Recht

Naturschutzrecht in der Praxis

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 4/2022

Unsere Zeit ist im Krisenmodus. Aktuell stehen zwar die Coronakrise und die Ukrainekrise und die dadurch ausgelösten finanz- und wirtschaftspolitischen Verwerfungen im Zentrum der Aufmerksamkeit von Politik und Öffentlichkeit. Nicht weniger lösungsbedürftig bleiben jedoch die im Hintergrund dauerhaft drohenden Probleme der Klimakrise und der Biodiversitätskrise. Diese beiden Krisen sind so untrennbar miteinander verbunden, dass man sie in einem übergreifenden Begriff der Naturkrise zusammenfassen kann, die durch die Menschheit ausgelöst wird. Dabei ist die vom anthropogenen Verlust biologischer Vielfalt bedrohte Natur auch vom anthropogenen Klimawandel massiv betroffen, kann aber zugleich, wenn ihre Biodiversität geschützt wird, Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel sein. Allerdings kann die weltumspannende Klimakrise nur global bewältigt werden, während die auf biogeographische Räume bezogene Bio­ diversität territorial erhalten und wiederhergestellt werden muss. Deshalb ist das auf den Schutz der Biodiversität fokussierte Naturschutzrecht weit mehr als das Klimaschutzrecht darauf angewiesen, dass es durch die Praxis auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene effektiv umgesetzt wird. Die von Aktivisten des Umweltschutzes gern benutzte Devise „Global denken, lokal handeln“ hat hier ihre uneingeschränkte Berechtigung. Gerade auf lokaler Ebene steht die Natur jedoch oft in unmittelbarem Konflikt mit den Bedürfnissen der Menschen, der in beständig hohem Mobilitäts- und Siedlungsdruck durch Urbanisierung und Industrialisierung Ausdruck findet und durch die Energiewende sowie den anhaltenden Strukturwandel der Landwirtschaft mit seiner Verschiebung von Klein- zu Großbetrieben noch verstärkt wird. Umso wichtiger ist es für die Rechtspolitik, das Naturschutzrecht für die Praxis handhabbar zu machen, und für die Rechtswissenschaft, seine Implikationen für die Praxis herauszuarbeiten. Die im Folgenden zu besprechenden Werke sind wertvolle Beiträge dazu, eine solche praktikable Rechtspolitik anzuleiten und das geltende Naturschutzrecht allen, die an dessen Umsetzung beteiligt oder auch nur interessiert sind, praxisbezogen zu vermitteln.

Jochen Kerkmann / Frank Fellenberg (Hrsg.), Naturschutzrecht in der Praxis, Lexxion, 3. Aufl. Berlin 2021. ISBN 978-3-86965-315-0; 780 S., geb., € 98,00.

    Dieses von Kerkmann begründete Handbuch hat sich seit der Erstauflage (2007) zu einem Standardwerk des Naturschutzrechts entwickelt. Es erläutert die wichtigsten Bereiche dieses Rechtsgebiets nach aktuellem Stand in einer den Bedürfnissen der Praxis entsprechenden, aber wissenschaftlich fundierten Weise. Seit der Vorauflage (2010) sind viele Gerichtsentscheidungen zur Bedeutung des Naturschutzrechts bei der Vorhabenzulassung ergangen, die in der Neuauflage zu berücksichtigen waren. Dies sowie die Übernahme der Mitherausgeberschaft durch Fellenberg und eine umfangreiche Veränderung des weiterhin überwiegend aus der Anwaltschaft stammenden Autorenkreises haben eine grundlegende Überarbeitung des Werkes veranlasst. Dazu gehört dessen Neugliederung in vier Teile, die der Übersichtlichkeit guttut.

