Recht

Neues zum Recht der Energieinfrastruktur

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2019

Das von jugendlichen Aktivisten wirkmächtig propagierte Thema Klimaschutz versetzt gegenwärtig die politische Klasse in Deutschland in Aufregung. Es muss etwas geschehen, um den nach Art von Wutbürgern in einer sich steigernden Kampagne vorgetragenen Ängsten einer wachsenden Gefolgschaft dieser Aktivisten Rechnung zu tragen. Als Reaktion auf eine vergleichbare Kampagne gegen die an sich dem Klimaschutz förderliche Atomkraft wurde im Sommer 2011 in aller Eile die sogenannte Energiewende eingeleitet. Diese kann auch heute wieder als spezifisch deutscher Beitrag zum Klimaschutz ins Feld geführt werden: Wer aus der Atomkraft und der Kohlekraft sowie der Verbrennungsmotortechnologie aussteigen und zugleich Strom für die von Klimaschützern geforderte Elektromobilität garantieren will, braucht in Deutschland vor allem mehr Windstrom. Wegen der zu dessen Erzeugung notwendigen Windverhältnisse muss die überwiegende Mehrzahl der Windkraftanlagen jedoch im Norden oder der Mitte Deutschlands errichtet werden, so dass ein ausgeprägtes Nord-Süd-Gefälle bei der Stromerzeugung entsteht. Zudem folgt aus der Wechselhaftigkeit der Windverhältnisse bei fehlenden Speichermöglichkeiten die Gefahr von Netzengpässen durch zeitlich wechselnde Über- oder Unterkapazitäten. Um beide Probleme zu bewältigen, ist der Neubau von mehreren Tausend Kilometern Höchstspannungsleitungen für Gleichstrom in Deutschland erforderlich. Die dafür notwendigen Trassen werfen allerdings erhebliche Umweltprobleme auf, die gesellschaftspolitisch und juristisch enormes Konfliktpotential erzeugen. So sind die Umwelt- und Klimaschützer in Bürgerinitiativen gegen den Bau von Stromtrassen aktiv und müssen gleichzeitig vehement den Bau dieser Trassen fordern. Im Ergebnis führt dieser Zielkonflikt dazu, dass für keine der erforderlichen großen Leitungen auch nur die Planung bisher abgeschlossen werden konnte. Die Wahrheit ist nämlich konkret und lässt sich mit abstrakten politischen Forderungen nur vorübergehend vernebeln. Die hier anzuzeigenden Werke schlagen verdienstvolle Schneisen in diesen Nebel. Sie behandeln das Planungsrecht für Höchstspannungsleitungen sowie die dabei bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten und zeigen damit den Rahmen auf, in dem die politischen Ziele des Umwelt- und Klimaschutzes beim Ausbau der Stromübertragungsnetze erreicht werden können.

 

Siegfried de Witt/Peter Durinke/Harriet Kause, Höchstspannungsleitungen – Planung, Genehmigung und Enteignung. Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG, Berlin, 2. Aufl. 2019. ISBN 978-3-503-18177-3; 173 S., Softcover, 32 €.

Dieses in der Vorauflage (2012) unter dem Titel „Die Planung der Übertragungsnetze – Bedingung der Energiewende“ erschienene Praxishandbuch stellt nach dem Stand von Januar 2018 die unterschiedlichen Planungsverfahren für Leitungen des Übertragungsnetzes zum Transport von Elektrizität dar. Den im Fachplanungsrecht versierten und als Anwälte mit der Verwaltungs- und Gerichtspraxis bestens vertrauten Verfassern gelingt es, die durch zahlreiche Sonderregelungen komplexe und vielschichtige Spezial­ materie des Rechts des Ausbaus dieser Energieleitungen in übersichtlicher Form systematisch zu erschließen. Demgemäß gliedert sich die Darstellung in eine kurze Einführung und drei fachspezifische Teile. Der erste dieser Teile behandelt die zur Beschleunigung des Netzausbaus eingeführte gesetzliche Bedarfsplanung (Energieleitungsausbaugesetz, §§ 12a bis 12e EnWG, Bundesbedarfsplangesetz sowie die „Unionsliste“ nach Art. 3 der EU-Verordnung Nr. 347/2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Infrastruktur). Die drei Stufen dieser Bedarfsplanung (Szenariorahmen, Netzentwicklungsplan, Bundesbedarfsplan) werden anschaulich dargestellt. Der zweite fachspezifische Teil ist allgemein dem Planungsverfahren der Verwaltung für Leitungen gewidmet, die (nur) nach dem Energiewirtschaftsgesetz planfestgestellt werden, also nicht dem Sonderrecht des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes Übertragungsnetz (NABEG) unterliegen. In diesem Rahmen gehen die Verfasser ausführlich auf die dem Planfeststellungsverfahren vorgelagerte Stufe der Raumordnung, das Planfeststellungsverfahren selbst, die dafür geltenden materiell-rechtlichen Maßstäbe, den Planfeststellungsbeschluss und seine Folgen bis hin zur Enteignung sowie auf die Rechtsschutzmöglichkeiten ein. Der abschließende Teil behandelt das im NABEG speziell geregelte Planungsverfahren für bestimmte, im Bundesbedarfsplangesetz entsprechend gekennzeichnete Leitungsprojekte. Die erste, an die gesetzliche Bedarfsplanung anschließende Stufe dieses Verfahrens bildet die Bundesfachplanung zur verbindlichen Bestimmung der raumverträglichen Trassenkorridore durch die Bundesnetzagentur. In der zweiten Stufe enthält das NABEG Sonderregelungen für das anschließend ebenfalls von der Bundesnetzagentur durchzuführende Planfeststellungsverfahren. Hervorgehoben wird die umfangreiche und mehrfach wiederholte Öffentlichkeitsbeteiligung auf allen Verfahrensstufen, die dem bezweckten Beschleunigungseffekt tendenziell widerspricht.

