Landeskunde

Megalithen in Indonesien

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2021

Dominik Bonatz: Megalithen im indonesischen Archipel. (Zaberns Bildbände zur Archäologie. Sonderbände der ANTIKEN WELT). 168 S. mit 163 Farb- u. 9 s/w-Abb. Darmstadt: wbg Philipp von Zabern 2021. Bildbandformat 24 x 30 cm mit Schutzumschlag, geb., ISBN 978-3-8053-5263-5, € 50,00.

    Wer die gewaltige Arbeitsleistung in Rechnung stellt, die mit der Errichtung der Megalithen, dieser Steinansammlungen und -setzungen, die über die gesamte indonesische Inselwelt mit ihren mehr als 15.000 Eilanden verteilt sind, verbunden gewesen sein muss, der fühlt sich unwillkürlich an die Herstellung von Bitcoins erinnert, jene mit großem Energieaufwand geschaffene Kryptowährung, bei der man einen gewaltigen Energieaufwand betreibt, der letztlich zu einem (imaginären?) Vermögen und zu sozialem Prestigegewinn führen soll. Der Unterschied? Bitcoins sind unkörperlich, um nicht zu sagen: chimärisch, Megalithe dagegen in einem nicht zu übertreffenden Ausmaß augenfällig und greifbar. Hinter beiden Phänomenen steckt – bei allen Unterschieden – jedoch ein ähnlicher, sehr menschlicher Grundgedanke.

    Der an der klassischen Archäologie Vorderasiens geschulte Autor Dominik Bonatz, Professor für Altertumskunde in Berlin, erforscht gemeinsam mit seiner Frau seit zwei Jahrzehnten den südostasiatischen Raum1 und demonstriert an den steinernen Zeugnissen der Vorzeit und Gegenwart des indonesischen Archipels eindrücklich, was die Altertumswissenschaft in Verbindung mit naturwissenschaftlichen Methoden und robuster Spatentechnik zur Klärung der Entstehung und Bedeutung dieser überaus weit verbreiteten Steinansammlungen und Steinsetzungen beitragen kann.

    Vom äußersten Westen Indonesiens – von Sumatra mit der vorgelagerten Insel Nias, einst die Heimat gefürchteter Kopfjäger und Sklavenhändler – bis hin zum weiter östlich gelegenen Sulawesi und dem abgelegenen Sumba reicht das Spektrum der megalithischen Fundplätze, die keineswegs so alt sind, wie die Assoziation zur sprichwörtlichen „Steinzeit“ suggeriert. Bonatz bettet die archäologischen Gegebenheiten – Kapitel für Kapitel regional klar gegliedert und mit Einzel- und Übersichtskarten, aussagekräftigen Fotografien, Umzeichnungen, Skizzen und s/w-Abbildungen vorbildlich versehen –, in den Rahmen der ethnologischen und historischen Gegebenheiten ein und entwickelt daraus je nach Örtlichkeit ein Szenario der zeitlichen, sozialen und wirtschaft­lichen Umstände, die zu den eindrucksvollen Steindenkmalen geführt haben, wie sie sich heute präsentieren:

    Grabkammern/Dolmen, große und kleine, kunstvoll skulptierte oder unbehauene Steinpfeiler, Steinreihen oder Felsgräber.

    So schält sich nach und nach das Bild einer sehr heterogenen gesellschaft­lichen und religiösen Vorstellungswelt heraus, die jede Vereinheitlichung unter Begriffen wie „Megalithkultur“ oder „Megalithzeitalter“ verbietet: die hierarchisch gegliederte, heute nur noch historische Kriegerkultur der Dorfgemeinschaften von Süd-Nias oder Zen­tral-Sumatra mit Kopfjagd und Sklavenhandel oder die immer noch lebendig tradierten Steinsetzungen im Osten des Archipels sind in ihrer Kleinräumigkeit eher Zeugnisse einer auf Sippen und Dörfern konzentrierten Gesellschaft, während die großen Steinreihen und -terrassen auf Java das Vorhandensein einer schon weiter entwickelten Organisation voraussetzen. Dass die megalithischen Funde keineswegs ­einer grauen Vorzeit angehören, darauf weist Bonatz mehr als einmal hin: statt um Jahrtausende geht es oft um einige Jahrhunderte, manchmal gar Jahrzehnte, was das Alter der Monumente angeht; bisweilen sind sie sogar Erzeugnisse der Gegenwart. Allen gemeinsam ist jedoch der Aspekt der freiwilligen Gemeinschaftsleistung und der Wunsch, dem Augenblick Dauer zu verleihen. Als öffentlich zugängliche Monumente waren (und sind sie teilweise bis heute) Zeugnisse von sozialer Anteilnahme und Erinnerung, von Prestige und Wohlstand – darin also den Kryptowährungen nicht unähnlich. Was sie darüber hinaus auszeichnet, ist jedoch der enge Bezug zum Naturmate­rial par excellence, dem Stein – diesem schier unvergänglichen Zeugnis der schaffenden Natur.

    Mit der Vorstellung, die steinsetzenden Gemeinschaften hätten in einer von der Welt abgeschnittenen, „steinzeitlichen“ Abgeschiedenheit gelebt, räumt der Autor nachdrücklich auf: Megalithe waren kostspielige Prestige­ objekte, die schöne Gewinne aus einem intensiven Handel (oft aus Sklavenhandel) zur Voraussetzung hatten. Es ist spannend zu lesen, wie der Verfasser die steinernen Monumente mit geradezu kriminalistischen Methoden zum Sprechen bringt; kurze Hinweise auf Sichtbeziehungen zu einem der vielen aktiven Vulkane der Region, auf eingeritzte Ornamente, historische Fotografien, auf archäologische Beifunde oder Radiokarbondatierungen erhellen manches Objekt, dem der Laie ansonsten bewundernd, aber verständnislos gegenüberstünde.

    Die steinernen Denkmäler fallen heutzutage – vor allem, wenn sie keiner lebendigen Tradition mehr zugehören oder es sich um künstlerisch anspruchsvolle und transportable Objekte handelt –, oft genug den Begehrlichkeiten des internationalen Kunstmarkts zum Opfer; mehr als Vernachlässigung oder Natureinflüsse ist es der Mensch, der die Artefakte aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang reißt. Bildbände wie dieser, dem eine Lizenzierung ins Englische, Französische und Niederländische sehr zu wünschen ist, wollen dazu beitragen, einerseits den drohenden Kulturverlust aufzuhalten und andererseits – nicht zuletzt im Heimatland der indonesischen Megalithen – das Verständnis für die Bedeutung dieser einmaligen Hervorbringungen zu fördern. (tk)

    1 fbj 2016 / 5: Mai Lin Tjoa-Bonatz, Im Schatten von Angkor

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