Medizin | Gesundheit

Menschen auf Wartelisten

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2020

Stephan M. Probst (Hrsg.): Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht. Leipzig: 2019 Hentrich & Hentrich Verlag. 268 S., kart., ISBN 978-3-95565-292-0. € 19,90.

 

Heiko Burrack: Leben hoch zwei. Fragen und Antworten zu Organspende und Transplantation. Heidelberg: 2019 medhochzwei Verlag. 328 S., kart., ISBN 978-3-86216-544-5. € 24,99.

 

Christoph Raedel: Organspende? Christlich-ethische Entscheidungshilfen. Gießen: 2019 Brunnen Verlag. 96 S., kart., ISBN 978-3-7655-4345-6. € 9,95.

Die derzeit geltende Rechtslage besagt, dass eine Organspende grundsätzlich nur dann möglich ist, wenn der mögliche Organspender zu Lebzeiten eingewilligt oder sein nächster Angehöriger zugestimmt hat. Im Januar 2020 wurde die erweiterte Zustimmungslösung beschlossen. Diese Regelung tritt voraussichtlich im ersten Quartal 2022 in Kraft treten. Sie ändert an dem bestehenden Grundsatz nichts, hat jedoch zum Ziel, die persönliche Entscheidung intensiver als bislang zu registrieren, verbindliche Information und bessere Aufklärung zu gewährleisten und die regelmäßige Auseinandersetzung mit der Thematik durch intensivere Ansprache zu fördern. Weitere Informationen: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/ praevention/organspende.html

Die aktuelle Corona-Pandemie rückt neue Ängste und Unsicherheiten in den Fokus der Öffentlichkeit und hat die Debatte um lebensrettende Organspenden in den Medien abebben lassen. Dennoch sollte sich jeder mit diesem Thema auseinandersetzen – insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse, die den Wert der Gesundheit und der Notwendigkeit der eigenen Verantwortung besonders bewusst machen.

Aktuell warten mehr als 9.000 Patienten in Deutschland auf ein neues Organ. Alle acht Stunden stirbt ein Mensch auf der Warteliste, weil kein passendes Spender-Organ gefunden wird. 84% der Bevölkerung sind bereit, Organe zu spenden, aber nur 40% haben einen Spenderausweis. Anfang des Jahres wurden diese traurigen Fakten in der Öffentlichkeit präsenter, als Gesundheitsminister Spahn die geltende Organspende-Regelung mit der Widerspruchslösung reformieren wollte. Das Sterben geschieht in Deutschland in den meisten Fällen nicht mehr im privaten Umfeld. Eine Schlüsselrolle zur Erhöhung der Organspenden in Deutschland spielen daher insbesondere die Krankenhäuser, in denen Organe entnommen werden. Gut funktionierende Abläufe bei der Erkennung möglicher Organspender, mehr Zeit und die Optimierung struktureller Rahmenbedingungen können dazu beitragen, mehr Menschenleben zu retten. Daher arbeitet der Gesetzgeber an einer Reformation des Transplantationsgesetzes: Im ­April 2019 trat das zweite Gesetz zur Reformation des Transplantationsgesetzes „Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“ in Kraft. Die Notwendigkeit, das Transplantationsgesetz zu reformieren und bestehende Abläufe zu optimieren, beschreibt auch einer der Beiträge aus dem Sammelband „Hirntod und Organspende aus interkultureller Sicht“, der von Dr. Stephan Probst herausgegeben wurde. Probst ist leitender Oberarzt der Klinik Hämatologie, Onkologie und Palliativmedizin am Klinikum Bielefeld sowie Vorsitzender des klinischen Ethikkomitees am Klinikum Bielefeld. Der Sammelband enthält Vorträge einer Tagung, die dort Mitte November 2018 stattfand und sich intensiv mit Hirntod und Organspende beschäftigte. Insgesamt vereint er auf 268 Seiten zehn Beiträge renommierter Autoren der Fachbereiche Sozialökonomie, unterschiedlicher humanmedizinischer Fachrichtungen, Moraltheologie, Bio- und Gesundheitsethik, Religionswissenschaften, Kultur- und Sozialanthropologie, Krankenpflege sowie Philosophie. Artikel, die faktische Daten und politische Aspekte thematisieren, wurden bis zum Redaktionsschluss 2019 aktualisiert. Das Buch ist geprägt von einem multiprofessionellen Diskurs und beleuchtet kontroverse Themen wie Hirntoddiagnostik, Organentnahme, sichere Todesanzeichen und die schwer definierbare Grenze zwischen Leben und Tod nicht nur medizinisch und kulturell, sondern auch vor dem Hintergrund unterschiedlicher religiöser Standpunkte aus dem Judentum, dem katholischen und evangelischen Glauben, aber auch dem Islam.

