Brendan Simms / Charlie Laderman, Fünf Tage im Dezember. Von Pearl Harbor bis zur Kriegserklärung Hitlers an die USA – Wie sich 1941 das Schicksal der Welt entschied. München: DVA 2021, geb., 638 S., ISBN 978-3-421-04873-8, € 32,00.
Nachdem Kampfbomber des japanischen Kaiserreichs am 7. Dezember 1941 den amerikanischen Marinestützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii angegriffen hatten, erklärte auch Hitler am 11. Dezember den USA den Krieg. Erst mit diesem Schritt wurde der Krieg, der bislang auf verschiedenen Schauplätzen in Europa, Asien und Nord-Afrika tobte, zu einem globalen Krieg. Die USA, die bis dahin nicht am Krieg teilgenommen hatten, mussten ihre isolationistische Haltung aufgeben und fortan einen Kampf gegen die faschistisch-imperialistischen Mächte der sogenannten „Achse“ (Berlin-Rom-Tokyo) an mehreren Fronten führen. Wie es dazu kam und welche dramatischen Entwicklungen der japanische Überfall auf Pearl Harbor in Washington und London, in Berlin, Moskau und Tokyo, bei den deutschen Soldaten an der Ostfront und unter den verfolgten Juden in Europa in Gang setzte, das beschreibt das faszinierende Buch von Brendan Simms, Professor für die Geschichte der internationalen Beziehungen an der Universität Cambridge, und Charlie Laderman, Dozent für Internationale Geschichte am King’s College in London.
Die Geschichte des Zweiten Weltkriegs ist gut erforscht. Was zeichnet dieses Buch gegenüber anderen zum Thema aus? Es sind zum einen die Thesen des Buchs und zum anderen seine narrative Struktur. Simms und Laderman wenden sich gegen die ältere Auffassung, wonach der japanische Angriff die USA in den Krieg nicht nur gegen Japan, sondern auch gegen das nationalsozialistische Deutschland getrieben habe. Für einen solchen Determinismus finden sie keine belastbaren Nachweise. Die Lage in den Tagen nach dem 7. Dezember sei unübersichtlich gewesen. Erst Hitlers Kriegserklärung am 11. Dezember habe schließlich „eine neue globale Realität“ geschaffen. Daraus ziehen die Autoren folgenden Schluss: „Die globale Bedeutung, die man heute dem 7. Dezember beimisst, sollte auf den 11. Dezember übertragen werden.“ (S. 485)
Mit der deutschen Kriegserklärung zusammen hängt natürlich die Frage, ob Hitler die USA unterschätzt hatte. Die beiden Autoren verneinen dies; das Gegenteil sei richtig: Hitler habe den Vereinigten Staaten „den Krieg gerade wegen deren gewaltigen und demografischen Potenzials“ erklärt. Zum einen folgte Hitler seiner eigenen Verschwörungstheorie, wonach „der Jude“, der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt und die Bolschewisten das Deutsche Reich vernichten wollten. Zum anderen erlag Hitler nicht der Annahme, die USA wirklich besiegen zu können, doch glaubte er zu diesem Zeitpunkt noch, zusammen mit Japan und Italien einen „Achsenblock“ schmieden zu können, der in der Lage sein sollte, den Einfluss der „Angelsachsen“ in der Weltpolitik zu begrenzen. Interessanterweise kam es jedoch auf Seiten der „Achsenmächte“, im Vergleich zu den USA und Großbritannien, nie zur Formulierung einer kohärenten Strategie. Das Buch zeigt, wie stark die Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich, Japan und Italien auch nach dem 7. Dezember von gegenseitigem Misstrauen geprägt waren. Erhellend ist auch zu lesen, welche Anstrengungen Churchill vor dem 11. Dezember unternehmen musste, um die US-Regierung und die amerikanische Öffentlichkeit, die den Briten gegenüber skeptisch eingestellt war, für sich und eine Teilnahme am Krieg in Europa zu gewinnen. Die narrative Struktur der Darstellung ist ein weiteres Merkmal, das dieses Buch von anderen zum gleichen Thema abhebt. Eine Tafel mit Städten in neun verschiedenen Zeitzonen deutet die inhaltliche Auslegung der Kapitel bereits an. Nach