Volkswirtschaft

Geld und Magie Bücher zu Geld und Währung sowie zu Forschung und Lehre

Dem Geld- und Bankwesen haftet seit jeher etwas Geheimnisvolles an, jedenfalls seit Papiergeld und bei Banken gehaltenes Buchgeld das aus Edelmetallen bestehende oder durch Edelmetalle gedeckte Geld abgelöst haben. „Geld und Magie“ heißt z.B. das auf Goethes Faust Bezug nehmende Buch des Schweizer Nationalökonomen Hans Binswanger. Ein neuer Beitrag hierzu, von besonderem Interesse vor dem Hintergrund der Finanzkrise, ist das Buch „Das Ende der Alchemie. Banken, Geld und die Zukunft der Weltwirtschaft“ des früheren Gouverneurs der Bank von England, Mervyn King. In einer für einen ehemaligen Zentralbankchef ungewöhnlichen Offenheit schildert King die fundamentalen Risiken der derzeitigen Bankenordnung und unterbreitet einen Vorschlag zur Reform. Darüber hinaus kommentiert er die schwelende Eurokrise, für deren Lösung er aus deutscher Sicht nur unerfreuliche Optionen sieht. 

Keith Pilbeam und Joscha Beckmann behandeln in ihrem Buch „Internationale Wirtschaft, Wechselkurse, Zahlungsbilanz und Weltwährungsordnung“ ebenfalls Geld- und Währungsfragen, aber auf völlig andere Weise. Sie präsentieren ein volkswirtschaftliches Lehrbuch zu diesen Fragen, das die Breite des Faches abdeckt und naturgemäß weniger subjektive Elemente in Bewertung und Stoffauswahl zulässt als es sich King erlaubt. Da es gleichwohl auch nicht-akademische Leser ansprechen könnte, wird es hier vorgestellt. 

Mit Stand und Zukunft der Wirtschaftswissenschaften als akademischer Disziplin, aber mit eminenter gesellschaftspolitischer und praktischer Bedeutung, befassen sich zwei hier besprochene Sammelbände. Herausgeber Arne Heise versammelt in „Wirtschaftswissenschaft(en) – Quo Vadis?“ sechs Beiträge, von denen sich drei fundamental kritisch mit der inhaltlichen, methodischen und personellen Enge des Faches in Forschung und Lehre auseinandersetzen, wohingegen die drei übrigen Beiträge bei grundsätzlicher Akzeptanz des herrschenden Paradigmas Verbesserungen im Detail anmahnen. 

Jakob Kapeller, Stephan Pühringer, Katrin Hirte und Walter O. Ötsch, die vier Herausgeber des Bandes „Ökonomie! Welche Ökonomie?“ verleihen schon im Titel des Buches ihrer Ansicht Ausdruck, dass es nicht nur eine Ökonomie, insbesondere nicht nur die „Mainstream-Ökonomie“, sondern eine Vielzahl konkurrierender Ansätze in Forschung und Lehre des Faches gebe. In sechszehn Aufsätzen wird diese Breite dann dokumentiert.

Mervyn King, Das Ende der Alchemie. Banken, Geld und die Zukunft der Weltwirtschaft. FinanzBuch Verlag, München, 2017. 411 Seiten, Hardcover, ISBN 978-395972-021-2. € 26,99. Englische Originalausgabe: The End of Alchemy, Little, Brown and Company, 2016.

Das Deckblatt des Buches zeigt das Gemälde „The Alchemist” von Joseph Wright (1734–1797). Zusammengesetzt aus dem arabischen Artikel „Al“ und dem griechischen „chymeia“, Schmelzung, bezeichnete Alchemie vor dem Aufkommen der modernen Chemie die Kunst der Stoffumwandlung, auch die Gewinnung von Gold aus minderwertigen Stoffen. Mit dem verwendeten Deckblatt spielt der Autor offenbar auf eine Verwandtschaft des Geld- und Bankwesens mit okkulter Alchemie an und sieht sich selbst berufen, diesem Treiben ein Ende zu setzen. Dies macht neugierig, ist der Autor doch bisher weniger als Kritiker denn als Vertreter dieser Alchemie aufgetreten. Mervyn King, 70, Economist, Studium in Cambridge/UK und Harvard/USA, dann Professor an der London School of Economics, anschließend Chefvolkswirt der Bank of England, der ältesten Zentralbank der Welt (1694), und 2003–2013 deren Präsident. Ein Mann also mit akademischen Weihen und mit zentralbankpolitischer Erfahrung.

Nicht überraschend ist die Dramatik der Finanzkrise von 2007/08, in deren Bewältigung King eine prominente Rolle spielte, der Dreh- und Angelpunkt des Buches. Anders als vielen anderen Büchern zu diesem Thema geht es ihm aber nicht um eine Chronologie der Ereignisse und noch weniger um eine Darstellung seiner Rolle als Krisenmanager, sondern um die Erörterung der grundlegenden Probleme des Geld-, Bank- und Finanzwesens unserer Zeit, die sich in der Finanzkrise schlagartig offenbart haben.

Worum geht es ihm? Nicht überraschend ist die Dramatik der Finanzkrise von 2007/08, in deren Bewältigung King eine prominente Rolle spielte, der Dreh- und Angelpunkt des Buches. Anders als vielen anderen Büchern zu diesem Thema geht es ihm aber nicht um eine Chronologie der Ereignisse und noch weniger um eine Darstellung seiner Rolle als Krisenmanager, sondern um die Erörterung der grundlegenden Probleme des Geld-, Bankund Finanzwesens unserer Zeit, die sich in der Finanzkrise schlagartig offenbart haben. Das Buch hat eine ökonomische, historische und politische Dimension und geht insoweit weit über ein Finanzfachbuch hinaus. Es ist ausdrücklich für einen vorwiegend nicht-akademischen Leserkreis geschrieben und zudem äußerst unterhaltsam formuliert.

Die Kapitel handeln von (1) der Finanzkrise, (2) dem Geldwesen, (3) den Banken, (4) den Finanzmärkten, (5) den Zentralbanken, (6) dem Zusammenhang von Geld und Nationalstaat, (7) der Reform des Geldwesens, (8) der Weltwirtschaft und (9) einem Ausblick auf die nächste Krise.

