Christoph G. Paulus, Europäische Insolvenzverordnung, Kommentar, Deutscher Fachverlag, Fachmedien Recht und Wirtschaft, 5. Auflage, Frankfurt am Main 2017, ISBN 9783800516285, XVII und 665 S., € 198,00
Gerade mal vier Jahre war die 4. Auflage der Kommentierung zur EuInsVO von Paulus auf dem Markt, da machte die zum 26.6.2017 in Kraft getretene Reform der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren (Europäische Insolvenzverordnung – EuInsVO) eine Neubearbeitung notwendig. Gleichzeitig wird deutlich, wie sehr sich dieses für Wissenschaft und Praxis wichtige Werk auf dem Markt etabliert hat. Betont sei gleich zu Beginn, dass das 665 Seiten starke Werk nicht nur um mehr als 200 Seiten an Umfang gegenüber der Vorauflage zugenommen hat, sondern dass es auch nach wie vor von Paulus als Alleinautor verantwortet wird. Schon das ist für sich besehen eine höchst anerkennenswerte Leistung, kommt doch kaum mehr ein Kommentar dieses Umfangs mit nur einem Bearbeiter aus. Dass die Alleinautorenschaft von Paulus einen unschätzbaren Vorteil für die innere Geschlossenheit des Werkes darstellt, liegt freilich auf der Hand. Dies gilt umso mehr, als die reformierte EuInsVO neue Fragen aufwerfen wird, welche aus kundiger Hand in sich konsistenter Lösungen bedürfen.
Der Bearbeitung vorangestellt ist zunächst der Text der Europäischen Insolvenzrechtsverordnung in seiner gegenwärtig geltenden Fassung, im Anschluss hieran folgt ein einschlägiger Auszug aus dem Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung. Das eigentliche Werk beginnt dann mit einer allgemeinen Einleitung (S. 77 – 127), in welcher zunächst Entstehungsgeschichte und Grundgedanken der Verordnung beschrieben werden. Besonders hilfreich und mithin äußerst praxisdienlich ist die Schilderung des Verfahrensablaufs eines deutschen Haupt- sowie eines Parallelinsolvenzverfahrens mit Auslandsbezug unter Geltung der EuInsVO. Dies erleichtert die Heranziehung der Verordnung ungemein, da ein konkreter Anwendungsbezug aus Sicht eines deutschen Rechtsanwenders unmittelbar hergestellt wird und so die Formulierungen auf europäischer Ebene mit (deutschem) Leben in Gestalt der rein nationalen insolvenzrechtlichen Vorschriften gefüllt werden. An diese rund 50 Seiten umfassende Einleitung schließt sich die Kommentierung der einzelnen Bestimmungen der EuInsVO an. Kapitel I der EuInsVO enthält die Allgemeinen Bestimmungen, die in den Art. 1 bis 18 niedergelegt sind. In Art. 1 geht Paulus näher auf die Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs der EuInsVO ein, wobei er gleich zu Beginn (Rn. 1) darauf hinweist, dass unter „Insolvenzrecht“ nun auch primär auf Insolvenzvermeidung gerichtete Verfahren zu fassen seien. Dem hat folgerichtig die „Definitionsnorm“ des Art. 2 (Rn. 1) Rechnung zu tragen. Mit der Reform wollte der EU-Gesetzgeber insbesondere auch den Insolvenztourismus in seine Schranken weisen. Entsprechend seiner praktischen Bedeutung wird Art. 3 EuInsVO zu Recht als eine der Zentralnormen der Verordnung bezeichnet und dementsprechend verhältnismäßig ausführlich und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung, insbesondere hinsichtlich des auslegungsbedürftigen Begriffs des „COMI (centre of [a debtor`s] main interests – Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen)“ (Rn. 4 ff.) erläutert. Die in Art. 6 enthaltene Zuständigkeit in Bezug auf Annexverfahren wird durch zahlreiche Beispiele (Rn. 3 ff.) praxisnah dargestellt. Näher behandelt Paulus auch die in Art. 7 verankerte lex concursus, vor allem die Reichweite derselben (Rn. 12 ff.) ist von großer praktischer Bedeutung. Den Arbeitsrechtler muss dann Art. 13 (vormals Art. 10) interessieren, der für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf das Arbeitsverhältnis dessen in Art.
