Biografien

Herrscherinnen

Aus: fachbuchjournal-Ausgabe 4/2022

Barbara Stollberg-Rilinger hat in ihrer epochalen Biografie über Maria Theresia (Barbara StollbergRilinger: Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit. 5. Aufl. München, 2018, S. XXVI. – vgl. die Rezension. im fachbuchjournal 11 (2019) 1, S. 54-55) darauf hingewiesen, dass bei der Abfassung von Biografien gilt, jede falsche Komplizenschaft zu vermeiden und die Andersartigkeit der historischen Situation, ihrer Regeln, Konventionen, sozialen Unterscheidungen und Selbstverständlichkeiten in den Blick zu nehmen, denn nur dann ist das Handeln der betrachteten Person zu deuten. Das soll das Motto für die folgenden Rezensionen sein, deren Personen nicht unterschiedlicher sein können. Alle Veröffentlichungen zeichnet aus, dass die Autoren eine Einordnung in den historischen Kontext in vergleichender Perspektive vornehmen. Und: Alle Porträtierten haben in ihrer Zeit Einfluss auf den Lauf der Geschichte.

Die Tochter des Papstes: Margarethe von Savoyen. Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Hauptstaats­ archiv Stuttgart / Bearb. von Peter Rückert et al. Stuttgart: V ­ erl. W. Kohlhammer, 2020. 244 S. ISBN 978-3-17-039341-7. € 22.00

     

    Starke Frauen? Adelige Damen im Südwesten des spätmittelalterlichen Reiches / Hrsg. Klaus Oschema, Peter Rückert, Anja Thaller. Stuttgart: Verl. W. Kohlhammer, 2022. 292 S. ISBN 978-3-17042251-3. € 28.00

      Anlässlich ihres 600. Geburtstages im Jahr 2020 wird Margarethe von Savoyen (1420–1479) durch die umfangreiche Ausstellung Die Tochter des Papstes: Margarethe von Savoyen und die Tagung Starke Frauen? Adelige Damen im Südwesten des spätmittelalterlichen Reiches geehrt. Beide Vorhaben werden in zwei mustergültigen, übersichtlich gestalteten und mit zahlreichen Abbildungen versehenen Bänden hervorragend dokumentiert.

      Auf Grund ihrer Herkunft als Tochter des savoyischen Herzogs Amadeus VIII., der 1439 vom Konstanzer Konzil zu (Gegen)Papst Felix V. gewählt wird, und ihrer dreimaligen Verehelichung, zuerst mit dem König von Sizilien, Neapel und Jerusalem Ludwig III. von Anjou, dann mit Kurfürst Ludwig IV. von der Pfalz und schließlich mit Graf Ulrich V. von Württemberg, wird Margarethe von Savoyen zu einer europäischen Fürstin. Als Repräsentantin des Hauses Savoyen knüpft sie ein internationales Netzwerk politischer, wirtschaftlicher und kultureller Verbindungen, dokumentiert in einem umfangreichen Briefwechsel. Deren Auswertung gibt erstmals ungewöhnliche Einblicke in die europäische Geschichte aus dem Blickwinkel eines kleinen Fürstentums – verbunden mit der höfischen Kultur des französischsprachigen Savoyen und Burgund, mit ihren Bindungen nach Italien und in den deutschen Südwesten.

      In den einzelnen Beiträgen im Begleitbuch zur Ausstellung und im Konferenzbericht werden u.a. behandelt Margarethe von Savoyen als zentrale Figur auf dem Schachbrett der politischen Allianzen des Hauses Savoyen, internationale Fürstinnen des späten Mittelalters in Württemberg, die Bedeutung fürstlicher Frauen als Mäzeninnen, Verfasserinnen und Übersetzerinnen, die Fürstinnen und ihr Anteil am literarischen Transfer im deutschen Südwesten vor 1500, Handlungsspielräume, Beziehungsmuster und Geschlechterrollen von zehn Habsburger Fürstinnen des 15. Jahrhunderts.

      „Insgesamt hoffen wir, mit dem Panorama der … Beiträge einen hilfreichen Baustein zur weiteren vertieften Untersuchung der Rolle hochadeliger Damen und landeshistorischen und zugleich überregionalen Zusammenhängen vorzulegen.“ (Starke Frauen, S. 14)

      Beide Publikationen sind ein wegweisender Beitrag zur Erforschung der Geschichte Savoyens in seinen Beziehungen zum Reich und zu Europa und zur Biographie Margarethes von Savoyen als einer unbestritten europäischen Fürstin.