Der ökonomische Kern des Buches besteht aus Analyse und Kritik des modernen Bankwesens (3) und einem Reformvorschlag zu seiner Gesundung (7). Das Buch handelt also nicht vom „Ende der Alchemie“, sondern von eben dieser Alchemie und einem Vorschlag, wie sie beendet werden könnte. Eine Bank finanziert sich mit kurzfristig kündbare Einlagen von Haushalten, Einlagen anderer Banken und Eigenkapital. Sie verleiht diese Mittel langfristig in Form von Unternehmenskrediten und durch Erwerb von Anleihen. Sie betreibt also Fristentransformation. Daneben betreibt sie im Interesse ihrer Kunden Risikotransformation (Haushalte wollen risikolose Einlagen, Unternehmenskredite ohne Risiko gibt es nicht) und Größentransformation (Haushalte halten kleine Einlagen, Unternehmen brauchen große Kredite). Die Verwundbarkeit dieses Bankenkonzepts liegt auf der Hand (3): Unvorhergesehene Bargeldabhebungen oder Abzug von Einlagen anderer Banken, wie sie in Krisen in großem Umfang vorkommen, führen zu drohender Illiquidität einzelner Institute. In diesem Falle fungiert die Zentralbank eines Landes als „Ultimativer Kreditgeber“ („Lender of Last Resort“) und gewährt – wie von Bagehot (1873) vorgeschlagen – illiquiden aber solventen Banken Kredit. Insolvente Banken erhalten nach Bagehots Regel keinen Zentralbankkredit und gehen in Konkurs. Heutzutage stellen aber Konkurse großer und stark vernetzter – kurz: systemrelevanter – Banken ein großes volkswirtschaftliches Risiko dar wegen der drohenden Kettenreaktionen anderer Banken, Unternehmen und Haushalte. Deshalb werden diese Banken heute auch dann gerettet, wenn sie insolvent sind. „Bankenrettung“ heißt, dass das Vermögen der Gläubiger und Aktionäre der Banken vor Verlusten gesichert wird, die Verluste stattdessen dem Steuerzahler aufgebürdet werden. Da die Banken dies wissen, werden sie – im Vertrauen auf die Rettung im Schadensfalle – mehr Risiken eingehen und insoweit höhere Gewinne erzielen als ohne Rettungsaussicht. Diese Zusatzgewinne stellen eine Art implizite Subventionierung des Bankensektors dar. Die Alchemie besteht nach King darin, dass potentiell täglich fälliges Geld in langfristig gebundene, riskante Kredite transformiert wird. Zudem werden umgekehrt auch Kredite in Einlagen transformiert. So räumt eine Bank, die Kredite gewährt, dem Kreditnehmer im ersten Schritt ein Guthaben bei sich selbst ein, über das er dann im Weiteren verfügen kann. Mit der Kreditvergabe wird also – uno actu – eine Einlage und damit Geld, kein Bargeld zwar, aber Buchgeld, geschaffen. Insoweit nehmen die Banken nicht nur Einlagen herein, sondern sie schaffen die Einlagen selbst. Diese Alchemie beenden zu wollen, ist gewiss aller Ehren wert. Aber wie? Und wenn ja, zu welchem Preis?

King schlägt vor, ein Trennbanksystem einzurichten (7). Es soll Banken geben, die nur dem Zahlungsverkehr dienen, Zahlungsverkehrsbanken, die als Gegenposten der bei ihnen gehaltenen Einlagen Einlagen bei der Zentralbank oder sichere Staatsanleihen mit kurzen Restlaufzeiten halten. Diese Banken sind dann immer liquide. Große Gewinnmöglichkeiten bieten sie aber nicht. Daneben soll es Banken geben, die Fristen-, Risiko- und Größentransformation betreiben, Investmentbanken. Die Kapitalgeber dieser Banken tragen das Insolvenzrisiko, haben aber die Chance auf höhere Gewinne aus der Verzinsung der Bankaktiva. Damit kann prinzipiell die Kreditgewährung (Investmentbanken) von der Geldschöpfung (Zahlungsverkehrsbanken) getrennt und das Entstehen von „Blasen“ infolge von Kreditbooms und ihr Platzen mit folgenden Kreditkontraktionen verhindert werden.

Der Vorschlag macht Sinn, wenngleich er nicht neu ist: Fisher und Friedman hatten in den 30-er und 50-er Jahren schon ein ähnliches Konzept (Chicago-Plan) vorgeschlagen. Und die USA hatten ein Trennbanksystem, ohne damit weder die Savings and Loan-Krise Mitte der 80-er Jahre noch die Finanzkrise 2007/08 verhindern zu können. Das Konkursrisiko von Investmentbanken kann nicht ausgeschlossen werden, gegeben die „Radikale Ungewissheit“ (Keynes) über zukünftige Entwicklungen. Und wenn sich der Insolvenzfall abzeichnet, drohen dann doch wieder der Eingriff des „Lender of Last Resort“ und die Haftung der Steuerzahler. Um dies zu verhindern schlägt King vor, den „Ultimativen Kreditgeber“ abzuschaffen und ihn durch einen „Pfandleiher für alle Fälle“ („Pawnbroker for All Seasons“) zu ersetzen. Danach würde die Zentralbank jeder Bank zu jeder Zeit einen Kreditrahmen gegen Beleihung der von der Bank gehaltenen Assets zur Verfügung stellen. Die Beleihungsquote wäre von der Qualität der Assets abhängig. So kann zu jedem Zeitpunkt durch Vergleich der Effektiven Liquiden Assets ELA (Beleihungsquote mal Assets) mit den Effektiven Liquiden Verbindlichkeiten ELV der Grad an Alchemie, den das Institut betreibt, festgestellt werden. Im alchemiefreien Bankwesen wäre ELA = ELV. Das Abschmelzen der ELV gegenüber dem Status Quo brächte eine Verteuerung der Fremdfinanzierung der Banken mit sich, die die o.g. Subventionierung eliminiert.