einer Einleitung und einem ersten Kapitel, in dem die globalen Konfliktlinien seit Beginn der 1930er Jahre nachgezeichnet werden, folgen sieben Kapitel, die für den Zeitraum zwischen dem 6. Dezember und 12. Dezember 1941 jeweils die Geschehnisse eines Tages rekonstruieren. Dabei wird mit den Mitteln einer simultanen Chronologie erzählt, was an den Haupt- und Nebenschauplätzen dieses Weltkonfliktes passierte. Meistens beginnen die Kapitel mit dem, was in London geschah, da das Vereinigte Königreich sowohl in Europa als auch – als Kolonialmacht – in Asien engagiert war und dort ebenfalls von den Japanern angegriffen wurde. Auf der Basis eines umfänglichen Quellenmaterials, das offizielle Dokumente, Presseartikel, Tagebuchaufzeichnungen und vieles mehr umschließt, zeichnen die beiden Autoren minutiös nach, welche Auswirkungen die japanischen Angriffswellen auf das weitere Geschehen in allen Teilen der Welt hatten. Dabei treten viele Akteure auf, u.a. die japanischen Militärs, die sich für ihren „Erfolg“ feiern ließen; die politischen Führer – Roosevelt, Churchill, Hitler, Stalin und andere –, die allesamt verstanden, dass der Krieg mit Pearl Harbor eine neue Richtung nehmen und eine gewaltige Dynamik entfalten würde; Admiral Tom Phillips und die Matrosen der Royal Navy, die auf ihren Großkampfschiffen am 10. Dezember 1941 vor Malaya ebenfalls Opfer japanischer Angriffe wurden; kritische Intellektuelle, Journalisten und Schriftsteller in Europa, die in ihrer Mehrzahl keinen Zweifel daran hatten oder zumindest hofften, dass den faschistischen Ländern mit den USA nun ein mächtiger Gegner erwachsen war. Unterdessen ging die brutale Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden ungehindert weiter. Am Zusammenbruch der Ostfront und den Schwierigkeiten der deutschen Soldaten dort nahm Hitler wegen seiner Obsession die USA betreffend in jenen Tagen kaum mehr Anteil.
Dieses Verfahren einer Simultanität erzeugenden Mikrogeschichte hat ihre Vor- und Nachteile. Zu den unbestreitbaren Vorzügen gehört, dass diese Art der chronologischen Verdichtung der Dramatik jener entscheidenden Tage zwischen dem japanischen Angriff und der Kriegserklärung Hitlers gerecht wird. Das macht es den Lesern des Buchs aber nicht unbedingt leicht. In jedem Kapitel wechselt der Ort der Handlung von Absatz zu Absatz. Dadurch geht der „rote Faden“ verloren, weil kein Thema innerhalb eines „Tageskapitels“ auserzählt wird. Dagegen könnte man einwenden, dass die Geschehnisse keinen „roten Faden“ hatten: Eine grand strategy war (noch) nirgends zu erkennen. Und doch hätte man sich als Leser gewünscht, wenn die Geschehnisse – nach Handlungsorten innerhalb eines „Tageskapitels“ sortiert – gelegentlich zusammengestellt worden wären. Das hätte auch systematischen Überlegungen über die politischen Handlungsspielräume vor und nach 1941 Raum gegeben, die das Buch über die Ebene einer reinen Ereignisgeschichte hinausgehoben hätten. So bleibt z.B. unklar, wieso es auf amerikanischer Seite lange Vorbehalte gegenüber Churchill und dem Vereinigten Königreich gab. Ungeachtet dessen handelt es sich um ein vorzüglich recherchiertes, spannendes Buch, das uns hilft zu verstehen, warum nicht der japanische Angriff auf Pearl Harbor, wohl aber Hitlers Kriegserklärung an die USA entscheidend dazu beitrug, den von ihm angezettelten Krieg in Europa zu einem „wahrhaften Weltkrieg“ (S. 14) zu machen. (wsch) ˜
Der Historiker Wolfgang Schwentker (wsch) ist Professor Emeritus an der Universität Ôsaka. Er lehrte dort von 2002 bis 2019 vergleichende Kultur- und Ideengeschichte und ist Mitherausgeber der „Neuen Fischer Weltgeschichte“. Im Herbst 2022 erscheint im Verlag C. H. Beck sein neues Buch, eine „Geschichte Japans“.
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