 

Marcel Buus, Bedarfsplanung durch Gesetz – Unter besonderer Berücksichtigung der Netzbedarfsplanung nach dem EnWG. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2018. ISBN 978-3-8487-4698-9; 429 S., broschiert, 109 €.

Weniger der praktischen, sondern der rechtswissenschaftlichen Aufbereitung ihres Gegenstandes dient diese als Dissertation an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz entstandene Monographie. Sie behandelt die bundesgesetzliche Bedarfsplanung im Bereich des Verkehrswegeund insbesondere des Stromtrassenbaus als erste Stufe der Vorhabenplanung und ihre rechtlichen Wirkungen für die folgenden Planungsstufen, die für den Gesetzgeber dabei bestehenden verfassungsrechtlichen Vorgaben und die Möglichkeiten verfassungsgerichtlicher Kontrolle der Einhaltung dieser Vorgaben. In der Einleitung wird zunächst der Begriff der Bedarfsplanung nach seinem Inhalt und seiner Bedeutung im System des Fachplanungsrechts überzeugend herausgearbeitet. Es folgen ein Überblick über die Geschichte der Infrastruktur-Bedarfsplanung seit dem 19. Jahrhundert, die Darstellung der verschiedenen Modelle gesetzlicher Bedarfsplanungen für Verkehrswege und Energienetze unter eingehender Behandlung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen, eine Untersuchung der planungsrechtlichen Wirkungen der Netzbedarfsplanung für das gestufte Verfahren der Vorhabenzulassung, sowie der Versuch, die Funktionen der Infrastruktur-Bedarfsplanung zu identifizieren und zu systematisieren. Nach dieser sorgfältig erarbeiteten, umfassenden Bestandsaufnahme widmet sich der Verfasser den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die legislative Bedarfsplanung. Hier gerät er allerdings auf ein Terrain, in dem der dogmatische Furor eines jungen Wissenschaftlers leicht in Konflikt mit den eher ernüchternden Erfahrungen der Rechtspraxis gerät:

Wegen der Grundrechtsrelevanz der Bedarfsplanung unterliege diese den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Außerdem dürfe die Bedarfsfestlegung nur auf zutreffende Tatsachenannahmen gestützt werden. Insbesondere sei die Tauglichkeit der Methodik zur Ermittlung des Sachverhalts und zur Prognose des Bedarfs Gegenstand der verfassungsgerichtlichen Kontrolle. Dass die Bundesregierung nach § 12e Abs. 1 Satz 2 EnWG verpflichtet sei, den allein von den privaten Übertragungsnetzbetreibern planerisch zu verantwortenden und ihr von der Regulierungsbehörde nur übermittelten Entwurf für den Bundesbedarfsplan zum Gegenstand einer Gesetzesinitiative zu machen, verstoße gegen die in Art. 76 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gesicherte Autonomie der Bundesregierung, über „Ob“ und „Wie“ der Gesetzesinitiative zu entscheiden, und gegen demokratische Grundsätze.

 

Miriam Aniela Salm, Individualrechtsschutz bei Verfahrensstufung – Eine Studie am Beispiel des Übertragungsnetzausbaus. Mohr Siebeck GmbH & Co. KG, Tübingen 2019. ISBN 978-3-16-156649-3; 334 S., fadengeheftete Broschur, 69 €.