    Im die Grundlagen betreffenden Teil 1 geht Häfner in einem neuen Kapitel auf 67 Seiten systematisch und unter optischer Hervorhebung von Beispielen, Merksätzen, Rechtsgrundlagen und Zusammenfassungen auf die Frage ein, wie naturschutzrechtliche Belange in der Umweltverträglichkeitsprüfung und der strategischen Umweltprüfung zu berücksichtigen sind – ein Muster für gelungene praxisbezogene Vermittlung einer sehr komplexen Verfahrensgestaltung. Den inhaltlichen Schwerpunkt des Werkes bildet die Darstellung der Hauptgebiete des Naturschutzrechts in Teil 2: Landschaftsplanung, Eingriffsregelung, Gebiets- und Objektschutz, geschützte Landschaftsbestandteile, Biotopschutz, Natura 2000, Artenschutz und Meeresnaturschutz. Dabei nimmt entsprechend der Bedeutung für die Vorhabenzulassungspraxis die Erläuterung der europarechtlich vorgeprägten Vorschriften zum Aufbau und Schutz des europäischen ökologischen Netzes „Natura 2000“ (Kerkmann/Schröter) und zum Artenschutz (Fellenberg) breitesten Raum ein. Auch hier werden Fallbeispiele, Merksätze, Rechtsgrundlagen und sogar Formulierungsbeispiele für Entscheidungen optisch hervorgehoben und betont praxisbezogene Hinweise ausdrücklich einbezogen. Teil 3 behandelt die Instrumente zur Durchsetzung naturschutzrechtlicher Anforderungen: Behördliche Regelungsbefugnisse, Vertragsnaturschutz, Umweltschadensrecht, Anerkennung und Mitwirkung von Umweltvereinigungen sowie den Rechtsschutz nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz. Der abschließende Teil 4 thematisiert die naturschutzrechtlich relevanten Sekundäransprüche und Sanktionen.

     

    Edmund Brandt / Ralf Kreikebohm / Jochen Schumacher (Hrsg.), Naturschutz – Rechtswissenschaft – Bewährung in der Praxis. Festschrift für Hans Walter Louis, Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2021. ISBN 978-3-8305-5096-9; 449 S., geb., € 68,00.