Freilich beseitigt die Möglichkeit der Beleihung nicht die „Radikale Ungewissheit“, sodass das Problem des tatsächlichen oder auch nur vermeintlichen Rettungszwangs für die Zentralbanken in Form der Festlegung der Beleihungsgrenzen zurückkommt. Ferner kann eine Zentralbank auch heute schon, wenn sie es denn wirklich will, Kreditbooms verhindern. Sie muss „nur“ den mit der Kreditgewährung einhergehenden Bedarf an Zentralbankgeld für Bargeldabflüsse und Mindestreservenhaltung verteuern und insoweit bremsen. Schließlich vermisst man auch einen Beleg für die relative Vorteilhaftigkeit des Trennbankenkonzeptes gegenüber dem Bankenstabilisierungsvorschlag von Hellwig-Admati („Des Bankers neue Kleider“, besprochen in fachbuchjournal 5/2014). Diese beiden Autoren schlagen statt eines Trennbankensystems vor, die Eigenkapitalquote der Banken drastisch zu erhöhen, von den vor der Finanzkrise üblichen 4% – 6% auf zukünftig 30%.

In (6) widmet sich King dem Zusammenhang zwischen Geld und Nationen, insbesondere seiner Auflösung in der Europäischen Währungsunion, EWU. Seine Analyse der EWU ist von bestechender Klarheit. Ihr kommt zugute, dass er zugleich Währungsexperte und politischer Kopf ist. Sein Blick auf den Euro ist von der Brüsseler Integrationsrhetorik genauso meilenweit entfernt wie vom US-amerikanischen „Benign neglect“.

King hält den Versuch der Europäischen Union, eine politische Union über den Weg einer Währungsunion und der ihr innewohnenden Zwänge herbeizuführen, für einen Irrweg. Er ist Anhänger der „Krönungstheorie“, wonach eine gemeinsame Währung das Ergebnis, die Krönung, nicht aber der Weg zu einer politischen Union sein sollte. Versuche, den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun, seien in der Vergangenheit gescheitert. Im Allgemeinen gelte: „Money and nations go hand in hand“, als trefflichen Reim übersetzt von Petra Pyka mit „Geld und Land gehen Hand in Hand“.

King weist zurecht auf eine der beiden Quellen der Instabilität der Eurozone hin: die hohen und in der Eurozeit gewachsenen Unterschiede in der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedsländer, die sich in Leistungsbilanzüberschüssen der Länder des Nordens und Leistungsbilanzdefiziten der Länder des Südens niederschlagen. Erstere akkumulieren Forderungen gegen den Süden, letztere verschulden sich im Norden. Die zweite Ursache der Instabilität, öffentliche Defizite und Verschuldung, beide hoch im Süden, gering im Norden, hält er für wenig bedeutsam. Er schreibt: „Fiskalische Probleme waren in erster Linie Folgen der Krise im Euroraum, nicht Ursachen (Seite 221).“ Er übersieht hier geflissentlich, dass Länder, die mit Staatsverschuldungsquoten von 120% (Belgien, Italien 1999) oder knapp 100% (Griechenland 2001), in die Eurozone aufgenommen worden waren und danach trotz sinkender Zinsen den Schuldenabbau versäumt hatten, sehenden Auges Gefahr liefen, bei Verschlechterungen der wirtschaftlichen Lage die Refinanzierung ihrer Schulden nicht mehr leisten zu können, was dann 2010 ja auch geschehen ist. Er schildert sodann, wie wenig das Schnüren der Hilfspakete im Jahre 2010 die Lage des Südens beruhigt, geschweige denn verbessert hat. 2012 wurde Griechenland zahlungsunfähig. Private Gläubiger verloren Geld, zum größten Teil gingen die weitgehend wertlos gewordenen Forderungen aber auf staatliche Gläubiger und damit auf deren Steuerzahler über. King resümiert: „Die EWU hatte also keineswegs zu mehr politischer Integration geführt, sondern erwies sich als die polarisierendste Entwicklung in Nachkriegseuropa“, als „Spaltpilz“, wie es Hans-Werner Sinn so plastisch formulierte. Wohin soll das führen? Mit großer Klarsicht formuliert King: „Die Krise der Europäischen Währungsunion wird sich weiter hinziehen und ist nicht lösbar, wenn nicht entweder an den supranationalen Ambitionen der Europäischen Union angesetzt wird oder an der demokratischen Natur der souveränen Nationalregierungen. Das eine oder das andere muss zurückstehen. Man kann sich noch eine Zeitlang durchlavieren, doch am Ende steht unausweichlich die Wahl zwischen einer Rückkehr zu nationalen Währungen und nationaler Kontrolle oder einer klaren, abrupten Übertragung politischer Souveränität auf eine europäische Regierung. […] In immer mehr Ländern wenden sich die Wähler von Mitte-links- und Mitte-rechts-Parteien zu extremeren Parteien hin, die weiterhin die nationale Souveränität respektieren. Es gibt Grenzen für die wirtschaftlichen Nachteile, die im Streben nach einem föderalen Europa auferlegt werden können, ohne dass eine politische Gegenreaktion erfolgt“ (Seite 235).

Und weiter: „Deutschland steht vor einer schrecklichen Wahl: Sollte es die schwächeren Mitglieder der Eurozone mit hohen, nicht enden wollenden Kosten für seine Steuerzahler unterstützen oder sollte es das Projekt Währungsunion […] stoppen? Der Versuch, einen Mittelweg zu finden, misslingt“ (Seite 339). Genauso ist es.

Selbstverständlich gibt es auch den einen oder anderen Punkt der Kritik. Zum Beispiel will der Autor die zutreffend diagnostizierten Schwächen neoklassischer und keynesianischer volkswirtschaftlicher Positionen mit einem erschreckend konturenlosen Reformkatalog überwinden. So brauche man statt einer Wirtschaftslehre der „Sachen“ eine Wirtschaftslehre, die darauf beruht, dass „alles Mögliche passiert“ (Seite 298)! Dazu hätte man gerne Näheres gelesen. Das Überbordwerfen einer nicht in jedem Detail überzeugenden Theorie ist eine Sache. Eine bessere Alternative zu präsentieren eine andere. Dessen ungeachtet liegt hier ein blendend geschriebenes und reichhaltige ökonomische, historische und politische Erkenntnisse vermittelndes Buch vor, dessen Lektüre man jedem an Geld- und Währungsfragen Interessierten Leser nur wärmstens empfehlen kann.

