Im Fokus

Julian Assange aus der Haft freilassen!

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 2/2020

Kommentar von Bundesjustizministerin a. D. Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin

Am 6. Februar stellten Günter Wallraff, Bundesaußenminister a.D. Sigmar Gabriel, Bundesinnenminister a.D. Gerhart Baum und MdB Sevim Dagdelen in der Bundespressekonferenz in Berlin den Appell „Julian Assange aus der Haft freilassen!“ vor, der von weit mehr als 100 Prominenten aus Politik, Wissenschaft, Kultur und Medien unterzeichnet wurde. Zu ihnen gehört Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin. Wir baten die ehemalige Bundesjustizministerin und Rechtsanwältin um einen Kommentar. (ab)

Lasst Julian Assange endlich frei! – Dieser Appell wird immer lauter. Zu Recht. Bei uns in Deutschland haben schon weit mehr als 30.000 Männer und Frauen diesen Appell unterzeichnet.

Aber nicht nur diese Unterzeichner, Künstlerinnen und Künstler, in der Politik, im Journalismus, in juristischen und medizinischen Berufen Engagierte reiben sich erstaunt und verstört die Augen, wenn sie nach Großbritannien blicken, wo Julian Assange, der Gründer der Whistleblower-Enthüllungsplattform WikiLeaks in einem Hochsicherheitsgefängnis seinem Prozess entgegensieht. In dieser Tragödie geht es im Wesentlichen um zweierlei: um den Menschen Julian Assange, der ganz offensichtlich gesundheitlich körperlich und psychisch schwer angeschlagen ist und in dem Hochsicherheitsgefängnis nicht angemessen behandelt werden kann. Es geht aber – und auch das geht uns alle an – um die Frage, wie die Öffentlichkeit in unseren demokratischen Rechtsstaaten die Handlungen der Mächtigen in den Bereichen von Regierung, Geheimdiensten, Militär und Wirtschaft wirksam kontrollieren kann.

Vor wenigen Tagen haben sich Mediziner in Großbritannien mit besonderer Dringlichkeit zu Wort gemeldet, weil die körperliche und psychische Gesundheit von Julian Ass ­ ange so angeschlagen ist, dass jede weitere Gefängnishaft völlig verantwortungslos ist. Es ist in Rechtsstaaten üblich, unter solchen Umständen die Haftentlassung anzuordnen und es ist unverständlich, dass die britische Justiz die Haft immer noch aufrechterhält. Und das in einem Hochsicherheitsgefängnis, das in Deutschland mit Stammheim vergleichbar wäre.

Es ist noch ärgerlicher und verstörender, dass die Bundesregierung, die EU und der Europarat nicht schon längst ihr ­ e Stimme erhoben haben.

Warum verhalten die sich so? Was steckt dahinter? Am kommenden Montag wird Julian Assange wieder aus dem Hochsicherheitsgefängnis vorgeführt – der Vorwurf der britischen Justiz gegen ihn lautet, er habe sich der Verhandlung vor einem britischen Gericht entzogen. Und es gibt Leute, die sagen, in solchen Fällen gehe die britische Justiz eben rabiat vor.

Auf den ersten Blick ist es richtig, dass Julian Assange durch sein jahrelanges Asyl in der Londoner Botschaft Ecuadors für die britischen Gerichte unerreichbar war. Aber das zeigt nicht das ganze Bild. Hier verschweigen die Gegner von Assange, die es ja auch bei uns gibt, eine ganze Menge. Als die erste Verhaftung von Assange und der erste Prozess in London drohte, stand noch der schwedische Vorwurf im Raum, Assange habe eine Frau vergewaltigt oder das versucht, oder sie zum ungeschützten Sex genötigt. Mit dieser ebenso schweren wie in der Öffentlichkeit wirksamen Anklage verlangten die schwedischen Behörden seine Auslieferung nach Schweden. Assange widersprach diesem Vorwurf schon damals. Er befürchtete eine Falle, befürchtete, er solle in die USA ausgeliefert werden, wo ihm – wegen Verrat von Geheimnissen und anderen Straftaten – bis zu 175 Jahre Gefängnis angedroht wurden. Deshalb flüchtete er in die Botschaft von Ecuador. Heute ist dieser Vorwurf, ist das gesamte Auslieferungsgesuch aus Schweden, in sich zusammengefallen: „Das Verfahren ist abgeschlossen, die Auslieferung deshalb wird nicht mehr begehrt“ – so lautet die Stellungnahme der zuständigen schwedischen Behörde jetzt.

