfang mag eine Zahl stehen: Im Jahre 2020 suchten ausweislich des Statistischen Bundesamtes 588.000 Personen eine Schuldnerberatungsstelle auf; bezogen auf die Gesamtbevölkerung eine ansehnliche Zahl. Dies wirft die Frage auf, wer sich um in finanzielle Bedrängnis geratene Menschen kümmert. Jahrzehntelang war Schuldnerberatung eine Domäne der Pädagogik. Das leuchtet unmittelbar ein: Es geht nicht nur darum, Menschen im Hinblick auf die Tilgung ihrer Schulden zu beraten, sondern sie auch dazu zu erziehen, mit ihren finanziellen Mitteln sachgerecht umzugehen. Und das ist nun einmal die Aufgabe der Erziehungswissenschaften. Mit Inkrafttreten der Insolvenzordnung zum 1.1.1999 kam als zweite Fachdisziplin die Jurisprudenz hinzu. Denn § 1 Satz 2 InsO lautet: „Dem redlichen Schuldner wird Gelegenheit gegeben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien.“ Es geht also nicht mehr nur um Vollstreckungsschutz, sondern um die vollständige Befreiung vom Rest der Schulden bzw. von den Schulden schlechthin. Angesprochen ist damit das sog. „Verbraucherinsolvenzverfahren“ sowie vor allem die „Restschuldbefreiung“. Knapp formuliert kann man die diesbezügliche Zielsetzung der Insolvenzordnung wie folgt wiedergeben: Es geht darum, für wirtschaftlich gescheiterte Personen die Möglichkeit der Entschuldung innerhalb angemessener Zeit unter möglichst geringer Belastung der Gerichte zu schaffen. Juristische Konflikte sind damit vorprogrammiert, oszilliert die Restschuldbefreiung doch zwischen den Interessen von Gläubigern und Schuldnern. Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass mit dem Juristen Carsten Homann und dem Pädagogen Malte Poppe Vertreter beider Disziplinen sich der Aufgabe gestellt haben, einen Praxisleitfaden für die Schuldnerberatung in der sozialen Arbeit zu verfassen. Eines sei dabei noch vorausgeschickt: Vor Jahren hielt ein Vertreter der Inkassobranche einen durchaus instruktiven Vortrag über das Phänomen der Überschuldung aus volkswirtschaftlicher Sicht, wobei er gleich zu Beginn betonte, er referiere rein theoretisch, er habe mit Schuldnern in praxi nichts zu tun. Ganz anders verhält es sich mit Homann und Poppe. Beide können aufgrund ihrer Tätigkeiten aus einem reichen Fundus an Erfahrungen mit zahlungsunfähigen Menschen schöpfen. Deutlich wird dies schon in der Anlage des Buches, die fundierte Fachkenntnis der Autoren wird aber über die ganzen rd. 300 Seiten hin deutlich. Das Werk gliedert sich in acht Kapitel. Im ersten Abschnitt (S. 17 – 28) wird das Feld bereitet. Die Leserschaft wird mit den Grundlagen der Schuldnerberatung sowie den Akteuren in diesem Feld vertraut gemacht. Nach ihrem Selbstverständnis ist Schuldnerberatung Sozialarbeit mit ver- und überschuldeten Menschen. Sie richtet sich an Personen, die durch ihre soziale und wirtschaftliche Lage in existentielle Not geraten sind oder denen diese droht. Aufgaben der Schuldnerberatung sind die wirtschaftliche, finanzielle und soziale Lebensberatung, die Stabilisierung der Betroffenen im sozialen, wirtschaftlichen und psychischen Bereich, die Entwicklung von Selbsthilfepotentialen zur aktiven Auseinandersetzung mit den gegebenen Problemen sowie die Unterstützung und Begleitung bei den Sanierungsbemühungen nebst der Prävention. Ziel ist es, den Klienten angemessene Hilfestellungen zu geben, um eine wirtschaftliche Sanierung und eine psychosoziale Stabilisierung zu erreichen und sie zu befähigen, zukünftig ihre finanziellen Angelegenheiten besser regeln zu können. Der Stellenwert der Schuldnerberatung im Studium der sozialen Arbeit wird dabei beleuchtet (S. 20 f.), Falldarstellungen zum finanziellen Schicksal von „Rita“ und „Katharina“ schließen sich an (S. 23 ff.). Die angeführten Beispiele werden dann im Rahmen des Buches immer wieder aufgegriffen. Schon diese didaktische Vorgehensweise bewirkt, dass anstelle