Keith Pilbeam/ Joscha Beckmann, Internationale Wirtschaft, Wechselkurse, Zahlungsbilanz und Weltwährungsordnung, Schäffer-Poeschel, Stuttgart, 2017. 554 Seiten, Hardcover, ISBN 978-3-7910-3335-8. € 39,95

Pilbeam, 57, ist Professor of Economics an der City University London, Beckmann, 39, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum. Das Buch ist die deutsche Fassung des bekannten Lehrbuchs von Pilbeam „International Finance“, 4. Ed., Palgrave Macmillan, 2013. Es ist gegenüber der Version von 2013 aktualisiert, enthält neuere Daten, einige neuere Veröffentlichungen und informiert über neuere Entwicklungen in der Eurozone. Darüber hinaus wird durchgehend, dem deutschsprachigen Leser entgegen kommend, mit dem Euro statt mit dem Pfund als heimischer Währung argumentiert. Das Buch bietet, wie die Autoren im Vorwort schreiben, „eine praxisorientierte Einführung in Devisenmärkte, Zahlungsbilanzen und das Internationale Wirtschaftssystem (und) ist konzeptionell sowohl für Bachelor- als auch Masterstudiengänge geeignet“. Inhaltlich besteht das Buch aus drei Teilen:

A. Zahlungsbilanztheorie und -politik, 

B. Wechselkurse: Theorie, Empirie und Politik, sowie 

C. Das Internationale Währungssystem – Vom Goldstandard bis heute.

Es geht also, anders als es das Vorwort sagt, nicht um das Internationale Wirtschaftssystem in toto, sondern ausschließlich um seinen währungspolitischen Teil. Gegenstand und Probleme der Internationalen Handelsbeziehungen und der Faktorwanderungen bleiben demnach außer Acht. 

Die drei Teile sind in insgesamt 15 Kapitel unterteilt. Am Ende eines jeden Kapitels gibt es ein Fazit, Wiederholungsfragen, Arbeitsaufgaben, eine Übersicht mit den verwendeten Schlüsselbegriffen sowie ein knappes Literaturverzeichnis. Die Ausführungen werden angereichert mit einem breiten Angebot an Tabellen, Abbildungen und Graphiken. Farblich herausgehobene Einschübe „Aus der Praxis“ stellen regelmäßig Verbindungen mit praktischen Anwendungsfällen des Gesagten her. Dies bringt willkommene Abwechslung in die Lektüre des wissenschaftlichen und daher nicht ganz einfachen Stoffes. Insbesondere die breite Verwendung von Graphiken hilft dem intuitiven Verständnis der Zusammenhänge und erlaubt es den Autoren, den Formelapparat auf ein Minimum zu beschränken. Insofern kann das Buch durchaus auch für Leser, die sich nicht auf Bachelor- oder Master-Prüfungen vorbereiten müssen, eine nützliche Lektüre sein.

Wenngleich sich der behandelte Stoff, und wie sollte es bei einem Lehrbuch anders sein, nicht sehr von den Inhalten anderer Lehrbücher über die monetären internationalen Wirtschaftsbeziehungen unterscheidet, gibt es doch zumindest drei Besonderheiten zu erwähnen. So widmen die Autoren besonders den empirischen Überprüfungen der verschiedenen Zahlungsbilanz- und Wechselkurstheorien breiten Raum (Kap. 8). Des Weiteren verdient ein Kapitel über Währungsderivate (Kap. 11) Erwähnung, das allerdings etwas mehr und etwas aktuellere Literatur verdient gehabt hätte als die beiden angegebenen, mehr als 30 Jahre alten Quellen. Und schließlich behandeln die Autoren die drei wichtigsten währungspolitischen Entwicklungen und Ereignisse der letzten Jahrzehnte, die Europäische Währungsintegration, die Südostasienkrise sowie die Finanzkrise relativ ausführlich in je einem eigenen Kapitel. Das darin zum Ausdruck kommende Bemühen, die ökonomische Theorie mit konkreten wirtschaftlichen Entwicklungen und Ereignissen sowie den damit einhergehenden wirtschaftspolitischen Problemen zu konfrontieren, verdient hohe Anerkennung. Die Studierenden erhalten so eine motivierende Vorstellung von den Problemen, mit denen sie es in ihrem späteren Berufsleben zu tun haben werden und zu deren Durchdringung sie das im Buch vermittelte theoretische und empirische Wissen benötigen.

Freilich wäre im Kapitel über die Europäische Währungsintegration eine stärkere Auseinandersetzung mit den Problemen und Perspektiven der Eurozone wünschenswert gewesen. Das diesbezügliche Kapitel 13 verwendet viel Raum für das EWS, das Wechselkursarrangement der Zeit vor der Eurozone. Zu kurz kommen hingegen die Probleme, die nach und mit der Einführung der Eurozone 1999 entstanden sind. Die Ausführungen verbleiben hier allzu sehr im Deskriptiven. Insbesondere fehlt eine kritische Auseinandersetzung mit den langfristigen Wirkungen der Aufhebung der No-Bail-Out Klausel und der Mandatsdehnung der EZB. Auch hätte die verfassungsrechtliche Kontroverse um die Rettungsprogramme einen Kommentar verdient gehabt. Generell wird der politischen Ökonomie der Eurozone nur wenig Interesse gewidmet. Zudem ist das Literaturverzeichnis zur Eurozone mehr als mager, nennt es doch nur eine einzige Quelle, nämlich De Grauwe’s Buch „Economics of Monetary Union“, und auch dieses nur in der 5. Auflage von 2003, also einer Vor-Krisen-Auflage. Tatsächlich liegt das Buch mittlerweile in der 11. Auflage 2016 vor. Man vermisst u.a. etwa Issings „Der Euro – Geburt, Erfolg, Zukunft“ (2008), Sinns „Der Euro – Von der Friedensidee zum Zankapfel (2015)“ oder „The Euro and the Battle of Ideas“ von Brunnermeier et al. (2016). Auch vermisst man einen Hinweis darauf, wie das in Kapitel 2 vorgestellte Konzept der Zahlungsbilanz eines Landes zu modifizieren ist, wenn ein Land Mitglied einer Währungsunion ist.

Generell gewinnt man den Eindruck, dass die wissenschaftliche Verarbeitung länger zurückliegender Ereignisse oder Erkenntnisse intensiver erfolgt als bei jüngeren Entwicklungen. Denn auch im Kapitel 15, das sich mit der Finanzkrise 2007/08 beschäftigt, sind die Literaturangaben mit drei Quellen dürftig, wohingegen die schon länger zurückliegende Südostasienkrise von 1997/98 mit 36 Titeln prominent vertreten ist.

Lehrbuchschreiben ist letztendlich auch eine Art von Produktdifferenzierung und das vorliegende Lehrbuch hat über die gelungene Präsentation des Standardstoffes hinaus genügend Vorzüge und Schwerpunkte, um derentwillen seine Anschaffung lohnt.

