Recht

Naturschutzrecht im Konflikt

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 4/2021

Das politische Ziel des Umweltschutzes hat in Deutschland und Europa einen überragenden Stellenwert erlangt. Die rechtliche Realisation dieser durchschlagskräftigen politischen Entwicklung begann im Naturschutzrecht. Seit 2002 hat der Gerichtshof der Europäischen Union ­ mit zunehmender Strenge dafür gesorgt, dass der in Richtlinien der Union normierte Habitat- und Artenschutz gegenüber anderen öffentlichen und privaten Belangen grundsätzlich strikt beachtet werden muss und durch die Berufung auf solche Belange nicht ohne weiteres abwägend überwunden werden kann. In den letzten Jahren gerät diese Idee allerdings zunehmend in Widerspruch zu dem unabweisbaren Befund, dass allein der staatliche Schutz der Natur keineswegs zu einem paradiesgleichen Zustand prästabilierter Harmonie der Umwelt führt. Vielmehr werden die natürlichen Lebensgrundlagen und die bisher für sie geltenden Schutzkonzepte insgesamt in Frage gestellt durch den Klimawandel, der als neue Herausforderung auch für das Recht in den Vordergrund getreten ist.

Im Umwelt- und Planungsrecht tritt diese Herausforderung besonders deutlich zutage, wenn Vorhaben, die dem Klimaschutz dienen sollen, in Konflikt mit dem Artenschutz geraten. Diese Auseinandersetzung wird von beiden Seiten unter Berufung auf den Schutz der Lebensgrundlagen oder auf die Bewahrung der Schöpfung gern mit einer an Glaubenskriege erinnernden Inbrunst geführt. Das gilt auch dann, wenn damit in Wahrheit vor allem wirtschaftliche Interessen verfolgt werden. Hinzu kommt der seit jeher bestehende Konflikt des Habitatund Artenschutzes mit der landwirtschaftlichen Bodennutzung, die ihrerseits wie die von ihr geprägte Landschaft auch zu den Lebensgrundlagen des Menschen gehört und deshalb unter besonderem Schutz des Umwelt- und Planungsrechts stehen muss. Auch hier stehen in Wahrheit durchaus berechtigte wirtschaftliche Interessen im Hintergrund. Komplexität und Dynamik dieser sich oft überlagernden Konfliktlagen spiegeln sich in der einschlägigen rechtswissenschaftlichen Fachliteratur. Diese kann immer nur einen vorläufigen Stand der Erkenntnis vermitteln, gehört aber gleichwohl zum unentbehrlichen Handwerkszeug jedes Juristen, der sich an der Seite von Politikern, Umweltverbänden, Vorhabenträgern oder Landwirten mit den Problemen der Praxis auseinandersetzen muss.

Walter Frenz / Hans-Jürgen Müggenborg (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz. Kommentar, Erich Schmidt Verlag, Berlin, 3. Auflage 2021. ISBN 978-3-50319146-8; 1832 S., geb., € 154,00.

