Landeskunde

Korea und der Konfuzianismus

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 1/2022

Lee, Eun-Jeung: Korea und der Konfuzianismus.192 S., Frankfurt: Klostermann 2022. Kt., ISBN 978-3-465-02785-0, € 58,00.

    Bekanntlich betreut der Klostermann-Verlag nicht nur die Gesamtausgaben Heideggers und Hölderlins, sondern ist auch zu Recht stolz darauf, von insgesamt 4.000 verlegten Titeln noch 1.800 lieferbar zu haben. Vielleicht beflügelt vom großen Erfolg seines Japanisch-Lehrbuchs, legt das renommierte Frankfurter Verlagshaus nun ein weiteres Werk zur Kultur des Fernen Ostens vor, ein elegantes, in klassischem Verlagsgrau gehaltenes Bändchen zum Konfuzianismus Koreas.

    Wer die Kriminalromane des niederländischen Diplomaten und Sinologen van Gulik kennt, dem wird die Gestalt des Protagonisten, des Richters Di, eines Konfuzianers ­reinsten Wassers, sofort etwas sagen. Couragiert, unbestechlich, rechtschaffen bis zur Selbstverleugnung, aber auch anpassungsfähig und listig, vertraut mit den Finten seiner buddhistischen und daoistischen Kontrahenten sowie mit den Intrigen seiner mächtigen politischen Widersacher, bringt es dieser Shengren, der Edle Mensch par excellence, durch seine Grundsätze, seine fundierte literarische Bildung, amtliche Autorität und eine gute Portion gesunden Menschenverstand immer wieder fertig, dem Recht Geltung zu verschaffen.   Die Romanfigur mag fiktional sein – van Gulik und die chinesischen Vorgängerromane siedeln sie in der frühmittelalterlichen Tang-Zeit an –, aber die Vorstellung des integren, moralisch wie rechtlich weitgehend unabhängigen konfuzianischen Beamten hat seit den Tagen des historischen Konfuzius bis heute große Anziehungskraft und Einfluss auf Werte und Verhalten in der ostasiatischen Welt. Die zahlreichen Neugründungen von Konfuzius-Akademien in aller Welt durch die chinesische Regierung zeugen von einem regelrechten Revival des Philosophen, von dessen neuer Strahlkraft man sich bis vor kurzem noch nichts hatte träumen lassen, und die westliche Welt nimmt den Diskurs nur allzu bereitwillig auf. Naht nun das Zeitalter des „konfuzianischen Kapitalismus“, gehen wir in ein Zeitalter der „asiatischen Werte“? Konfuzianismus statt westlicher Demokratie, Disziplin statt Menschenrechte, Autorität statt Demokratie?

    Die Autorin – sie leitet das Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin – räumt in ihrem flüssig geschriebenen Abriss entschlossen mit solchen Stereotypen auf. Am Beispiel Koreas – aufgrund seiner Nähe gerne auch als „kleines China“ bezeichnet – führt Lee zu den philosophischen Quellen der konfuzianischen Lehre, in eine Zeit des politischen Chaos‘. Konfuzius stellte anders als Daoisten oder Buddhisten, die den Ausstieg aus der Welt oder gar ihre Verleugnung predigten, nicht Gott, Natur oder die Leere in den Mittelpunkt, sondern den Menschen und seine lebendige Verbindung zu Familie, Gesellschaft, Staat und Natur. Dass man die Welt durch die Hebung von Moral und Sitte des Einzelnen besser machen könne, war seine feste Überzeugung und erreichbares Ziel zugleich, und dass die autonome Fähigkeit des Menschen zur Vernunft ihn zur besseren Einsicht befähige, stand außer Frage; die Bildungswege sollten daher offenstehen: „Jeder kann [König] Yao und [König] Shun werden!“ (Menzius). Mit der Kampfansage an Sippengeist, Privilegien und Geburtsrecht begann jedoch auch die Geschichte der Vereinnahmung durch den damals entstehenden Zentralstaat, der seine Chance erblickte, mit dem Regionalismus und Clangeist im Lande aufzuräumen. Was als offene Weisheitssuche und (sokratische) Herrschaft der Erleuchteten gedacht war, wandelte sich mit der Einführung als offizielle Staatslehre mit Prüfungssystem, Autoritäten und Hierarchien in ein System, das seine kritischen, humanistischen Impulse im Dienst der staatlichen Stabilität nach und nach weitgehend verlor. Der Weg des chinesischen Konfuzianismus in das benachbarte Korea, seine Aufnahme und Abwandlung beschreibt die Autorin als nahezu perfekte Adaption, in deren Verlauf – es geht um ein volles Jahrtausend, von der Koryo- (918–1392) bis zur Choson-Dynastie (1392–1910) – die pragmatischen Konfuzianer in Verbindung mit dem königlichen Machtapparat die Trennung des Staates von den Buddhisten und die Einrichtung einer eigenen Ritual- und Bildungsorganisation erreichten. Tatsächlich waren die Erfolge der staatlichen und privaten Akademien und Schulen groß – nahezu jeder Ort besaß ein sowon, in dem die klassischen Texte unter Aufsicht eines konfuzianischen Magisters für die Staatsprüfungen studiert werden konnten. Mit Bestehen der zentralen Prüfung standen dem Kandidaten und damit zugleich seiner Familie der Aufstieg in die koreanische Gentry (yang­ ban) und ein Staatsamt offen – ein gewaltiger Anreiz! Auch in Korea funktionierte das Bündnis zwischen zentralem Königtum und konfuzianischer Elite zur beidseitigen Zufriedenheit.

