Recht

Grundgesetzkommentare

Aus: fachbuchjournal Ausgabe 4/2018

Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Gemeinwesens ist notwendig eine Rahmenordnung, will sie nicht ihren Geltungsanspruch in den Niederungen technizistischer Details der Staatsorganisation und der Grundrechtsgewährleistung preisgeben. Gerade in seinem Grundrechtsteil ist auch das Grundgesetz jenem Gedanken der Gewährleistung basaler Rechte verpflichtet. Verfassungen als Rahmenordnungen sind in besonderer Weise auf ihre Konkretisierung als gelebte Ordnungen angewiesen. Prägend für das Grundgesetz ist so, je nach den auch vom Zeitgeist geprägten gesellschaftlichen Entwicklungen, ein eben nicht nur, aber zum ersten auch vom verfassungsändernden Gesetzgeber getriebener Verfassungswandel. Verfassungen sind dynamisch. Zugleich teilen sie die Eigenschaft allen Rechts zu immer ausdifferenzierteren und damit auch detaillierteren dogmatischen Strukturen. Wesentlicher Motor dieser Ausdifferenzierung und Dynamik ist zum zweiten die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. So hat einerseits im Jahr 2017 der Gesetzgeber zur Fortentwicklung des Verfassungsrechts beigetragen. Grundlegende Anpassungen hat die Finanzverfassung vor allem mit der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs erfahren. Schließlich hat der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der nicht unproblematischen Norm des Art. 21 Abs. 3 GG – dem Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von staatlicher Förderung – Impulse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren aufgenommen. Auch in den letzten Jahren hat andererseits das Bundesverfassungsgericht zur Konkretisierung und zum Wandel des Verfassungsrechts und seiner dogmatischen Durchdringung ganz erheblich beigetragen. Auch außerhalb des veränderten Normtextes ist so hinreichend Anlass für Neuauflagen etablierter Kommentare, die im Folgenden vorgestellt sein sollen.

 

Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Auflage 2018. Buch. LXVII, 2820 S. Hardcover, C.H.BECK, 

ISBN 978-3-406-70974-6, EUR 199,00.

Die einbändige von Michael Sachs herausgegebene Kommentierung des Grundgesetzes zeichnet sich auch in der Neuauflage durch zwei hervorstechende Eigenschaften aus. Die Kommentierungen bleiben in ihrer grundsätzlichen Anlage klar strukturiert und sie konzentrieren sich trotz ihres beachtlichen Umfanges auf das Wesentliche; und sie tun dies auf aktuellem Stand. Beide Umstände lassen auf ein erfolgreiches Regiment des Herausgebers schließen, finden sich doch kaum in den Kommentierungen strukturelle Abweichungen des einheitlichen Bildes. Die Kommentierungen werden eingeleitet von kurzen Hinweisen auf die Entstehungsgeschichte, der Wiedergabe historischer Verfassungstexte, dem interföderalen Vergleich verpflichtete Angaben der landesverfassungsrechtlichen Entsprechungen sowie ausgewählter Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und durchweg übersichtlich gehaltener Literaturhinweise. Diese Übersichten bzw. Verweise entlasten die Kommentierung, die insbesondere in Bezug auf die Entstehungsgeschichte es mit knappen Hinweisen regelmäßig genügen lässt. Warum noch immer auf die Materialien im ersten Band des Jahrbuchs des öffentlichen Rechts zur Entstehungsgeschichte verwiesen wird, ist allerdings angesichts der wissenschaftlich vorzüglich edierten Materialien des parlamentarischen Rates kaum einsichtig. Die Kommentierungen sind natürlich unterschiedlich, durchweg allerdings von hohem Niveau, das durch die leicht veränderte Zusammensetzung der Autorenschaft nachhaltig gesichert wird. Die Verfassungsänderungen des Jahres 2017 werden in der Kommentierung abgebildet, wenngleich ansonsten der Bearbeitungsstand den Jahresbeginn abbildet. Liest man die Kommentierungen des Art. 21 GG und des Art. 107 GG, so fällt allerdings auf, dass auf eine strukturelle Implementierung der Neuregelungen in den Kommentierungen verzichtet wurde und auf die Neuregelungen eher vergleichbar mit einem Annex eingegangen wird. Angesichts der zeitlichen Abläufe ist dies verständlich, hier bleibt aber deutlich Luft für folgende Auflagen. Die Arbeit mit dem Kommentar wird durch ein sehr detailliertes und überlegtes Sachverzeichnis ungemein erleichtert. Auch in der Neuauflage kann der Sachs seine besonderen Stärken als Grundgesetzkommentierung ausspielen. Natürlich spielen die mehrbändigen Kommentare in einer anderen Liga, sie adressieren aber auch sicher eine andere Zielgruppe. Von den sonstigen einbändigen Grundgesetzkommentierungen hebt sich der Sachs nicht nur durch seinen Umfang, sondern auch durch die damit ermöglichte Tiefe der Ausführungen erfrischend ab. Der Kommentar besetzt damit ein für die praktische Arbeit im und am Verfassungsrecht wichtige Stelle: Verfassungskommission mit hohem wissenschaftlichen Anspruch geht eine Synthese ein mit Konzentration und praktischer Brauchbarkeit.