8 Rom I-Verordnung geregelte Statut – und nicht das Insolvenzstatut – für anwendbar erklärt. Abweichungen von der lex fori concursus enthalten auch die Art. 16 bis 18, in letzterer Vorschrift findet sich die umfangreiche Rechtsprechung sorgfältig aufgearbeitet (Rn. 3 ff.).
Kapitel II der EuInsVO umfasst Art. 19 bis 33 und behandelt die wichtige Frage der Anerkennung. Die grundsätzlichen Aussagen sind in Art. 19 und 20 enthalten, wobei dem Verhältnis Hauptverfahren zu Parallelverfahren besondere Beachtung geschenkt wird (Art. 20 Rn. 7 ff.). Ausführlich befasst sich Paulus auch mit den Verwalterbefugnissen (Art. 21). Dass der ordre public-Vorbehalt nur ganz seltene Ausnahmefälle zu erfassen vermag, macht Paulus unmissverständlich deutlich (Art. 33 Rn. 2), auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen. Durch die Reform einiges geändert hat sich bei den Sekundärinsolvenzverfahren, welche in Art. 34 bis 52 im Kapitel III der EuInsVO geregelt sind. Besondere Sorgfalt wird auf die Kommentierung des Art. 35 EuInsVO verwendet, der das anwendbare Recht normiert. Ausführlich besprochen werden auch die Art. 41 bis 44. In einem Anhang zu Art. 42 werden sinnvollerweise die „Allgemeinen Grundsätze für die Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Insolvenzen“ sowie die „Allgemeinen Richtlinien für die Kommunikation zwischen Gerichten in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren“ abgedruckt. Art. 53 bis 55 EuInsVO regeln im IV. Kapitel die Unterrichtung der Gläubiger und die Anmeldung ihrer Forderungen, auch hierzu erfährt man alles Notwendige. Lange wurde es gefordert, nun ist es in der EuInsVO verankert: das Konzerninsolvenzrecht. Es findet sich im V. Kapitel, wobei Paulus gleich zu Beginn deutlich macht, dass es um die Insolvenzen gruppenangehöriger Unternehmen geht (Art. 56 Rn. 2). In der Kommentierung der Art. 56 bis 77 wird man mit dem aktuellen Stand der Dinge vertraut gemacht. Aber auch zum Datenschutz (VI. Kapitel, Art. 78 bis 83 EuInsVO) und zu den Übergangs- und Schlussbestimmungen (VII. Kapitel, Art. 84 bis 92 EuInsVO) sagt Paulus das Nötige. Dass der Kommentar ein ausführliches Stichwortverzeichnis sein eigen nennt, sei der Vollständigkeit halber noch erwähnt, versteht sich aber fast von selbst. Insgesamt handelt es sich um ein Werk, welches übersichtlich und praxisgerecht die wesentlichen Grundzüge sowie die im Zusammenhang mit der Anwendung der EuInsVO auftretenden Probleme aufzeigt. Dem Leser werden mit der Rechtsprechung in Einklang stehende Lösungen angeboten, wobei der Autor aber auch nicht mit Kritik an bestimmten Entwicklungen spart. Wer einen Kommentar zur EuInsVO braucht, ist jedenfalls mit dem Paulus bestens beraten. (cwh)
Büchler, Uwe, Restschuldbefreiungstourismus. Günstige Gelegenheit, Rechtsmissbrauch – oder gar Betrug?, Tectum Verlag Baden-Baden, 2017, 348 S., ISBN 978-3-8288-4024-9. € 44,95
