Maria Sibylla Merian, Briefe 1682 bis 1712, transkribiert und kommentiert von Katharina Schmidt-Loske, Helga Prüßmann-Zemper und Brigitte Wirth. Einführung und Übersetzungen von Helga Prüßmann-Zemper, Rangsdorf: BasiliskenPresse 2020, 108 S., zahlreiche Abb., Hardcover, ISBN 978-3-941365-67-4, € 69,00.
Im Jahr 2017, zum 300. Todestag von Maria Sibylla Merian, in Lexika und Nachschlagewerken in beliebiger Reihenfolge als Künstlerin und Naturforscherin bezeichnet, erinnerten im deutsch-niederländischen Raum, in Berlin, Frankfurt, Wiesbaden und Amsterdam, mehrere Ausstellungen an Leben und Werk dieser außergewöhnlichen Frau. Sie wurde 1647 in Frankfurt/M. als Tochter von Matthäus Merian dem Älteren und seiner zweiten Frau Johanna Sibylla Heim geboren und starb 1717 in Amsterdam. Ihr Vater starb, als sie drei Jahre alt war, die Mutter heiratete bald darauf den Maler Jacob Marrel, der das künstlerische Talent seiner Stieftochter erkannte und es durch Unterricht förderte. Im Alter von etwa 12 oder 13 Jahren begann sie, sich intensiv mit Raupen, zunächst den Seidenraupen, zu beschäftigen. Sie heiratete 1665 den Maler Johann Andreas Graff, wurde Mutter seiner Töchter und veröffentlichte 1675 ihr erstes Buch, das Blumenbuch, dem bald ein zweiter Band folgte, schließlich publizierte sie 1679 auf Deutsch eine erste Darstellung über Raupen. 1886 trennte sie sich aus nicht geklärten Gründen von ihrem Mann und lebte fünf Jahre mit ihrer Mutter und ihren beiden Töchtern in der strikt pietistischen Labadisten-Gemeinschaft in Wieuwerd im niederländischen Friesland. Nach dem Tod ihrer Mutter 1690 zog sie gemeinsam mit ihren beiden Töchtern nach Amsterdam und reiste 1699 mit ihrer jüngeren Tochter Dorothea Maria in die niederländische Kolonie Surinam, um Schmetterlinge zu beobachten. Die Frucht dieses knapp zweijährigen Aufenthalts, in dessen Verlauf sie schwer erkrankte, war der Band „Metamorphosis Insectorum Surinamensium“, den sie 1705 im Eigenverlag auf Latein und Niederländisch publizierte. Danach erschienen Anfang der 1710er Jahre noch zwei Bände der „Raupenbücher“ in niederländischer Übersetzung. 1715 erlitt Maria Sibylla Merian wahrscheinlich einen Schlaganfall und starb zwei Jahre später, im Januar 1717, in Amsterdam. Posthum wurde von ihrer jüngeren Tochter ein dritter Band des „Raupenbuchs“ im Rahmen einer niederländischen Gesamtausgabe veröffentlicht.
Merian gilt als eine der Begründer/innen der Insektenforschung, die bis dahin in den Wissenschaften kaum eine Rolle gespielt hatte, da Insekten als „niedere Tiere“ wenig beachtet wurden. Ihrem „Raupenbuch“ versagten die zeitgenössischen Wissenschaftler zudem die Anerkennung, da es auf Deutsch und nicht auf Latein, der einzig anerkannten Wissenschaftssprache der damaligen Zeit, publiziert worden war. Besondere Beachtung und Bedeutung erfuhr ihre Reise in die Kolonie Surinam, die sie ohne männlichen „Schutz“, nur in Begleitung ihrer Tochter, unternahm, ebenso wie ihre dortigen Forschungen, für die sie auf das Wissen der indigenen Bevölkerung und der Sklaven zurückgriff. Merians Werke, insbesondere die „Metamorphosis“, bilden eine beeindruckende Einheit von Texten und gezeichneten Bildern, die die Natur zwar detailgetreu abbilden, aber dennoch zugleich eigenständige Kunstwerke sind.
Den drei Herausgeberinnen, einer Romanistin, einer Biologin und einer Computerspezialistin, ist für dieses wunderbare Buch großer Dank zu sagen. Erstmals versammeln sie die bisher bekannten 18 Briefe von Maria Sibylla Merian in einem Band im faksimilierten Original und legen zudem neue, zeilengenaue Transkriptionen und Übersetzungen vor. Darüber hinaus können die Leser/innen an den Faksimiles aller Briefe überprüfen, ob denn alles korrekt wiedergegeben ist. Für jeden Brief ist der Archivnachweis, die erste Transkription und der erste Abdruck angegeben, darüber hinaus Papiergröße, Wasserzeichen (sofern vorhanden), das Siegel und alle sonstigen relevanten Angaben. Zudem gibt es umfassende textkritische und erläuternde Kommentare. Im Unterschied zu früheren Abdrucken der Briefe können die Herausgeberinnen zeigen, dass sieben Briefe nicht von Merians Hand stammen, sondern entweder diktiert oder aus einer Vorlage übersetzt wurden. Dabei handelt es sich – mit einer Ausnahme – um Briefe in niederländischer bzw. französischer Sprache. Nur bei einigen wenigen Briefen, geschrieben in einem Zeitraum von 30 Jahren, geht es um persönliche und private Angelegenheiten, zumeist stehen Merians wissenschaftliche und geschäftliche Interessen im Vordergrund: der Handel mit ihren Drucken und Büchern, mit Farben oder konservierten Tieren, insbesondere nach der Rückkehr von ihrer Reise nach Surinam.
Am Ende des Bandes gibt es Abbildungen der Siegel, ein Abkürzungs-, Archiv- und Literaturverzeichnis, ein Personen- und Ortsregister sowie ausführliche Informationen zu den Herausgeberinnen.
In der Einführung zum Band gehen die Herausgeberinnen ausführlich auf die Briefe und die Editionskriterien sowie auf die Besonderheiten von Schrift und Sprache ein, widmen dem Leben „ihrer“ Briefschreiberin aber gerade einmal eine halbe Seite im DIN-A4-Format in chronologischer Aufzählung. Wer also mit Merians Leben nicht so vertraut ist und mehr über sie wissen möchte, muss entweder auf Wikipedia zurückgreifen oder sich die entsprechende Literatur beschaffen. Vermisst habe ich im Literaturverzeichnis Hinweise auf die einschlägigen Arbeiten von Natalie Zemon Davis und Barbara Beuys sowie den meines Erachtens großartigen Faksimile-Band der niederländischen Fassung der „Metamorphosis“ (mit deutscher Übersetzung), der 2016/2017 in Den Haag, Berlin und Darmstadt publiziert wurde.
Das schmälert den Wert und die Bedeutung dieser ausgezeichneten Publikation kaum, bleibt mir aber unverständlich. (dd)
Prof. em. Dr. Dittmar Dahlmann (dd), von 1996 bis 2015 Profes sor für Osteuropäische Geschichte an der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität Bonn, hat folgende Forschungsschwer punkte: Russische Geschichte vom 18. bis zum 20. Jahrhundert, Wissenschafts- und Sportgeschichte sowie Migration.
ddahlman@gmx.de