In einer Rezension eines Lehrbuchs mit 554 Seiten scheinen Monita, dass dieses und jenes fehlt oder zu knapp behandelt ist wohlfeil. Lehrbuchschreiben ist letztendlich auch eine Art von Produktdifferenzierung und das vorliegende Lehrbuch hat über die gelungene Präsentation des Standardstoffes hinaus genügend Vorzüge und Schwerpunkte, um derentwillen seine Anschaffung lohnt. Gleichwohl: Für ein modernes Lehrbuch kommen insbesondere die „New Open Macroeconomics“, die seit den 90-er Jahren das wissenschaftliche Standardmodell der Makroökonomie offener Volkswirtschaften liefern, entschieden zu kurz, wenn ihnen, wie hier, nur zwei Seiten gewidmet werden.

Es gibt ein Stichwortverzeichnis, aber kein Personenverzeichnis. So ist das Suchen nach Autoren wichtiger Beiträge mühselig. Die englischsprachige Fassung enthält am Ende 12 Seiten mit Empfehlungen für weiterführende Literatur, auf die in der deutschen Fassung bedauerlicherweise verzichtet wurde. Insgesamt betrachtet handelt es sich um ein flüssig geschriebenes, gut lesbares Lehrbuch, vornehmlich, aber nicht nur, für Studenten der internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Es deckt deren zentralen wirtschaftskundlichen, theoretischen und politischen Gebiete breit ab. In der Darstellung und Würdigung der empirischen Befunde liegt eine besondere Stärke des Werkes.

Arne Heise (Hg.), Wirtschaftswissenschaft(en) – Quo vadis?, Schmollers Jahrbuch, Zeitschrift für Wirtschaftsund Sozialwissenschaften, hrsg. von Gert G. Wagner und Joachim Wagner, 135. Jg., 2015, Heft 2, Duncker & Humblot, Berlin. 143 Seiten, ISBN 978-3-428-14749-6. € 39,80.

Schmollers Jahrbuch widmet sein Heft 2, 2015, ein Sonderheft, der Frage nach der Zukunft der Wirtschaftswissenschaft(en). Als Herausgeber des Heftes fungiert Arne Heise, Professor für Volkswirtschaftslehre am Fachbereich Sozialökonomie an der Universität Hamburg.

Hintergrund des Heftes ist die im Zusammenhang mit der Finanzkrise erhobene Forderung nach einem Neuen Ökonomischen Denken. Es geht dem Herausgeber nach eigenem Bekunden nicht primär darum, einmal mehr den ökonomischen „Mainstream“ zu kritisieren, sondern zu fragen, warum die Erkenntnis seiner Unzulänglichkeiten sowie die seit langem geforderte (Re-)Pluralisierung der Wirtschaftswissenschaft(en) bislang so wirkungslos blieb.

Als Autoren sollten, wie es im Editorial heißt, Wissenschaftler gewonnen werden, die sich schon in der Vergangenheit mit der Thematik beschäftigt hatten. Zudem war es dem Herausgeber wichtig, „dass verschiedene methodische und disziplinäre Zugänge – dogmen- und wissenschaftshistorische, wissenschaftstheoretische und -soziologische – wie auch unterschiedliche Darstellungsformen – wissenschaftliche Formate und essayistische Pointierung – Berücksichtigung finden und dem Leser möglichst viele Denkanstöße liefern“. Den genannten Ansprüchen wird das vorliegende Heft sehr gut gerecht. Es gibt drei Beiträge, die ein fundamental kritisches Bild von der derzeitigen Situation des Faches zeichnen sowie drei Beiträge, die Leistungen und Mängel des Faches in einem ausgewogeneren Verhältnis aufzeigen.

In der ersten Gruppe dokumentieren Kapeller u.a., wie die zitationsbasierten Evaluationen von Autoren und Zeitschriften einen erheblichen Bias zugunsten des Mainstream bewirken und den Einfluss und die Chancen heterodoxer Ökonomen beschneiden.

Heise/Thieme diagnostizieren eine De-Pluralisierung der Wirtschaftswissenschaft nach 1970. Der Blüte des Keynesianismus in Deutschland in der zweiten Hälfte der 60-er und der ersten Hälfte der 70-er Jahre, der politischen und gesellschaftlichen Aufbruchstimmung jener Jahre und der auch in diese Zeit fallenden Gründung von Reformuniversitäten und Gesamthochschulen, die alle drei die Chancen für mehr Pluralismus erhöhten, folgte ein „Rückschlag“: Der nachfragezentrierte Keynesianismus verlor mit den Angebotsstörungen der Ölpreisschocks und der wachsenden Staatsverschuldung an Einfluss, die Brandt’sche Reformeuphorie verpuffte bald und die wirtschaftstheoretischen und -politischen Reformkonzepte verloren in Wissenschaft und Studentenschaft zunehmend an Rückhalt. Die Autoren suchen und finden in Benachteiligungen der heterodoxen Forscher in den Wissenschaftsorganisationen, in den Lehrstuhlbesetzungen und in den dortigen Ausstattungsnachteilen die wesentlichen Gründe für den Pluralitätsverlust. Sie unterscheiden zwischen einer (fehlenden) Pluralität von Paradigmen und einer (durchaus vorhandenen) Pluralität von Strömungen innerhalb des herrschenden, neoklassischen Paradigmas. Auf dem „Macht- und Kampffeld“ der Paradigmenpluralität seien die Reformer aus den genannten Gründen unterlegen gewesen. Dass es möglicherweise aber auch dem angebotenen Lehr- und Forschungsprogramm an Attraktivität gegenüber dem Mainstream gefehlt haben könnte, kommt den Autoren nicht in den Sinn.

Lawson sieht in einer Mathematisierung, die dem Fach und seinen Fragestellungen nicht gerecht wird, den Hauptgrund für die Fehlentwicklung und den Bedeutungsverlust des Faches. Lawson ist „Professor of Economics and Philosophy” in Cambridge/UK und Mitherausgeber des renommierten Journal of Cambridge Economics. Er listet in seinem Beitrag 20 „Irrtümer” der „Mainstream Economists” auf, deren überwiegende Ursache im Mangel an philosophischem Grundlagenwissen der Ökonomen liege. Seit die mathematische Modellierung üblich geworden ist, sei das Fach defekt. Die Mathematisierung sei der Hauptgrund dafür, dass das Fach von einer (der Politik missliebigen) Politischen Ökonomie zu einer blutleeren Technik verkommen sei. Junge Leute, Weltverbesserer, Kapitalismuskritiker seien so mundtot gemacht und eine erforderliche Transformation des politisch/gesellschaftlichen Systems verhindert worden. Nun ja, vielleicht hat die Mathematisierung aber auch dazu beigetragen, Mängel im mathematikfreien Alternativangebot aufzudecken und den revolutionären Schwung aus diesem Grunde etwas gebremst.