Mit dem Begriff „Restschuldbefreiungstourismus“ umschreibt man das Phänomen, dass zahlungsunfähige Personen gezielt den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen ins Ausland verlegen bzw. vortäuschen, ihn dahin zu verlegen. Dieses Tun ist getragen von der Hoffnung, in den Genuss einer im Vergleich zu §§ 286 ff. InsO schneller und unter weniger belastenden Voraussetzungen erteilten Restschuldbefreiung zu gelangen. Äußerst unterschiedlich ist nämlich die Art und Weise, wie ausländische Rechts- und Gesellschaftsordnungen mit ihren zahlungsunfähigen Schuldnern umgehen. Eine ganze Reihe von europäischen Staaten verfährt nach dem System, wie es dem deutschen Recht über ein Jahrhundert unter der alten Konkursordnung eigen war: Die Insolvenz dient der alleinigen Befriedigung der Gläubiger, die Schuldner bleiben auf Dauer den Forderungen ausgesetzt. Wieder andere Länder kennen zwar keine Restschuldbefreiung, ermöglichen dem zahlungsunfähigen Schuldner aber ein Sanierungsverfahren sowie ein Privatinsolvenzverfahren. Die dritte Gruppe von Staaten weist – teilweise allerdings mit deutlichen Unterschieden in der Ausgestaltung – Parallelen zur deutschen Verbraucherinsolvenz auf. Von naturgemäß großer Bedeutung ist dabei die Dauer des Entschuldungsverfahrens. Sie kann von wenigen Wochen wie im Chapter 11-Verfahren US-amerikanischer Bundesstaaten bis hin zu mehreren Jahren reichen. Obwohl durch die Europäische Insolvenzverordnung ein einheitliches Kollisionsrecht innerhalb der Europäischen Union geschaffen wurde, bestehen in Bezug auf das materielle Insolvenzrecht nach alledem weiterhin erhebliche nationale Unterschiede. Dies gilt insbesondere auch für die Voraussetzungen, nach denen eine Restschuldbefreiung erteilt wird. Insoweit verbleibt der Anreiz für ein forum shopping: Zwar gibt es im Anwendungsbereich der EuInsVO gemäß Art. 3 EuInsVO nur ein zuständiges Gericht in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (auch COMI genannt, nach dem englischen „centre of [a debtor`s] main interests“), was dem klassischen forum shopping eigentlich zuwiderläuft. Indes ordnet Art. 4 Abs. 1 EuInsVO einen Gleichlauf zwischen Zuständigkeit und anwendbarem Recht an. Hiernach ist das Insolvenzrecht des Mitgliedstaates anwendbar, in welchem das Verfahren eröffnet wird. Somit kann das anwendbare Recht mittelbar durch Verlegung des zuständigkeitsbegründenden COMI bestimmt werden. Es liegt nahe, dass eine zahlungsunfähige Person, welche von deutlich kürzeren Entschuldungsfristen im EU-Ausland erfährt, den Weg dorthin antritt, sofern sie sich in Sicherheit wiegen kann, dass die unter einem fremden Recht erlangte Restschuldbefreiung auch den inländischen Gläubigern entgegengehalten werden kann. Der Restschuldbefreiungstourismus erweist sich also als Spielart des Insolvenztourismus.