 

von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz: GG, Kommentar in 3 Bänden, Band 1: Präambel, Art. 1-19, Band 2: Art. 20-82, Band 3: Art. 83-146, hrsg. von Voßkuhle, Andreas/Huber, Peter Michael, 7. Auflage 2018. Buch. CXLVI, 7074 S. Hardcover (In Leinen), C.H.BECK, 

ISBN 978-3-406-71200-5, EUR 799,00.

Inwieweit es einer Kommentierung gelingt, sich dem schnelllebigen Takt des Publikationsgeschehens zu entziehen, kann auch ein Maßstab für Grundsatzorientierung und Verlässlichkeit sein. Seit der Vorauflage im Jahr 2010 hatte der „von Mangoldt“ deshalb umfangreiche normtextliche Veränderungen des Grundgesetzes ebenso zu verarbeiten, wie eine ganze Fülle von Literatur und Rechtsprechung. Zudem zeigt die Neuauflage auch grundsätzliche Änderungen. Dies betrifft zunächst die Herausgeber, ist doch die Herausgeberschaft von Christian Starck auf Andreas Voßkuhle und Peter Michael Huber übergegangen. Auch jenseits der Herausgeberschaft kann man in den Wechseln der Autorenschaft eine deutliche Stärkung wenn man so will der Gerichtsperspektive feststellen, gehören doch nicht nur die Herausgeber, sondern auch nicht wenige Autoren den aktuellen Spruchkörpern des Bundesverfassungsgerichts an. Grundsätzlich dürfte auch die verlegerische Verlagerung des Kommentars vom Verlag Vahlen in die Verantwortung des Mutterverlages C. H. Beck sein. Der äußeren Gestalt der Kommentierung sieht man das insoweit an als den Kommentierungen nunmehr auch kurze Hinweise auf die Entstehungsgeschichte, die historischen Verfassungstexte und die entsprechenden Normen der Landesverfassungen vorangestellt werden. Die durchweg auch in der Kommentierung aufgenommene europäische und internationale Perspektive erkennt man schon an diesen voranstehenden Verweisen, denn hier wird auch auf Verfassungen anderer europäischer Staaten und die supranationalen und internationalen Normwerke verwiesen. Schließlich finden sich auch übersichtliche Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in den jeweiligen Artikeln. Die Arbeit mit dem Kommentar wird jeweils erleichtert durch eine klare Gliederung. Die Kommentierungen sind umfangreich und befinden sich nunmehr durchweg auf dem aktuellen Stand gerade der judikativen Durchdringung der Norm. Hier hat sich die Veränderung der Autorenschaft an unterschiedlichen Stellen durchaus belebend ausgewirkt. Hervorzuheben ist im Übrigen, dass sich die Kommentierung gerade im Grundrechtsteil um eine konsequente Berücksichtigung der Einflüsse der Rechtsprechung des europäischen Menschengerichtshofes und des Gerichtshofs der Europäischen Union bemüht und damit der Einbindung der Verfassung in den Mehrebenen Schutz der Grundrechtsgewährleistungen Rechnung trägt. Auch die jüngsten Verfassungsänderungen sind integral in die Kommentierungen implementiert worden, dies gilt sowohl für den Ausschluss der Förderung verfassungsfeindlicher Parteien in Art. 21 GG als auch für die zwar kondensiert, aber hervorragende Kommentierung des Länderfinanzausgleichs in Art. 107 GG. Alle Kommentierungen werden abgeschlossen mit umfangreichen Literaturhinweisen, die noch als Literaturauswahl firmieren, diesem Ausfallcharakter aber an einigen Stellen durch Straffung deutlicher gerecht werden könnten. Für die Arbeit mit dem Kommentar dürfte das umfangreiche Sachregister eine zentrale Hilfestellung darstellen. Die Herausgeber haben angekündigt, dass der Kommentar in der Folgeauflage allein unter „von Mangoldt“ firmieren wird. Dies dürfte schon heute den Markenkern deutlicher abbilden als es der derzeitige Titel in Rücksichtnahme auf die früheren Herausgeber tut. Der Verlag verspricht „klare Linien im Verfassungsrecht“. Diese vermittelt der Kommentar in der Tat. Nachdem die Vorauflage etwas in die Jahre gekommen war, findet die Kommentierung nicht nur Anschluss an die Entwicklung und Dynamik des Verfassungsrechts, sondern vermag ihr klare Strukturen in der dogmatischen Durchdringung zu geben. Die Neuauflage erfüllt so in idealer Weise die Funktionen eines Kommentars. Gerade die offene Rahmenordnung der Verfassung ist auf trittsicheres Geleit angewiesen. Die Neuauflage bietet es. Hiervon kann nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Praxis ungemein profitieren.

