Recht

Neues zum Naturschutzrecht

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 5/2017

Bis vor etwa 15 Jahren galt das Naturschutzrecht in Deutschland als ein Orchideengewächs im Garten des öffentlichen Rechts. Es war ein eher exotisches Spezialgebiet für Liebhaber der Natur, spielte aber im prosaischen Alltag der Gerichte und Verwaltungen nur am Rande eine Rolle. Das hat sich seitdem grundlegend geändert. Seit 2002 hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in einer Serie von Entscheidungen zur Vogelschutzrichtlinie und zur Habitatrichtlinie mit archaischer Strenge das deutsche Naturschutzrecht umgestaltet. Er hat zum einen dafür gesorgt, dass der in diesen Richtlinien normierte Gebietsschutz – anders als die tradierte Eingriffsregelung des deutschen Naturschutzrechts – sich nicht auf ein „weiches“ Optimierungsgebot beschränkt, das in notwendiger Pflichtübung mit nachhaltiger Trauerarbeit unter Vergießen von Krokodilstränen abwägend überwunden werden kann. Er hat zum anderen durchgesetzt, dass der in diesen Richtlinien ebenfalls normierte Artenschutz nicht nur für Jäger, Fallensteller und Strandurlauber, sondern auch für die staatliche Zulassung von Infrastrukturvorhaben strikte Geltung beansprucht. Infolge der dadurch veranlassten Rechtsfortbildung hat sich das Naturschutzrecht inzwischen zu einem weitverzweigten Geflecht entwickelt, das mit schlingpflanzengleicher Abundanz das gesamte Planungsrecht durchdringt. Europarechtlich verstärkt nimmt es unter dem Beifall der Aktivisten des Zeitgeistes einen überragenden Stellenwert in Anspruch und hat damit das Potential, die bei der Planung zu berücksichtigenden anderen öffentlichen und privaten Belange zu dominieren. Umso wichtiger sind die Versuche der Rechtswissenschaft, das wuchernde Dickicht dieses Rechtsgebiets zu durchdringen und mit juristischem Handwerkszeug auf ein für die Praxis handhabbares Maß zurechtzuschneiden. Die stürmische Entwicklung unter dem Einfluss der europarechtlichen Vorgaben macht es dabei erforderlich, eingeführte Werke der einschlägigen Fachliteratur schneller als sonst üblich in überarbeiteter Neuauflage erscheinen zu lassen.

Walter Frenz/Hans-Jürgen Müggenborg (Hrsg.),  Bundesnaturschutzgesetz. Kommentar,  Erich Schmidt Verlag, Berlin, 2. Auflage 2016.  ISBN 678-3-503-16366-3; 1392 S., gebunden, € 148,00.

Dieser Großkommentar aus der Reihe der Berliner Kommentare war in erster Auflage im Jahre 2011 erschienen. Die Neuauflage berücksichtigt den Rechtsstand bis Ende 2015. Das 22-köpfige Autorenteam blieb weitgehend unverändert und besteht überwiegend aus Rechtsanwälten und Hochschullehrern. Ausgewiesene Experten aus diesem Personenkreis behandeln besonders ausführlich die Eingriffsregelung (Guckelberger), den Habitatschutz (Frenz) und den Artenschutz (Lau). Dabei wird nicht nur der Norminhalt erläutert, sondern auch der Gesamtzusammenhang der Vorschriften, die Gesetzgebungskompetenz, die Gesetzgebungsgeschichte und der europa- und völkerrechtliche Kontext dargestellt sowie detailliert auf abweichendes oder konkretisierendes Landesrecht eingegangen. Die Mitwirkungsrechte von anerkannten Naturschutzvereinigungen und deren Rechtsschutz werden – der Systematik des Gesetzes entsprechend – gesondert in der Kommentierung zu Kapitel 8 (Heselhaus) abgehandelt, wobei Schrifttum und Judikatur umfassend berücksichtigt sind. Trotz seiner Ausführlichkeit ist der Kommentar wegen seiner klaren Gliederung gut lesbar und infolge detaillierter Inhaltsübersichten auch zum Nachschlagen geeignet, wenn konkrete Fragen zu beantworten sind.

 

Sabine Schlacke (Hrsg.), Gemeinschaftskommentar zum  Bundesnaturschutzgesetz (GK-BNatSchG).  Carl Heymanns Verlag, Köln, 2. Auflage 2017.  ISBN 978-3-452-28266-8; 1109 S., gebunden, € 129,00.