    Ein vorzüglicher Begleiter durch den beruflichen Alltag jedes Umweltjuristen ist dieser Großkommentar, der jetzt in aktueller und wesentlich erweiterter Neuauflage vorliegt. Er zeichnet sich durch umfassende Berücksichtigung von Schrifttum und Judikatur bis Anfang November 2020, klare Gliederung, ein gut lesbares Schriftbild, detaillierte Inhaltsübersichten und ein sehr ausführliches Stichwortverzeichnis aus. Der Kommentierung hinzugefügt wurde ein neuer Sonderabschnitt zu dem für die gerichtliche Praxis besonders wichtigen Spannungsfeld zwischen der Komplexität naturschutzfachlicher Beurteilungen und der dem Verfassungsgrundsatz effektiven Rechtsschutzes verpflichteten gerichtlichen Kontrolle. Der interdisziplinäre Ansatz dieses Abschnitts wird durch die als Experten zu diesem Thema ausgewiesenen Bearbeiter Bick und Wulfert vorbildlich ausgeführt, ohne den nach wie vor offenen Fragen auszuweichen. In einem weiteren neuen Sonderabschnitt behandelt Guckelberger die für Verbandsklagen essentiellen Voraussetzungen der Zulässigkeit und Begründetheit von Umweltrechtsbehelfen. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine ausführliche eigenständige Kommentierung des 2017 novellierten Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes. Weitere Ergänzungen der Kommentierung betreffen den Schutz der biologischen Vielfalt mit der unionsrechtlich bedingten Gesetzesänderung vom 8. September 2017 und die unionsrechtlich problematische Neuregelung des Umgangs mit dem Wolf durch Einfügung des § 45a im März 2020. Vorhandene Kommentierungen wurden – wo durch die Entwicklung der Rechtsprechung angezeigt – gründlich überarbeitet. Beispielhaft dafür ist die kritische Verarbeitung der Rechtsprechung zur Dresdener Waldschlößchenbrücke in den Erläuterungen zu § 33 (Appel) mit eingehender Erörterung der nach wie vor offenen Fragen des Konflikts zwischen Rechtssicherheit durch Bestandskraft oder Rechtskraft einerseits und materieller Europarechtskonformität andererseits. Neu ist der Anhang des Kommentars mit dem Abdruck der für die Bundesverwaltung geltenden Bundeskompensationsverordnung vom Mai 2020, der aktuellen Fassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und der EU-Verordnung 1143/2014, die der erwähnten Gesetzesänderung vom September 2017 zugrunde lag. Für die Praxis besonders hilfreich ist der mit dem Erwerb des Buches verbundene Zugang zu einer umfangreichen OnlineDatenbank mit den wichtigsten naturschutzrechtlichen Vorschriften der Europäischen Union, des Bundes und der Länder.

     

    Jochen Schumacher / Peter Fischer-Hüftle (Hrsg.), Bundesnatur-schutzgesetz. Kommentar mit Umweltrechtsbehelfsgesetz und Bundesartenschutzverordnung, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, 3. Auflage 2021. ISBN 978-3-17-030715-5; 1635 S., geb., € 189,00.

    Auch bei diesem Standardkommentar steht der Praxisbezug im Vordergrund. Seit der Vorauflage 2010 haben Gesetzgebung und Rechtsprechung das Naturschutzrecht so stark weiterentwickelt, dass die jetzige Neuauflage von der Praxis dringend erwartet wurde. Als Gesetzestexte abgedruckt sind nicht nur aktuelle Fassungen des Bundesnaturschutzgesetzes, sondern auch – allerdings ohne ihre Anhänge der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie. Die Praxis wird dies ebenso zu schätzen wissen wie die detaillierten Gliederungen der Einzelerläuterungen und das ausführliche Stichwortverzeichnis. Der gewachsenen Bedeutung des Rechtsschutzes haben die Herausgeber dadurch Rechnung getragen, dass das Werk um eine vollständige Kommentierung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes erweitert wurde. Deren Verfasser Bunge ist bereits durch seinen eigenen Kommentar zu diesem Gesetz (vgl. fachbuchjournal 2/2020, S. 35) als Experte des dort geregelten Sonderprozessrechts ausgewiesen. Die Kommentierung des Bundesnaturschutzgesetzes, die auch auf abweichendes Landesrecht eingeht, wurde von dem bewährten Autorenteam unter Verarbeitung der Entwicklungen der letzten zehn Jahre bis Ende 2020 umfassend aktualisiert. Dabei erläutert Kratsch die dem Artenschutz dienenden Rechtsvorschriften einschließlich der Bundesartenschutzverordnung, während Czybulka den Meeresnaturschutz behandelt. Der im Naturschutzrecht besonders wichtige interdisziplinäre Ansatz kommt dadurch zum Ausdruck, dass neben den durch diese Experten und die beiden Herausgeber eingebrachten juristischen Sachverstand die Erörterung der fachlichen Aspekte durch Diplom-Biologin Anke Schumacher tritt, die gemeinsam mit Jochen Schumacher das Institut für Naturschutz und Naturschutzrecht in Tübingen betreibt. Alle Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass immer noch vieles im Naturschutz nur auf dem Papier steht und sich der Zustand der Biodiversität weiter verschlechtert. Insbesondere bei der land- und forstwirtschaftlichen Bodennutzung sei die Berücksichtigung der Naturschutzbelange nach wie vor völlig unzureichend. Diese seit Jahren bestehenden Defizite würden mit der von manchen vertretenen These, das größte Problem des Naturschutzes sei heutzutage die Klimaänderung, unangemessen in den Hintergrund gerückt.

