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Aus: fachbuchjournal Ausgabe 6/2021

Ernst-Ludwig Winnacker, Mein Leben mit Viren. Eine Forschergeschichte über die faszinierende Welt der Krankheitserreger. S. Hirzel 2021, 192 S., Hardcover, ISBN 978-3-7776-3023-6, € 25,00.

Das richtige Buch zur richtigen Zeit! Mein Leben mit Viren. Eine Forschergeschichte über die faszinierende Welt der Krankheitserreger. Ernst-Ludwig Winnacker, bedeutender deutscher Biochemiker und langjähriger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und vieler anderer wichtiger Forschungsgremien, hat zusammen mit der Wissenschaftsjournalistin Jeanne Rubner eine Geschichte der Viren in acht Kapiteln vorgelegt. Dabei schwankt der Text zwischen Plauderton, wenn Geschichten rund um die Entdeckung von Viren dargestellt werden, und manchmal etwas schwer verdaulichen Beschreibungen über DNA, RNA und MHC, die der unkundige Leser langsam, beziehungsweise wiederholt lesen muss, um dem roten Faden folgen zu können. Letzteres betrifft nur einige wenige Stellen im Buch, welches durch die Klarheit der Darstellung und der guten Gliederung der Einzelkapitel besticht. Das einleitende Kapitel Viren sind überall beschreibt Viren und ihre grundlegenden Funktionen in einem großen historischen Bogen bis hin zu SARS-CoV-2. Der Autor stellt darin grundlegende Prinzipien der Viren und ihrer Auseinandersetzung mit dem Wirt verständlich und unterhaltsam dar. Das folgende Kapitel Vom Marburgvirus und anderen Erregern ist eine spannende Entdeckungsreise zu Viren, die sich in den letzten Jahrzehnten beim Menschen eingenistet haben. Hierbei wird auch die HIV-Infektion ganz zentral behandelt und am Ende als ursprünglicher Überträger die Schimpansin Marylin entlarvt. Die Hongkong Grippe und weitere Viren berichtet über Pandemien und ganz zentral über die, die den Leser zurzeit plagt: COVID-19. Das nachfolgende Kapitel Mit Impfen Leben retten, ist besonders in der historischen und auch molekularbiologischen Beschreibung sehr gelungen. Dass der Autor auf die zwar seltenen, aber eben nicht zu vermeidenden „Nebenwirkungen“ der Impfungen eingeht, ist gerade jetzt in der kontrovers geführten Impfdebatte besonders wertvoll. Hier kann sich der Leser, der von den Impfskeptikern mit Gruselgeschichten beliefert wird, hervorragend informieren und ist dann zumindest für solche Debatten bestens gerüstet. Zwischen den vielen historischen Informationen werden immer wieder gute Bezüge zur derzeitigen Pandemie hergestellt. Dabei fehlt es auch nicht an durchaus kritischen Bemerkungen zur SARS-CoV-2 Impfung. Seine eigene Geschichte vom Studenten bis hin zum international anerkannten Biochemiker mit Schwerpunkt Genetik erzählt er wie Tagebuchnotizen, indem er die vielen Begegnungen und beruflichen Kontakte zu den unterschiedlichsten Wissenschaftlern in USA, Schweden oder Deutschland Revue passieren lässt. Auch hier wieder viele Geschichten über Forscherglück und -Unglück, die sich spannend und leicht verständlich lesen.

Im Kapitel Beschreibung der angeborenen Widerstandskräfte gegen Viren ist die Darstellung des menschlichen Immunsystems besonders gut gelungen. Es spannt einen weiten Bogen über verschiedene Stationen des Immunsystems und den Besonderheiten der Abwehr von Viren, wobei auch deren Tricks zur Überlistung des Immunsystems beleuchtet werden. Die natürlichen Resistenzen gegen HIV oder Influenza sind spannende Teile dieses Kapitels. Kurz geht der Autor auch noch auf den Missbrauch von Viren ein, wobei ein Missbrauch auch dadurch entsteht, dass wissenschaftlich leider immer wieder Dinge gemacht werden, weil sie eben gemacht werden können. Dazu gehört die Herstellung synthetischer Viren ebenso wie die Reaktivierung längst ausgerotteter Erreger. Letztlich ist es der Gebrauch gefährlicher Viren und Bakterien als biologische Waffen, vor denen, so ein Zitat des Nobelpreisträgers Lederberg, nur ethische und moralische Grundsätze schützen. Dass solche auch von allzu ehrgeizigen Wissenschaftlern übertreten werden, beschreibt Winnacker an verschiedenen Beispielen.