      Diese Festschrift ist einem Pionier des Naturschutzrechts gewidmet, der sein Berufsleben nicht nur in den Dienst der Rechtswissenschaft, sondern auch und vor allem der Rechtspraxis in der Umweltverwaltung des Landes Niedersachsen gestellt hat. Neun der 18 hier versammelten Beiträge von ihm fachlich und wissenschaftlich verbundenen Autoren behandeln naturschutzrechtliche Themen. Sie sind eine Fundgrube für alle, die sich mit dem kaum noch überschaubaren System naturschutzrechtlicher Vorschriften in Bund und Ländern befassen wollen oder müssen. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Naturschutz und der Land- und Forstwirtschaft thematisiert sein Berufskollege Carl-August Agena anhand der Frage, auf welche Weise die Ausweisung von Landschaftsschutzgebieten dazu beitragen kann, die bei der landwirtschaftlichen Nutzung zu beachtenden „Grundsätze der guten fachlichen Praxis“ sowie die im Bundesnaturschutzgesetz aufgeführten Zielsetzungen zur „forstwirtschaftlichen Nutzung des Waldes“ durch Normierung rechtsverbindlicher Handlungspflichten so zu konkretisieren, dass sie nicht mehr als bloße Appelle gewertet werden, sondern durch ordnungsrechtliche Anordnungen auch praktisch durchsetzbar sind. Auf dem Hintergrund der Probleme bei der Kompensation neuer Bodenversiegelungen durch Entsiegelung entsprechender Flächen geht die Umwelt- und Planungsrechtlerin Juliane Albrecht den Fragen nach, inwieweit die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung ein Instrument zur Förderung von Entsiegelungsmaßnahmen darstellt, wo Defizite liegen und wie diese beseitigt werden könnten. Wilhelm Breuer, ein als Geschäftsführer einer Naturschutzvereinigung engagierter Ingenieur der Landespflege, weist darauf hin, dass am Ende der 2010 vom Deutschen Bundestag ausgerufenen Dekade zum Schutz der Biodiversität deren Bilanz für viele Lebensräume und Arten negativer denn je ist. Der darüber erstellte Bericht zur Lage der Natur in Deutschland beschönige dies durch den Hinweis auf viele lokal und regional erzielte Erfolge und spreche dafür von „Resilienz“, die erhalten oder wiedergewonnen werden müsse, sei vollständig gendergerecht formuliert und achte auch sonst auf politisch korrekte Sprache. Die erreichten Verbesserungen für den Schutz der biologischen Vielfalt verdankten sich jedoch großenteils dem europäischen Unionsrecht und der darauf gründenden Rechtsprechung. In Deutschland sei der Naturschutz dagegen mit der Forderung konfrontiert, Natur und Landschaft nur noch dort und in dem Maße zu schützen, wo und wie es unionsrechtlich verlangt sei. In der Umweltpolitik werde nicht nur versucht, den Artenschutz dem Klimaschutz und der Energiewende unterzuordnen, sondern Windenergie, Klimaschutz und Artenschutz würden zunehmend gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung etabliere sich als neues gesellschaftliches Narrativ des grünen Fortschritts bis hinein in Umweltvereinigungen. Der Umweltrechtler Detlef Czybulka fordert unter Berufung auf Unionsrecht und Völkerrecht einen vom Bund und den Küstenländern zu erarbeitenden Managementplan mit weitreichenden Schutzmaßnahmen zur Erhaltung der vom Aussterben bedrohten Population des Schweinswals in der deutschen Ostsee. Der als Experte des Naturschutzrechts bekannte Jurist Martin Gellermann (Universität Osnabrück) setzt sich kritisch mit der als „Niedersächsischer Weg“ bezeichneten Vereinbarung zwischen der Landesregierung und Akteuren in Landwirtschaft und Naturschutz auseinander, in der sich die Beteiligten verpflichten, durch ein Maßnahmenpaket einen fairen Ausgleich zwischen den Erfordernissen des Naturschutzes und den Belangen der Landwirtschaft sicherzustellen. Der Agrarwissenschaftler Werner Konold stellt anhand vieler Abbildungen im Einzelnen dar, wie die forstliche Nutzungsvielfalt in Zeiten des Klimawandels zur biotischen Vielfalt beitragen kann. Der besonders im Umwelt- und Planungsrecht ausgewiesene Rechtsanwalt Alexander Schink untersucht, welche Auswirkungen die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Oktober 2018 zur von der Verwaltungsrechtsprechung entwickelten naturschutzrechtlichen Einschätzungsprärogative der Behörden auf die Praxis der Bauleitplanung hat. Der im Bau- und Umweltrecht spezialisierte Rechtsanwalt Wolfgang Schrödter stellt die sehr begrenzten Auswirkungen der naturschutzrechtlichen Regelungen und Belange auf die baurechtliche Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile dar. Schließlich untersucht die Thüringer Landschaftsplanerin Karoline Witte am Beispiel von Erstaufforstungen die Rolle der Schutzzweckbeschreibung und des Gebietscharakters von nach dem Bundesnaturschutzgesetz ausgewiesenen großflächigen Schutzgebieten für die Wirksamkeit der Schutzvorschriften gegenüber den vielen kleinen Eingriffen oder Nutzungen in diesen Gebieten, die in ihrer jeweiligen Summe eine Landschaft bedeutend verändern können.

       

      Detlef Czybulka / Wolfgang Köck (Hrsg.), Forstwirtschaft und Biodiversitätsschutz im Wald. Beiträge zum 14. Deutschen Naturschutzrechtstag, Nomos, Baden-Baden 2022. ISBN 978-3-8487-7720-4; 282 S., kart., € 79,00.

        Das bei der forstlichen Nutzung des Waldes bestehende Spannungsverhältnis zwischen dem Naturschutz undder Forstwirtschaft war das Generalthema des 14. Deutschen Naturschutzrechtstages, der im März 2021 in Leipzig stattfand. Die in diesem Tagungsband versammelten wissenschaftlichen Beiträge beleuchten dieses in der täglichen Praxis der Forstwirte offenkundige Spannungsverhältnis interdisziplinär.