Die drei systemimmanent Kritik äußernden Beiträge stammen von Friedman (Harvard), Frey (Zürich) und Kirchgässner (St. Gallen).

Hintergrund des Heftes ist die im Zusammenhang mit der Finanzkrise erhobene Forderung nach einem Neuen Ökonomischen Denken.

Benjamin Friedman ist einer der führenden Makroökonomen unserer Zeit, sein Wort hat Gewicht. Er verweist darauf, dass die Wirtschaftswissenschaften ihr ursprüngliches Selbstverständnis als eine Disziplin der Moralphilosophie, dann der Politischen Ökonomie, zunehmend aufgegeben und ihr Erkenntnisfeld mehr und mehr eingeengt hätten. Darüber hinaus beschränke sie sich in der Erkenntnisgewinnung mehr und mehr auf formale analytische Standards. Alternative Methoden würden so a priori ausgeschlossen, inhaltlich wenig Relevantes werde dagegen akzeptiert. Dies habe dazu beigetragen, dass das Fach zu drängenden wirtschaftspolitischen Fragen der Gegenwart nichts Substantielles beizutragen habe. Insoweit ist er von Lawson nicht weit entfernt.

Dieses harsche Urteil vorausgeschickt, räumt er aber dann zunächst mit abwegiger Kritik am Fach auf: Ratschläge von Ökonomen seien oft unwillkommen, aber deshalb nicht falsch. Ökonomen seien keine Propheten. Fehlerhafte Wirtschaftspolitik heiße nicht, dass die Wirtschaftswissenschaft fehlerhaft ist. Ökonomen gäben zwar oft unterschiedliche Empfehlungen ab, aber eher aufgrund unterschiedlicher Annahmen als aufgrund unterschiedlicher Schlussfolgerungen. Was das geringe Tempo des Erkenntnisfortschritts angeht, hält er es mit Max Planck: „Science advances from funeral to funeral.“ Berechtigte Kritik sieht er in der (a) übermäßigen Formalisierung und Quantifizierung des Faches, (b) Beschränkung auf Effizienzfragen gegenüber Verteilungs- und Machtfragen, (c) Marktgläubigkeit aber Regulierungsskepsis, (d) Unfähigkeit, zu den sozialen Konsequenzen von Immigration, Handel und Technischem Fortschritt Belangvolles sagen zu können, (e) Akzeptanz eines überdimensionierten, unzureichend regulierten, Risiken auf die Steuerzahler verlagernden Finanzsektors. Frey moniert, wie Kapeller u.a., die zitationsgesteuerte Publikationspraxis des Faches, allerdings weniger unter dem Aspekt der Diskriminierung heterodoxer Forscher als unter dem Aspekt einer generellen Fehlentwicklung des Faches. Da Frey selbst zu den zitationsstärksten europäischen Autoren gehört, hat sein Beitrag besonderes Gewicht.

Frey bleibt nicht bei der Nennung von Fehlsteuerungen, ja Absurditäten, der genannten Publikationspraxis stehen, sondern bringt zwei bedenkenswerte Reformoptionen zur Sprache: Er schlägt zum einen vor, die heute nahezu unbeschränkten, zeitschriftenunabhängigen Publikationsmöglichkeiten des Internets zu nutzen. Die Herausgeber der Zeitschriften könnten dann, statt wie bisher 90% der eingereichten Arbeiten abzulehnen, die besten Arbeiten aus dem Netz auswählen und in ihrer Zeitschrift veröffentlichen. Ob die Zeitschriften davon leben können, sei einmal dahingestellt. Zum anderen sollte die Gutachterbasis wesentlich verbreitert werden und sowohl Wissenschaftler anderer Disziplinen, wie Soziologen, Politologen, Juristen und Philosophen als auch universitätsexterne Nutzer, wie Ministerialbeamte, Journalisten und Vertreter der Politik aus ihrer Sicht geeignete Beiträge zur Publikation auswählen können.

Der Band schließt mit einem Beitrag von Kirchgässner (1948– 2017), Autor der bekannten Monographie „Homo Oeconomicus“, zum wissenschaftlichen Fortschritt in den Wirtschaftswissenschaften. Er sieht die heutigen Wirtschaftswissenschaften als eine „Normalwissenschaft“ im Kuhn’schen Sinne. Sie habe ein wenig umstrittenes Paradigma, welches aus den beiden Elementen des methodologischen Individualismus und des Rationalverhaltens bestehe. Über diesen Kern hinaus gebe es „im Schutzgürtel“ des Paradigmas das Element der dem Individuum unterstellten Intentionen und das Element der verfügbaren Informationen. Über diese beiden Elemente bestehe wesentlich mehr Dissens, was aber den Kern des Paradigmas nicht berühre. Kirchgässner sieht den Status der Wirtschaftswissenschaften als „Normalwissenschaft“ wie auch das ihr zugrunde liegende Paradigma, den „Mainstream“ also, als positiv. Dessen ungeachtet beklagt er, wie auch die Kritiker, die für eine Normalwissenschaft typische Verfestigung von Strukturen und das Aufkommen von „vested interests“. Einen großen Fortschritt im Fach sieht er in der empirischen Forschung, die heute über umfangreichere Datensätze als je zuvor, sowie verbesserte und innovative Methoden ihrer Verwertbarkeit verfüge. Andererseits aber seien viele theoretische Arbeiten schlicht irrelevant, sie folgten mehr der „Kultur der Rätsellösung“ als einer wirtschaftspolitisch relevanten Frage nachzugehen. Man mag jedoch die Kirchgässner’sche Interpretation des wirtschaftswissenschaftlichen Paradigmas als unangemessen eng kritisieren, da sie den wechselseitigen Abstimmungsprozess der rational agierenden Individuen auf den Märkten nicht mehr zum harten Kern des Paradigmas zählt. Nun führen aber gerade Marktunvollkommenheiten, wie z.B. Marktmacht, Externalitäten und Koordinationsmängel dazu, dass die Ergebnisse paradigmatischer Handlungen höchst unerwünschte Ergebnisse zeigen. Damit wird das für die Ökonomie zentrale und kontroverse Verhältnis von Markt und Staat aus der Paradigmendiskussion herausgelöst und diese insoweit entkernt.