Im letzten Kapitel Ohne Viren kein Leben, kehrt Winnacker zu den Ursprüngen und vor allem den modulierenden Wirkungen der Viren auf die Evolution des Menschen zurück. Wir erfahren, dass unser Genom durchaus beträchtliche Anteile viraler Herkunft hat. Als Beispiel sei der Verlust der Vitamin C-Synthese genannt, der nach derzeitigem Wissensstand durch einen Virus erfolgt ist. Am Ende dann geht Winnacker auf die gesellschaftlichen Entwicklungen ein, die die Corona Pandemie nach ihrem hoffentlich baldigen Abklingen zurücklässt. Entwicklungen, die, so der Autor, hoffentlich dem Klima und der Umwelt zu Gute kommen. Dieses Buch kann jedem empfohlen werden, der sich über Viren informieren möchte und kein spezielles Fachwissen mitbringt. Es macht Spaß zu lesen und noch mehr Spaß zu verstehen, was vorher eventuell nur sehr marginal verstanden wurde. (hkb)

 

Benjamin Kuntz, Kurt Huldschinsky, „Licht statt Lebertran“. Mit Höhensonne gegen Rachitis. Reihe: Jüdische Miniaturen Band 282. Leipzig: Hentrich & Hentrich 2021, 118 S., 27 Abb., Broschur, ISBN 978-3-95565-491-7, € 12,90.

In der Reihe „Jüdische Miniaturen“ des Hentrich & Hentrich Verlags ist der hier anzuzeigende Band über den Arzt Kurt Huldschinsky erschienen. Die Besprechung dieses kleinen Buches habe ich ganz besonders gerne übernommen, da mir der Name Huldschinsky durchaus ein Begriff war. Zum einen durch seine bahnbrechenden Arbeiten der Lichtbehandlung von Kindern mit Rachitis, die mir aufgrund meiner eigenen wissenschaftlichen Arbeiten zu Vitamin D bekannt waren. Zum anderen wusste ich, dass er als Arzt bei meinem Großvater Konrad Biesalski gearbeitet hat. Rachitis gehörte zu Beginn des letzten Jahrhunderts zu den häufigsten Erkrankungen bei Kindern, die oft gleichzeitig mit Tuberkulose auftrat.

Der Autor des Buches stellt einleitend die berechtigte Frage, warum die von Huldschinsky erfolgreich eingeführte Lichttherapie der Rachitis zwar weltweit umgesetzt wurde, der Name des Entdeckers jedoch so gut wie unbekannt blieb. Ein wesentlicher Grund dürfte darin bestanden haben, dass Huldschinsky 1933 mit seiner Familie nach Ägypten emigrierte, wo er 1940 im Alter von 56 Jahren verstarb. In Gleiwitz geboren zog er mit der Familie bereits als Kind nach Berlin. Er studierte Medizin in München Bonn, Berlin und Straßburg, promovierte über die Wirkung von Digitalis und begann seine ärztliche Tätigkeit in Berlin im Kaiserin Auguste-Victoria-Haus. Bereits in dieser Zeit begann er sich für Veränderung der Knochen bei Kindern zu interessieren und untersuchte die Pathologie der Glasknochen-Krankheit.

Der Autor streut immer wieder kleine Episoden aus dem Leben Huldschinskys ein, zum Beispiel seine Klage gegen das Krankenhaus, weil er durch einen unbeleuchteten Fahrstuhleingang gestürzt und auf die beiden Füße gefallen war. Er diagnostizierte beidseitig unheilbaren traumatischen Plattfuß und verlangte eine entsprechende Entschädigung sowie ein Paar Stiefel für Plattfuß mit Einlagen und eine dauerhafte Leibrente. Man darf sich ziemlich sicher sein, dass dies die erste und wohl einmalige Beschreibung eines traumatischen Plattfußes ist. Auch die Beschreibung einer abenteuerlichen Fahrt mit einem Bugatti mit wilden 50-60 Stundenkilometern bringt uns den Menschen Huldschinsky näher.