        Einleitend gibt Christoph Leuschner, Geobotaniker an der Universität Göttingen, in einem Grundlagenreferat einen Überblick über den Zustand des deutschen Waldes, seine Nutzung und seine Belastungen. Er weist darauf hin, dass das politische Ziel, den Holzverbrauch in Deutschland aus ökonomischen und klimapolitischen Gründen zu steigern, und die damit verbundene Bewirtschaftungspraxis nicht nur unrealistisch, sondern auch schädlich für die zugleich verfolgten Biodiversitätsziele sei. Lutz Fähser, früher Forstamtsleiter im Stadtwald Lübeck, erläutert das von ihm 1994 entwickelte „Lübecker Modell“ einer naturnahen Waldnutzung als Beispiel „guter forstlicher Praxis“ im Sinne eines ökosystemorientierten und auch klimapolitisch günstigen Umgangs mit Wirtschaftswäldern. Ulrich Mergner, Forstbetriebsleiter in Ebrach, stellt als optimierte Lösung für den Ausgleich zwischen Nutzen und Schützen eine naturschutzintegrative Waldbewirtschaftung am Beispiel seines Betriebs dar. Der Landschaftsökologe Hans Dieter Knapp betrachtet den Schutz der Biodiversität des Waldes im Rahmen internationaler Vereinbarungen. Er hält die internationalen Vereinbarungen zum Waldschutz für einen „zahnlosen Tiger“ und die Erklärung von Holz zu einer erneuerbaren Energiequelle über die Propagierung von Hackschnitzelheizungen als „hocheffizient und nachhaltig“ für eine geradezu perverse Entwicklung, die mit dem Anreiz zu industrieller Waldzerstörung in globalem Maßstab das Ökosystem degradiere und zur Beschleunigung des Klimawandels beitrage.

        Diesen geobotanisch und pflanzenökologisch ausgerichteten Beiträgen folgen Untersuchungen des Konflikts zwischen Forstwirtschaft und Naturschutz aus rechtswissenschaftlicher oder administrativer Sicht: Peter Fischer-Hüftle, Kommentator des Bundesnaturschutzgesetzes, behandelt die Probleme der Forstwirtschaft in Natura-2000-Gebieten. Wie er anhand der Rechtsprechung des EuGH überzeugend ausführt, unterliegt die Waldbewirtschaftung in diesen Gebieten dem dort geltenden Rechtsregime und genießt keine Sonderstellung. Die bisher verbreitete Praxis, auch in Natura-2000-Waldgebieten ohne FFH-Verträglichkeitsprüfung und Öffentlichkeitsbeteiligung mit Forstwirtschaftsplänen, Hiebsätzen und „Sanitärhieben“ zu arbeiten, ohne dass eine Beeinträchtigung der Erhaltungs- und Entwicklungsziele des Gebiets nachweislich ausgeschlossen ist, ist damit europarechtswidrig. Barbara Schmid von der Unteren Naturschutzbehörde Alzey-Worms berichtet von der Praxis der Zusammenarbeit zwischen Forst- und Naturschutzbehörden bei der Umsetzung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung am Beispiel der Anerkennung eines Ökokontos zur Bevorratung von vorgezogenen Kompensationsmaßnahmen im Privatwald. Martin Gellermann stellt im Einzelnen dar, welche Anforderungen das besondere Artenschutzrecht an die Forstwirtschaft stellt. Er weist zutreffend darauf hin, dass deren Freistellung von der Pflicht zur unmittelbaren Beachtung der unionsrechtlich basierten Zugriffsverbote durch § 44 Abs. 4 Satz 2 und 3 BNatSchG nach der Rechtsprechung des EuGH europarechtswidrig ist. Wilhelm Breuer, Lehrbeauftragter für Naturschutz- und Planungsrecht an der Hochschule Osnabrück, schildert die Chronologie des Konflikts um den Hambacher Forst, dessen rudimentäre Erhaltung gegenüber dem heranrückenden Braunkohletagebau nicht der sich verschärfenden Biodiversitätskrise, sondern nur dem kollektiv verlangten Kohleausstieg zu verdanken sei.