Jakob Kapeller, Stephan Pühringer, Katrin Hirte, Walter O. Ötsch (Hg.): Ökonomie! Welche Ökonomie? Stand und Status der Wirtschaftswissenschaften. Kritische Studien zu Markt und Gesellschaft, Band 9. Metropolis-Verlag, Marburg, 2016, 312 Seiten, ISBN 978-3-7316-1251-3. € 34,80

Die Herausgeber sind oder waren als Ökonomen am „Forschungsinstitut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft“ an der Johannes Kepler-Universität Linz/Österreich tätig. Sie vertreten eine dem Mainstream gegenüber kritische, interdisziplinäre und pluralistische Ausrichtung der Volkswirtschaftslehre und sehen sich in der Tradition des bedeutenden, international renommierten Linzer Ökonomen Kurt Rothschild (1914– 2010). Der vorliegende Band versammelt die Referate, die bei einer Tagung des Instituts im Jahre 2015 gehalten wurden. Das Buch enthält zwölf Beiträge, je vier für die drei Teile „Entwicklung, Zustand und Leerstellen der Ökonomik“, „Politik und Praxis der Ökonomie“ sowie „Alternative Sichtweisen in der Ökonomik“. Acht der zwölf Beiträge handeln demnach von der Ökonomik, also der wissenschaftlichen Betrachtung der Wirtschaft, vier von der Ökonomie, also dem wirtschaftlichen Geschehen selbst. Insofern beschreibt mehr der Untertitel als der eigentliche Titel den Inhalt des Buches. Es kann hier nur eine Auswahl der Beiträge kommentiert werden.

Der erste Teil startet mit dem Beitrag von Ötsch, bis zu seiner Emeritierung 2015 Professor in Linz und Mitherausgeber aller neun Bände der Tagungsreihe des Instituts. Er zeichnet in seinem Beitrag „Die Politische Ökonomie ‚des‘ Marktes. Eine Zusammenfassung zur Wirkungsgeschichte von Friedrich A. Hayek“ einmal mehr die – aus seiner Sicht verhängnisvolle – Wirkung des Werkes von Friedrich von Hayek nach. Er sieht in von Hayek und dessen Mitstreitern in der Mont-PèlerinGesellschaft ein Netzwerk zur Propagierung eines Marktfundamentalismus. Diesem Netzwerk mit von Hayek an der Spitze sei es in den 80-er Jahren gelungen, den Keynesianismus als führende wirtschaftspolitische Kraft zu verdrängen und Politik und Gesellschaft der Marktlogik zu unterwerfen. „Der Markt“, so schließt er seinen Beitrag, „ist zu einer kulturprägenden Institution geworden. Die Folgen manifestieren sich in den vielen ungelösten Problemen des Wirtschaftssystems heute“. Es ist richtig, dass von Hayek ein einflussreicher Mann war mit zahlreichen Verbindungen, die Ötsch, Mirowski (Siehe dazu die Besprechung seines Buches „Untote leben länger“ in fachbuchjournal Heft 6/2016) und einige andere akribisch aufgedeckt haben. Allerdings schießt Ötsch insofern weit über das Ziel hinaus, als der Reputationsverlust des Keynesianismus in den 70-er und 80-er Jahren mehr vom Versagen einer keynesianischen Wirtschaftspolitik als von einer „von Hayek’schen Verschwörung“ hervorgerufen war. Der Keynesianismus sah hinter jedem Beschäftigungsproblem einen Nachfragemangel, und fand so – jedenfalls in Deutschland – keine Antwort auf die von Konjunkturzyklus zu Konjunkturzyklus wachsende Sockelarbeitslosigkeit und wachsende Staatsverschuldung. Zur Gewinnung der Erkenntnis, dass es neben Marktversagen auch Staatsversagen geben kann, musste man nicht HayekAnhänger sein.

Ob die „vielen ungelösten Probleme des Wirtschaftssystems“ sich bei einer Rückkehr zum Keynesianismus in Wohlgefallen auflösen würden, mag man nicht recht glauben. Beckenbach sieht und beklagt in seinem Beitrag „Krise und Normalwissenschaft, Konstruktion und Performativität in der modernen Ökonomik“ eine methodische Einseitigkeit, einen Monismus, des Faches. Das den Agenten unterstellte Maximierungsverhalten und die den Märkten zugeschriebene Koordinations- und Wohlfahrtsfunktion charakterisiere ein neoklassisches Forschungsparadigma, das in seiner Enge und Ausschließlichkeit einem offenen und pluralistischen Denken einer Normalwissenschaft entgegenstehe. Dieses Forschungsparadigma entfalte über die Lehre, die Beratung und die veröffentlichte Meinung politische Wirksamkeit (Performativität). So verliere das Fach die notwendige wissenschaftliche Offenheit für Anregungen aus anderen Disziplinen wie der Soziologie, Politologie und Psychologie sowie für nicht-orthodoxe Methoden, Sichtweisen und Lehrinhalte.

Teil zwei beinhaltet u.a. zwei Beiträge, die sich mit wirtschaftspolitischen Fragen befassen.

