Kolumne

Kleine Fluchten oder Die Wellnesswoche

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 1/2017

Früher, als ich noch keine Kinder hatte, musste ich manchmal zu einer Messe. Zur Buchmesse beispielsweise oder zur ITB, der Internationalen Tourismusbörse in Berlin. Jedes Mal kam ich krank zurück. Ich beklagte die schlechte Luft in den großen Hallen, die man nur verließ, um draußen eine zu rauchen. Ich beklagte es, dass ich allen die Hände geben musste. Denn auf Messen, da repräsentiert man, die Geschäfte macht man eh hinterher. Ich beschwerte mich sogar über die Trinkereien am Abend, die mein Immunsystem vollends zum Kollaps brachten. Die ein oder andere Gelegenheitszigarette trug ihr übriges dazu bei. –

Heute, da ich zwei Kinder habe, darf ich manchmal zu einer Messe. Zur Buchmesse beispielsweise oder zur ITB. Jedes Mal komme ich gut gelaunt zurück. Manchmal streiten sich dann meine Frau und ich. Weil ich wieder so eine gute Zeit hatte, während sie mit einer Schnupfennase die Türe öffnet oder sich eine Magen-Darm-Grippe ankündigt. Kindergartenviren sind brutal.

Ich übernehme dann pflichtschuldig alles, was meine Frau mir aufträgt – und denke an meine Wellnesswoche zurück. Während der Zeit der Messen lebe ich nämlich in einem Hotel und darf tatsächlich bis acht Uhr schlafen. Durchschlafen! Beim Frühstück greift mir niemand in meinen Bewegungsablauf, wenn ich die Kaffeetasse traumverloren zum Mund führe.

Keiner klaut mir die Wurst vom Brot oder will das Brötchen, das ich gerade schmiere. Ich trinke und esse und stehe auf und laufe zur Messehalle. Dabei setze ich einen Fuß vor den anderen. Ich muss niemanden dazu überreden, seine Schuhe und seine Jacke anzuziehen. Hinterher unterhalte ich mich mit Kollegen und atme die gute Hallenluft. Keiner unterbricht uns, keiner hat einen Wutanfall. Ich lebe in einem anderen Universum. Selbst die Viren, die aufmarschieren, sind kleine Krieger mit Helmen und Holzkeulen, über die mein Immunsystem milde lächelt. „Alter“, sagt es, wenn sie in Horden näher rücken, „ich habe Atombombenangriffe überlebt: Windpocken, Hand-Mund-Fuß-Krankheit, drei Magen-DarmGrippen in zwei Monaten. Sollen wir wirklich in die Arena?!“ Probleme habe ich eigentlich nur, wenn ich abends mit meinen Kollegen trinken gehe. Mehr als zwei Bier schaffe ich nämlich nicht mehr. Dann werde ich sehr müde und will ins Hotel zurück. Deshalb trinken wir neuerdings Alsterwasser. Da fällt es dann nicht so auf, dass wir fürsorgende Familienpapas sind. Die auch das Rauchen längst haben sein lassen. Ist ja auch zu kalt, draußen vor der Kneipentür.

Matthias Kröner, 1977 in Nürnberg geboren, lebt und arbeitet seit 2007 als Autor, Journalist, Redakteur und Kolumnist in der Nähe von Lübeck. Seine subjektiv verfassten Reiseführer „Lübeck MMCity“ und „Hamburg MM-City“ (Michael Müller Verlag) sind Sparten-Bestseller. 2014 erschien sein Erzählband „Junger Hund. Ausbrüche und Revolten“ (Stories & Friends Verlag). 2016 kam sein erster Mundart-Gedichtband „Dahamm und Anderswo“ bei ars vivendi heraus.

matthias.kroener@gmx.de

 

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