        Aus umweltökonomischer Sicht vertritt und begründet Ulrich Hampicke die Auffassung, dass die bisher ökonomisch dominierende alleinige Sicht auf die Holzerzeugung nicht der Multifunktionalität des Waldes entspreche und deshalb völlig veraltet sei. Diese Multifunktionalität des Waldes ist auch der Ausgangspunkt für Detlef Czybulka, in seinem wiederum rechtswissenschaftlichen Beitrag die von ihm schon 1987 entwickelte These von der Ökologiepflichtigkeit der Eigentümer natürlicher Lebensgrundlagen auf das Waldeigentum anzuwenden und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu verdeutlichen. In dem die Tagung abschließenden Referat zeigen Jessica Stubenrauch und Wolfgang Köck vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung den Zusammenhang von Biodiversität und Klimaschutz auf. Sie untersuchen und bewerten dabei die potentielle Rolle von Waldökosystemen in ihrer Funktion als Kohlenstoffspeicher für das Klima und fragen, unter welchen Voraussetzungen diese Funktion der Wälder hilfreich dabei sein kann, deren Biodiversität zu sichern.

        Ein die Tagung ergänzender Beitrag des Umweltrechtlers Rainer Wolf zum Thema „Wald, Jagd, Naturschutz und Recht“ geht schließlich auf den erstaunlichen Befund ein, dass Waldrecht und Jagdrecht sich trotz der räumlichen und ökologischen Wirkungszusammenhänge bisher gegenseitig nicht zur Kenntnis nehmen und auch die jeweils maßgeblichen Akteure in voneinander abgeschotteten Kommunikationsräumen operieren. Das Waldrecht müsse von seiner Fokussierung auf die Holzwirtschaft gelöst und auf einen ökosystemischen Regelungsansatz erweitert werden, der die Bedeutung des Waldes für den Naturhaushalt und für die Biodiversität deutlich zum Ausdruck bringe. Dabei sei den Anforderungen des Europarechts an den Habitat- und Artenschutz besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Auch das deutsche Jagdrecht entspreche in seiner gesamten Regelungskonzeption nicht den europarechtlichen Anforderungen zum Schutz der besonders und streng geschützten Tierarten und bedürfe deshalb dringend der Novellierung.

         

        Bosede Felicitas Staudenmayer, Der naturschutzrechtliche Flächenschutz bei Bauvorhaben im Außenbereich, Tectum, Baden-Baden 2021. ISBN 978-38288-4601-2; 275 S., brosch., € 64,00.

          Der Naturschutz steht nicht nur in einem Spannungsverhältnis zur land- und forstwirtschaftlichen Bodennutzung, sondern gerät oft in Konflikt zu Bauvorhaben, die aufgrund ihrer Zweckbestimmung bevorzugt im Außenbereich errichtet werden sollen und deshalb durch § 35 Abs. 1 BauGB dort baurechtlich „privilegiert“ sind. Beide Konfliktlagen überschneiden sich, wenn ein solches Bauvorhaben einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb dient und deshalb den „klassischen“ Fall eines Vorhabens bildet, zu dessen Gunsten der Außenbereich freigehalten werden soll. In der Praxis aktuell wird der Konflikt vor allem bei der Errichtung von Gebäuden landwirtschaftlicher Großbetriebe, gewerblichen Tierhaltungsanlagen und Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien. Der Frage, wie es sich auf die Zulässigkeit eines solchen baulichen Außenbereichsvorhabens auswirkt, wenn der Ausführungsort dem naturschutzrechtlichen Flächenschutz unterstellt ist, widmet sich diese 2020 bei Johannes Saurer an der Universität Tübingen entstandene juristische Dissertation. Die Verfasserin stellt nach einer Klärung der zentralen Begrifflichkeiten zunächst die Rechtsinstitute des naturschutzrechtlichen Flächenschutzes anhand der einschlägigen naturschutzrechtlichen Regelungen von Bund und Ländern dar und arbeitet dann Regelungssystematik und Funktion der für Außenbereichsvorhaben zentralen bauplanungsrechtlichen Norm des § 35 BauGB heraus. Anschließend untersucht sie anhand der für die praktische Umsetzung maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, welche Anforderungen des naturschutzrechtlichen Flächenschutzes sich für bauliche Vorhaben im Außenbereich daraus ergeben, dass diese Vorschrift die Zulässigkeit solcher Vorhaben von der Nichtbeeinträchtigung naturschutzbezogener öffentlicher Belange abhängig macht. Die Verfasserin kommt zu dem Ergebnis, dass die Rechtsprechung grundsätzlich von einer Konkretisierung dieser Belange durch das Naturschutzrecht ausgehe. Das gelte regelmäßig auch für die naturschutzrechtlichen Flächenschutzinstrumente; nur die Vereinbarkeit des Vorhabens mit der Eingriffsregelung und der Landschaftsplanung müsse danach selbständig geprüft werden. Ausgehend hiervon untersucht sie abschließend die materiell-rechtlichen Anforderungen der einzelnen naturschutzrechtlichen Flächenschutzinstrumente und deren Folgen für die Zulässigkeit baulicher Vorhaben im Außenbereich. Dabei lasse sich feststellen, dass es keine einheitliche Vorgehensweise im Umgang mit solchen Vorhaben innerhalb einzelner Schutzgebietskategorien gebe, sondern eine differenzierte Herangehensweise erforderlich sei. Bei der Untersuchung zahlreicher Landschaftsschutzgebietsverordnungen habe sich aber gezeigt, dass es darin überwiegend an ausreichend detaillierten Gebietscharakterisierungen und Schutzzweckbeschreibungen fehle. Ihrer Funktion als Maßstab für die Erteilung von Ausnahmegenehmigungen zugunsten baulicher Außenbereichsvorhaben könnten diese Verordnungen damit nicht hinreichend gerecht werden.