Ein zentrales Kapitel ist die Beschreibung seiner Zeit als Arzt im Oskar-Helene-Heim in Berlin. Hier machte er erste klinische Untersuchungen zur Wirkung der Bestrahlung von Kindern mit Rachitis. Er stellt fest, dass sich bereits nach kurzer Zeit die Beweglichkeit der Kinder verbesserte und so schreibt er: „Nach zweimonatiger Strahlenbehandlung waren aus elenden, schlaffen und anfälligen Kindern frische kräftige geworden, sie konnten alle frei sitzen, bogen in Bauchlage den Kopf hoch zurück, der vorher passiv in den Kissen gelegen hatte, die Atemnot und blaue Sucht schwanden und Infektionskrankheiten traten nicht mehr auf.“ Die 1919 erfolgte Veröffentlichung der Behandlung wurde weltweit begrüßt und in vielen Kliniken umgesetzt. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass sein damaliger Chef Konrad Biesalski in einer Publikation zur Lichtbehandlung eine wichtige und erst seit kurzem verstandene Bemerkung machte: „Ist keine natürliche Sonne vorhanden, so sucht man sie durch künstliche Höhensonne (Quecksilberquarzlampe) zu ersetzen. Man kann schon jetzt sagen, daß unsere Erfolge in der Freiluft- und Sonnenbehandlung der Tuberkulose und englischen Krankheit nicht hinter den Erfolgen im Hochgebirge zurückstehen werden“. (Konrad Biesalski, Oskar Helene Heim, 1915). Auch in Thomas Manns Zauberberg taucht zum ersten Mal die Bedeutung der Lichttherapie für die Behandlung der Tuberkulose auf. Tuberkulose trat sehr häufig gemeinsam mit Rachitis auf und führte nicht nur zu den bekannten Lungenproblemen, sondern auch in der Form der Knochentuberkulose zu weiteren Schäden am bereits durch die Rachitis beeinträchtigten Skelett. Huldschinsky hat beobachtet, dass sich bei den Kindern die oft bestehenden Atembeschwerden durch die Lichttherapie verbessern. Die Ursache dafür hat man erst 80 Jahre später herausgefunden, als man erkannte, dass Vitamin D, welches in der Haut durch die Lichtbehandlung gebildet wird, auch für die Bildung eines körpereigenen Abwehrstoffes gegen Tuberkulose verantwortlich ist. Huldschinsky hat seine Entdeckung, nicht wie heute gerne gefordert, evidenz-basiert gemacht, sondern empirisch; und gerade das zeichnet ihn aus, dass er diese Beobachtung gezielt in ein therapeutisches Konzept umgesetzt hat, das vielen Kindern das Leben rettete. Spannend und flüssig geschrieben wird dann über die Zeit nach dieser aufsehenerregenden Entdeckung berichtet. Nicht nur die Tatsache, dass Huldschinsky zum MedizinNobelpreis vorgeschlagen wurde, sondern auch die vielfältigen Ehrungen, die er durch unterschiedliche Fachgesellschaften erhielt, belegen, welche Bedeutung man dieser neuen Therapie zumaß. Das Berliner 8:00 Uhr Abend Blatt titelte: Mütter! Die englische Krankheit ist jetzt heilbar! Das letzte Kapitel widmet sich der Flucht der Familie nach Ägypten, wobei offenbleiben muss, warum ausgerechnet Ägypten gewählt wurde. Die Beschreibung seiner Zeit in Ägypten, wo er unter dem Namen Dr. Kohn lebte, zeigt noch einmal, dass er sich als Arzt auch hier der Therapie Rachitis widmete.

Das Buch ist hervorragend geschrieben und mit Vergnügen zu lesen, da es sowohl viele historische Informationen als auch auflockernd kleinere Anekdoten enthält. Dem Arzt Kurt Huldschinsky wird mit diesem Buch ein spätes aber wichtiges kleines Denkmal gesetzt. Hoffentlich findet es eine breite Leserschaft. (hkb)

Prof. Dr. Hans Konrad Biesalski war Lehrstuhlinhaber und bis zu seiner Pensionierung 2018 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Biologische Chemie und Ernährungswissenschaft der Universität Hohenheim.

biesal@uni-hohenheim.de

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