     

    Edmund Brandt, Artenschutzrechtliche Erfordernisse bei der Genehmigung von Windenergieanlagen. Berliner Wissenschafts-Verlag GmbH, Berlin 2021. ISBN 978-3-8305-5075-4; 123 S., kart., € 32,00.

    Der Konflikt zwischen dem Artenschutz und der im Interesse des Klimaschutzes liegenden Genehmigung von Windenergieanlagen ist gewissermaßen der Klassiker unter den Wertungskonflikten innerhalb des Umweltrechts. Edmund Brandt, Leiter des Instituts für Rechtswissenschaften der Technischen Universität Braunschweig, hat sich seit langem der Behandlung windenergierechtlicher Fragestellungen verschrieben und sich durch zahlreiche Veröffentlichungen als Experte auf diesem Spezialgebiet ausgewiesen. Der vorliegende Band enthält mehrere von ihm verfasste Beiträge, die einer „konsequent normorientierten“ Durchdringung der einschlägigen Bestimmungen des Besonderen Artenschutzrechts dienen sollen. Überwiegend handelt es sich um Studien, die in den letzten Jahren als gutachtliche Stellungnahmen entstanden sind. Thematisiert werden das artenschutzrechtliche Tötungsverbot in § 44 BNatSchG, die Ausnahmeregelung des § 45 Abs. 7 BNatSchG, die Problematik des Rückgriffs auf rechtlich unverbindliche Auslegungshilfen und Handlungsempfehlungen für behördliche Entscheidungen, das Zusammenwirken der Genehmigungs- und Fachbehörden mit außerbehördlichem Sachverstand, der Zuschnitt und die Reichweite der gerichtlichen Prüfungskompetenz sowie die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung verbleibenden Spielräume der Vollzugsinstanzen und der Normadressaten. Angesichts der unterschiedlichen Zielsetzungen und Entstehungszeitpunkte der hier versammelten Studien wäre eine redaktionelle Neubearbeitung und Zusammenfassung der darin dokumentierten Forschungsarbeit des Autors anhand eines übergreifenden aktuellen Konzepts wünschenswert gewesen. So stammen die Ausführungen zu dem 2017 novellierten § 44 Abs. 5 BNatSchG offenbar aus einer Stellungnahme zu dem damaligen Referentenentwurf und seiner Begründung und sind ohne deren Wiedergabe kaum nachvollziehbar. Außerdem kommt es zu Wiederholungen teilweise identischer Ausführungen, die ohne zusätzlichen Erkenntnisgewinn den Textumfang unnötig aufblähen. Eine aus einem Guss verfasste Monographie, die den aktuellen Stand der Diskussion zusammenfasst, steht noch aus. Sie wäre der angemessene Rahmen für die durchaus plausible Kritik des Verfassers an den konstruktiven Bemühungen der deutschen Rechtsprechung, den Verfassungsgrundsatz effektiven Rechtsschutzes mit einer gesetzlichen Verweisung auf das höchst unsichere Terrain ökologischer Fragestellungen in Einklang zu bringen.

     

    Detlef Czybulka / Wolfgang Köck (Hrsg.), Landwirtschaft und Naturschutzrecht. Beiträge des 13. Deutschen Naturschutzrechtstages in Leipzig, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2019. ISBN 978-3-8487-5450-2; 218 S., kart., € 59,00.