Das verstärkt die Befürchtung, dass solche Behauptungen als Vorwand benutzt wurden, wie gesagt, sie wiegen schwer und sind öffentlichkeitswirksam. Mittlerweile mehren sich auch die Hinweise, dass Geheimdienste wieder einmal ihre Finger im Spiel hatten und Vorwürfe fabrizierten, um Assange in die USA zu bekommen. Erschütternd ist, was der UN-Sonderberichterstatter Melzer zu berichten weiß.

Vor dem britischen Gericht geht es jetzt ganz offen und direkt um das Auslieferungsersuchen der USA. Dieser Rechtsstaat USA verlangt Assanges Auslieferung. Die USA-Justiz bedroht ihn, wie schon erwähnt, mit 175 Jahren Gefängnis – und anders als bei seinen Unterstützern, die wegen Machtmissbrauchs, Korruption oder sonstigen Straftaten verurteilt wurden, plant Präsident Trump bei Assange ganz sicher keine Begnadigung. Warum wollen die britischen Richter eigentlich nicht sehen, was sich in den USA tut? Haben Machtinteressen und Sicherheitsdienste doch auch in Großbritannien erheblichen Einfluss? Und, wie steht es damit bei uns? Wo bleibt die Bundesregierung, wo ihre Initiative in der UN – auf der Grundlage des Berichts des Sonderberichterstatters? Verhindert werden muss, dass mit dem WikiLeaks-Gründer ein Exempel statuiert wird: Es geht nicht an, dass Staaten

Verhandlung vor einem britischen Gericht entzogen. Und es gibt Leute, die sagen, in solchen Fällen gehe die britische Justiz eben rabiat vor.

Auf den ersten Blick ist es richtig, dass Julian Assange durch sein jahrelanges Asyl in der Londoner Botschaft Ecuadors für die britischen Gerichte unerreichbar war. Aber das zeigt nicht das ganze Bild. Hier verschweigen die Gegner von Assange, die es ja auch bei uns gibt, eine ganze Menge. Als die erste Verhaftung von Assange und der erste Prozess in London drohte, stand noch der schwedische Vorwurf im Raum, Assange habe eine Frau vergewaltigt oder das versucht, oder sie zum ungeschützten Sex genötigt. Mit dieser ebenso schweren wie in der Öffentlichkeit wirksamen Anklage verlangten die schwedischen Behörden seine Auslieferung nach Schweden. Assange widersprach diesem Vorwurf schon damals. Er befürchtete eine Falle, befürchtete, er solle in die USA ausgeliefert werden, wo ihm – wegen Verrat von Geheimnissen und anderen Straftaten – bis zu 175 Jahre Gefängnis angedroht wurden. Deshalb flüchtete er in die Botschaft von Ecuador. Heute ist dieser Vorwurf, ist das gesamte Auslieferungsgesuch aus Schweden, in sich zusammengefallen: „Das Verfahren ist abgeschlossen, die Auslieferung deshalb wird nicht mehr begehrt“ – so lautet die Stellungnahme der zuständigen schwedischen Behörde jetzt.

Das verstärkt die Befürchtung, dass solche Behauptungen als Vorwand benutzt wurden, wie gesagt, sie wiegen schwer und sind öffentlichkeitswirksam. Mittlerweile mehren sich auch die Hinweise, dass Geheimdienste wieder einmal ihre Finger im Spiel hatten und Vorwürfe fabrizierten, um Assange in die USA zu bekommen. Erschütternd ist, was der UN-Sonderberichterstatter Melzer zu berichten weiß.