          Auch wenn dieses Ergebnis für die Praxis wenig befriedigend ist, hat die Arbeit als Beitrag zur Aufbereitung des unklaren und unübersichtlichen Normengeflechts aus der schon in sich komplexen Regelung des § 35 BauGB und dem Flickenteppich naturschutzrechtlicher Flächenschutzinstrumente hohen wissenschaftlichen Wert. Die Verfasserin weist mit Recht darauf hin, dass die Vereinbarkeit dieses Zustands mit den Kriterien der Rechtsklarheit und Rechtsbestimmtheit sehr fraglich sei. Verzeichnisse der Landschaftsschutzgebietsverordnungen und Biosphärenreservats-Schutzgebietsverordnungen der Länder runden das Werk ab. Leider fehlt bei wichtigen Gerichtsentscheidungen, die die Verfasserin verarbeitet hat, die sonst übliche Angabe einer Fundstelle. Auch sonst hätte eine gründliche redaktionelle Überarbeitung und Straffung des Textes vor der Drucklegung den praktischen Wert des Buches erhöht.

           

          Erika M. Wagner / Daniela Ecker, Naturverträglichkeitsprüfung. Systematische Aufarbeitung der Prüfung nach Art. 6 der FFH-RL, Jan Sramek, Wien 2019. ISBN 978-3-7097-0210-9; 295 S., brosch., € 78,00.