       

      Friederike Hausmann: Lucrezia Borgia. Glanz und Gewalt. Eine Biografie. München: C.H. Beck, 2019. 320 S. ISBN 978-3-406-73326-0. € 24.95

        Die uneheliche Papsttochter und spätere Renaissancefürstin Lucrezia Borgia (1480–1519) „wurde in eine der dramatischsten und bis heute faszinierendsten Epochen der italienischen und europäischen Geschichte hineingeboren.“ (S. 12) Sie gilt gemeinhin als Femme fatale der Renaissance, als verführerische, zügellose und inzestuöse Frau, als Ehebrecherin, Giftmörderin und Blutschänderin, sie ist die „schwarze Legende“. Woher stammen diese Attribute? Wer hat sie wann, wo und wie verbreitet? Eine Schuld daran tragen auch Victor Hugo und Gaetano Donizetti: Hugo verfasst 1833 ein Drama über die Giftmörderin „Lucrèce Borgia“, ins Deutsche von Georg Büchner übersetzt, im gleichen Jahr wird die Oper Lucrezia Borgia von Donizetti uraufgeführt. Die beiden Werke überdauern die Zeiten, weitere Romane mit der gleichen Tendenz erscheinen, Filme werden gedreht und Fernsehserien produziert, das Bild über Lucrezia verfestigt sich – negativ. Friederike Hausmann untersucht die politischen Umstände zu Lebzeiten von Lucrezia – die politischen Machtkämpfe, die Intrigen, die Morde und die Attentate. Und Machtgier und Korruption führen zu Gerüchten und Verleumdungen, die jahrhundertelang das Bild von Lucrezia bestimmen. Dieses ist „Teil der damaligen politischen Machtkämpfe und ist lange Zeit nicht hinterfragt worden.“ (S. 10) Die Autorin konzentriert sich auf die Erschließung der neuesten Forschungsergebnisse und Quellen zu Lucrezias Lebenswelt und „die Einbettung der Figur in die größeren kulturell-gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge.“ (S. 12) Dieses erscheint der Autorin spannender als „eine weitere Ausschmückung der »schwarzen Legende« mit noch mehr Blut, Sex und Gift.“ (S. 12) Von ihrem Vater Papst Alexander VI. wird Lucrezia als Spielball um Macht und Land missbraucht. Ehen werden geschlossen und durch Nachkommen bekräftigt. Die drei Zwangsehen diktieren ausschließlich die dynastischen Interessen, die erste als 13jährige mit Giovanni Sforza wird aufgelöst, als sie den Nutzen für die Borgias verliert, die zweite mit Alfonso von Aragon endet mit dessen Ermordung vermutlich auf Anweisung des Papstes, in der dritten mit Alfonso d`Este, Herzog von Ferrara, bleibt sie bis zu dessen Tod 1500 verheiratet. Erst nach Alexanders Tod 1503 wird sie als Herzogin von Ferrara zu einer der einflussreichsten Gestalten der Borgias. Hier zeigt sich ihr Interesse an Bildung, Literatur und Musik und ihr Gespür für das Geschäftsleben. Sie ist Grundbesitzerin, erwirbt Ländereien, lässt Sümpfe trockenlegen und gewinnt so Ackerflächen, betreibt Viehzucht, reinvestiert Gewinne und verwaltet den päpstlichen Hof. Neider und Feinde der Borgias streuen Gerüchte – siehe oben.

        Die Autorin zeigt mit viel Einfühlungsvermögen, wie erniedrigend das Leben einer Frau an einem von Männern bestimmten und geleiteten Hof ist, „weil sie eine Frau war, immer eine Randfigur“ bleibt (S. 12) und sich Verleumdungen mit Fakten vermischen. Durch eine sorgfältige Auswertung der aufgefundenen Briefe und Schriften und die Einbindung der Lebenswelt der Borgias in die europäische Politik werden viele Vorurteile entkräftet. Die Autorin löst das im Vorwort gegebene Versprechen ein, ein kritisch-ausgewogenes Bild von Lucrezia Borgia zu bieten – zwischen Glanz und Gewalt.

         

        Klaus Malettke: Katharina von Medici. Frankreichs verkannte Königin. Paderborn: Verl. Ferdinand ­Schöningh, 2020. VIII, 403 S. ISBN 978-3-506-70332-3. € 78.00

          Klaus Malettke befasst sich nach einem dreibändigen Werk über die Bourbonen-Dynastie und umfangreichen Biografien über Richelieu und Heinrich IV. als erster deutscher Historiker mit Katharina von Medici (1519–1589), der Gemahlin Heinrichs II. von Frankreich und Mutter der drei letzten Valois-Könige Franz II., Karl IX. und Heinrich III. Wie bei Lucrezia Borgia begleitet Katharina das ungeprüft übernommene Urteil einer „schwarzen Legende“ von ihrer Regentschaft an bis heute: Sie gilt als herrschsüchtige und skrupellose Intrigantin, die ihre Söhne manipuliert und Frankreich ins Unglück stürzt. Sie gilt als Hauptverantwortliche an der Verschärfung des Konfliktes zwischen Katholiken und Hugenotten mit dem Höhepunkt, dem Massaker an den Hugenotten 1572, das als Bartholomäusnacht in die Geschichte Frankreichs und der Reformation eingeht – ein Alleinstellungsmerkmal, das auch, wie im Falle der Lucrezia Borgia, Schriftsteller und Regisseure bis in die vergangenen Jahrzehnte beseelt, in ihren weit verbreiteten Romanen, Historienfilmen und Fernsehserien aber eine verzerrte Darstellung von Leben und Werk präsentieren. Hasserfüllte Pamphlete „stellen sozusagen die Matrix dar, die der ‚Schwarzen Legende‘ über Katharina von Medici zugrunde liegt.“ (S. 3)

          Ein Meilenstein in der objektiveren Betrachtung von Katharina ist die schon zwischen 1880 und 1909 veröffentlichte zehnbändige Briefkorrespondenz. Auf diese und zeitgenössische Nuntiaturberichte und andere diplomatische Quellen stützt sich Malettke wohl ausführlicher und intensiver als andere Autoren.