Vor diesem Hintergrund ist es sehr zu begrüßen, dass Büchler eine Monographie zum Thema „Restschuldbefreiungstourismus“ vorgelegt hat. Schon in seiner Einleitung (A, S. 1 – 4) wird deutlich, dass sich hinter diesem Begriff auch eine Geschäftsidee verbirgt. Im zweiten Teil (B, S. 5 – 58) geht Büchler auf die tatsächlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen des Restschuldbefreiungstourismus ein. Nach einer begrifflichen Klarstellung, was unter dieser Erscheinung zu verstehen ist, werden die einzelnen Fallkonstellationen dargestellt (S. 17 – 20). Breiten Raum nehmen die Gründe für eine Verlegung des COMI ein (S. 21 – 58), was naturgemäß Hinweise auf die Vorteile bestimmter ausländischer Rechtsordnungen bedingt. Ausführlich wird dann erörtert, wie die EuInsVO mit dem Restschuldbefreiungstourismus umgeht (C, S. 59 – 151). Dass insoweit die Bestimmung des COMI im Vordergrund stehen muss, liegt auf der Hand (S. 74 – 102). Die insolvenzrechtliche Festlegung des gewöhnlichen Aufenthaltes einer natürlichen Person als solche ist naturgemäß nicht das Problem; die simulierte (!) Verlagerung ist es (S. 103 – 114)! Lesenswert sind auch die folgenden Ausführungen zum Umgang mit tatsächlichen Verlagerung im Vorfeld der Insolvenz (S. 125 – 150). Uneingeschränkt zuzustimmen ist dem Ergebnis (S. 150 f.), dass zwischen benigner und maligner Verlegung des COMI zu differenzieren ist: Man mag das Ergebnis missbilligen, dass bei einer tatsächlichen Sitzverlegung etwa nach England eine discharge viel schneller zu erreichen ist als in Deutschland. Indes ist es unter der Geltung der EuInsVO zu akzeptieren. Entscheidend ist allein, dass sich der neue Lebensmittelpunkt im Zeitpunkt der Antragstellung in dem Staat der angegangenen Gerichte auch tatsächlich befindet. Es muss also darum gehen, vorgetäuschten Sitzverlegungen zu begegnen. Es ist genau zu prüfen, ob das COMI tatsächlich verlagert wurde. Eine nur vorgetäuschte Verlegung des COMI kann keine Eröffnungszuständigkeit begründen und stellt nur den Versuch dar, sich die Zuständigkeit eines anderen mitgliedstaatlichen Gerichts zu erschleichen. Es hängt somit von der sorgfältigen Prüfung des jeweiligen Insolvenzgerichts ab, ob dieser Versuch Erfolg hat! Der Umsetzung der insolvenzrechtlichen Entscheidungen in anderen Mitgliedstaaten ist dann das nächste Kapitel des Buches gewidmet (D, S. 153 – 215). Vor allem die Anerkennung der Eröffnungsentscheidung wird hier sorgsam beleuchtet (S. 153 – 166). Dass der ordre public-Vorbehalt nur selten eingreifen wird, sieht Büchler zutreffend (S. 209). Dem steht schon die ratio der EuInsVO entgegen. Informativ sind dann auch die beiden folgenden Kapitel, welche die Möglichkeiten einer Zurückdrängung des Restschuldbefreiungstourismus de lege lata (E, S. 217 – 246) und de lege ferenda (F, S. 247 – 290) beleuchten. Zu bemerken ist, dass zum 26.6.2017 die reformierte Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren in Kraft getreten ist, was der Aktualität des Buches aber keinen Abbruch tut, da Büchler schon die vom Europäischen Parlament am 20.5.2015 verabschiedete Fassung eingearbeitet hat. Interessant ist sein Fazit: die Änderungen seien zu begrüßen, könnten aber die Probleme des Restschuldbefreiungstourismus nicht lösen (S. 272). Am Ende kommt auch der eilige Leser nicht zu kurz, ihm steht die Lektüre des Fazits offen (G, S. 291 – 301).
Das lesenswerte Buch ist sorgsam durchdacht, der Autor geht keiner Frage aus dem Weg und führt die Probleme kundig einer Lösung zu. Sicherlich wird gerade die Gläubigerseite sich mit den Ergebnissen schwertun, indes ist es gerade das Kennzeichen einer guten wissenschaftlichen Arbeit, dass sie zum Nachdenken anregt und vielleicht auch zum Aufgeben eigener Positionen reizt. Wer angesichts des Restschuldbefreiungstourismus vertiefte Überlegungen sucht, wird bei Büchler jedenfalls fündig werden. Dem an der Thematik Interessierten kann das Werk also guten Gewissens empfohlen werden. (cwh)
Prof. Dr. Curt Wolfgang Hergenröder (cwh), Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Arbeits-, Handels- und Zivilprozessrecht, Johannes Gutenberg-Universität, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Deutsches, Europäisches und Internationales Arbeits-, Insolvenz- und Zivilverfahrensrecht.
cwh@uni-mainz.de