            Ganz auf die Praxis ausgerichtet ist diese am Institut für Umweltrecht der Universität Linz entstandene Studie zur FFH-Verträglichkeitsprüfung, die den zentralen Bestandteil des in Natura-2000-Gebieten geltenden Rechtsregimes bildet. Maßgeblich dafür sind zwei Richtlinien der Europäischen Union, nämlich die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) und die Vogelschutzrichtlinie, die mittlerweile durch zahlreiche Entscheidungen des EuGH konkretisiert wurden. Der dadurch entstandene Rechtszustand wird von den Verfasserinnen systematisch analysiert und praxisgerecht dargestellt. Dabei orientieren sie sich hinsichtlich des Ablaufs der Verträglichkeitsprüfung an den von der Europäischen Kommission hierzu herausgegebenen Dokumenten, nämlich dem 2019 veröffentlichten Auslegungsleitfaden „Natura 2000 – Gebietsmanagement“ und den Methodik-Leitlinien zu Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL vom November 2001. Letztere wurden zwar inzwischen im Oktober 2021 aktualisiert. Da diese Aktualisierung im Wesentlichen nur die seit 2001 ergangene Rechtsprechung des EuGH nachvollzieht, bleiben die Ausführungen der Studie zur Unterteilung der Verträglichkeitsprüfung in strikt zu trennende Phasen samt deren einzuhaltender Reihenfolge, zu den dabei zu beachtenden Gesichtspunkten sowie zum ebenfalls vom Unionsrecht geprägten Zusammenhang zwischen der FFH-Verträglichkeitsprüfung, der Umweltverträglichkeitsprüfung und der strategischen Umweltprüfung jedoch der Sache nach unverändert gültig. Veranschaulicht werden diese Ausführungen durch den Abdruck von Flussdiagrammen und Übersichten sowie einer die FFH-Verträglichkeitsprüfung unterstützenden Matrix. Wichtig und völlig zutreffend ist auch die Darstellung des vom EuGH im Wege recht eigenwilliger Rechtsfortbildung hergestellten Zusammenhangs der in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL geregelten FFH-Verträglichkeitsprüfung mit dem in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL normierten „Verschlechterungsverbot“. Ergänzt wird die detaillierte Aufarbeitung der FFH-Verträglichkeitsprüfung durch eine umfangreiche und – soweit ersichtlich – vollständige Übersicht über die dazu bis 2018 ergangene Judikatur des EuGH und der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Österreich. Dabei werden die Entscheidungsinhalte einschließlich der zugrunde liegenden Sachverhalte jeweils prägnant wiedergegeben und die wichtigsten rechtlichen Aussagen in Merksätzen zusammengefasst. Ein umfangreiches Stichwortverzeichnis rundet die praktische Nutzbarkeit des Werkes ab.

             

            Erika M. Wagner / Daniela Ecker, Wanderkorridore. Eine rechtliche Prüfung, Jan Sramek, Wien 2022. ISBN 978-3-7097-0279-6; 177 S., brosch., € 49,90.

              Von denselben Verfasserinnen stammt diese jüngst erschienene Untersuchung der arten- und habitatschutzrechtlich relevanten Frage, inwieweit die Ausweisung von Wanderkorridoren für geschützte Tierarten rechtlich geboten ist. Ausgangspunkt dieser Untersuchung ist eine nähere Bestimmung des in der FFH-Richtlinie mehrfach verwendeten ökologischen Begriffs der Kohärenz. Diese liegt, wie die Verfasserinnen überzeugend belegen, dann vor, wenn – zur Sicherung oder gegebenenfalls Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der Schutzgüter – die Integrität der ausgewiesenen Schutzgebiete gewahrt und deren räumlich-funktionelle Vernetzung gewährleistet ist. Welche Rechtsfolgen das europäische Unionsrecht mit dem Kriterium der Kohärenz verbindet, sei im Lichte der auch für die Europäische Union verbindlichen völkerrechtlichen Verträge zu beurteilen. Dazu prüfen die Verfasserinnen, welche Aussagen zur Frage der Kohärenz und dem damit zusammenhängenden Schutz der Wanderrouten bestimmter Tierarten das Übereinkommen zum Schutz der Alpen und dessen Durchführungsprotokolle, das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (Biodiversitätskonvention), die Berner Konvention über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume sowie die Bonner Konvention zur Erhaltung der wandernden wild lebenden Tierarten enthalten. Anschließend werden die Vorgaben der FFH-Richtlinie im Einzelnen dargestellt, die die ökologische Kohärenz des Netzes „Natura 2000“ als Maßstab für die Festlegung eines „Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung“, für Ausgleichsmaßnahmen im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung und für die Landnutzungs- und Entwicklungspolitik der Mitgliedstaaten einsetzt. Bei völkerrechtskonformer Auslegung im Lichte der Biodiversitätskonvention gebiete die FFHRichtlinie die raumplanerische Ausweisung von Wanderkorridoren und die Freihaltung dieser Flächen zum Zwecke der Wanderbewegung. Bei Vorhaben, die diese Funktion beeinträchtigen und dadurch zu einer erheblichen Verschlechterung der Schutzgüter von FFH-Gebieten führen könnten, bestehe eine Pflicht zur Durchführung einer FFHVerträglichkeitsprüfung. Über die daraus abgeleiteten Folgen für das österreichische Recht hinaus ist diese originelle Untersuchung eines sonst bisher weitgehend unbeachtet gebliebenen Themas ein wertvoller argumentativer Beitrag für eine Rechtspolitik zum Schutz der vom anthropogenen Verlust biologischer Vielfalt bedrohten Natur.

