Fotografie

Manchmal reicht sogar ein einziges Foto …

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 6/2019

Fotografien schicken ihre Betrachter an Orte, die sie noch nicht kannten. Die sie vielleicht nie kennenlernen wollten, nun aber diese Erfahrung nicht mehr missen wollten. Fotografien erzählen Geschichten in Bildern. Manchmal reicht sogar ein einziges Foto, um eine ganze Welt zu eröffnen. Man wird an Orte geführt, die man ohne die Fotografie niemals hätte betreten können, figurativer oder ganz realer Art. Sei es auf die Oberfläche des Mondes durch die historischen Aufnahmen der ersten Mondlandung oder in die Vorstellungskraft einer Künstlerin, eines Künstlers, die aus realen Gegebenheiten eine Fantasie schaffen.

In unserer neuen Rubrik Fotografie werden in regelmäßigen Abständen Neuerscheinungen aus dem Printbereich vorgestellt. Die Bandbreite reicht dabei von Reportagen und Dokumentationen über Ausstellungskataloge, Kunstbücher bis hin zu Anthologien, Monografien und fotografischen Erzählungen.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit suchen wir aus dem stetig wachsenden Markt für Foto- und Kunstbücher interessante Veröffentlichungen mit großer Diversität.

In der ersten Ausgabe werden fünf Bücher vorgestellt, die wenig gemeinsam haben. Mit jeder Arbeit wird ein anderer, vielleicht sogar ein neuer Aspekt menschlicher Existenz und künstlerischen Schaffens erschlossen.

So tauchen wir gleich ein in die Vielfalt des Genres Fotobuch. Dabei wünschen wir viel Spaß.

Kristina Frick ist Fotografin, Autorin und Über­setzerin und lebt in Berlin. Sie hat Allgemei­ne und Vergleichende Literaturwissenschaft, Anglistik und Ethnologie in Mainz, Berlin und Edinburgh studiert. 2019 erschien ihr Fotobuch „Ich hab von ihm geträumt und von Affen“. Aus­stellungen in Berlin, Istanbul, Potsdam. Mitglied des fotografischen Kolloquiums Kreuzberg.

kristina.frick@gmx.de

 

Sibylle Fendt GÄRTNERS REISE 

Kehrer Verlag

2. Auflage 

120 Seiten 

Hardcover 

35,00 Euro

Kulturproduktion dient nicht selten auch dem Zweck, sich mit der Gegenwart und dem Tod auseinanderzusetzen, sei es der eigene oder der einer anderen Person. Man beschäftigt sich mit Dingen und Situationen, die einem Angst bereiten, um sie besser zu verstehen oder die Angst zu überwinden.

Das ist oft der Tod oder eine Krankheit.

So ist auch Sibylle Fendts Fotobuch „Gärtners Reise“ eine Auseinandersetzung mit dem langsamen Verschwinden einer Person.

Elke Gärtner leidet zum Zeitpunkt des Entstehens der Bilder an einer aggressiven Form der Demenz. Sie kann nicht mehr sprechen und ist auf die Pflege durch ihren Mann angewiesen. Eine letzte Reise möchte das Ehepaar unternehmen, begleitet werden sie dabei von der Fotografin. Es hätte viele Möglichkeiten gegeben; Wege, diese Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod zu gestalten. Sibylle Fendt ist es gelungen, weder die eigene Angst, noch die der Erkrankten oder des Ehemannes in den Fokus zu rücken. Man sieht keine Bilder des erschreckenden körperlichen Verfalls, es gibt keine schockierenden Momente. Allein ein kleines Pflaster, eine wunde Stelle und der Zettel mit dem notierten Gedanken „Ich will, dass du bist“ sind ein Hinweis darauf, dass im Leben der Protagonisten eine Zäsur das Gleichgewicht gestört hat und noch stört. Die Bilder, die wir sehen, sind lebendig und zugleich still und zaghaft.

Elke Gärtner wirkt manchmal wie ein junges Mädchen, Beine baumelnd und mit perfekt lackierten Nägeln. An anderen Tagen braucht sie Hilfe beim Anziehen, die ihr ein sicher erschöpfter Mann ganz selbstverständlich und scheinbar irgendwie leichtfüßig gibt.