          Katharina entstammt der Familie der Medici, die Florenz bis auf zwei Unterbrechungen von 1434 bis 1737 beherrscht. Sie ist die einzige Tochter von Herzog Lorenzo von Urbino, heiratet im Alter von 14 Jahren den gleichaltrigen Heinrich von Orléans, zieht in den französischen Hof ein, der bis zu ihrem Lebensende ihre Wirkungsstätte bleibt.

          Die erste ausführliche deutsche Biografie über Katharina von Medici wird dankend angenommen. Sie ist quellenah, relativiert die Ereignisse um die Bartholomäusnacht. Malettke kommt zu dem Ergebnis, dass Katharina „trotz aller Eingebundenheit in die Gepflogenheiten, Verhaltensweisen und Traditionen ihrer Zeit eine erstaunlich moderne und pragmatische Frau sowie herausragende Persönlichkeit“ (S. 357) ist. „Ihr gelang es, in der damaligen Männerwelt lange Zeit eine führende, maßgebliche politische Rolle spielen zu können, um Frankreich vor dem Schlimmsten, vor dem völligen Ruin – wie sie selbst immer wieder betonte – zu bewahren und um ihren Söhnen den Königsthron zu erhalten … Die schon früh von ihren zahlreichen Gegnern … in die Welt gesetzt Schwarze Legende … entbehrt jeder berechtigten Grundlage.“ (S. 357)

          „Verbunden damit ist der Wunsch, dem Leser zugleich einen fundierten Einblick in das damalige Geschehen in Frankreich und in die Geschichte der internationalen Beziehungen jener Zeit zu vermitteln.“ (S. 3) Das ist dem Autor sehr gut gelungen, wenn auch die (zu) häufigen Zitate aus dem Briefwechsel das Lesen beeinträchtigen. Der hohe Preis verhindert leider eine große Verbreitung.

           

          Thomas Kielinger: Die Königin Elisabeth I. und der Kampf um England. Biografie. München: C.H. Beck, 2019. 375 S. ISBN 978-3-406-73237-9. € 24.95

            Nach Elisabeth II. und Winston Churchill widmet sich Thomas Kielinger in einer fesselnd geschriebenen Biographie Königin Elisabeth I. (1533–1603). Im Gegensatz zu anderen Biographen und Autoren von Romanen, Schauspielen und Filmen, die häufig das Leben verkürzt und einseitig wiedergeben, aber über lange Zeiträume im Gedächtnis bleiben, schildert Kielinger vollumfänglich das Leben der Monarchin.

            „Was macht eine Frau, die im 16. Jahrhundert den Thron Englands bestieg, so herausragend, dass man sie auch noch 450 Jahre später auf Anhieb wiedererkennt?“ (S. 11) „Sie lebt ihrem Land … eine Façon vor, die sich der englischen DNA tief eingeprägt und einen Charakter angelegt hat, der bis heute anzutreffen ist.“ (S. 12) Wir begegnen einer energischen, entschlossenen, hochgebildeten, sechs Sprachen fließend beherrschenden und scharfzüngigen Person und einer Meisterin des Kompromisses. Sie ist die Tochter von Heinrich VIII., Enkelin von Heinrich VII, Urenkelin von Edmund Tudor, und das fünfte und letzte Mitglied der Tudor-Dynastie auf dem englischen Thron. Ihre Mutter Anne Boleyn, Ehefrau Nummer Zwei von Heinrich VIII., wird wegen angeblicher Untreue hingerichtet, von ihrer katholischen Halbschwester und Vorgängerin auf dem Thron, Mary I., wird sie in den Tower geworfen, eine ihrer Stiefmütter wird hingerichtet, zwei weitere und ihre Halbschwester Maria sterben im Kindbett. Diese Kindheit und Jugend prägen ihre Amtszeit als Königin, auch ihren Entschluss, nicht zu heiraten und kinderlos zu bleiben – sie wollte mit niemandem die Macht teilen. Es sind vor allem die politischen Interessen ihres Landes, die ihr Handeln bestimmen. Perfekt beherrscht sie die politischen Ränkespiele. Sie will Frieden für England, der Zusammenhalt des Gemeinwesens ist ihr wichtiger „als der zweifelhafte Ruhm fremder Eroberungen.“ (S. 14) Ihre Stärke ist, „dass sie nicht den religiösen Fanatismus ihres Zeitalters teilte, sondern zur Definition des nationalen Interesses von absolut säkulären Grundsätzen ausging“ (S. 352) Gerade in Zeiten, da sich Katholiken und Protestanten bekriegen, tritt sie außenpolitisch defensiv auf. Mit der Gründung der Anglikanischen Kirche beendet sie die religiösen Wirren.