    Im Vergleich zum Konflikt zwischen Windenergieanlagen und Artenschutz ist das Verhältnis von Landwirtschaft und Artenschutz bisher weniger Gegenstand öffentlicher politischer Kontroversen und gerichtlicher Entscheidungen. Dabei sehen Biologen im durch die Agrarindustrie verursachten Artensterben ein größeres Problem als im globalen Klimawandel, der die Umweltpolitik aktuell beherrscht. Dass gegenüber diesem seit langem bekannten Befund der deutsche Gesetzgeber bis auf durch Unionsrecht erzwungene Ausnahmen weitgehend untätig blieb und keine Konzeption für eine umweltschonende und biodiversitätserhaltende Landwirtschaft entwickelte, hat die Referenten des 13. Deutschen Naturschutzrechtages im April 2018 veranlasst, den Gründen dafür nachzugehen und Möglichkeiten zur Abhilfe zu suchen. Die hier versammelten wissenschaftlichen Beiträge ermöglichen eine interdisziplinäre Sicht auf die Problematik. Einleitend gibt Ulrich Hampicke als Umweltökonom einen Überblick über die aus der Produktionsstruktur der deutschen Landwirtschaft folgenden physischen Probleme mit dem Naturschutz und die danach aus seiner Sicht zu ergreifenden Abhilfemaßnahmen. Wolfgang Schumacher geht als Geobotaniker der Frage nach, ob und in welchem Umfang die Erhaltung und Förderung der biologischen Vielfalt unter den heutigen Bedingungen durch landwirtschaftliche Flächennutzung umgesetzt werden kann. Der Agrarökonom Bernhard Osterburg diskutiert die markt- und einkommensorientierten Maßnahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union, insbesondere die mit Auflagen für einen „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand“ und eine Begrenzung des Grünlandrückgangs verbundenen flächenbezogenen Direktzahlungen. Anschließend beleuchtet der Wirtschaftsund Umweltrechtler Eckard Rehbinder die Entwicklungslinien im Verhältnis von Landwirtschaft und Naturschutzrecht und deren erhebliches ungelöstes Konfliktpotential. Besonders kritisch betrachtet er den wohlklingenden, aber inhaltlich defizitären und wenig vollzugstauglichen naturschutzrechtlichen Schlüsselbegriff der „guten fachlichen Praxis“. Nur durch Ausgestaltung der dazu gehörenden Grundsätze zu normativen Betreiberpflichten mit ausdrücklichen Anordnungsbefugnissen zu deren Durchsetzung sowie durch die Schaffung von Konkretisierungsaufträgen könne der Gesetzgeber diese Defizite beheben. Vertieft wird dieses Thema durch einen engagierten Beitrag des Agrarumweltrechtlers Stefan Möckel zur „guten fachlichen Praxis“, deren Einhaltung die Landwirtschaft in der Regel von der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung freistellt (§ 14 Abs. 2 BNatSchG). Er kritisiert die Unbestimmtheit und Unverbindlichkeit der dazu gehörenden Grundsätze als „Sonntagsreden in Gesetzesform“, führt ihre weitgehende ökologische Wirkungslosigkeit darauf zurück und hält die Behörden deshalb für verpflichtet, in jedem Einzelfall landwirtschaftliche Bewirtschaftungsmaßnahmen auf ihre Eingriffsqualität zu überprüfen. Um diesen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, fordert auch er eine gesetzliche und untergesetzliche Konkretisierung der Anforderungen an die landwirtschaftliche Bodennutzung durch vollzugs- und kontrollfähige Betreiberpflichten. Eine Möglichkeit solcher untergesetzlichen Konkretisierung sei auch die planerische Nutzungssteuerung auf lokaler Ebene durch standortbezogene Vorgaben. Ein rechtspolitisches Konzept hierfür stellt Ingmar Piroch aus Sicht eines Praktikers der Naturschutzverwaltung vor. Dem besonderen Naturschutzrecht widmen sich die anschließenden Beiträge: Peter Fischer-Hüftle und Martin Gellermann, Kommentatoren des Bundesnaturschutzgesetzes, behandeln die Landwirtschaft in Natura-2000-Gebieten. Sie heben hervor, dass die Landwirtschaft dort nicht nur Hauptverursacher des Lebensraum- und Artenschwundes, sondern oft auch Voraussetzung dafür ist, dass die jeweiligen Erhaltungsziele erreicht werden können. Ihre These, die landwirtschaftliche Bodennutzung könne als „Projekt“ im Sinne von Art. 6 Abs. 3 der FFH-Richtlinie eingestuft werden, hat durch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 4.11.2018 – Rs. C-293/17 u.a. – prominente Bestätigung gefunden. Als praktikable Lösung der sich daraus ergebenden Prüfungspflichten schlagen sie eine „vorgezogene FFH-Verträglichkeitsprüfung“ im Rahmen von Bewirtschaftungsplänen nach § 32 Abs. 5 BNatSchG vor. Klaus Meßerschmidt, Herausgeber eines mehrbändigen Loseblattkommentars zum Bundesnaturschutzgesetz, thematisiert das Verhältnis von Artenschutzrecht und Landwirtschaft. Auch nach seiner Auffassung kann dem durch die Landwirtschaftsklausel des § 44 Abs. 4 BNatSchG verursachten Schattendasein des besonderen Artenschutzes in diesem Bereich vorrangig dadurch begegnet werden, dass die dort in Bezug genommenen Grundsätze der „guten fachlichen Praxis“ durch ein untergesetzliches Regelwerk nach dem Vorbild des Immissionsschutzrechts konkretisiert werden. Abschließend stellt Rudolf Mögele Vorschläge der Europäischen Kommission für die gemeinsame Agrarpolitik im Lichte von Umwelt- und Klimaschutz vor und untersucht Wolfgang Köck das Verhältnis von Agrarfachrecht und Umweltrecht.