Die Situationen, die Fendt festgehalten hat, schwanken zwischen alltäglichen bis märchenhaften, nahezu absurden Momenten. Elke Gärtner zieht sich einen Pullover an. Elke Gärtner steht fast unsichtbar hinter einem Baum. Die Fotografien erzählen nicht von Angst, aber sie lassen erahnen, dass eine unumkehrbare Veränderung den Alltag des Paares neu justiert hat. Denn so wunderschön und strahlend Elke scheint, wirkt sie zugleich auch oft verloren im Raum.

Die sanften Bilder gepaart mit der hellen Gestaltung des Buches machen „Gärtners Reise“ zu einer herausragenden Erzählung über die Liebe am Ende eines Lebens. Schön, dass dieses Buch neu aufgelegt wurde.

 

Jess Dugan & Vanessa Fabbre 

TO SURVIVE ON THIS SHORE 

Kehrer Verlag 

164 Seiten 

Hardcover 

45,00 Euro

Jess T. Dugan beschäftigt sich in ihrem Buch „To Survive on This Shore“ gleich mit zwei ausgrenzenden Faktoren: transgender sein und dann auch noch alt. Die nüchternen Porträts einer Community, die immer am Rand der Gesellschaft verortet wurde, erreichen mit ihrer einfachen, zurückhaltenden Inszenierung genau das ­ , was seit jeher wichtig war: einen Menschen, der vermeintlich anders ist als die Norm, nicht über die ­Differenzen, sondern über die Gemeinsamkeit zu beschreiben und somit in die „Norm“ zu integrieren. Denn was an den porträtierten Menschen anders sein sollte, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen und wäre eine gute Übung für den transphoben Betrachter. Was Jess T. Dugan mit ihren unaufgeregten Porträts erreicht ist, den Umständen einer Trans-Identität jeden Anstrich der Andersartigkeit als Grund zur Ausgrenzung gekonnt zu nehmen.

Die Fotografien zeigen Menschen. Nicht mehr und nicht weniger.

Fast wünschte man, keine weiteren Erklärungen zu diesen Bildern zu erhalten oder erhalten zu müssen, so wäre man doch wirklich angekommen in der Akzeptanz.

Aber die begleitenden Texte, die Biographien der Porträtierten, sind ein integraler Bestandteil. Denn vergessen darf man nicht, mit welchen Schwierigkeiten, Ängsten und Angriffen ein Mensch zu kämpfen hat, der sich nicht mit dem Körper identifizieren kann, in den er hineingeboren wurde.

 

MASKE – In der Kunst der Gegenwart 

MASK – In Present-Day Art 

Scheidegger & Spiess 

Ausstellungskatalog 

Hrsg. Aargauer Kunsthaus 

312 Seiten 

Hardcover 

48,00 Euro

Eine Gruppenausstellung zu sehen bis 5. Januar 2020 im Aargauer Kunsthaus widmet sich einem Gegenstand, der in allen Gesellschaften und Epochen Teil der Kulturproduktion war – der Maske.

Die Maske ist ein ritueller Gegenstand, eine Methode der Verhüllung und dient dem Verbergen oder Wandeln der Identität.

Die Ausstellung im Aargauer Kunsthaus spürt der ­ Frage nach, wie die zeitgenössische Kunst mit dem fast ­archaischen Gegenstand spielt. Über 150 Werke von mehr als 30 internationalen Künstlern interpretieren das Objekt der Maske neu und bewegen sich dabei im Spannungsfeld einer modernen Gesellschaft, in der eine inszenierte Selbstdarstellung eine größere Rolle spielt als je zuvor. Somit erreicht die Maske eine aktuelle Brisanz, mit der sich viele der ­gezeigten Künstlerinnen und Künstler au­seinandersetzen.