    Mit jesuitischen Büchern in chinesischer Schrift und Sprache setzte in Korea im 18. Jahrhundert die Beschäftigung mit dem Westen ein; von den Jesuiten erfuhren andererseits auch die Europäer zum ersten Mal von einer meritokratischen Staatsform, die auf Verdiensten, nicht auf Adel, Geburt oder Vermögen aufbaute. So wie ein Wolff, Leibniz und Montesquieu von dem konfuzianischem Leistungsethos beeindruckt war, so waren es ihrerseits auch die koreanischen Konfuzianer von dem westlichen Wissensstand. Als Philosophen schätzten sie freilich die metaphysischen Gedankengänge der Westler weniger als deren ethische und naturwissenschaftliche Überlegungen. In den Wirren des 20. Jahrhunderts schien dann dem Konfuzianismus das Totenglöckchen zu läuten: „Zerstört die Idole!“ hieß es in China und in Korea. Doch trotz dieses „Genickbruchs“ (Lee) erlebte der Konfuzianismus in der Nachkriegszeit ein erstaunliches Revival: die autoritären Systeme Singapurs und Taiwans besannen sich wieder auf die alte Lehre, und auch in China meint man heute, den zuvor so arg geschmähten Meister erneut für sich vereinnahmen zu können. In Korea, wo nur noch drei Prozent der Bevölkerung dem Konfuzianismus anhängen, kann laut Lee von „konfuzianischen Werten“ kaum mehr gesprochen werden, in China hapert es aufgrund der Umwälzungen der Nachkriegszeit sogar an den einfachsten Voraussetzungen, nämlich an der Kenntnis der korrekten Riten. Was die „konfuzianischen“ oder gar „asiatischen Werte“ selbst angeht, so fehle hier längst der konkrete geistige Inhalt – eine hohle Nuss mit schöner Schale.

    Auch dieser Wiedergeburt haftet der Mangel an, dass sie wieder nur in der Form der staatlichen Vereinnahmung geschieht; die viel weiter ausgreifende Philosophie des Konfuzius mit ihren grundlegenden Fragen und Voraussetzungen bleibt – wie so oft zuvor – ausgeklammert. Dennoch – darauf weist Lee öfters hin – bildete der verbliebene kritische Impetus des Konfuzianismus stets einen Stachel im Fleisch der Herrschenden, so wie die Autorität und das Prestige eines Richter Di auch die Machthaber gelegentlich in ihre Schranken wies. Hilfreich ist das koreanisch-chinesische Glossar in lateinischer Umschrift mit chinesischen Langzeichen, allerdings ohne die zugehörigen deutschen Begriffe. In der Literaturliste vermisst man die Arbeiten des Leidener Koreanologen Frits Vos (u.a. Die Religionen Koreas, 1977); da die Autorin aber den religiösen Charakter der Lehre verneint, ist diese Fortlassung in gewisser Weise auch ein Statement. Schön wäre eine Übersichtskarte, ebenso ein chronologisches Datenblatt; wenn die Autorin da mal nicht zu viel voraussetzt…. Diese Leserwünsche tun aber das dem außerordentlich anregenden und gut zu lesenden Bändchen keinen Abbruch. (tk)

    Dr. Thomas Kohl (tk) war bis 2016 im Universitäts- und Fachbuchhandel tätig und be­ reist Südasien seit vielen Jahren regelmäßig.

    thkohl@t-online.de

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