 

Dreier, Horst (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bände 1-3, 3. Auflage, Band I: 2013, Band II: 2015, Band III: 2018, Leinen, 6312 Seiten, Mohr Siebeck, ISBN 978-316-150496-9, Subskription bei Gesamtabnahme, EUR 752,00.

Mit Erscheinen des dritten Bandes, der die Kommentierungen der Art. 83-146 GG auf aktuellen Stand bringt, ist die 3. Aufl. des von Horst Dreier herausgegebenen Grundgesetzkommentars abgeschlossen. Die Auflage hat sich so über einen Zeitraum von fünf Jahren hingezogen, hier gilt, dass gerade für die Beharrungskraft des Grundsätzlichen Ausgeführte entsprechend. Im Vergleich zur Vorauflage hat sich an der grundsätzlichen Struktur des Kommentars nichts verändert. Hier hat der Dreier mit seiner klaren Strukturierung, dem Ausweis von Leitentscheidungen und einer knappen Literaturauswahl sowie einem einführenden Stichwortregister bei jeder Kommentierung, Maßstäbe gesetzt, die in der Kommentarlandschaft Nachahmer auf breiter Front gefunden haben. Zur Qualität der einzelnen Kommentierungen ist in der Vergangenheit von namhaften Rezensenten alles Wesentliche ausgeführt worden. Hier gilt es nur Kontinuität nachzutragen: Ausgezeichnet sind die ideengeschichtlichen und entstehungsgeschichtlichen Bezüge zu Beginn einer jeden Kommentierung. Klar abgehoben ist die Arbeit am Normtext von den internationalen, supranationalen und rechtvergleichenden Bezügen. Ob diese Unterscheidung angesichts der zunehmenden Verschränkung der Dogmatik auf nationaler und supra- bzw. internationaler Ebene gerade im Bereich der Grundrechte so in einer Folgeauflage fortgeführt oder zugunsten eines stärker integrierenden Ansatzes zurücktreten wird, mag dahinstehen. Derzeit ist die Ebenentrennung um der Klarheit und Verständlichkeit der Kommentierung willen allerdings ein Vorzug der Kommentierung. Im Kreis der Autoren hat sich im Vergleich zur Erstauflage Mitte der 1990er Jahre der Generationenwechsel fortgesetzt, ohne dass die hervorragende Qualität der Kommentierungen hiervon beeinflusst worden wäre. Im Vorwort deutet der Herausgeber die Vollendung des Generationenwechsels für die Folgeauflage an. Es ist eine nicht verbreitete Tugend, zum richtigen Zeitpunkt loslassen zu können. Was den Dreier durchweg neben dem wissenschaftlichen Ausweis der Autorenschaft und der klaren Struktur der Kommentierung auszeichnet, ist vor allem eine besondere Form der Beschränkung. Hier heißt Literaturauswahl in der Tat Auswahl anhand wissenschaftsadäquater Selektionskriterien. Auch die Nachweise im Fußnotenapparat nehmen die aktuelle Rechtsprechung zwar auf, beschränken sich aber durchweg auf wesentliche Quellen. Die Fußnote ist nicht wie andernorts Fortsetzung der Kommentierung in kleinerer Schriftgröße, sondern auf den Nachweis und die Belegfunktion beschränkt. Was der Kommentar damit behält ist eine große Übersichtlichkeit, die der Materialfülle einen klaren Kontrapunkt entgegensetzt. Dies gilt auch für die Rezeption der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Wenn Verfassungsrechtsdogmatik und Verfassungsrechtwissenschaft einen eigenständigen Beitrag jenseits der intellektuell eher schlichten Interpretation bundesverfassungsgerichtlicher Rechtsprechung liefern, dann ist der Griff zum Dreier eine gute Wahl, um sich diesen Beitrag zu erschließen. Klarheit in der Form, Klarheit im Gedanken und Klarheit in der Sprache sind die Tugenden, die die Lektüre des Kommentars zur Freude machen. Kommentierungen von Verfassungen haben in der Regel nicht die Aufgabe ihrem Gegenstand ein Denkmal zu setzen, sie dienen schlicht der Orientierung in Wissenschaft und Rechtspraxis. Dem Dreier ist in der Neuauflage erneut die Ausnahme gelungen.