steifleinener Aussagen eine lebendige Darstellung des Stoffes erfolgt. Grundlagen beleuchtet das zweite Kapitel (S. 28 – 77). Dargestellt werden die verschiedenen Facetten, in welchen Recht und Schuldnerberatung zu einander stehen (S. 31 ff.), aber auch, auf welchen rechtlichen Grundlagen die Verbindlichkeiten beruhen (können). Die unterschiedliche Terminologie der Wissenschaftsdisziplinen offenbart sich nicht zuletzt an den Begriffen der „Überschuldung“ einerseits sowie der „Zahlungsunfähigkeit“ anderseits (S. 36 ff.). Ausgehend von den Ergebnissen der Überschuldungsstatistik geht es dann um Theorien und Methoden der Schuldnerberatung (S. 50 ff.). Das dritte Kapitel (S. 78 – 146) ist den einzelnen Phasen der Beratung gewidmet, wobei wiederum Erziehungsund Rechtswissenschaften Hand in Hand gehen. So findet sich beim Beratungsprozess die Anamnese und der Einstieg in der Diagnose (S. 80 ff.), die rechtlichen Anteile der Beratung beginnen mit dem Pfändungsschutz für Einkünfte und Sozialleistungsbezug (S. 94 ff.). Naturgemäß wird dann ausführlich auf die Zwangsvollstreckung und Maßnahmen des Schuldnerschutzes eingegangen (S. 104 ff.). Im vierten Kapitel (S. 147 – 194) geht es zuvorderst um die Frage einer möglichen Entschuldung, sei es ohne, sei es mit Hilfe eines Insolvenzverfahrens. Wie instruktiv die Erläuterungen von Homann und Poppe sind, machen die Ausführungen zum außergerichtlichen Einigungsversuch deutlich (S. 160 ff.). Hier finden sich detaillierte Berechnungen, wie bei einem bestimmten verfügbaren Einkommen eine Schuldentilgung aussehen würde. Die diesbezüglichen Ausführungen suchen im einschlägigen Schrifttum ihresgleichen! Deutlich wird aber auch, dass es seitens der Schuldner mit Velleitäten nicht getan ist; es bedarf auch tatsächlicher finanzieller Anstrengungen, um sich von den Verbindlichkeiten zu purgieren. Auf der anderen Seite bestehen im Hinblick auf eine Entschuldung keinesfalls nur lugubre Aussichten. Die einzelnen Phasen der Beratung finden sich im fünften Kapitel (S. 195 – 220). Insoweit geht es um nachhaltige, soziale und rechtliche Intervention, das Muster eines Briefes an die Gläubiger betreffs des Versuchs einer außergerichtlichen Einigung veranschaulicht das zweckmäßige Vorgehen der Beratungsstelle (S. 205). Der Abschluss und die Evaluation der Beratung werden im sechsten Kapitel veranschaulicht (S. 221 – 237). Lesenswert sind insbesondere die Ausführungen zu den verschiedenen Handlungstypen (S. 233 ff.). In der Tat besteht beispielweise zwischen dem „kühlen Rechner“ in der Beratung und einem „Robin Hood“ (S. 235) ein erheblicher Unterschied. Was dem Schuldner mehr hilft, ist freilich noch die Frage. Bei den „Rahmenbedingungen von Schuldnerberatung“ (siebentes Kapitel, S. 238 – 257) wird einen beachtlichen Teil der Leserschaft die Finanzierungsfrage interessieren (S. 238 ff.). Kapitel 8 (S. 258 – 303) enthält Muster und Beispielsdokumente. Natürlich findet sich auch ein Exemplar der von Schuldnerseite heiß begehrten Restschuldbefreiung (S. 301). Das lesenswerte Buch ist sorgsam durchdacht, die Autoren gehen keiner Frage aus dem Weg und führen die Probleme kundig einer Lösung zu. Aufgrund seiner Verknüpfung pädagogischer und rechtlicher Aspekte der Schuldnerberatung hat das Werk ein Alleinstellungsmerkmal. Jedem an der Materie Interessierte kann es uneingeschränkt empfohlen werden. Für mit der Schuldnerberatung befasste Personen sollte es zur Pflichtlektüre werden! (cwh)

    Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder (cwh), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Handels- und Zivilprozessrecht, Johannes Gutenberg-Universität, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Deutsches, Europäisches und Internationales Arbeits-, Insolvenz- und Zivilverfahrensrecht.

    cwh@uni-mainz.de

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