            „Der Patriotismus, der sich in ihrer Ära zum ersten Mal herausbildete, als Bewusstsein eines homogenen Nationalgefühls, fand seine Nahrung in dieser Entschlossenheit der Monarchin, das ihr anvertraute Erbe zu bewahren.“ (S. 13) „Sie besitzt eine charismatische Fähigkeit, ihre Umwelt an sich zu binden.“ (S. 351)

            Dummköpfe kann sie nur schwer ertragen, und so ist es kein Zufall, dass dieses Elisabethanische Zeitalter von William Shakespeare, Christopher Marlowe, Ben Jonson und Francis Bacon, dem Aufstieg Englands zur Seemacht und dem wirtschaftlichen Aufblühen des Landes gekrönt wird. Trotzdem werden viele Todesurteile gefällt und vollstreckt, das betrifft auch die in Ungnade gefallene Widersacherin, die Königin von Schottland, Maria Stuart. „Ihr Geschlecht war den Frauenverächtern eine dauernde Herausforderung, für sie selber dagegen die Quelle ihrer fast mystischen, dabei prekären Stabilität.“ (S. 15) Sie ist eine starke, kluge Frau, die in schwierigen Zeiten des Patriarchats und der Glaubenskriege regiert. Sie ist „eine Gründungsfigur englischer Identität.“ (S. 15) „Ich weiß, dass ich zwar den Leib eines schwachen, kraftlosen Weibes habe, dafür aber Herz und Mark eines Königs, noch dazu eines Königs von England“ (S. 348) – ein Zitat aus Elisabeths Tilbury-Rede 1588, in der sie sich an ihre dort versammelten Truppen richtet, um die Invasion der spanischen Armada abzuwehren. Die Rede bildet „den rhetorischen Hintergrund für viele Ansprachen Winston Churchills, mit denen er im Zweiten Weltkrieg das Rückgrat seines Landes zu stärken versucht“ (S. 353), und sie gilt heute m.E. noch als Brexit-Blaupause.

            Ein gekonnt geschriebenes und gut strukturiertes Buch, dem eine weite Verbreitung zu wünschen ist. P.S. Es ist auch das Verdienst von Elisabeth I., dass der Übergang von den Tudors zu den Stuarts nach ihrem Tod friedlich verläuft. Ihr Nachfolger wird König Jakob VI. von Schottland, der Sohn Maria Stuarts und Urenkel der Schwester Heinrichs VIII., Margaret Tudor. Er nennt sich Jakob I. von England und Schottland und vereinigt damit als erster König die beiden Königreiche.

             

            Joost Welten in Zusammenarbeit mit Lena Reyners: Die vergessenen Prinzessinnen von Thorn (17001794). Regensburg: Schnell & Steiner, 2021. 512 S. ISBN 978-3-7954-3648-3. € 39.90

              Die vergessenen Prinzessinnen von Thorn ist ein außergewöhnliches Buch; es behandelt erstmals ein in Vergessenheit geratenes Stift, und es ist in jeder Hinsicht ein buchgestalterisch vorzügliches Objekt (Umschlaggestaltung, Typografie, Abbildungen, informationsgerechte Erschließung).

              Der Ort Thorn ist heute ein Städtchen in der niederländischen Provinz Limburg, hervorgegangen aus einer um 975 gestifteten Benediktinerinnenabtei, die bis 1795 existiert. Im 12. Jahrhundert wandelt sich diese Abtei in ein freiweltliches Damenstift, das spätere Reichsstift Thorn, in das nur unverheiratete Frauen aus dem Hochadel eintreten können. Obwohl klösterlicher Besitz, ist das Reichsstift reichsunmittelbares Fürstentum – unter Leitung der jeweiligen Äbtissin. Dieses Damenstift macht Thorn zu einer wohlhabenden Stadt. Ein Ministaat, der von aristokratischen Frauen regiert wird!

              Bisher kaum erforscht ist das Leben der Stiftsdamen in der Frühmoderne (1700–1794). Das hat mehrere Gründe: Ein Desinteresse durch die Lage von Thorn und dessen Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu Staaten oder Nationen in Europa, „das Missverständnis über den Charakter des Stifts, katholische Frauen sind ein Phänomen, das von der Schockwelle der Französischen Revolution und den Napoleonischen Kriegen für immer fortgerissen wurde“ (S. 25-26) und schließlich die mangelhafte Auswertung umfangreichen, zum Teil unerschlossenen Materials. Das Buch gibt einen sehr detaillierten Einblick in das Leben von Frauen der Oberschicht im 18. Jahrhundert. Es handelt von Frauen, die für kürzere oder längere Zeit in Thorn leben. Sie alle sind Prinzessinnen oder Gräfinnen, wachsen „in Schlössern, Landsitzen und Palais auf. Sie sind gewohnt, dass jederzeit Bedienstete für sie bereitstehen. Sie lernen Französisch und verfügen über Netzwerke, die sich über halb oder ganz Europa erstrecken. Sie lernen singen, musizieren, tanzen und zeichnen und haben schier unendliche Muße, um sich ihren Hobbys zu widmen.“ (S. 17, 19) Sie sind in einem goldenen Käfig und werden auf ihr Leben im Hochadel vorbereitet.