Beeindruckend und unterhaltsam ist die ganz unterschiedliche Beschäftigung mit dem Thema, verschiedenste Aspekte dieses Kulturgegenstandes und seiner Implikationen werden beleuchtet und der Ausstellungskatalog fasst das sehr gut zusammen. U. a. mit Arbeiten von Silvia Bächli (*1956, CH) & Eric Hattan (*1955, CH), Nathalie Bissig (*1981, CH), Hélène Delprat (*1957, FR), Cecilia Edefalk (*1954, SE), ­Aneta Grzezykowska (*1974, PL), Christoph Hefti (*1967, CH), Laura Lima (*1971, BR), Melodie Mousset (*1981, FR/ CH), Elodie Pong (*1966, USA/CH), Ugo ­Rondinone (*1964, CH), Cindy Sherman (*1954, USA), Simon Starling (*1967, UK), Gillian Wearing (*1963, UK) und ­ Sislej Xhafa (*1970, XK).

 

Jan Groover LABORATORY OF FORMS 

Scheidegger & Spiess 

Ausstellungskatalog 

Hrsg. Musée de l’Elysée 

192 Seiten 

Hardcover 

48,00 Euro

Eine Retrospektive von Jan Groover (1943–2012), eine Wiederentdeckung der Künstlerin, noch bis zum 5. Januar 2020 im Musée de l’Elysée in Lausanne zu sehen.

Fast collagenhaft muten die farbigen, inszenierten Stillleben auf Wiesen, samt griechischer Säulen, an. Ganz anders als die schwarz-weißen Porträts. Diese wiederum sind so anders als die Triptychen sich bewegender Autos.

Oder als die farbigen Stillleben in Küchen, die an die Freude an Plastik in den 1980er Jahren erinnern. Die aber auch wieder anders sind als die schwarz-weißen Stillleben, die leise an André Kertészs Gabel erinnern. Aus Jan Groovers Werk sprechen ein Enthusiasmus und eine Lust für ihre fotografischen Experimente, die ihresgleichen suchen.

Die Künstlerin hat es geschafft, sich einem Thema so lange zu widmen bis sie es aus jedem Blickwinkel beleuchtet hat.

Entstanden sind dabei wunderschöne Bilder, die im Ausstellungskatalog zusammengefasst erst einmal klar machen, wie umfassend ihr Oeuvre war und wie konzentriert an einem Sujet gearbeitet hat. Insbesondere der sehr persönliche und unprätentiöse Text von Bruce Boice, Groovers Ehemann, gewähren einen intimen Einblick in das Schaffen dieser spannenden Künstlerin und geben dem Ausstellungskatalog einen besonderen Twist.

 

Sandra Kantanen MORE LANDSCAPES 

Hatje Cantz 

80 Seiten 

Hardcover 

38,00 Euro

Sandra Kantanen, die finnische Künstlerin zwischen den Welten.

Kantanen studierte Fotografie und chinesische Malerei. Das Interesse und die Leidenschaft für zwei künstlerische Techniken werden hier vereint zu einer dritten Kunstform.

Einigen Bildern ihres neuen Bandes „More Landscapes“ sieht man die Verzweigungen der Techniken Fotografie und deren digitale Bearbeitung sowie Malerei sofort an. Bei anderen Bildern stellt man sich lange die Frage nach der Entstehung dieser zarten, verschwommenen Wälder und Landschaften.

Vages und Eindeutiges treffen aufeinander und lassen auf mehreren Ebenen traumartige Sequenzen entstehen.

Kantanen erschafft eine poesievolle Atmosphäre, die Bilder wirken fast ein wenig kitschig.

Nur ist leider nicht alles so traumhaft, wie man es sich wünschte. Entstanden sind die Bilder in Finnland, in einem Gebiet, in dem während des zweiten Weltkriegs Landminen verlegt wurden.

Um an die Geschichte des Waldstücks zu erinnern zündete Kantanen vor dem Fotografieren farbige Rauchbomben.

Die bunten Explosionen fügen der digitalen Bearbeitung eine weitere Ebene der Entfremdung des Bildes hinzu.

Wie die farbigen Rauchbomben als Reminiszenz an den Krieg zusammengehen mit der chinesischen Landschaftsmalerei und dem Zusammenspiel zwischen Fotografie und digitaler Bearbeitung ist jedoch schleierhaft. Zu wenig erzählen die Bilder vom Krieg, um ihn so ernst zu nehmen, wie man es sollte.

Ohne diese nebensächliche Information, die sich allein in der Ankündigung des Verlags findet, nicht etwa in den begleitenden Texten, betrachtet man vergnüglich die verwobene Ästhetik der fotografischen Malerei.

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