Buch- und Bibliothekswissenschaften

Illustratoren, Buchkunst und ­Bibliophilie

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 5/2023

Von Bonnard bis Klemke. Illustrierte Bücher und Mappenwerke aus der Sammlung Wieland Schütz. Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig, deutsch/englisch, 300 S., Faber&Faber, Leipzig 2023, ISBN 978-3-86730-256-2. € 40,00.

Das Grassimuseum für angewandte Kunst in Leipzig hat der vielseitigen Sammlung illustrierter Bücher und Mappenwerke von Wieland Schütz, selbst ein bekannter Gebrauchsgrafiker und Plakatdesigner, eine großartige Ausstellung gewidmet und dazu einen umfangreichen und exquisit gestalteten Katalog herausgegeben. Zwei Jahrhunderte, von 1828 bis heute, umfasst die hier dokumentierte und chronologisch angeordnete Ausstellung. Aus der überwältigenden Fülle französischer, englischer und deutscher Illustratoren können hier nur einige Höhe- und Schwerpunkte gewürdigt werden.

Entgegen der Meinung vieler ist die Illustration keineswegs nur den Kinder- und Jugendbüchern vorbehalten. Die fortschreitende Reproduktionstechnik zu Beginn des 19. Jahrhunderts beförderte das Interesse an der Bebilderung auch klassischer Literatur. Berühmte Maler, etwa Henri Matisse, Oskar Kokoschka oder der Skulpteur Aristide Maillol, haben sich anspruchsvoller sowie populärer Weltliteratur gewidmet und sie mit ihrem ganz persönlichen Blick und Stil neu interpretiert. Eugène Delacroix setzte sich noch zu Lebzeiten Goethes mit dem Faust auseinander, erregte mit seiner dramatischen Auslegung jedoch das Missfallen des Dichters. Der Engländer Walter Crane illustrierte Kinderlieder, ebenso die Dramen Shakespeares. Nicht nur die kostengünstigere Vervielfältigung durch die Lithografie beschleunigte die Herstellung illustrierter Bücher, auch die allgemeine Alphabetisierung und das wachsende Lesepublikum ließen den Buchmarkt expandieren. Die Belletristik erreichte nun vor allem die Frauen und Kinder in großer Zahl. Ein Illustrator vermochte durch die Texte berühmter Schriftsteller und Dichter auf sich aufmerksam machen, gleichzeitig erleichterte die Bebilderung auch den Zugang der Leser zu den Texten der Klassiker.

Max Slevogt schuf Illustrationen zu James F. Coopers Lederstrumpf-Erzählungen (1909) und den Märchen aus Tausendundeiner Nacht, seit dem 19. Jahrhundert klassische Lektüren für die gebildete Jugend. Die frühen Illustratoren lassen sich vorwiegend vom Inhalt und den Handlungshöhepunkten einer Erzählung leiten, etwa Max Slevogt in seinen zahlreichen skizzenartigen, sehr bewegten Zeichnungen zu Ledertrumpf. Adolph Menzel orientierte sich mit seiner Bebilderung zu Adelbert von Chamissos Peter Schlemihls wundersame Geschichte an den herausragenden szenischen Momenten. Es herrscht „das Verständnis von Illustration als Textparaphrase“ vor (Nachwort, Karoline Schliemann: Schmückend begleiten und lautstark behaupten). Formal jedoch fügen sich Zeichnungen nicht in den Text ein, sondern wirken wie selbständige Bilder. Erst die englische „Arts- and Crafts“-Bewegung um die Jahrhundertwende mit ihren bekanntesten Vertretern Walter ­Crane und William Morris und die etwa gleichzeitige Jugendstilepoche in Deutschland mit Walter Vogeler und Peter Behrens legen Wert auf das Buch als Gesamtkunstwerk. Der Illustrator gestaltet nun auch den Buchumschlag, das Vorsatzpapier und die Typografie. Die Verschränkung von Textblock, Satzspiegel und Bild ergeben auf diese Weise eine harmonische, optische Gesamtheit. Walter Crane hängt den Text wie ein ausgeschnittenes Fenster vor seinen filigranen und arabesk geführten Zeichenstrich, er arbeitet mit Textumrahmungen und kunstvollen Initialen, ebenso wie Heinrich Vogeler für Gerhart Hauptmanns Der arme Heinrich (1902). So werden Vogelers Bilder auch als „Buchschmuck“ bezeichnet. Peter Behrens, bekannt als späterer Bauhaus-Architekt, hat ein Gedicht von Richard Dehmel derart gerahmt, dass man unwillkürlich an eine Hausfassade denkt. Hinter zwei übereinander angeordneten Textfenstern verschränken sich virtuos mäandernde Linien wie Schlingpflanzen. Mit einem exakt komponierten Layout gelingt eine ästhetische Verschmelzung von Text und Bild. (1902) Seltener sind die Bücher, die Text und Bild aus einer Hand bieten. Aubrey Beardsley illustrierte seinen auf Richard Wagner bezogenen satirischen Roman Venus und Tannhäuser (1895) selbst mit feiner, spitzer und ironischer Feder. Schlicht umrahmt, lässt er im barocken Phantasiestil gekleidete Figuren auftreten. Joachim Ringelnatz schuf selbst die Bilder zu seinem Kinder-Verwirrbuch. Gedichte, Theatertexte und Opernlibretti, offen für die subjektive Interpretation, erwiesen sich als besonders inspirierend. Lovis Corinth schuf Farblithografien zu dem Schillergedicht Der Venuswagen, die vor erotischer Deutlichkeit nicht zurückschrecken. Die Illustrationen etwa zu Shakespeares Othello (neun Radierungen von Hans Meid) oder Büchners Leonce und Lena (12 Farblithografien von Karl Walser) bieten anschauliche Inszenierungsvorlagen, indem sie Raumgestaltung, Choreografie und Kostüme bühnentauglich entwerfen.