              Der Autor legt den Hauptakzent auf die Zeit unter der letzten Äbtissin von Thurn, Kunigunde von Sachsen (1740– 1826). In den ersten drei Kapiteln wird das adlige Milieu dargestellt, in dem sie sich bewegt. Es folgen unterschiedliche Erzählstränge zur Fürstäbtissin, zu ihrer Gegenspielerin Gabriela Prinzessin zu Salm-Salm und zu Frauen, die aus der ihnen zugewiesenen Rolle fallen wie Felicitas Gräfin von Merode. Im Schlusskapitel werden diese Erzählstränge wieder miteinander verwoben, und „es entsteht ein Bild des Alltags der Stiftsdamen in Thron im 18. Jahrhundert.“ (S. 34) 1794 marschieren französische Truppen ein, konfiszieren das Stift und beenden die Stifts-Herrschaft. Mit seinem Buch will der Autor dem Alltag der Frauen so nah wie möglich kommen, das gelingt ihm ausgezeichnet.

               

              Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth und die Erlanger Univer sität – Künste und Wissenschaften im Dialog / Hrsg. Christina Strunck. Petersberg: Michael Imhof Verl., 2019. 352 S. (Schriftenreihe des Erlanger Instituts für Kunstgeschichte. Band 7; Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte. 170) ISBN 978-3-7319-0898-2. € 59.00

                Friedrike Sophie Wilhelmine von Preußen (1709–1758) ist die älteste Tochter von Friedrich Wilhelm I. und Sophie Dorothea von Hannover. Durch Heirat mit dem Erbprinzen des Fürstentums Bayreuth Friedrich von BrandenburgBayreuth wird sie 1731 Markgräfin von Brandenburg-Bay-reuth. Nach dem Tod ihres Schwiegervaters Georg Friedrich Karl 1735 hat sie einen großen Anteil an der Modernisierung des Landes und prägt als Kunstmäzenin, Komponistin und Opernintendantin in bedeutendem Maße das kulturelle Leben der Stadt Bayreuth und der Zweitresidenz Erlangen. Sie spielt perfekt Cembalo und Laute und gehört zu den wenigen Komponistinnen ihrer Epoche, die Opern schreiben. Ihre Bibliothek umfasst über 4.000 Bücher. Sie verfasst ihre Memoiren, widmet sich wissenschaftlichen Studien und gründet 1756 die „Akademie der freien Künste und Wissenschaften in Bayreuth“. Im Nachlass befindet sich eine umfangreiche Korrespondenz, so mit ihrem Bruder Friedrich dem Großen und Voltaire. 1742 wird in Bayreuth eine Universität gegründet, die ein Jahr später nach Erlangen verlegt wird. Die Markgräfin gilt als deren Mitbegründerin und Förderin. Zum 275. Gründungsjubiläum der heutigen Friedich-AlexanderUniversität Erlangen-Nürnberg findet 2018 die Tagung Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth und die Erlanger Universität – Künste und Wissenschaften im Dialog statt. Deren Ergebnisse liegen in einem formidablen Band vor. In einer Einführung und 22 Beiträgen zeigt sich die bedeutende Rolle der Markgräfin als Impulsgeberin und Mitgestalterin. Im Zentrum stehen die Beziehungen von Hof und Universität, die Kunstpatronage des Hofes, die Austauschbeziehungen zwischen der Markgräfin und ihren königlichen Geschwistern (beispielsweise die Briefe an ihre Schwester Amalie von Preußen und an ihren Bruder Friedrich den Großen), Bayreuth als Zentrum der Musik- und Opernkultur (hier auch ein Beitrag zum Musikdrama L`Humo der Markgräfin), die Bedeutung der Bibliotheken (am Beispiel der Bibliothek der Markgräfin als Inspirationsquelle für ihre Kunst- und Bauprojekte sowie einem Vergleich der Bibliothek der Markgräfin mit den Bibliotheken der Grafen von Griech in Schloss Thurnau) sowie Bemerkungen zur Italienreise des Markgrafenpaars 1754/55.

                Das ist eine beeindruckende Dichte an Forschungsergebnissen zur Bedeutung der bestens vernetzten Markgräfin als Protagonistin und damit eine erfolgversprechende Grundlage für weitere Forschungen.

                 

                Fürstin Pauline. Europäische Akteurin und Lippische Landesmutter / Hrsg. Milena Kempkes et al. Oppenheim am Rhein: Nünnerich-Asmus Verl., 2020. 175 S. (Schriften des Lippischen Landesmuseums XI) ISBN 978-3-96176-130-2. € 25.00

                  Prinzessin Pauline Christine Wilhelmine von Anhalt-Bernburg (1769–1820) ist das zweite Kind des regierenden Fürsten Friedrich Albrecht und seiner Frau Luise Albertine geb. Prinzessin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Plön. Sie heiratet 1796 Leopold I. Fürst zur Lippe. Dieser verstirbt 1802, und so übernimmt Pauline die Regentschaft für ihren unmündigen Sohn, den späteren Fürsten Leopold II. und ist von 1802 bis 1820 Regentin des Fürstentums Lippe.

