Corine Pelluchon, Manifest für die Tiere. Aus dem Französischen von Michael Bischoff. München: C.H.Beck, 2020. 125 S., Klappenbroschur, ISBN 978-3-406-75709-9. € 12,00.
Im «Manifeste animaliste», verfasst 2017, legt Corine Pelluchon, Professorin für Philosophie an der Universität Paris-Est Marne-la-Vallée, ähnlich dem von Karl Marx und Friedrich Engels in London 1847/1848 verfassten Kommunistischen Manifest, Vorschläge für ein Programm einer möglichen Partei dar, die im politischen Prozess Interessen vertreten soll. Parteien, die sich für Arbeitnehmerwohl und Umweltwohl einsetzen, gibt es. Politisches Eintreten für das Tierwohl ist längst überfällig. Eine Tierpartei sollte Schritt für Schritt eine Zoopolis aufbauen helfen, ein geregeltes Gemeinwesen von Bewohnern desselben Raumes, in dem die Interessen tierischer Lebewesen – der Mensch gehört dazu – nach Gebühr ausgehandelt und geschützt werden. (5177, zweiter Teil des «Manifests»: Die Politisierung der Tierfrage.) Ausdrücke wie Tierwohl und Zoopolis, die in der Tierethik ab 1970 aufgekommen sind, erläutert das Glossar (113-121). Mein erster Eindruck vom «Manifest« reimte sich:
Philosophin, blitzgescheit, / ist erschüttert von dem Leid, das den klugen Zirkustieren / Menschen antun durch Dressieren. Wie kann dies man unterbinden? / Strategie ist nah zu finden: Wer was lässt, was er gewohnt, / wird durch Ausgleichsgeld belohnt. Zirkustieren hilft wohl nur / eine Mensch-durch-Mensch-Dressur.
Abraham Lincoln – ein Zitat aus seiner Rede vor dem Kongress der Vereinigten Staaten am 1. Dezember 1862 ist dem «Manifest» als Motto vorangestellt – hatte vor, durch Entschädigungen der Sklavenhalter für entgangenen Profit die Südstaaten zur Zustimmung zur Abschaffung der Sklaverei zu bewegen. Dazu war es 1862 nicht gekommen. Aber das Vorhaben findet die Professorin „keineswegs unsinnig“ (75). „Inspirationsquelle“ für Tierpolitik ist auch, dass Lincoln die Sklaverei-Befürworter „nicht als Feinde“ behandelt sehen wollte. Leider ging es zwischen den Südund Nordstaaten nicht friedlich zu, und wenige Tage nach Beendigung des Sezessionskriegs 1861–1865 wurde Lincoln ermordet. (34-36 im ersten «Manifest»-Teil: Die Belange der Tiere heute.)
Während zu Lincolns Zeit die Anerkennung gleicher Würde aller Menschen erkämpft werden musste, ist heute, „an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter, dem Zeitalter der Lebewesen“ (47), ein andersgearteter Krieg zu führen, nämlich der gegen das Übel, das sich in Menschenherzen eingeschlichen hat. (16-20) René Descartes schrieb in einem Brief an Elisabeth von der Pfalz am 15. September 1645: In einem „ungehörigen Eigendünkel“ „schreibt man den anderen Geschöpfen Unvollkommenheiten zu, die sie gar nicht besitzen, um sich über sie zu erheben“. (26) Die heute geschehende „Misshandlung der Tiere“ zeigt uns, „wozu wir in den letzten Jahrhunderten geworden sind“: wir sehen „das bleiche Gesicht einer Menschheit, die ihre Seele zu verlieren droht“. Wen die „unendliche Tristesse“ der Tiere erschüttert, der ist „veranlasst, sein Leben zu ändern“. (11, 19)
Der dritte Teil des «Manifests» enthält konkrete Vorschläge (80ff). Zum Beispiel: Um Stierkämpfe abzuschaffen, „bräuchte man in Frankreich nur Paragraph 521-1, Absatz 7 des Strafgesetzbuchs anzuwenden“ ohne die Ausnahme, die ein Gesetz am 24. April 1951 verfügte: „Der vorliegende Paragraph gilt nicht für Stierkämpfe, soweit sie sich auf eine lückenlose lokale Tradition zurückführen lassen.“ Demnach ist jetzt noch „in den elf südfranzösischen Départements […] diese Straftat von der Strafverfolgung ausgenommen“. (89f) Was alles ausnahmsweise straffrei bleibt, obgleich es qua Gesetz verfolgt gehört, nicht nur in Frankreich, ist erschreckend.
Nach der Maxime ‚wie du mir, so ich dir‘ ist nicht verwunderlich, dass der Orca Tilikum, der 1983 von Menschen in ein Delphinarium eingesperrt wurde, „in der Zeit seiner Gefangenschaft drei Menschen tötete“ (84). Es ist in der Tat ein Wunder, dass das Zusammenleben von Lebewesen überhaupt lebend überstanden werden kann. Dazu tut not, Übereinkunft zu wollen, selbst auf Kosten des eigenen Lebens, siehe Lincoln. Aus Herrnhuter Berichten über nordamerikanische Waldlandindianer im 18. Jahrhundert erfuhr ich: Der Jäger bittet das Manitu des von ihm erlegten Tieres durch ein Rauchopfer – so wie Stammesvertreter die Friedenspfeife rauchen – um Vergebung. (it)
Ilse Tödt (it), Dr. phil., Dr. theol. h.c., seit 1961 nebenamtlich Kollegiumsmitglied der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft (FEST) Heidelberg.
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