Auch die Lithografien des Leipziger Bühnenbildners Hugo Steiner-Prag zu Molières Tartuffe offenbaren die Nähe zwischen Illustrator und Bühnenbildner (1930). Steiner-Prag lehrte an der Leipziger „Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe“ und wirkte aktiv an der Propagierung und Verbreitung bibliophiler Werke mit. Die Zeitschrift für Bücherfreunde wandte sich an Sammler schön gestalteter Bücher, denn die „Strategie, neben einer Normalausgabe exklusiv gebundene und mit Originalgrafiken aufgewertete Sondereditionen (…) zu verlegen, verband den Buch- und Kunstmarkt und kam dem Distinktionsbe-dürfnis der bürgerlichen Bildungsschicht entgegen“ (Nachwort, Julia Blume: Buchkunst in und aus Leipzig). Maler, Zeichner, Skulpteure und Architekten widmeten sich der Illustration, die noch nicht als die „kleine Schwester“ der Kunst oder als weniger geschätztes Kunsthandwerk galt. Ein letzter Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf dem Illustrationskünstler Werner Klemke (1917– 1994). Er unterrichtete an der „Hochschule für bildende und angewandte Kunst“ in Berlin Weißensee. Sein ursprünglicher Schwerpunkt war der Holzstich. Aber Klemke, der in der DDR wirkte, war außerordentlich vielseitig und ist im Westen auch als Kinderbuchillustrator sehr geschätzt worden. Er schuf Holzschnitte zu Giovanni Boccaccios Dekamerone ­ in betont altertümlichem Stil. Zierleisten, Umrahmungen, farblich und typografisch hervorgehobene Überschriften betonen die besondere gestalterische Kraft der Schrift (1958). (Katalog Abb. 180) Damit knüpfte man in Leipzig an das frühe 20. Jahrhundert an. Auch Kat Menschikals Vertreterin der jüngeren noch in der DDR ausgebildeten Künstlergeneration profitierte von einer fundierten grafischen Ausbildung. Als Illustratorin zunächst von Kinderbüchern und der Frankfurter Sonntagszeitung ist sie heute eine erfolgreiche und gefragte Buchgestalterin. Obwohl sie moderne Computertechnik einsetzt, knüpft sie bewusst an ältere Illustrationsstile an, greift schmückende Motive des Jugendstils auf. Auch bei ihr kommen Titelgestaltung, Typografie, Layout und Illustration aus einer Hand.

Der Ausstellungskatalog selbst ist zu einem Gesamtkunstwerk geworden. Die weit über 300 Abbildungen umfassen illustrierte Buchseiten, Mappen und Einzelgrafiken, sie sind formbewusst und übersichtlich auf den großen Doppelseiten angeordnet. Sie wurden, wie in der Ausstellung selbst, streng chronologisch aufgelistet und erlauben den Blick auf die Entwicklung der Illustration und ihrer Techniken vom frühen 19. Jahrhundert bis heute, zeigen ebenso augenfällig ihre Verschiedenheit in der Gleichzeitigkeit. Karoline Schliemann und Julia Blume haben jeweils ein kluges und äußerst informatives Nachwort über die Illustrationskunst allgemein und die spezielle Entwicklung des Buchkunstgewerbes in Leipzig beigesteuert. ˜

Dr. Barbara von Korff Schmising arbeitet als Rezensentin überwiegend im Bereich Kinder- und Jugendliteratur. Sie ist außerdem Mitarbeiterin des „Lexikons der Illustration im deutschsprachigen Raum seit 1945“.

bschmising@gmx.de

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