Vor dem britischen Gericht geht es jetzt ganz offen und direkt um das Auslieferungsersuchen der USA. Dieser Rechtsstaat USA verlangt Assanges Auslieferung. Die USA-Justiz bedroht ihn, wie schon erwähnt, mit 175 Jahren Gefängnis – und anders als bei seinen Unterstützern, die wegen Machtmissbrauchs, Korruption oder sonstigen Straftaten verurteilt wurden, plant Präsident Trump bei Assange ganz sicher keine Begnadigung. Warum wollen die britischen Richter eigentlich nicht sehen, was sich in den USA tut? Haben Machtinteressen und Sicherheitsdienste doch auch in Großbritannien erheblichen Einfluss? Und, wie steht es damit bei uns? Wo bleibt die Bundesregierung, wo ihre Initiative in der UN – auf der Grundlage des Berichts des Sonderberichterstatters? Verhindert werden muss, dass mit dem WikiLeaks-Gründer ein Exempel statuiert wird: Es geht nicht an, dass Staaten mithilfe getürkter Geheimdienstinformationen die Veröffentlichung von Tatsachen verhindern, die Machthaber belasten und die Mächtige deshalb geheim halten wollen. Es geht auch nicht an, Whistleblower abzuschrecken und weiter zu kriminalisieren.

Assange selbst ist kein Whistleblower im klassischen Sinn: Mit seiner Gründung WikiLeaks hat er jedoch eine wirksame Plattform für Whistleblower geschaffen. Die ist nötig, weil sonst die Veröffentlichung der Rechercheergebnisse von Journalisten zu sehr von deren jeweiligen Verlagen, deren Interessen und Möglichkeiten abhängt. WikiLeaks ist längst zu einem unverzichtbaren Instrument geworden, das durch die Schaffung von Öffentlichkeit hilft, Macht zu kontrollieren. In unseren Breiten, in unseren westlichen Demokratien sind wir stolz darauf, durch Gesetze und Institutionen sicherzustellen, dass auch die

Machthaber auf Recht und Gesetz, auf Völkerrecht und Menschenrechte setzen und setzen müssen. Wir wissen jedoch, dass das ohne öffentliche Kon­ trolle nicht gewährleistet werden kann.

Und es zeigt sich in diesen Tagen immer häufiger, wie dünn unsere zivilisatorische Kruste demokratischer Rechtsstaatlichkeit vielfach ist: Immer häufiger gerieren sich Präsidenten oder Premierminister als Supermänner, die sich um Recht wenig scheren, wo es um Terrorbekämpfung, um Verbrechensbekämpfung, um Feindbekämpfung oder schlichtweg um Macht und Überlegenheit geht. Und Mächtige in anderen Bereichen folgen ihrem Beispiel nur zu gern. Auch im Westen wird nicht lang gefackelt: Veröffentlichungen auf WikiLeaks stören jene Machthaber, die völkerrechtswidrige Kriege befehlen, Konflikte schüren, Landminen und Massenvernichtungswaffen verteidigen, Waffen liefern, Menschenhandel begünstigen oder individuelle Macht und ihren Reichtum ungeniert durch Korruption mehren. Whistleblower sollen am besten ganz schweigen. Oder wenigstens in WikiLeaks nicht mehr veröffentlichen können, dass Verantwortliche auch westlicher Geheimdienste und Militärs Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und rechtswidrige Tötungen befehlen, geschehen lassen oder dulden. Solche üblen Machenschaften sollen der Öffentlichkeit in Demokratien nicht bekannt werden, weil dann Machtverlust drohen könnte.

Das ist die Haltung, die hinter der Verfolgung und Haft von Julian Assange steht.

Und das macht es so bitter, wie die britische Justiz derzeit mit ihm umgeht. Auch deshalb braucht Julian Assange Schutz. Auch von uns. Und: Wikileaks ist ein unverzichtbares Korrekturinstrument. Gerade auch in Demokratien, die auf Werte setzen. (20. Februar 2020) ˜

 

 

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