Im Mittelpunkt dieser als Dissertation an der Universität Trier entstandenen Untersuchung steht die Frage, welchen Individualrechtsschutz das Recht des Übertragungsnetzausbaus im gestuften Verfahren der Vorhabenzulassung vorsieht und ob dies mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar ist. Einleitend wird die Entwicklung der Gesetzgebung für Planung und Genehmigung von Höchstspannungsleitungen in Deutschland nachgezeichnet. Anschließend arbeitet die Verfasserin die grundlegenden Anforderungen der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in gestuften administrativen Entscheidungsprozessen heraus. Dazu bringt sie Methodik und Instrumente der Verfahrensstufung in ein stimmiges System und untersucht sehr eingehend die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen effektiven Rechtsschutzes in gestuften Planungs- und Genehmigungsverfahren anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der dazu vorhandenen rechtswissenschaftlichen Literatur. Dieser Teil, der fast die Hälfte des Gesamttextes umfasst, stellt einen Schwerpunkt ihres Werkes dar. Am Maßstab der dabei gewonnenen Erkenntnisse wird dann – nicht frei von gewisser Redundanz – geprüft, ob die gesetzliche Regelung den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Dazu werden der Verfahrensablauf und die rechtsschutzrelevanten Abstufungen des Planungs- und Genehmigungsverfahrens für Höchstspannungsleitungen sowie die dabei vorgesehene Rechtsschutzkonzeption im Einzelnen dargestellt und auf ihre Verfassungskonformität begutachtet. Den „Knackpunkt“ bildet § 15 Abs. 3 NABEG, wonach die Entscheidung der Netzagentur über den Verlauf eines Trassenkorridors für das folgende Planfeststellungsverfahren verbindlich ist, aber nur im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Planfeststellung überprüft werden kann. Die Verfasserin ordnet diese Entscheidung – einer Linienbestimmung vergleichbar – als „atypische verwaltungsinterne Weisung mit erhöhter Verbindlichkeit“ ein und hält die Konzentration des Individualrechtsschutzes auf die abschließende Planfeststellung mit ausführlicher und überzeugender Begründung für mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar. Ihrem rechtspolitischen Vorschlag, das ohnehin überobligatorische System der Öffentlichkeitsbeteiligung auf bis zu sieben Verfahrensstufen durch Verlängerung der Einwendungsfristen weiter zu „optimieren“, hat der Gesetzgeber durch § 21 Abs. 2 und 3 sowie § 42 Abs. 3 Satz 2 UVPG bereits Rechnung getragen.

 

Nina Wolff-Schekatz, Rechtliche Fragestellungen des Höchstspannungsleitungsausbaus in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Beteiligung der Öffentlichkeit und des Rechtsschutzes der Verfahrensbeteiligten. Verlag Dr. Kovač GmbH, Hamburg 2018. ISBN 978-3-8300-9869-0; 245 S., Softcover, 98,80 €.

Auch diese Arbeit ist als Dissertation entstanden, allerdings an der Technischen Universität Darmstadt. Sie besticht durch ihre praktische Verwendbarkeit, die die Verfasserin durch eine übersichtliche Gliederung, sprachliche Klarheit, graphische Darstellungen der Verfahrensabläufe und den Verzicht auf überbordende dogmatische Exkurse erreicht. Das handliche Buch eignet sich deshalb auch für diejenigen, die ohne vertieftes wissenschaftliches Interesse eine praktische Einführung in den komplexen Ablauf des gestuften Planungs- und Genehmigungsverfahrens für Höchstspannungsleitungen suchen. Die kenntnisreich und prägnant geschriebene Arbeit beginnt mit einer kurzen Erläuterung der technischen Grundlagen ihres Gegenstandes und der im Recht des Leitungsausbaus verwendeten Begriffe. Es folgt eine anschauliche Darstellung der historischen Entwicklung der Stromversorgung in Deutschland, die von Beginn an ein Zusammenspiel von Privaten und dem Staat war. Den Hauptteil des Buches bildet die exakte Darstellung und Untersuchung des mehrstufigen Planungssystems für Energieleitungen mit den dabei vorgesehenen, sehr umfangreichen Beteiligungsmöglichkeiten sowie den während des Verfahrens nur eingeschränkt bestehenden, im Wesentlichen auf die Anfechtung der Zulassungsentscheidung konzentrierten Rechtsschutzmöglichkeiten. Die von Buus verneinte Befugnis der Bundesregierung, an dem von der Regulierungsbehörde bestätigten Netzentwicklungsplan vor der Einbringung beim Bundestag noch Änderungen vorzunehmen, wird von der Verfasserin im Wege verfassungskonformer Auslegung tendenziell bejaht, allerdings mit dem Vorschlag verbunden, bei solchen Änderungen wieder die Öffentlichkeit zu beteiligen. In Übereinstimmung mit Salm wird auch die mit der Rechtsschutzkonzentration verbundene Einschränkung verfahrensbegleitenden Rechtsschutzes unter Berücksichtigung der mehrfachen Öffentlichkeitsbeteiligung als verfassungsgemäß angesehen. Allerdings hält es die Verfasserin zutreffend für rechtspolitisch problematisch, dass Fehler in der Bundesfachplanung, die den Planfeststellungsbeschluss „infizieren“, so möglicherweise erst sehr spät korrigiert werden können, so dass von der angestrebten Beschleunigung des Planungsverfahrens dann keine Rede mehr sein kann. (us)

Dr. iur. Ulrich Storost war bis zum Eintritt in den Ruhestand im Herbst 2011 Mitglied des für Teile des Fachplanungsrechts zu­ ständigen 9. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts. Er gehörte diesem Senat seit 1993 als Richter, von 2004 bis 2011 als Vorsitzender Richter an. Neben seinem Hauptamt war er von 1997 bis 2004 Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin. Seit 1991 ist er Mitautor eines Loseblattkommen­ tars zum Bundes-Immissionsschutzgesetz.

ulrich.storost@t-online.de

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