Young, emeritierte Professorin der Politikwissenschaft an der Universität Münster, unterzieht in ihrem Beitrag „Unkonventionelle Geldpolitik der Zentralbanken und die Vermögensverzerrungen“ die aktuelle Geldpolitik wegen ihrer Umverteilungswirkungen zugunsten der Vermögenderen einer kritischen Betrachtung. Sie steht mit dieser Kritik nicht alleine. Schnabel (Leipzig) kritisiert seit langem diese Umverteilungswirkungen aus einer von Hayek`schen Perspektive, andere aus der Perspektive der Eurorettung. Während Ökonomen diese Kritik in der Regel zum Anlass nehmen, der Europäischen Zentralbank, EZB, einen möglichst raschen Ausstieg aus der unkonventionellen Geldpolitik nahe zu legen, empfiehlt die Autorin der EZB, statt Staatsanleihen Anleihen der Europäischen Investitionsbank zu kaufen. Die Bank soll dann mit diesem Geld in sozialen Wohnungsbau, Bildung, Umweltschutz und grüne Energie investieren. Außerdem werde so auch die Gesamtnachfrage angekurbelt. Dem nahe liegenden Einwand, dass dieser Vorschlag Staatsfinanzierung bedeute und mit dem Mandat der EZB nicht vereinbar sei, hält sie entgegen, dass die EZB mit der Übernahme der Verantwortung für die Finanzmarktstabilität ja sowieso schon ihr Mandat überschritten habe. Aus verfassungsrechtlicher Sicht erstaunt, dass die Autorin einer EU-Institution wie der EZB das Recht geben will, ein ihr von den nationalen Parlamenten gegebenes, eng definiertes Mandat nach eigenem Gutdünken zu erweitern. Aus ökonomischer Sicht muss man den Vorschlag, die Finanzierung des Wohnungsbaus, der Bildung, des Umweltschutzes der EZB zu übertragen, für abwegig halten. Ramskogler zeichnet in seinem Beitrag die wirtschaftspolitische Philosophie der 1961 geschaffenen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, OECD, nach. Aus der Sicht des Autors war und ist die OECD eine Institution, die für konventionelle, dem Markt vertrauende Politikempfehlungen steht. Für viele Andere hat die Organisation jedoch nach wie vor einen keynesianischen Bias. Der dritte Teil enthält vier Beiträge, in denen die Sicht herausragender Persönlichkeiten der Vergangenheit auf spezifische ökonomische Probleme ihrer Zeit präsentiert wird: Rothschild und die Macht, Rodbertus und das Kapital, Fichte und die ökonomische Theorie egalitärer Freiheit sowie Rosa Luxemburg und ihre Landnahmetheorie. Insbesondere der Beitrag von Altzinger zu Rothschild verdient im Kontext von Inhalt und Herausgebern dieses Buches Aufmerksamkeit. Altzinger zeigt, dass die Vernachlässigung von ökonomischer und politischer Macht in der neoklassischen Theorie der zentrale Mangel dieser Theorie ist und arbeitet heraus, dass Rothschild einer der ersten war, die diesen Mangel thematisiert haben. Schon 1947 legte Rothschild in einem berühmt gewordenen Aufsatz im von Keynes seinerzeit herausgegebenen „Economic Journal“ am Beispiel der Preistheorie dar, dass ohne explizite Berücksichtigung von Machtfaktoren die Preisbildung auf Oligopolmärkten nicht zureichend erklärt werden kann. Die Einbeziehung der Macht in seinem Artikel mache den Beitrag zwar weniger elegant und die Ergebnisse weniger bestimmt, aber – so sein berühmt gewordenes Diktum am Ende seines Beitrages – es sei „better to be vaguely right than precisely wrong“. Altzinger zeichnet nach, wie Rothschild in zahlreichen weiteren Veröffentlichungen die ideologischen, methodologischen und institutionellen Gründe herausarbeitet, die faktisch zur Ausklammerung von Machtfragen in ökonomischen Theorien führen.

Zusammenfassend: Auch wenn man, wie der Rezensent, die hier vorgetragene Kritik an der Mainstream-Ökonomik, ihren Annahmen und ihren Botschaften, für übertrieben hält, jedenfalls gemessen an den angebotenen Alternativen, so gilt doch auch, dass konkurrierende Hypothesen für das Verhalten von Menschen, für die Funktionsweise von Märkten, zur Rolle von Institutionen und zur Methodik des Faches Raum zur Entfaltung haben müssen. Diesen Raum finden unkonventionelle und alternative Ansätze in den stromlinienförmigen, dem Mainstream verhafteten Fachzeitschriften zu selten. Dies erschwert die Verbreitung der Ideen der diese Ansätze vertretenden Ökonomen. Daher ist es erfreulich, dass der Metropolis-Verlag diesen Autoren ein Forum bietet.

Auch wenn man, wie der Rezensent, die hier vorgetragene Kritik an der MainstreamÖkonomik, ihren Annahmen und ihren Botschaften, für übertrieben hält, jedenfalls gemessen an den angebotenen Alternativen, so gilt doch auch, dass konkurrierende Hypothesen für das Verhalten von Menschen, für die Funktionsweise von Märkten, zur Rolle von Institutionen und zur Methodik des Faches Raum zur Entfaltung haben müssen. Diesen Raum finden unkonventionelle und alternative Ansätze in den stromlinienförmigen, dem Mainstream verhafteten Fachzeitschriften zu selten. Dies erschwert die Verbreitung der Ideen der diese Ansätze vertretenden Ökonomen. Daher ist es erfreulich, dass der MetropolisVerlag diesen Autoren ein Forum bietet.

Umso wichtiger wäre es dann aber mit einem besseren Lektorat, sowohl auf der Seite der Herausgeber als auch auf der Seite des Verlags, der Reihe auch in redaktioneller Hinsicht die in inhaltlicher Hinsicht gebotene Aufmerksamkeit zu widmen: Patrick Welter, Journalist, ist 1965 geboren und kann daher nicht 1950 das Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität Mainz gegründet haben (S. 34). Der wirkliche Gründer war Dr. Erich Welter, 1948–1962 Professor an der Universität Mainz und 1949–1980 einer der Herausgeber der FAZ. McCracken war Vorsitzender des Council of Economic Advisers in der Amtszeit von Richard Nixon (S. 200), nicht von Nixxon. Fehlende Satzzeichen, Satzfragmente statt Sätze und grammatikalische Fehler (S. 206 ff.) machen die Lektüre gelegentlich zum Ärgernis.

Prof. Dr. Karlhans Sauernheimer (khs) wirkte von 1994 bis zu seiner Emeritierung im März 2010 als Professor für VWL an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er publiziert schwerpunktmäßig zu Themen des internationalen Handels, der Währungs- und Wechselkurstheorie sowie der Europäischen Integration. Er ist Koautor eines Standardlehrbuchs zur Theorie der Außenwirtschaft und war lange Jahre geschäftsführender Herausgeber des Jahrbuchs für Wirtschaftswissenschaften.

karlhans.sauernheimer@uni-mainz.de

Diese Seite benutzt Cookies, um die Nutzerfreundlichkeit zu verbessern. Mit der weiteren Verwendung stimmen Sie dem zu.

Datenschutzerklärung