Während der Sammelband von Probst einen stark wissenschaftlichen Charakter hat, ist der Titel „Leben hoch zwei – Fragen und Antworten zu Organspende und Transplantation“ sowohl in Textentwicklung als auch optischer Gestaltung deutlich niederschwelliger und so auch für medizinisch nicht vorgebildete Leser gut verständlich. Der Autor Heiko Burrack ist Diplomkaufmann und seit mehr als 26 Jahren nierentransplantiert. Sein Buch entstand vor dem Hintergrund, dass das Thema Organspende überaus komplexe medizinische, aber auch unser Gesundheitssystem organisatorisch betreffende Fragestellungen enthält – was medizinische Laien in die Verzweiflung treiben kann, die sich um ein umfassendes Verständnis bemühen, wenn sie vor dem Hintergrund ihrer eigenen Werte und ethisch religiösen Überzeugungen eine individuelle Entscheidung für oder gegen die Organspende treffen möchten. Der Titel will daher vor allem Aufklärungsarbeit leisten. Er beeinflusst weder in die eine noch in die andere Richtung, sondern beantwortet brennende Fragen der Leser. Das Buch ist in folgende Kapitel untergliedert: Gehirn, Organspenderbasics, Hirntod, Hirntod unter der Lupe, Fragen aus dem Netz, Betreuung, Nierentransplantation, Organisation, Was muss sich ändern? Der populärwissenschaftliche Titel ist optisch sehr ansprechend gestaltet und enthält farbig hervorgehobene Beispiele, Infokästen, Infografiken und Bilder. Es gibt Interviews mit Medizinern, Politikern, aber auch Betroffenen – Transplantierten und Angehörigen von Organspendern. Wer eine Entscheidung zur Organspende treffen möchte, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.

Autor von „Organspende? Christlich-ethische Entscheidungshilfen“ ist Prof. Christoph Raedel, Professor für Systematische Theologie und Theologiegeschichte an der FTH Gießen, zudem Vorsitzender des Arbeitskreises für evangelikale Theologie. Der Titel richtet sich, wie explizit im Vorwort formuliert, an „Menschen, ob Christen oder nicht, die Interesse daran haben, sich mit der Diskussion der Organspende aus christlicher Sicht – geschrieben aus der Perspektive christlicher Ethik – vertraut zu machen“. Das Buch soll helfen, eine informierte Entscheidung zu treffen und endet mit der Bitte, dies auch zu tun. Es gliedert sich in sechs Kapitel: Eine sehr kurze Geschichte der Organspende, Ablauf der Organtransplantation, Organspenderausweis und Patientenverfügung, Problematik der Todfeststellung: das Hirntodkriterium, Macht des „Erfolgs“: Dürfen wir alles, was wir können? Menschsein in Beziehungen: Die Organspende in biblisch-theologischer und christlich-ethischer Perspektive. Raedels Beitrag zur Organspende-Debatte reflektiert das kontroverse Thema aus christlicher Perspektive und verweist auf relevante Bibelstellen.

Stefanie Engelfried ist zertifizierte Content-Managerin, SEMund SocialMedia-Expertin. Die studierte Kommunikationswissenschaftlerin war langjährig als Pressesprecherin für einen Medizinverlag tätig und arbeitet als Communication Manager in einer Stuttgarter Kommunikationsagentur. stefanie.engelfried@gmx.net

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