                  Eine umfangreiche Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum anlässlich des 200. Todestages und ein imposanter Begleitband Fürstin Pauline. Europäische Akteurin und Lippische Landesmutter würdigen eine außergewöhnliche Frau. Gemäß dem Motto der Tagung stehen die politische Akteurin und die Lippische Landesmutter im Mittelpunkt. Viele Gesichtspunkte der in acht Beiträgen dargebotenen Themen werden bisher wenig beachtet oder sind gar unbekannt.

                  In der Außenpolitik durchbricht die Fürstin das männliche Monopol mit dem Ziel der Erhaltung der Selbständigkeit des Fürstentums, die sie selbst in den Wirren der napoleonischen Ära bewahrt. Ohne auf die umfangreichen Details einzugehen, stehen am Ende aller Bemühungen die auf dem Wiener Kongress 1815 bestätigte Souveränität. Pauline ist „wichtigste Symbolfigur lippischer Autonomie“ und eine „gesamtwestfälische Erinnerungsfigur“. (S. 172)

                  In der Innenpolitik ist es das soziale Engagement der Fürstin. Mit großer Leidenschaft geht sie die großen sozialen Probleme des Fürstentums an. 1809 hebt sie durch fürstliche Verordnung die Leibeigenschaft der Bauern auf. Nach und nach verbessert sie die Infrastruktur durch den Bau von Chausseen und die Einführung einer Straßenbeleuchtung mittels Öllaternen. Als Förderin von Kunst und Literatur trägt sie essenziell zur Entwicklung der Bibliothek des Fürstenhauses bei. Die 1819 veranlasste Zusammenlegung der bestehenden Büchersammlungen bildet den Grundstock der städtischen Bibliothek Ballenstedt, die heute den Namen „Fürstin Pauline Bibliothek“ trägt. Im Zentrum ihrer Wohlfahrtspolitik steht die Detmolder Pflegeanstalt, die sechs selbständig arbeitende Einrichtungen vereinigt: Erwerbsschule, Freiwilliges Arbeitshaus, Krankenhaus, Waisenhaus, Lehrerseminar, Kinderbewahranstalt. Die nach dem Vorbild Rousseaus errichtete Kinderbewahranstalt ist der erste Kindergarten in Deutschland. Von Mitte Juni bis Ende Oktober werden hier bis zu 20 Kinder, die nicht älter als vier Jahre sein dürfen, von morgens bis in den späten Abend betreut, damit ihre Mütter ungestört der Feldarbeit nachgegen können. „In der Zusammenschau der Geschichte der Kinderbewahranstalten“ ist sie „sicherlich als Wegbereiter und Impulsgeber für die späteren Kindergärten und Kindertagesstätten zu sehen.“ (S. 119) Ein großartiges ineinandergreifendes System verschiedener Wohlfahrtseinrichtungen, in denen jeder Bedürftige Hilfe erhält. Diese lebt bis heute in der Fürstin-Pauline-Stiftung fort.

                  Mit ihren Reformen beschreitet Pauline „neue, zukunftsweisende Wege.“ (S. 27) Aber ein „endgültiges, authentisches Bild der Fürstin zu zeichnen, wird uns kaum möglich sein; was sie am Ende auszeichnet, sind ihre Taten.“ (S. 172) Sie neben Katharina der Großen, Elisabeth I. und Maria Theresia einzuordnen und in die Reihe bedeutender weiblicher Herrscherfiguren zu stellen (z.B. Presseinformation des Verlags, außerdem S. 13), ist wohl doch zu weit hergeholt. Trotzdem: Ein prachtvolles Gemälde einer außerordentlichen Fürstin!

                   

                  Ulrike Grunewald: Die Schand-Luise. Der Skandal um Queen Victorias verstoßene Schwiegermutter. Darmstadt: wbg Theiss, 2019. 287 S. ISBN 978-3-8062-3889-1. € 25.00

                    Prinzessin Luise Pauline Charlotte Friederike Auguste von Sachsen-Gotha-Altenburg (1800–1831) ist die einzige Tochter von Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg und dessen erster Ehefrau Luise Charlotte zu Mecklenburg. Sie heiratet mit 16 Jahren den doppelt so alten und mit einem schlechten Ruf als Lebemann belegten Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Saalfeld. Sie sieht in ihm den Märchenprinzen, er heiratet sie aus machtpolitischen Gründen und zur Zeugung legitimer Nachkommen, aus der Ehe gehen die Söhne Herzog II. von Sachsen-Coburg und Gotha und Prinz Albert, späterer Ehemann von Queen Victoria, hervor. Obwohl Luise die direkte Vorfahrin der britischen Königsfamilie und in vielen Ahnentafeln des europäischen Adels verzeichnet ist, ist sie selbst Historikern kaum bekannt.