Auch dieser Großkommentar liegt nunmehr fünf Jahre nach seiner 2012 erschienenen Erstauflage in einer Neubearbeitung nach dem Stand von Mitte 2016 vor. Das Autorenteam setzt sich wie bisher aus 17 Personen zusammen, die überwiegend aus der Anwaltschaft und der Umweltverwaltung stammen. Als Neuzugang mit ausgewiesener Expertise hat Kerkmann die Kommentierung der die Ziele des Gesetzes betreffenden §§ 1 und 2 sowie – zusammen mit Koch und Prall – der Eingriffsregelung übernommen. Dabei wird auch auf Zweck und Bedeutung der Vorschriften, deren Entstehungs- und Novellierungsgeschichte sowie in übersichtlicher Form unter Zuhilfenahme einer Synopse auf die einschlägigen landesrechtlichen Regelungen eingegangen und sogar auf die praktisch wichtigen Arbeitshilfen der einzelnen Bundesländer hingewiesen. Besondere wissenschaftliche Qualität von monographischem Rang weist die ausführliche Kommentierung des den Habitatschutz betreffenden Abschnitts durch Möckel auf. Auf 150 Druckseiten wird hier neben einer umfassenden und zuverlässigen Erläuterung der einzelnen Vorschriften über die Geschichte und die Ziele des Habitatschutzrechts, die Anforderungen an seine Umsetzung und deren Stand, den Erhaltungszustand der betreffenden Lebensraumtypen und Arten sowie über Kosten und Nutzen des Netzes „Natura 2000“ berichtet. Hier finden sich auch ein tabellarischer Überblick über die einschlägigen landesrechtlichen Regelungen sowie ein Hinweis auf die behördlich herausgegebenen oder veranlassten Leitfäden, Fachkonventionen, Arbeitshilfen und Fachinformationssysteme, die auch für die gerichtliche Prüfung von großer praktischer Bedeutung sind.

 

Erich Gassner, Natur- und Landschaftsschutzrecht.  Erich Schmidt Verlag, Berlin, 2. Auflage 2016.  ISBN 978-3-503-16797-5; 294 S., kartoniert, € 42,00.

Eine nach Zielgruppe und Darstellungsweise ganz andere Konzeption verfolgt dieser „fachbereichsübergreifende Leitfaden“ eines als engagierter Umweltrechtler bekannten früheren Referatsleiters im Bundesumweltministerium. Anhand mit Illustrationen unterlegter Beispiele aus der Praxis will er Bürgern, Planern, Behörden, Kommunen, Verbänden, Anwälten und Gerichten das Natur- und Landschaftsschutzrecht als „law in action“ nahebringen. Dieser stark praxisbezogene Ansatz führt zu einer lebendigen und sehr anschaulichen Einführung in die ursprüngliche – sympathische – Konzeption dieses Rechtsgebiets, die von der vom grünen Tisch in Luxemburg aus betriebenen Europäisierung noch nicht verfremdet war. An einen Überblick über die begrifflichen und tatsächlichen Grundlagen des deutschen Natur- und Landschaftsschutzrechts schließt sich eine Darstellung des Rechtskonkretisierungsprozesses an, wie ihn sich der Verf. aus seiner langjährigen Erfahrung idealtypisch vorstellt. Nur kurz geht er dabei auf die Prüfung nach Maßgabe des FFH-Gebietsschutzrechts und des Artenschutzrechts ein, die abweichend hiervon oft den zentralen Gegenstand einschlägiger gerichtlicher Verfahren bildet. Der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Eingriffsregelung setzt er in kritischer Auseinandersetzung eine strengere Konzeption entgegen, die die Bedeutung dieser nationalen Regelung im Verhältnis zu den genuin europarechtlichen Anforderungen wesentlich erhöhen würde. Es folgen kurze Einführungen in das fachbereichsübergreifende Planungsrecht (Landschaftsplanung und gesamträumliche Planung), in das fachbereichsübergreifende Planfeststellungsrecht und in das bereichsspezifische Fachplanungsrecht (Wasserrecht, Immissionsschutzrecht und Waldrecht). Abgerundet wird das inhalts- und kenntnisreiche Werk durch Kapitel zum Flächenschutz, zum Artenschutzrecht, zum Meeresnaturschutzrecht, zum Recht auf Erholung in Natur und Landschaft, zum gerichtlichen Rechtsschutz, zur Umweltschadenshaftung sowie zu den Bußgeld- und Strafvorschriften.

 

Eva-Maria Stüer/Bernhard Stüer, Bauen im Außenbereich. Planungs- und Naturschutzrecht in der Praxis,  Verlag C. H. Beck, München 2017.  ISBN 978-3-406-70617-2; 400 S., gebunden, € 89,00.