 

Jarass, Hans/Pieroth, Bodo, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 15. Aufl., München 2018, C.H. Beck, Geb., 1433 S., 

ISBN 978-3-406-72369-8, EUR 59,00.

Die Neuauflage des etablierten und zu Recht verbreiteten Kommentars bringt die Kommentierung auf den aktuellen Stand der Entwicklung der Verfassungsgesetzgebung und vor allem der Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Knapp und kurz eingeführt findet der Leser sich hier insbesondere in die Regelungen der Finanzverfassungsreform des Jahres 2017 und die Neuregelung der Bund-Länder Finanzbeziehungen. Auch die problematische Neuordnung der staatlichen Parteienfinanzierung findet in einer sorgfältigen Analyse des Artikel 21 GG n. F. Berücksichtigung. Das Besondere des Kommentars liegt zum einen in seiner Beschränkung, und zwar finden sich durchweg umfangreiche Literaturhinweise, die Kommentierung ist aber klar an Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und sonstiger Gerichte ausgerichtet. Dies entlastet ungemein und verhilft doch zu einem verlässlichen Bild des Standes der Verfassungsdogmatik. Gerade im Feld der Grundrechte setzen die Bearbeiter durchaus klare Akzente und nehmen die aktuellen Diskussionen umfassend auf. Auch in der Neuauflage ist der „Jarass/Pieroth“ im Reigen der Grundgesetzkommentare in Format und Umfang sicherlich einer der wenigen, die das Etikett Handkommentar noch verdienen. Wer gelegentlich in die Sphären des Verfassungsrechts aufsteigen will, dem ist der Kommentar dringend zu empfehlen. Vor allem aber ist die Kommentierung didaktisch hervorragend. Es ist weit mehr als ein wertvolles Hilfsmittel für die Examensvorbereitung von Studierenden und Referendaren. Studenten, lest Kommentare! Und wenn ihr sie lest, dann fangt mit dem „Jarass/Pieroth“ an!

Univ.-Prof. Dr. Michael Droege (md) war von 2010 bis 2014 Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht zunächst an der Universität Osnabrück und dann an der Universität Mainz. Seit 2015 hat er einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Verwaltungsrecht, Religionsverfassungsrecht und Kirchenrecht sowie Steuerrecht an der Eberhard Karls Universität Tübingen inne.

sekretariat.droege@jura.uni-tuebingen.de

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