                    Nach gesicherter Nachfolge wendet sich der Herzog von seiner Frau ab, die nun in ihrer Einsamkeit Liebhaber vorwiegend aus dem Kreis der Bediensteten hat. Das ist genau die Waffe, die der Herzog benötigt, um seine Frau vom Hof zu verbannen und sich von ihr scheiden zu lassen. Er beschuldigt Luise des Ehebruchs, gebrandmarkt als Schand-Luise wird sie vom Hof verstoßen, von ihren Kindern lebenslang getrennt und nach St. Wendel im Fürstentum Lichtenberg verbannt. Sie heiratet 1826 den Grafen von Pölzig und Beiersdorf und verstirbt nach schwerer Krankheit 31jährig.

                    Luise gerät sehr schnell in Vergessenheit. Übrigens lernt Queen Victoria ihre Schwiegertochter nie kennen, sie verstirbt 1831, Victoria heiratet Albert erst 1840. Deshalb ist der Untertitel m.E. eine kaufmännische Verlockung. Die Autorin zeigt in diesem gründlich recherchierten Buch, wie aus einem naiven, mit Ahnungslosigkeit gesegneten Mädchen eine verfemte Frau wird, die der Gesellschaft zum Fraß vorgeworfen wird. „Luise war eine unkonventionelle Prinzessin, die sich den höfischen Regeln nicht unterwerfen wollte – eine Frau mit romantischen Ideen und einem eisernen Willen, der ihre Gegner das Fürchten lehrte.“ (S. 7). Die Autorin verbindet das Schicksal von Luise mit dem Aufstieg des Hauses Sachsen-Coburg und Gotha von einer verarmten und unbedeutenden sächsischen Dynastie zu einem der mächtigsten und einflussreichsten Adelshäuser des 19. Jahrhundert“. (S. 26) Es ist der Grundstein zu einem Aufstieg, „der sie am Ende des 19. Jahrhunderts auf die Throne Deutschlands, England, Belgiens, Spaniens, Bulgariens, Rumänien, Russlands, Schwedens und sogar Mexikos bringen sollte.“ (S. 27) Ein wichtiges Buch! Leider fehlen zur besseren Lesbarkeit Personenregister und Ahnentafeln.

                     

                    Cornelia Oelwein: Amalie von Stubenrauch (1805-1876). Bühnenstar und Geliebte des Königs. Stuttgart: Verl. W. Kohlhammer, 2020. 307 S. ISBN 978-3-17-037745-5. € 34.00

                      „Der Name Amalie von Stubenrauch ist bis heute … in den Standardwerken zur Theatergeschichte verzeichnet“ (S. 293), aber ein angemessener Platz in der Geschichte Württembergs fehlt. Dieser Aufgabe unterzieht sich Cornelia Oelwein mit dieser ersten Biografie über Amalie von Stubenrauch.

                      Die in München geborene Amalie von Stubenrauch (1805– 1876) ist die Tochter des königlichen Revisors Johann von Stubenrauch und dessen Ehefrau Walburga geb. Mossmayr. Amalies Leidenschaft gilt dem Theater. Nach solider Ausbildung tritt sie auf mehreren Bühnen auf und wird im Rollenfach der tragischen Liebhaberin zum Publikumsliebling, so in München, Frankfurt am Main und Darmstadt. 1829 erhält sie ein Engagement am Königlichen Hoftheater in Stuttgart – mit Folgen. Es entsteht ein sehr enges Verhältnis zu König Wilhelm I. (1781–1864), begünstigt durch die Entfremdung des Königspaares. Diese Liaison währt über 30 Jahre bis zum Tod des Königs, seine Mätresse ist sie aber nie. Der Neid mancher Zeitgenossen ist vorprogrammiert, er geht bis zu einer 1848 anonym veröffentlichten Schmähschrift, in der Amalie mit Lola Montez verglichen wird.

                      „Für eine Frau des 19. Jahrhunderts führte sie ein erstaunlich selbstbestimmtes bürgerliches Leben.“ (S. 11) Das wird besonders deutlich an ihrem Salon, in dem sich Schauspieler, Musiker, Literaten und Damen und Herren der „feinen“ Gesellschaft treffen – Karl Gutzkow, Gustav Schwab, Alexander von Unger-Sternberg, Giacomo Meyerbeer, Wilhelm Hauff u.v.a.

                      Nach dem Tod von Wilhelm I. verlässt sie auf Drängen der Königsfamilie das Königreich, lässt sich auf einem Gut in Tegernsee nieder und verstirbt dort 1876. „So endete wenig spektakulär und von der Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt das bewegte Leben der einst gefeierten Diva und Geliebten des Königs … Kein Wort zu König Wilhelm und dem Verhältnis zu Amalie … König Karl hatte den Zeitungen einen Maulkorb verhängt.“ (S. 290-291) Der Autorin gelingt es ausgezeichnet, dem Leser „die kluge und emphatische Frau, deren Erscheinung bis ins hohe Alter imponierend gewesen sein soll“ (S. 294) nahezubringen.