     

    Marielle Schuster, Beurteilungsspielräume der Verwaltung im Naturschutzrecht. Zugleich ein Beitrag zum Umgang von Gerichten und Behörden mit externem Sachverstand, Duncker & Humblot GmbH, Berlin 2020. ISBN 978-3-428-15962-8; 290 S., broschiert, € 79,90.

    Das Spannungsfeld zwischen der Komplexität naturschutzfachlicher Beurteilungen und dem Verfassungsgrundsatz effektiven Rechtsschutzes ist das Thema dieser tiefgründigen, bei Wolfgang Kahl an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg entstandenen juristischen Dissertation. Im Verhältnis zwischen Behörden und Gerichten wurde durch die Figur der Beurteilungsspielräume in der Praxis ein Weg gefunden, mit der Problematik der Komplexität und Dynamik der Naturwissenschaften umzugehen. Ob dies der richtige Weg ist, eine mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG bedenkliche Rechtsschutzlücke zu vermeiden, ist die Leitfrage der Verfasserin. Die mustergültig gegliederte Arbeit untersucht zunächst, ob und inwiefern Beurteilungsspielräume der Verwaltung eine mit dem Grundgesetz vereinbare Möglichkeit zum Umgang mit komplexen und schwer überschaubaren Regelungsgebieten darstellen. Anhand der dabei ermittelten dogmatischen Grundlagen und rechtlichen Vorgaben analysiert sie sodann kritisch im Einzelnen, inwieweit die naturschutzrechtliche Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Eingriffsregelung, zum FFHGebietsschutz und zum besonderen Artenschutz den daraus herzuleitenden Anforderungen Rechnung trägt. Dabei wird die Korrektur dieser Rechtsprechung durch den anderen dogmatischen Ansatz des Bundesverfassungsgerichts zur Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle durch den Erkenntnisstand der Fachwissenschaft zustimmend herangezogen. Abschließend zeigt die Verfasserin Lösungsmöglichkeiten auf, wie mit den fachlichen und rechtlichen Herausforderungen in der Praxis umgegangen werden kann, ohne sich dem Vorwurf dogmatischer Inkonsequenz oder durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken auszusetzen. Wichtigstes und berechtigtes Anliegen ist ihr dabei, auszuschließen, dass unter dem Deckmantel eines Letztentscheidungsrechts der Verwaltung durch weitgehende Übernahme externer Gutachten die Letztentscheidung faktisch auf Private übertragen und außerstaatlicher Sachverstand damit weder durch die Verwaltung noch durch die Gerichte hinreichend kontrolliert wird. Die Aktualität und Bedeutung dieses Anliegens geht in der heutigen experten- und wissenschaftsgläubigen Zeit weit über das Naturschutzrecht hinaus. (us)

    Dr. iur. Ulrich Storost war bis zum Eintritt in den Ruhestand im Herbst 2011 Mitglied des für Teile des Fachplanungsrechts zuständigen 9. Revisionssenats des Bundesverwaltungsgerichts. Er gehörte diesem Senat seit 1993 als Richter, von 2004 bis 2011 als Vorsitzender Richter an. Neben seinem Hauptamt war er von 1997 bis 2004 Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs des Landes Berlin. Seit 1991 ist er Mitautor eines Loseblattkommentars zum Bundes-Immissionsschutzgesetz.

    ulrich.storost@t-online.de

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