Einen demgegenüber zwiespältigen Eindruck hinterlässt die Lektüre dieses Werkes, das ebenfalls einen praxisbezogenen Ansatz verfolgt. Es will beim Bauen im Außenbereich für den einzelnen Bauherrn und die mitwirkenden Behörden rechtliche Orientierungslinien aufzeigen und die bau- und naturschutzrechtlichen Vorgaben in überschaubarer und für die Praxis leicht verständlicher Weise bündeln. Dies gelingt ihm nur teilweise. Den Schwerpunkt des Werkes bildet eine keineswegs gebündelte, sondern sehr eingehende Kommentierung des das Bauen im Außenbereich betreffenden § 35 BauGB, die mitsamt der dazu gehörenden Rechtsprechungssammlung mehr als vier Fünftel des Gesamttextes in Anspruch nimmt. Der wenig überschaubare Detailreichtum dieses Hauptteils erinnert an die überwältigende Kenntnisfülle, die Bernhard Stüer in seinem opus magnum, dem bekannten Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts (5. Aufl. 2015; dazu Laubinger, fachbuchjournal 3/2017, 36 <41>), ausbreitet. Das ist kein Zufall. Denn tatsächlich handelt es sich im Wesentlichen und durchgängig auch wörtlich um den dort von Eva-Maria Stüer bearbeiteten entsprechenden Teil dieses Handbuchs, ohne dass dies hinreichend kenntlich gemacht wird. Hin-

zugefügt wurden noch eine kurze Einführung, Karten- und Textbeispiele sowie – systematisch unklar eingeschoben bzw. aufgesetzt – Kapitel über „planungsbedürftige Außenbereichsvorhaben“ und über Sonderregelungen für Flüchtlingsunterkünfte. Die im Handbuch unter Rn. 3060 und hier unter

Rn. 261 zu findende Ansicht, die bauplanungsrechtlichen und die naturschutzrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen für Vorhaben im Außenbereich hätten einen eigenständigen Charakter und seien unabhängig voneinander zu prüfen, steht übrigens in Widerspruch zu dem unter Rn. 513 abgedruckten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2013 – BVerwG 4 C 1.12 –, wonach das Naturschutzrecht die öffentlichen Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB konkretisiert. Noch irritierender ist aber der Umstand, dass das im Untertitel enthaltene und im Vorwort wiederholte Versprechen, es werde auch das Naturschutzrecht behandelt, tatsächlich nicht angemessen eingelöst wird. Die kurze Einführung in dieses Rechtsgebiet beschränkt sich auf eine zweiseitige Aneinanderreihung von Stichworten, gefolgt von unkommentierten Auszügen aus vier Gerichtsentscheidungen zur Eingriffsregelung, der Ökokontoverordnung eines Bundeslandes und einer Kreisverordnung zum Landschaftsschutz. Es schließen sich Texte zum Habitat- und Artenschutz an, die offensichtlich nur unzureichend an die aktuelle Fassung des Bundesnaturschutzgesetzes angepasst wurden. So wird in Rn. 628, 629 und 635 auf seit 2010 nicht mehr geltende Vorschriften verwiesen. Die Ausführungen zum Artenschutz leiden zudem daran, dass die notwendige redaktionelle Bearbeitung unterblieben ist (unerklärliche Textdopplungen in Rn. 629, 630, 635, 651 und 653, sinnlose Übernahme einzelfallbezogener Sätze aus Gerichtsentscheidungen in Rn. 639 und 646, ungenaue Wiedergabe des Gesetzeswortlauts in Rn. 641, 645, 647 und 653, grammatische Verwirrung in Rn. 642 und 643, zusammenhanglose Fußnotensetzung in Rn. 641, ungenaue und flapsige Wiedergabe von Rechtsprechung in Rn. 645, Durcheinander der Absätze [Rn. 652 gehört hinter Rn. 654], das Thema „Bauen im Außenbereich“ verfehlende Ausführungen zur Bauleitplanung in Rn. 652 bis 656). Offenbar wurden hier im Computer gespeicherte Versatzstücke aus anderen eigenen Veröffentlichungen nur gemischt und mehr oder weniger wahllos aneinandergereiht. Fazit: Der äußerlich aufwendige Druck dieses überflüssigen Werkes zu dem aufgerufenen hohen Preis ist ein verlegerischer Missgriff, der dem mit dem Namen Stüer bisher verbundenen Niveau leider nicht gerecht wird.

Dr. Ulrich Storost, Richter am Bundesverwaltungsgericht a.D., Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin a.D.,

ulrich.storost@t-online.de

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