                       

                      Marita Krauss: „Ich habe dem starken Geschlecht überall den Fehdehandschuh hingeworfen.“ Das Leben der Lola Montez. München: C.H. Beck, 2020. 343 S. ISBN 978-3-406-75524-8. € 19.95

                        Wer ist Lola Montez (1821–1861)? Franz Grillparzer wird zu dem Trauerspiel „Die Jüdin von Toledo“ inspiriert, Prosper Mérimée erfindet seine Figur der Carmen, Frank Wedekinds männermordende „Lulu“ ist ihr nachempfunden, es gibt zahlreiche Filme von Robert Heymanns „Lola Montez“ 1918 bis Max Ophüls` Film gleichen Titels 1955, 1937 bringt Eduard Künneke die Operette „Zauberin Lola“ auf die Bühne und zwei Jahre später Léonide Massine das Ballett „Bacchanale“, die Figur der Rosa Fröhlich in Carl Zuckmayers Drehbuch zu dem Film „Der blaue Engel“ von 1930 nach dem Roman „Professor Unrat“ von Heinrich Mann wird als „fesche Lola“ weltberühmt. Alles hübsche Garnierungen, „Lola Montez, die Kunstfigur, erlebt in jeder Epoche eine Auferstehung … bereits zu ihren Lebzeiten wie nach ihrem Tod fügten weltweit hunderte Journalisten, Romanciers, Filmemacher und Historiker neue Details und Facetten zur Lebensgeschichte dieser Frau hinzu, übernahmen alte Berichte und schmückten sie aus.“ (S. 292, 8-9) Die Biographen sind „meist Männer und nicht primär Historiker.“ (S. 10)

                        Marita Krauss ist die erste Wissenschaftlerin, die das Leben der Lola Montez akribisch recherchiert und mit vielen Missverständnissen aufräumt. Dazu nutzt sie erstmals Quellen, über welche die bisherigen Biographen nicht verfügen, die Tagebücher König Ludwigs I. und andere wenig beachtete Quellen wie Briefe und Zeitungsberichte, sie entmystifiziert auch die zweibändigen Memoiren. Hier nur kurz die wichtigsten Stationen der Lola Montez: Elizabeth Rosanna Gilbert ist die Tochter eines schottischen Offiziers und einer irischen Landadligen. Von Jugend an widersetzt sie sich allen Konventionen. Im hochmoralischen viktorianischen England gibt es für sie keine Möglichkeit der Entfaltung. Mit 16 Jahren brennt sie mit ihrem mittellosen Liebhaber, einem englischen Offizier, durch, heiratet ihn und zieht nach Indien. Nach der Trennung geht sie nach London und lernt die spanische Sprache und spanische Tänze. Mit 22 Jahren tingelt sie als Kunstfigur, als spanische Tänzerin „Lola Montez“, durch die Metropolen Europas, sie wird gefeiert, sie polarisiert, sie ist reich mit Affären gesegnet. Zu ihren Verehrern gehören auch Alexandre Dumas der Ältere und Franz Liszt. Nach zwei Jahren in der Pariser Halbwelt kommt sie ohne gültige Papiere 1846 in München an und beginnt mit 25 Jahren eine für das Königreich Bayern folgenschwere Affäre mit König Ludwig I., von ihm 1847 mit einem jährlichen Gehalt von 10.000 Gulden, einem Palais und dem Adels­titel Marie Gräfin von Landsfeld ausgestattet, muss sie 1848 unter den Augen der aufgebrachten Bevölkerung fliehen, der König tritt ab. Lola bleibt eine Getriebene, sie vermarktet ihr Leben am Broadway in New York und in den Outbacks Australiens. Kurz vor ihrem 40. Geburtstag verstirbt sie in New York.

                        Die Autorin seziert das Leben der Lola wissenschaftlich akribisch. Sie zeigt, was für eine unzeitgemäße Frau Lola ist. Sie untersucht auch das bislang wenig beachtete Leben in der Kindheit und frühen Jugend und insbesondere das Leben in München. Sie zeigt, was für eine belesene, gescheite und mehrere Sprachen beherrschende Frau Lola ist. Mit ihrem abenteuerlichen Leben gehört sie zu den wenigen Frauen ihrer Zeit, „die ihr Leben weitgehend auf Reisen verbrachte. Das allein war unerhört, sensationell, ja unanständig.“ (S. 12) Das vielseitige abenteuerliche Leben wird in den Kontext der Funktionsweisen und Geschlechterverhältnisse des 19. Jahrhunderts gestellt. Einen Zusammenhang mit der Geschichte der Frauenbewegung und des Feminismus sieht die Autorin nicht, Lola ist eine Alleindarstellerin.

                        Dieses brillante Buch ist ein wichtiger Ausgangspukt für eine Beschäftigung der Literatur- und Kulturwissenschaft mit Lola Montez. (ds)

                        Prof. em. Dieter Schmidmaier (ds), geb. 1938 in Leipzig, studierte Bibliothekswissenschaft und Physik an der Humboldt-Universität  Berlin, war von 1967 bis 1988 Bibliotheksdirektor an der Bergakademie Freiberg und von 1989 bis 1990 General­direktor der Deutschen Staatsbibliothek Berlin.

                        dieter.schmidmaier@schmidma.com

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