               

              Andreas Lukas, Artenschutz in Planungs- und Zulassungsverfahren, Kassel University Press, Kassel 2022. ISBN 978-3-7376-1023-0; 383 S., broschiert, € 49,00.

                Diese bis Anfang 2022 bei Andreas Mengel an der Universität Kassel entstandene Dissertation spiegelt in mustergültiger Weise den aktuellen Stand des deutschen Artenschutzrechts in seiner praktischen Bedeutung für Planungs- und Zulassungsverfahren. Sie behandelt umfassend, übersichtlich geordnet und allgemein verständlich die sich dabei stellenden juristischen und interdisziplinären Fragen, die längst nicht alle abschließend geklärt sind und trotzdem in der Planungspraxis auf wissenschaftlicher Grundlage beantwortet werden müssen. Ziel der Arbeit ist es, anhand von Rechtsprechung und Literatur den rechtlichen Rahmen dafür herauszuarbeiten und praktikable Vorschläge zur notwendigen Ausfüllung dieses Rahmens angesichts der noch offenen Fragen und Probleme zu entwickeln. Dabei fließen auch die dokumentierten Ergebnisse persönlicher Befragungen anerkannter Experten aus der Verwaltung, Planungspraxis und Anwaltschaft zu deren Erfahrungen mit der Lösung solcher Probleme ein. Der erste Teil der Untersuchung behandelt die Rolle der artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote in den einzelnen Planungs- und Zulassungsverfahren, nämlich der Fachplanung, der baurechtlichen Vorhabenzulassung, der Bebauungsplanung, der Flächennutzungs- und Regionalplanung, dem immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren sowie der Umweltverträglichkeitsprüfung. Im zweiten Teil werden die praktischen rechtlichen und naturschutzfachlichen Anforderungen an eine Artenschutzprüfung mit der dazu gehörenden Bestandserfassung und Risikobewertung im Einzelnen dargestellt. Das Werk schließt mit einem Gesamtfazit und Handlungsempfehlungen für Vollzugsbehörden und den Gesetzgeber. Die Arbeit besticht durch ihre Klarsichtigkeit, die die vorhandenen Brüche, Lücken und Widersprüche in der bisherigen Entwicklung des Artenschutzrechts auf europäischer und nationaler Ebene durch Normsetzung und Rechtsprechung nicht zu verdecken sucht, sondern offenlegt und gerade dadurch zu ihrer Überwindung herausfordert. Abbildungen und Tabellen tragen zur Anschaulichkeit der Ausführungen bei. Als Hilfestellung für die Praxis werden sogar vom Verfasser selbst entworfene Vertragsmuster zur Festlegung artenschutzrechtlicher Vermeidungs- oder Ausgleichsmaßnahmen vorgestellt. Rechtspolitisch bedenkenswert ist auch sein Gesetzgebungsvorschlag für eine Vermutungswirkung von Fachkonventionen, die den dafür geltenden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung tragen soll. Die Anforderungen an die Bestandserfassung und die Planung von Minderungsmaßnahmen werden durch naturschutzfachlich begründete Differenzierung zwischen den jeweils zu betrachtenden Tierarten praxisgerecht operationalisiert. Die Behandlung der einzelnen Zugriffsverbote greift ebenfalls auf handhabbare Kriterien zurück, indem sie beispielweise die vom Gesetz untersagte „signifikante“ Erhöhung des Tötungsrisikos anhand einer in der Fachwelt anerkannten Matrix bewertet, die die naturschutzfachliche Bedeutung einer Art mit deren populationsbezogener Empfindlichkeit in Beziehung setzt. Abgerundet wird das Werk durch ein chronologisch geordnetes Repertorium der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung zum Artenschutzrecht seit 2017 mit Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der einschlägigen Entscheidungen. (us)

                Dr. iur. Ulrich Storost war bis zum Eintritt in den Ruhestand im Herbst 2011 Mitglied des für Teile des Fachplanungsrechts zuständigen 9. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts.

                ulrich.storost@t-online.de

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